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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Abrahamsons Erkrankungen des Curriculums und mögliche Therapien

Abrahamson´s Diseases of the Curriculum and possible cures

Historischer Artikel Humanmedizin

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  • corresponding author Markus Weih - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Erlangen, Deutschland
  • author Stephen Abrahamson - University of Southern California, Department of Medical Education, Los Angeles, USA

GMS Z Med Ausbild 2006;23(2):Doc33

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2006-23/zma000252.shtml

Received: January 13, 2006
Published: May 15, 2006

© 2006 Weih et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Stephen Abrahamson beschrieb 1978 neun typische Probleme der medizinischen Curricula, die er als "Erkrankungen des Curriculums" zusammenfasste. Nach der letzten Reform der Approbationsordnung kam deutliche Bewegung in die Curriculumsplanung der deutschen medizinischen Fakultäten. Viele der von Abrahamson beschriebenen Symptome sind auch in traditionellen deutschsprachigen Curricula zu beobachten. In der derzeitigen Debatte wurde der Originalartikel zunächst wörtlich übersetzt. Anschließend wurden in Zusammenarbeit mit Stephen Abrahamson Therapievorschläge erarbeitet und bisher nicht veröffentlichte weitere Erkrankungen des Curriculums hinzugefügt.

Schlüsselwörter: Curriculumsentwicklung, Curriculumsreform, neue Approbationsordnung

Abstract

In 1978 Stephen Abrahamson described nine typical problems with medical curricula, which he summarized as "diseases of the curriculum". After the last reform of the national medical license law in Germany, many curricular changes of the German medical faculties were started. Many of the symptoms originally described by Abrahamson occurred in traditional German medical curricula. In the present debate we literally translated Abrahamson´s original article and, with the author, added possible therapeutic options and added later published, additional diseases.

Keywords: curriculum development, curriculum reform


Einleitung

Anmerkung des Herausgebers:

Der Artikel "Abrahams Erkrankungen des Curriculums und mögliche Therapien" ist eine Übersetzung des Artikels "Diseases of the curriculum", erschienen 1978 in J. Med. Educ. 5312, 951-957, des Autors S. Abrahamson. Er ist deswegen als "Historischer Artikel" einzustufen, aber trotzdem in unsere Zeit passt und eine wiederauflebende Aktualität ausdrückt. Beim Lesen des Artikels sollte man sich immer vergegenwärtigen, dass der Artikel ursprünglich nicht für die Strukturen und Verhältnisse in Deutschland verfasst wurde.

Einleitung:

Stephen Abrahamson ist eine der maßgebenden Figuren der medizinischen Ausbildung in den Vereinigten Staaten. In den 70er Jahren besuchte er als Berater in Sachen Curriculum und Lehre zahlreiche amerikanische Medical Schools. Er konnte dabei beobachten, dass bestimmte Probleme mit dem Curriculum immer wieder auftauchten. Aus der Vorstellung heraus, dass ein Curriculum ein lebendiger Organismus sei, der sich auf gesellschaftliche Veränderungen anpassen kann, beschrieb er 1978 seine "Erkrankungen des Curriculums" [1]. Das Echo auf diese originelle und erfrischende Arbeit war damals enorm. Die Arbeit wurde bereits ins Spanische, Koreanische und Chinesische übersetzt. Den Lebenslauf von Stephen Abrahamson wurde an anderer Stelle bereits ausführlicher dargestellt [6]. Die wichtigsten Daten haben wir im Lebenslauf Stephen Abrahamson angegeben. Nach der Reform der Approbationsordnung in Deutschland machten sich vielerorts Curriculumsreformer daran, neue Konzepte zu entwerfen und kritisierten die traditionellen Curricula der deutschen medizinischen Fakultäten. Dabei zeigte sich rasch, dass Abrahamsons Beobachtungen auch auf die hiesige Situation zutreffen und gut übertragbar sind. Die Erkrankungen des Curriculums gibt es auch in Europa. Im folgenden Beitrag wurde der Originalartikel wörtlich übersetzt und leicht gekürzt.

Die Erkrankungen des Curriculums und ihre Therapievorschläge sind in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammengefasst.

Um die Arbeit weiterzuentwickeln, wurden als Ergänzung und Aktualisierung einige nicht im Originalartikel genannte Erkrankungen des Curriculums angefügt (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).


Methoden

Curriculosklerose

Die Lähmendste aller Erkrankungen und tragischerweise auch die am Weitesten verbreitete ist die Curriculosklerose. Robert S. Harnack, State University of New York in Buffalo, nannte es in Laiensprache eine "Verhärtung der Kategorien". In der Tat ist die Curriculosklerose eine extreme Form des Abteilungsdenkens. Jede medizinische Fakultät nützt irgendeine Form von Abteilungsstrukturen. Und in jeder Art von Bürokratie neigt solch eine Abteilungsstruktur dazu, sich über alle Handlungsphasen zu legen. Im Krankheitsstadium übt das Abteilungsdenken erstickenden und hemmenden Einfluss auf das Curriculum aus. Im Extrem führt das Abteilungsdenken zu sozialem Territorialstreben. Ferner reflektiert es im Bereich der Curriculumsentwicklung eine Art Anrecht: die Zahl der Unterrichtsstunden, die eine bestimmte Abteilung zugestanden bekommt, wird als eine Auszeichnung oder Maßstab für die Wichtigkeit dieser Abteilung angesehen. Curriculumsgestaltung ist dann ein Machtkampf und keine Lehr- oder Planungsaufgabe. Sicherlich können sich viele an Sitzungen des Curriculums-Ausschusses erinnern, in denen die Zeitverteilung im Curriculum (am Rande erwähnt ist es die Zeit der Studenten, von der wir sprechen!) ein Ergebnis von "Geschäften" und "Kuhhandeln" zwischen den Abteilungsmächten war. Eine letzte - und traurige - Bemerkung zum Thema Curriculosklerose: Wir sehen nicht nur die Tragödie, dass dadurch Wachstum verhindert wird, sondern manchmal ein "Edsel-Phänomen" : „Wenn die Edsel-Abteilung der Ford Motor Company eine Abteilung in einer medizinischen Fakultät gewesen wäre, wäre sie noch da!". (Anmerkung: Der Ford Edsel war eine phänomenale Fehlplanung der Automobilgeschichte.)

Curriculums-Karzinome

Diese Erkrankung wird durch unkontrollierbares Wachstum eines Segmentes oder einer Komponente des Curriculums charakterisiert. In den frühen Stadien ist sie kaum nachweisbar. Mit den Veränderungen in der Medizin, dem Wachstum des Wissens, dem Wechsel von Lehrpersonal und der Drittmitteleinwerbung ist es nicht nur natürlich, sondern gar gesund, daraus entstehende Veränderungen des Curriculums zu erwarten. Deswegen werden, wenn eine Abteilung größenmäßig wächst oder sich ihre Leitung ändert oder wenn ein Forschungsprogramm seine Ziele verändert oder durch eine staatliche "Mission" wächst, neue Lerninhalte (sprich mehr Zeit) eingeführt, üblicherweise auf Kosten einer Abteilung, deren Macht und/oder Ansehen schwindet. Eine logische Konsequenz dieses "natürlichen" dynamischen Prozesses sind kleinere Anpassungen des Curriculums - von manchen als Feineinstellung bezeichnet. Aber in vielen Fällen wird diese normale Entwicklung radikal verschlimmert durch die Forderung nach Personal, um mit den zusätzlichen Lerninhalten "fertig zu werden", die in mehr Personal, mehr Unterstützung und mehr Geld für die Aufgaben der Abteilung resultiert - und die neuen zusätzlichen Experten werden schnell noch mehr Bedarf sehen. Mit der neuen Machtbasis wird das Wachstum dann schier unkontrollierbar, was dazu führt, dass das Curriculum in ein Ungleichwicht gerät. In einer Studie zählte Miller 1962 [4] die Stunden die unterschiedlichen Fächern zumindest laut ihrer Auflistung in den Vorlesungsverzeichnissen zugeordnet waren. Die Unterschiede waren so gewaltig, dass Miller Folgendes erkannte: Wenn ein Curriculum die minimale Stundenzahl für jedes Fach enthielte, könnte ein Student sein Medizinstudium in einem Jahr abschließen. Enthielte es die maximale Stundenzahl, würde ein Student fast fünf Jahre brauchen. Er folgerte, dass die Stundenanzahl der Fächer nicht die korrekte Variable für die Curriculumsplanung sei. Ein vielleicht nicht weniger wichtiger Punkt wurde jedoch nicht weiter verfolgt: Warum gab es diese Unterschiede überhaupt? Waren es Curriculums-Karzinome?

Curriculoarthritis

Eine weitere lähmende Erkrankung ist die Curriculoarthritis, die sich auf die Verbindungen zwischen benachbarten oder verwandten Segmenten des Curriculums auswirkt. Diese Erkrankung kann horizontale oder vertikale Verbindungen befallen; das heißt, sie kann zwischen einem Fach im ersten Studienjahr und einem anderen Studienjahr auftreten oder zwischen zwei Fächern, die gleichzeitig gelehrt werden. Im Grunde ist Curriculoarthritis eine Erkrankung, die Kommunikationsmuster betrifft. In einigen Schulen ist die Erkrankung milde. Die Zuständigen wissen vielleicht wirklich nicht genug darüber, was Kollegen in anderen Segmenten tun. Man scheut sich vielleicht, sich durch Nachfragen bei den anderen "einzumischen". In extremeren Ausprägungen wird diese Erkrankung durch Feindschaften charakterisiert, die die Kommunikation völlig blockierten und ernste Bemühungen um eine Verbesserung verhinderten. Wenn Dozenten meinen, dass es niemanden anderes etwas angeht, was sie lehren, ist die Curriculoarthritis in ihrem gefährlichsten Stadium ("Nun, wir würden Ihnen ja gerne sagen, was wir lehren, aber sie würden es ja sowieso nicht verstehen"). Curriculoarthritis kann als einfache Unfähigkeit zur Kommunikation beschrieben werden. In machen Situationen gibt es wirklich keine Zeit für das Lehrpersonal, sich zu treffen und zu interagieren. Diese Situation darf aber nicht damit verwechselt werden, dass manche Dozenten nur schlichtweg behaupten, sie hätten keine Zeit. Dies sind mächtige Katalysatoren für das Fortschreiten der Erkrankung. Gelegentlich stoßen Versuche, zumindest die Symptome der Krankheit zu mildern, auf Misserfolg, der dann zur weiteren Entwicklung der Krankheit beiträgt. Als Beispiel sei hier eine Schule im Prozess einer kompletten Überarbeitung und Modifizierung des Curriculums genannt. An einem bestimmten Punkt versuchten die Mitglieder des Curriculums-Ausschusses, die Kompetenzen und Wissensniveaus am Ende jedes Curriculumsjahres zu definieren. Die Planungsgruppe fürs zweite Studienjahr äußerte die Notwendigkeit, das erwartete Lernniveau zum Ende des ersten Studienjahres zu kennen. Die Planungsgruppe fürs erste Studienjahr sagte jedoch, sie könne eine solche Aussage nicht treffen, ohne Informationen über die Anforderungen an die Studenten, die das zweite Studienjahr antreten! Als ob das nicht genug wäre, traten ähnliche Sackgassen an jeder Verbindungsstelle im Curriculum auf. Schließlich führte diese schräge Logik der frustrierten Beteiligten bei fortschreitender Krankheit zu einem totalen Zusammenbruch aller Bemühungen um Definition der Leistungskontrollpunkte, während alle auf eine umfassende Beschreibung der Anforderungen an einen praktizierenden Arzt warteten - schließlich könne man ohne diese keinen Anforderungskatalog für Medizinabsolventen aufstellen und ohne diesen wiederum kein ähnliches Dokument über die erforderlichen Kompetenzen für Ärzte im Praktikum und so weiter und so fort. Damit das lebendige Curriculum gedeihen kann, ist gute Kommunikation zwischen und innerhalb der dazu beitragenden Segmente unabdinglich. Wenn diese Kommunikationsnetzwerke gestört sind, wenn Curriculoarthritis einsetzt, erkrankt das Curriculum.

Curriculums-Dysästhesie

Der Begriff Curriculums-Dysästhesie bezeichnet das Gefühl, etwas sei mit dem Curriculum nicht ganz in Ordnung. Man kann sie frühzeitig durch Aussagen von Fakultätsmitgliedern oder Studenten ausmachen: "Mit unserem Curriculum stimmt irgendetwas nicht"; "Ich weiß nicht genau, was mich stört, aber unser Curriculum scheint mir nicht ganz in Ordnung." "Warum sind alle unsere Studenten im zweiten Jahr so niedergeschlagen und müde; das muss mit dem Curriculum zusammen hängen." Man muss jedoch vorsichtig damit umgehen, denn auch das gesündeste Curriculum mag Unmutsäußerungen von Seiten einiger weniger (oder auch mehrerer) Studenten und/oder Dozenten unterworfen sein. Diese Curriculumserkrankung ist verwandt mit einem anderen Phänomen: In unserer Kultur gibt es einige, die nie "zufrieden" sind; immer ist etwas nicht recht; die Dinge sind nie gut genug. Curriculums-Dysästhesie ist mehr als nur das: Es ist ein Zustand aktiver Unzufriedenheit; die weit verbreitete Überzeugung, dass etwas fehlt; oder gar die offene Aussage, dass die Dinge nicht gut laufen. Es handelt es sich um ein allumfassendes Unbehagen und Unwohlsein. In diesem Krankheitsstadium lässt sich die Curriculums-Dysästhesie schlecht lokalisieren. Der Schlüssel dazu ist das Ausmaß des Gefühls des Unbehagens.

Iatrogene Curriculitis

In einigen Institutionen wird am Curriculum zu viel verändert, was zu einem Zustand führt, der als "iatrogene Curriculitis" bezeichnet wird. In ihrer ernstesten Form, unterdrückt diese Krankheit jegliche Versuche, das Curriculum zu evaluieren oder auch nur zu verstehen, was bestimmte Segmente des Curriculums erreichen. Andauernde Änderungen, geben keinerlei Möglichkeit zu kritischer Betrachtung geschweige denn evaluierender Forschung. Es ist fast so, als sei die Fakultät nicht in der Lage, eine Diagnose zu treffen, was "nicht passt" mit dem Curriculum und würde auf ihre Unfähigkeit mit multiplen Interventionen reagieren, indem sie - mit der selben "Schrotflinten-Mentalität", die einigen praktischen Ärzten zugeschrieben wird, die dazu neigen, desto mehr zu verschreiben, je unsicherer sie sich über die Diagnose sind - mehr intervenieren. Die Unterschiede sind hier sicherlich sehr fein. Einerseits ist ein Curriculum eine dynamische Einheit und soll auf Bedürfnisse von Studenten, Fakultätsbelange und gesellschaftliche Anforderungen reagieren. Andererseits können solche Anpassungen, sofern sie überlegt und idealerweise auf Daten basierend vorgenommen werden, auch nicht als "Herumbasteln" oder "Wurstelei" bezeichnet werden, Umstände, die die für Curriculums-Dysästhesie charakteristisch sind. Einerseits sollten wir die weisen Worte im Kopf haben: "Ein Curriculum, das sich nicht ändert, ein Curriculum, das nicht auf sich entwickelnde Anforderungen reagiert, ist ein Curriculum, das in Schwierigkeiten ist". Andererseits gilt auch der Satz "Wenn es nicht kaputt ist, reparier es nicht!". Hier liegt die feine Trennlinie; eine gründliche Untersuchung wird uns helfen, die Unterschiede zu erkennen.

Curriculums-Hyertrophie

Wenn man das dramatische Wachstum des Wissens, das für die medizinische Praxis nötig ist (manchmal als "Wissensexplosion" bezeichnet) betrachtet, überrascht es nicht, eine weitere Erkrankung zu entdecken, die als "Curriculums-Hypertrophie" oder "Curriculomegalie" bekannt ist. Nachdem die Wissensgrenzen nach hinten verschoben werden, neigen alle Fächer dazu, die neuen Entdeckungen ins Curriculum zu integrieren, aber nicht auf "Kosten" dessen, was das Curriculum bereits einschließt sondern: ohne am Bestehenden zu rütteln. Es ist offensichtlich, dass dieses Denken zu einem mehr und mehr überfüllten Curriculum führen muss, denn immer mehr Inhalte werden in begrenzt zur Verfügung stehende Zeit gestopft. Das sind die Bedingungen für Curriculomegalie oder Curriculums-Hypertrophie. Frühindikator dieser Krankheit ist ein Ansteigen der Stundenzahl für Vorlesungen und andere Arten der Informationsübertragung. Man kann auch eine Abnahme der Stundenzahl beobachten, die für praktische Arbeit reserviert ist. Ein weiteres Lehrphänomen, das diese Krankheit zu begleiten scheint oder Teil von ihr ist der "Abdeck-Komplex". Der Ausdruck "Wir müssen dieses Gebiet abdecken" wird von Zugehörigen nur zweier Berufsgruppen verwendet: Von Lehrern und Landwirten. Auch Kommentare von Studenten über das Programm von Medical Schools reflektieren diesen "Abdeck-Komplex". Man höre die treffende Aussage von Studenten einer Medical School im Osten: "Wir haben die besten Anatomiekurse des Landes; was sie nicht in den Vorlesungen oder Praktika abdecken, decken sie in der Abschlussprüfung ab". Während es eine militante Weigerung eines Fachbereichs gibt, einige seiner eigenen (vielleicht veralteten) Lerninhalte auszusortieren, um Platz zu schaffen für ihre eigenen neuen Wissensgebiete, gibt es keine derartige Verweigerungshaltung, wenn es darum geht, Inhalte anderer Fächer herausfallen zu lassen! In einer Schule, die der Autor besuchte, gab es einen Kurs, der ewiges Zielobjekt war. Immer wenn eine Disziplin mehr "Zeit" brauchte, wurde dieser Kurs erwähnt als einer, der "wahrscheinlich sowieso zu viel Zeit zur Verfügung hat". (Interessanterweise war die der einzige Kurs im Curriculum, der über eine detaillierte Liste und Beschreibung der Lernziele sowie Evaluationsinstrumente verfügte, die seine eigene - nicht manipulierte - Existenz rechtfertigten). Die Erosion der "Zeit" dieses Kurses war tragisch.

Idiopathische Curriculitis

Sie ist der Curriculums-Dysästhesie ähnlich: Beide sind nicht spezifisch; das heißt irgendetwas stimmt eben nicht ganz. Der große Unterschied liegt darin, dass die idiopathische Curriculitis als Maske für pädagogische Unzulänglichkeit dient. Hier werden Unbehagen, Unwohlsein und Unzufriedenheit offen geäußert. Genauere Untersuchungen legen offen, dass es die Lehre ist, die schlecht ist, und nicht das Curriculum. Beispielsweise wurden an einer amerikanischen Medical School Curriculumsänderungen evaluiert, als das neue Curriculum erst etwa sechs Monate alt war. Sowohl das "alte" Curriculum als auch das neue hatten Fürsprecher und Kritiker. Fakultätsmitglieder stellten von ihrem jeweiligen Standpunkt Abhandlungen vor - je nach Fach, Studienjahr etc. Studenten waren dazu eingeladen, Kommentare abzugeben. Die Kritiker waren besonders stimmgewaltig, obwohl wenige an der Zahl, und klangen bisweilen, als wollten sie das neue Curriculum sabotieren (oder als hätten sie es bereits sabotiert). Der Kommentar eines Studenten war prägnant. Er sagte "Wissen Sie, wovon wir Studenten sprechen und worüber wir uns Gedanken machen, das ist der Unterschied zwischen guter und schlechter Lehre - nicht der zwischen altem und neuem Curriculum." Alleine dieser Kommentar hätte der Fakultät helfen können, zu erkennen, dass idiopathische Curriculitis im Frühstadium vorlag. Unglücklicherweise blockierte die Fakultät eine intelligentere Durchleuchtung des Problems, und in dieser Schule dominieren auch heute, sechs Jahre später, dieselben Umstände, und haben sich noch deutlich verschlimmert.

Intercurrente Curriculitis

Sie ist eine Erkrankung des Curriculums, die parallel zur Vorausgegangenen auftritt, ohne mit ihr verwandt zu sein. Sie erscheint vielmehr als eine Reflektion der Inkompatibilität oder Verantwortungslosigkeit des Curriculums hinsichtlich aktueller gesellschaftlicher Probleme. Eine historische Anmerkung könnte für die Diskussion hilfreich sein. Die intercurrente Curriculitis wurde von Pediwell als "Säbelzahn-Curriculum" [5] bezeichnet. Er beschrieb einen prähistorischen Lehrplan, der beinhaltete, Kindern beizubringen, wie sie durch Gebrauch von Feuer den Säbelzahntiger vertreiben könnten. Er führte weiter aus, wie durch die Eiszeit der Säbelzahntiger ausstarb und fügte hinzu, dass die Fakultät das "Tiger-Verjagen" nicht aus dem Lehrplan strich. In der heutigen Zeit findet man die intercurrente Curriculitis in medizinischen Fakultäten, die darauf bestehen, dass ihre wahre Mission in der Ausbildung von Wissenschaftlern, Gelehrten und Forschen bestehen müsse, nicht von praktischen Ärzten - trotz der anerkannten und akzeptierten Funktion der Medical Schools. Intercurrente Curriculitis kann auch in Fakultäten gefunden werden, die großes Gewicht auf die Vorbereitung von Studenten auf die Praxis in hoch spezialisierten Bereichen legen, obgleich es stets ansteigenden gesellschaftlichen Bedarf und Nachfrage nach mehr Allgemeinärzten gibt. Das soll nicht heißen, dass diese Erkrankung pandemisch wäre; sie kann auftreten, muss aber nicht, in Abhängigkeit von anderen Einflüssen in einer bestimmten Zeit und Situation. Der Verlauf der Erkrankung ist nicht klar. Alles, was man bisher beobachten kann, ist eine Art Ungeduld der Studenten, die in direktem Zusammenhang steht mit dem Ausmaß der Absonderung der Fakultät von der Gesellschaft und mit dem Ausmaß an "Aktivismus" und/oder sozialem Bewusstsein unter den Studenten.

Curriculumsossifikation

Schließlich gibt es noch eine häufige Erkrankung, die der erstgenannten sehr ähnlich ist und deshalb zum Abschluss passend ist: Ossifikation des Curriculums. Wenn diese Erkrankung auftritt, wirkt das Curriculum wie "in Zement gegossen". Sie ist epidemisch und betrifft alle Medical Schools in beträchtlichem Ausmaß. Das Curriculum der medizinischen Ausbildung war praktisch von der Einführung des Flexner Reports [2] bis in die 1950er Jahre [3] unverändert. Ossifikation ist eine plausible Erklärung für Aussagen wie die folgenden: "Warum sollten wir etwas ändern?" "Wir haben das doch schon immer so gemacht" "So haben wir das aber noch nie gemacht" "Wir haben ja schließlich unseren Abschluss auch so gemacht, uns aus uns ist doch auch etwas geworden, oder?" "Du willst doch wohl nicht das Kind mit dem Bade ausschütten?" Von diesen Aussagen ist die letzte die subtilste. Sie impliziert, dass wir natürlich "das Badewasser ausschütten wollen", aber das mit etwas Sorgfalt auf das "Baby" tun sollten. Tatsächlich aber behalten die meisten Fakultäten, die diese Sorgfalt walten lassen, am Ende sowohl das "Badewasser" als auch das "Baby".


Zusammenfassung

Das ist der Anfang einer Aufzählung von Erkrankungen des Curriculums, die eine ganze Skala umfassen, von zu viel "Herumbasteln" über totale Vernachlässigung bis hin zu völligem Zementieren. Vielleicht können wir lernen, Frühstadien dieser Krankheiten zu erkennen; vielleicht können wir jede davon erforschen und ihre "Ätiologie" entwickeln. Genauso wie die Menschheit in früheren Zeiten Krankheiten durchlebte, ohne sie oder ihre Ätiologie zu kennen, haben wir nicht nur Erkrankungen des Curriculums erlebt und überlebt, sondern sie in manchen Fällen korrekt behandelt, sei es durch Zufall oder im besten Fall durch Intuition. Wenn das Curriculum in der Vorstellung lebendig ist oder zumindest dynamisch, haben diejenigen, die dafür verantwortlich sind, die Pflicht, für intelligentes und gut informiertes Management zu sorgen, das vielleicht am besten aus einem Verständnis für die pathologischen Prozesse heraus entsteht.


Lebenslauf Stephen Abrahamson

Der Lebenslauf von Stephen Abrahamson wurde an anderer Stelle bereits ausführlich dargestellt [6]. Er begann seine Karriere als Lehrer für Wissenschaften und Mathematik. Akademisch war er zunächst an der University of Buffalo und von 1963 bis zu seiner Emeritierung 1991 an der University of Southern California tätig. Seit 1963 war er dort Professor an der Abteilung für medizinische Ausbildung, und seit 1985 Studiendekan. Seine ganze akademische Karriere war der medizinischen Ausbildung und all ihren Facetten gewidmet. Neben seiner Tätigkeit als Berater für etwa 100 in- und ausländische Universitäten und Ausbildungszentren war er u.a. für das National Board of Medical Examiners (NBME), die National Library of Medicine, und die WHO tätig und saß im Editorial Board für zahlreiche Ausbildungszeitschriften. 1967 entwickelte er das erste Phantom (Sim One) für die anästhesiologische Ausbildung. Er veröffentlichte 58 Originalarbeiten und 17 Bücher bzw. Buchkapitel. Sein besonderes Interesse gilt der Continuing Medical Education (CME) und dem problembasierten Lernen.


Danksagung

Die Autoren möchten Frau Andrea Mack M.A. für die wörtliche Übersetzung des Artikels danken.


Literatur

1.
Abrahamson S. Diseases of the curriculum. J Med Educ. 1978;53(12):951-957.
2.
Flexner A. Medical Education in the USA and Canada. A Report to the Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching. Bulletin No. 4. Boston: Updyke; 1910.
3.
Lee PV. Medical Schools and Changing Times: Nine Case Reports on Experimentation in Medical Education. 1950-1960. Evanston, Illinois: Association of American Medical Colleges; 1962.
4.
Miller G. An Inquiry into Medical Teaching. J Med Educ. 1962;37:185-191.
5.
Pediwell JA. The Saber-Tooth Curriculum. New York: McGraw Hill; 1939.
6.
Simpson DE, Bland CJ. Stephen Abrahamson, PhD, ScD, educationist: a stranger in a kind of paradise. Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2002;7(3):223-234.