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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Implementierung von Computerlernfällen in das Curriculum der Inneren Medizin

Implementation of computer learning cases into the curriculum of internal medicine

Projekt Humanmedizin

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  • corresponding author Martin R. Fischer - Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik-Innenstadt, München, Deutschland
  • author Bernadette Aulinger - Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik-Innenstadt, München, Deutschland
  • author Veronika Kopp - Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik-Innenstadt, München, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2005;22(1):Doc12

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2005-22/zma000012.shtml

Received: January 18, 2004
Published: January 28, 2005

© 2005 Fischer et al.
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Zusammenfassung

Um die Lehre in der Inneren Medizin zu verbessern, wurden ab dem Wintersemester 1999 für Studenten des dritten klinischen Semesters Computerlernfälle eingeführt und auf die Vorlesung zur Inneren Medizin abgestimmt. Durch die erfolgreiche und vollständige Bearbeitung der Fälle konnten zwei Testate erworben werden. Es zeigte sich, dass der Großteil der Studierenden dieses Angebot der Fallbearbeitung lediglich nutzte, um die Testate zu erwerben. Freiwillig wurden kaum Fälle bearbeitet. Trotz dieser vornehmlich extrinsischen Motivation hatten die meisten Studierenden Spaß an der Fallbearbeitung und schätzten ihren subjektiven Lernerfolg hoch ein. Der Schwierigkeitsgrad der Fälle wurde von den Studierenden als angemessen eingeschätzt. Dies konnte mit objektiven Daten bestätigt werden. Insgesamt ist die Integration von Computerlernfällen in das bestehende Curriculum durch Abstimmen auf Vorlesungs- oder Seminarinhalte in Zusammenhang mit dem Erwerb eines Leistungsnachweises zu empfehlen.

Schlüsselwörter: Fallbasiertes Lernen, CBT, medizinische Ausbildung

Abstract

Computer-based interactive clinical cases were introduced in 1999 to improve problem-solving abilities in undergraduate education in internal medicine at the University of Munich; the content of online cases was matched with the main lecture. Course credits were given for the successful processing of four cases; an additional eight cases were offered to the students for voluntary use. Only the required cases were used substantially (between 89% and 95% of all students) whereas a minority of students (between 5% and 11%) used the cases voluntarily. In spite of this predominantly extrinsic motivation, most students expressed a high level of intrinsic motivation and rated their self-reported learning success as high. The difficulty of cases was rated as appropriate. This was supported by quantitative data on the correctness of students' answers. In summary, the integration of computer-based cases into a face-to-face learning curriculum should be coupled with the course assessment framework.

Keywords: case-based learning, computer-based training, undergraduate medical education


Einleitung

Die Kritik an traditionellen Unterrichtsformen förderte zunehmend den Einsatz problemorientierter Ansätze [1]. Dennoch ist die Integration von problemorientierten Lernformen in die bestehenden Curricula aufgrund der benötigten Personal-, Raum- und Zeitressourcen problematisch. Daher wurde auf computergestützte Lehr-Lernarrangements zurückgegriffen, die jedoch oft nur punktuell und in Pilotszenarien integriert wurden [2], [3]. An der LMU München wurden im Wintersemester (WS) 1999/2000 und im Sommersemester (SS) 2000 Computerlernfälle in die Lehre der Inneren Medizin integriert, um die Problemlösekompetenz der Studierenden zu fördern [4], [5].


Integration von Lernfällen in das Curriculum

Das Themengebiet der Inneren Medizin wurde - verbunden mit einem einsemestrigen Bedside-Teaching - in einer zweisemestrigen Vorlesung vermittelt, die sich an die Studierenden des 3. und 4. klinischen Semesters richtete. Um den Lernerfolg kontrollieren zu können, wurden im Rahmen der Vorlesung sechs Testate innerhalb eines Semesters geschrieben, die zuvor nicht angekündigt wurden. Zum Erwerb des Scheines mussten mindestens vier Testate bestanden werden.

Der Testaterwerb bot eine gute Möglichkeit, Lernfälle in das Curriculum einzubinden, da dadurch eine geeignete Motivationslage bei den Studierenden geschaffen werden konnte. So wurden ab dem WS 1999/2000 sechs medizinische Computerlernfälle passend zu den Themen der Vorlesung zeitlich gestaffelt angeboten. Durch die Bearbeitung dieser Fälle konnten maximal zwei der vier notwendigen Testate erworben werden.

Im einzelnen sah die Einführung der Lernfälle folgendermaßen aus: Die Studierenden wurden in Kleingruppen zu je 16 Personen in das Computerlernprogramm CASUS eingeführt. In dieser Einführungsveranstaltung bestand die Option, einen Fall in Zweier-Gruppen erfolgreich und vollständig zu bearbeiten und dadurch ein Testat zu erwerben. Bücher, Internet, Vorlesungsaufzeichnungen und andere Hilfsmittel durften dabei zu Rate gezogen werden. Der Tutor stand nur bei Problemen hinsichtlich der Bedienung des Lernprogramms zur Verfügung. Im Laufe des Semesters wurden die restlichen fünf, auf die Vorlesungsinhalte abgestimmten Lernfälle freigeschaltet. Um ein weiteres Testat mit CASUS zu erwerben, mussten im WS 1999/2000 weitere zwei bzw. im SS 2000 weitere drei Lernfälle vollständig und erfolgreich bearbeitet werden. Dabei konnten die Studierenden den Computerlernraum nutzen oder von extern über Internet auf die Fälle zugreifen. Zusätzlich wurde für zwei Stunden pro Woche tutorielle Hilfe für Programm- und Bedienungsschwierigkeiten angeboten.

Die Integration der Lernfälle beruhte also zum einen auf der thematischen Abstimmung der Fälle mit den Vorlesungsinhalten, zum anderen auf dem Testaterwerb als Motivation. Zusätzlich fand für alle Studierenden eine verpflichtende Einführungsveranstaltung statt, in der auch Computerunerfahrene den Umgang mit dem System lernen sollten.

Inwiefern die Integration erfolgreich war und wie die Lernfälle bei den Studierenden aufgenommen wurden, wird im Folgenden aus den Ergebnissen einer Fragebogenerhebung abgeleitet.


Methode

CASUS - ein fallbasiertes Computerlernprogramm

CASUS ist ein fallbasiertes Computerlernprogramm, das nach einer konstruktivistischen Lehr-Lernphilosophie entwickelt wurde [6]. Einem CASUS-Lernfall liegt ein Fall aus der medizinischen Praxis zugrunde, der den Lernenden realitätsnah präsentiert wird und aus der Perspektive eines diagnostizierenden und behandelnden Arztes zu bearbeiten ist. Es sind Programmelemente implementiert, die den Lernprozess lenken und unterstützen und die Studierenden auffordern, sich aktiv an der Problemlösung zu beteiligen. Damit werden Bedingungen hergestellt, die der tatsächlichen Arbeitssituation des Mediziners ähnlich sind, die aber die Studierenden dennoch nicht überfordern [7].

Fragebogen und Untersuchungsteilnehmer

Der eingesetzte elektronische Fragebogen wurde eigens für den Gebrauch von CASUS entwickelt. Er wird nach Beenden einer CASUS-Sitzung automatisch aufgerufen. Der Fragebogen beinhaltet u.a. Fragen zur Akzeptanz und zum subjektiven Lernerfolg. Die 6-stufige Rating-Skala reicht von 1 „trifft überhaupt nicht zu" bis 6 „trifft voll zu".

Der Fragebogen wurde in beiden Semestern eingesetzt. Im Wintersemester 1999/2000 wurde der Einführungskurs von insgesamt 216 Studierenden besucht. Im Sommersemester 2000 nahmen 221 Studierende am Einführungskurs teil. Von diesen insgesamt 437 Studenten wurde der Fragebogen nach 886 Lernsitzungen ausgefüllt. Bei einer Gesamtzahl von 1019 Lernsitzungen in diesem Jahr entspricht dies einer Rücklaufquote von 87%.


Ergebnisse

Nutzung des Angebots

Im Wintersemester 1999/2000 wurden 459 Fallbearbeitungen gezählt, wobei in 93% der Fallbearbeitungen (427 Sitzungen) die Fälle auch abschlossen wurden. Für ein Testat mussten zwei Fälle vollständig und erfolgreich bearbeitet werden. Lediglich 52 (11%) der Fallbearbeitungen erfolgten freiwillig. Nach der Einführungsveranstaltung, in der der erste Fall bearbeitet werden konnte, wurden hauptsächlich die Fälle zwei und drei bearbeitet. Der sechste Fall wurde dagegen nur von 14 Studierenden (3%) bearbeitet.

Im Sommersemester 2000 wurden 560 Fallbearbeitungen aufgezeichnet, wobei in 492 Fällen (86%) die Fälle vollständig bearbeitet wurden. In diesem Semester mussten drei weitere Lernfälle vollständig bearbeitet werden, um das Testat erwerben zu können. Die Anzahl der Lernsitzungen, die nicht dem Testaterwerb galten, lag bei 29 (5%). Die Fälle 2 bis 5 wurden jeweils von ca. der Hälfte der Studierenden bearbeitet. Lediglich der sechste wurde kaum mehr aufgerufen.

Betrachtet man diese Zahlen, zeigt sich, dass die Lernfälle in erster Linie genutzt wurden, um die zwei Testate zu erwerben. Dies machen die Zahlen der freiwilligen Bearbeitung (5% bzw. 11%) deutlich. Dass die Bearbeitung der Fälle durch den Testaterwerb motiviert ist, zeigt auch der Vergleich der beiden Kurse hinsichtlich der Bedingungen zum Testaterwerb. Lag im Wintersemester 1999/2000 die Bedingung des Testaterwerbs bei zwei Fällen, wurden kaum mehr als zwei Fälle bearbeitet; mussten drei Fälle erfolgreich und vollständig abgeschlossen werden, wurden diese Anforderungen erfüllt, um das Testat zu erwerben. Das Heraufsetzen der Anforderungen ging jedoch zu Lasten der freiwilligen Bearbeitung. Diese sank von 11% auf 5%.

Thematischer Bezug zwischen Vorlesung und Fälle

Ein wichtiges Prinzip zur Integration der Computerlernfälle war die Abstimmung auf die Vorlesungsinhalte. Mehr als die Hälfte der Studierenden (54%) gab an, dass dies gelungen ist. Mehr als ein Viertel der Studierenden fand, dass die Fälle die Inhalte der Vorlesung sinnvoll ergänzten. Knappe 9% konnten dagegen keine sinnvolle Ergänzung feststellen (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Akzeptanz der Fallbearbeitung

In 67% aller Sitzungen wurde die Frage „Die Bearbeitung des Falls hat mir Spaß gemacht" zustimmend mit dem Wert 5 oder 6 der Rating-Skala beantwortet. Nur in 4% wurde diese Aussage verneint (Abbildung 2 [Abb. 2]). Auf die Frage, ob die Studierenden nach der jeweiligen Lernfallbearbeitung weitere Fälle bearbeiten möchten, wurde in 95% mit Ja geantwortet. In nur 5% der Sitzungen wollten die Studierenden keine weiteren Fälle mehr bearbeiten.

Subjektiver Lernerfolg

Der Aussage, dass durch die Bearbeitung des Falles Zusammenhänge vermittelt wurden, die vorher unklar waren, konnten 47% der Studierenden zustimmen. Lediglich 10% gaben in dieser Hinsicht keinen subjektiven Lernerfolg an (Abbildung 3 [Abb. 3]).

Ein weiterer Aspekt des subjektiven Lernerfolgs wurde mit dem Item „Die Bearbeitung des Falls hat mir meine Lücken aufgezeigt" erhoben. Dieser Aussage konnten fast 70% der Studierenden ohne bzw. mit geringer Einschränkung zustimmen (Abbildung 4 [Abb. 4]).

Anforderungsniveau

Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Einschätzung des Anforderungsniveaus der Fälle durch die Studierenden. Die Schwierigkeit einer Aufgabe soll nur knapp über dem jeweiligen Niveau des Lerners liegen [8], um lernwirksam werden zu können. Aufgaben sollten demnach so gestellt werden, dass die Studierenden gefordert, aber nicht überfordert werden und dass sie den Schwierigkeitsgrad auch als angemessen empfinden. Die Aussage „Die Bearbeitung des Falls hat mich unterfordert" konnten 65% der Studierenden verneinen (Abbildung 5 [Abb. 5]).

Lernerfolg

Die Einschätzungen der Studierenden hinsichtlich des Anforderungsniveaus lassen sich mit objektiven Daten bestätigen. Durch die Datenbankaufzeichnungen im Programm konnte festgestellt werden, wie viele der in den Fällen gestellten Fragen richtig beantwortet wurden. Durchschnittlich beläuft sich dieser Wert auf 70%. Dieser Wert muss jedoch einschränkend betrachtet werden, da es bei der Auswertung der offenen Fragen zu Schwierigkeiten kam: die Verschlagwortung und damit das Erkennen der richtigen Begriffe war zu diesem Zeitpunkt noch nicht genügend ausgereift, sodass richtige Antworten zum Teil als falsch bewertet wurden. Es ist also anzunehmen, dass die Studierenden im Mittel mehr als 70% der Fragen richtig beantworteten. Da aber die Freitextantwort nur eine unter fünf möglichen Fragetypen ist, ist dieser Bias als gering einzuschätzen.


Diskussion

Für die erfolgreiche Integration von Computerlernfällen in das traditionelle Curriculum der Inneren Medizin liegt ein Schlüssel zum Erfolg in der thematischen Abstimmung zwischen Vorlesungsinhalten und Fallinhalten. Dass diese Integration jedoch nur auf der Basis eines Testaterwerbs möglich war, ist ebenfalls deutlich geworden. Ist die primäre Motivation der Studierenden bei der Fallbearbeitung auch der Testaterwerb, so macht ihnen die Fallbearbeitung in den meisten Fällen Spaß. Dies wird auch in der Frage, ob die Studierenden weitere Fälle bearbeiten möchten, deutlich. Zudem ist der Großteil der Studierenden davon überzeugt, etwas aus der Fallbearbeitung gelernt zu haben. Die Fälle weisen nach Angaben der Studierenden und der gemessenen Erfolgsquote einen angemessenen Schwierigkeitsgrad auf. Insofern kann das Einführen von Computerlernfällen als Ergänzung zur Vorlesung und als Vorbereitung auf das Bedside-Teaching in Zusammenhang mit einem Leistungsnachweis im klinischen Studienabschnitt empfohlen werden [9]. In einem weiteren Schritt sollten die Computerlernfälle nicht nur mit Vorlesungen zur Inneren Medizin verknüpft, sondern auch mit Seminaren und Kleingruppenunterricht verzahnt werden. Ein weiteres Einsatzgebiet der Computerfälle ist in Semesterabschlussprüfungen zu sehen, ein Thema, das in Hinblick auf die neue Approbationsordnung [10] an Wichtigkeit gewinnen wird, da die Fakultäten in Zukunft mehr benotete Prüfungen abhalten müssen; computergestützte Prüfungsverfahren versprechen dabei Vorteile bzgl. der Auswertungsaufwendungen und der kooperativen Nutzung von Prüfungsinstrumenten durch mehrere Fakultäten.


Literatur

1.
Camp G. Problem-Based Learning: A Paradigm Shift or a Passing Fad? MEO. 1996;1:2.
2.
Gerike TG, Baehring TU, Hentschel B, Fischer A, Scherbaum WA. Model trial: use and evaluation of a problem-oriented learning program in internal medicine. Med Klin. 1999; 94:76-81.
3.
Scherbaum WA. The role of problem-oriented learning programs in internal medicine; comment. Med Klin. 1999;94:74-5.
4.
Feltovich PJ, Coulson RL, Spiro RJ, Dawson-Saunders BK. Knowledge application and transfer for complex tasks in ill-structured domains: Implications for instruction and testing in biomedicine. In: Evans DA, Patel VL, eds. Advanced models of cognition for medical training and practice. Berlin: Springer; 1992. p. 213-244.
5.
Gräsel C, Mandl H. Förderung des Erwerbs diagnostischer Strategien in fallbasierten Lernumgebungen. Unterrichtswissenschaft. 1993;21:355-370.
6.
Fischer MR, Schauer S, Gräsel C, Baehring T, Mandl H, Gärtner R, Scherbaum W, Scriba PC. CASUS model trial. A computer-assisted author system for problem-oriented learning in medicine. Z Ärztl Fortbild (Jena). 1996;90(5):385-9.
7.
Fischer MR. CASUS - An authoring and learning tool supporting diagnostic reasoning. Z Hochschuldidaktik. 2000;1:87-98.
8.
Vygotsky LS. Denken und Sprechen. Stuttgart: Fischer; 1934/1991.
9.
Simonsohn AB, Fischer M. Fallbasiertes computergestütztes Lernen in der Inneren Medizin an der Universität München: Erfolgreiche Integration oder überflüssiger Zusatz? In: Puppe F, Albert J, Bernauer J, Fischer M, Klar R, Leven J, eds. Rechnergestützte Lehr- und Lernsysteme in der Medizin. Aachen: Shaker; 2003. p. 231-242.
10.
Approbationsordnung für Ärzte (ÄappO) vom 27.06.2002. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2002, Teil 1, Nr. 44.