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GMS Onkologische Rehabilitation und Sozialmedizin

Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e. V. (DGHO)

ISSN 2194-2919

Langfristige Verbesserung von Angst und Depression bei Krebspatienten durch eine intensiverte psychoonkologische Betreuung (IPO)

Long-term improvement of anxiety and depression in cancer patients by an intensive psycho-oncological care (IPO)

Originalarbeit

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  • corresponding author Ulf Seifart - Klinik Sonnenblick, Marburg, Deutschland
  • Irmgard Müller - Klinik Sonnenblick, Marburg, Deutschland
  • F. Becker - Klinik Sonnenblick, Marburg, Deutschland

GMS Onkol Rehabil Sozialmed 2016;5:Doc07

doi: 10.3205/ors000029, urn:nbn:de:0183-ors0000298

Published: September 5, 2016

© 2016 Seifart et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: Jeder zweite onkologische Patient leidet unter psychischen Folgen der Krebserkrankung oder deren Therapie. Die vorliegende Untersuchung eruiert die Effektivität einer intensivierten psychoonkologischen Betreuung im Vergleich zu einer standardisierten onkologischen Rehabilitation.

Material und Methoden: In einem Zeitraum von 6 Monaten wurden 70 Patienten mittels Fragebögen zu Beginn, am Ende und 5 Wochen nach erfolgter Rehabilitation befragt. Eine Gruppe von Patienten erhielt eine intensivierte psychoonkologische Betreuung, während eine zweite Gruppe eine standardisierte onkologische Rehabilitation erhielt.

Resultate: Alle erfassten Items besserten sich während der Rehabilitation signifikant. Im Follow-up wiesen Patienten der Interventionsgruppe deutlich geringere Werte für Angst und Depression auf.

Diskussion: Patienten mit psychischen Komorbiditäten profitieren von einer onkologischen Rehabilitation. Insbesondere Patienten der Interventionsgruppe wiesen in Hinblick auf Angst und Depression einen Langzeiteffekt auf.

Schlüsselwörter: Psychoonkologie, Krebs, Rehabilitation, Depression, Angst

Abstract

Introduction: Every second tumor patient is suffering from psychological effects of cancer or its treatment. The present study evaluates the effectiveness of intensified psycho-oncological care compared to a standard rehabilitation.

Material and methods: Over a period of 6 months 70 patients were interviewed by using questionnaires at the beginning, at the end and 5 weeks after rehabilitation. One group of patients received a standard rehabilitation while the other was treated with intensified psycho-oncological care.

Results: All evaluated items improved during rehabilitation. Patients of the intervention group showed lower values for anxiety and depression during the follow-up.

Discussion: Patients with psychological comorbidities benefit from an oncological rehabilitation. In particular, patients in the intervention group reported a positive long-term effect in terms of anxiety and depression.

Keywords: psycho-oncology, cancer, rehabilitation, depression, anxiety


Einleitung

Neben den somatischen Folgen einer Krebserkrankung bzw. deren Therapie leiden Tumorpatienten unter psychischen Traumatisierungen. Diese äußern sich in verschiedenen Formen und stellen ein häufiges Problem mit z.T. erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität für onkologische Patienten dar. Mehnert et al. [1] beschreiben die Inzidenz von Angststörungen mit 49%, depressiver Störungen mit 58%, Anpassungsstörungen mit 52% und posttraumatischer Belastungsstörungen mit 35%. Die Werte schwanken erwartungsgemäß entsprechend der Schwere der Erkrankung, dem Behandlungsstadium sowie den vorhandenen Ressourcen. Diese Störungen stellen für Patienten eine langfristige Problematik bzw. Belastung dar. Hoffman et al. [2] berichten, dass diese bis zu fünf Jahre nach der Diagnosestellung noch feststellbar sind. Verschärfend kommt hinzu, dass die Mortalität der Tumorerkrankung mit dem Vorhandensein von psychischen Erkrankungen assoziiert sein kann. Insbesondere Krebspatienten mit Depressionen haben eine signifikant schlechtere Prognose als psychisch gesunde Tumorpatienten [3], [4].

Eine psychoonkologische Behandlung ist somit unter dem Aspekt der Lebensqualität, eventuell aber auch der Prognose der Erkrankung zu fordern. Die Wirksamkeit von psychosozialen und psychotherapeutischen Interventionen konnte mehrfach bestätigt werden und gilt als gesichert [5]. So kann davon ausgegangen werden, dass psychoonkologische Betreuung eine Verbesserung der Lebensqualität und eine Reduktion von emotionalen Einschränkungen bei Tumorpatienten bewirkt [6]. Nach Heckl [7] treten wahrgenommene Probleme und damit der gewünschte Betreuungsbedarf besonders in der Nachsorgephase auf. Während dieser Phase beschäftigen sich die Patienten vermehrt mit den persönlichen Zielen der angemessenen Krankheitsverarbeitung und der verbesserten Anpassung an die neue Lebenssituation. Eine psychoonkologische Betreuung gehört folglich zum Standard in jeder onkologischen Rehabilitationseinrichtung. Unklar ist jedoch wie intensiv eine psychoonkologische Betreuung innerhalb der Rehabilitation sein sollte.

Diese Untersuchung beschreibt ein Pilotprojekt in welchem die Effektivität einer intensivierten psychoonkologischen Betreuung gegenüber einer „klassischen“ onkologischen Rehabilitation eruiert wurde.


Material und Methoden

Nach erfolgter Zustimmung des Datenschutzbeauftragten der Deutschen Rentenversicherung Hessen und deren Zustimmung bezüglich der ethischen Unbedenklichkeit (unter Einhaltung der Deklaration von Helsinki) wurden in einem Zeitraum von 6 Monaten 70 Patienten nach folgenden Ein- und Ausschlusskriterien in die Studie rekrutiert.

Einschlusskriterien:

  • Alle Krebserkrankungen
  • Alle Tumorstadien
  • Psychische Belastung vom Patienten angegeben oder vom aufnehmenden Arzt beobachtet
  • Schriftliche Einverständniserklärung zur Teilnahme an der Studie

Ausschlusskriterien:

  • Fehlendes Einverständnis zur Teilnahme an der Studie
  • Fehlende oder mangelnde Sprachkenntnisse, die eine Konversation unmöglich machen
  • Fehlende Fähigkeit die Fragebögen zu verstehen oder ausfüllen zu können
  • Alter <18J.
  • Fehlende Geschäftsfähigkeit
  • Fehlende psychische Belastung

Die Patientencharakteristika sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt.

Alle Patienten erhielten die in der Klinik definierte und den Therapierichtlinien der deutschen Rentenversicherung entsprechende psychoonkologische Betreuung (Einzel- und Gruppentherapien, sowie optional eine Musik- und Kunsttherapie) Das Therapieangebot der Interventionsgruppe umfasste zusätzlich eine zweimal pro Woche à 60 min. durchgeführte supportive und themenorientierte offene Gruppe. In den 8 Terminen erfolgte die Thematisierung folgender Themen: Gesundheit, Achtsamkeit, Genuss, körperliche Veränderungen, belastende Gefühle, Ressourcen, soziale Kontakte, Entspannung und Zukunftsperspektiven. Fernerhin erhielten die Patienten einmal pro Woche eine Musik- und Kunsttherapie um eine Option für nonverbale Ausdrucksformen zur Krankheitsbewältigung zu bieten. Die Therapiedauer der Interventionsgruppe umfasste 5 Wochen gegenüber 3 Wochen der Kontrollgruppe.

Die Zuordnung zu den beiden Therapiearten erfolgte nach dem ärztlichen Aufnahmegespräch nach subjektiver Einschätzung durch den Arzt, wobei allen psychisch belasteten Patienten die Option der Interventionsgruppe angeboten wurde. Patienten die als psychisch belastet eingestuft wurden oder sich selber so einstuften, aber aus privaten oder familiären Gründen nicht 5 Wochen in der Klinik verbleiben konnten wurden als Kontrollgruppe geführt.

Den Studienablauf zeigt Abbildung 1 [Abb. 1].

Patienten beider Gruppen wurden mittels folgender Fragebögen zu Beginn und am Ende der Rehabilitation sowie 5 Wochen nach der Rehabilitation befragt.

Verwendete Fragebögen:

  • Distress-Thermometer [8]
  • Fragebogen zur Belastung von Krebskranken (FBK-10) [8]
  • Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D) [9]

Statistik:

Die Fragebögen wurden entsprechend der Testvorgaben ausgewertet.

Die erhobenen Parameter wurden anhand einfaktorieller Varianzanalysen mit Messwiederholung ermittelt. Der Messwiederholungsfaktor wurde je zweimal gestuft ausgewertet: Einmal zum Vergleich der Werte innerhalb der Rehabilitation (Prä-Post-Vergleich) und weiterhin zum Vergleich der Ausgangs- mit den Endwerten (Prä-Follow-up-Vergleich). Weiter wurden die Fragen zu Einstellungen, Motivationen und Ressourcen anhand T-Tests für unabhängige Stichproben über beide Gruppen miteinander verglichen. Zudem wurden die Werte dieser Items mit den Veränderungen zwischen den Zeitpunkten korreliert (Pearson), um Zusammenhänge zwischen Einstellungen, Motivationen und Ressourcen mit dem Therapieerfolg zu ermitteln.

Als Signifikanzniveau wurde α=.05 festgelegt. Zur Auswertung wurde das Statistikprogramm SPSS in der 21. Version genutzt.


Resultate

Alle Versuchspersonen nahmen an den ersten beiden Messzeitpunkten teil. In der Experimentalgruppe (EG) beantworteten 28 (=80%) und in der Kontrollgruppe (KG) 26 (=74,29%) Teilnehmer die Fragbögen der Follow-up-Erhebung.

Die Patientencharakteristika sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt:

Die Tumorentitäten der hier dargestellten Patienten verteilen sich wie in Abbildung 2 [Abb. 2] aufgeführt. Die Rehabilitation der Probanden der Experimentalgruppe dauerte durchschnittlich 33,71 (SD=2,65) und die der Kontrollgruppe 26,03 (SD=5,45) Tage.

Psychische Belastung der Patienten

73,53% der Probanden litten in der ersten Woche der Rehabilitation nach eigenen Angaben an Sorgen, 85,29% an Ängsten, 77,94% an Traurigkeit, 48,53% an depressiven Verstimmungen, 64,71% an Nervosität und 48,53% gaben einen allgemeinen Verlust des Interesses an. Diese Werte reduzierten sich vor Beendigung der Rehabilitation (Zeitpunkt 2) und stiegen anschließend (Zeitpunkt 3) wieder an. Sie erreichten jedoch nicht wieder das Ausgangsniveau.

Die hohe psychische Belastung der Patienten zeigt sich ebenfalls in den weiteren eingesetzten Items und Fragebögen. Bezüglich des erlebten Distress gaben die Probanden einen durchschnittlichen Wert von 7,20 (SD=2,08) an, der deutlich über dem Cut-off Wert von 5 liegt. Auch bei den Dimensionen Angst (M=9,67, SD=3,86) und Depression (M=8,03, SD=3,78) liegen die Werte über dem Cut-off-Wert von jeweils 7 (HADS-D), gleiches gilt für die wahrgenommenen emotionalen, sozialen und körperlichen Belastungen (M=25,95, SD=8,98) (FBK-10).

Dabei unterscheiden sich die beiden Gruppen in den angegebenen Belastungen zu Beginn der Rehabilitation weder bezüglich des wahrgenommenen Distress (t (68)=.977, p=.332), der Angst- (t (68)=–.215, p=.830) oder Depressionswerte (t (68)=–.126, p=.900) noch bezüglich der Ergebnisse beim FBK-10 (t (60)=.295, p=.769) statistisch voneinander.

Wirksamkeit des intensivierten Programms (IPO)

Distress-Thermometer

Abbildung 3 [Abb. 3] zeigt die angegebene allgemeine Belastung auf der 10-stufigen Skala (Distress) zu den drei Messzeitpunkten, getrennt für beide Untersuchungsgruppen.

Bezüglich der ersten beiden Messzeitpunkte zeigt sich ein signifikanter Effekt der Rehabilitation (F (1,68)=44.548, p=<.001) und eine signifikante Interaktion zwischen dem ersten und zweiten Messzeitpunkt sowie der Gruppenzugehörigkeit (F (1,68)=4.837, p=.031). Im Follow-up verliert sich allerdings dieser Effekt. Insgesamt zeigt sich zwischen dem Ausgangs- (Prätestung) und Endwert (Follow-up-Messung), dass alle Patienten langfristig von der Rehabilitation profitieren (F (1,52)=16.890, p=>.001), dies ist aber unabhängig (F (1,52)=.010, p=.922) vom Umfang der psychologischen Betreuung.

FBK-10

Abbildung 4 [Abb. 4] stellt den zeitlichen Verlauf auf dem FBK-10 für beide Gruppen dar.

Auch hier existiert über die Zeitspanne der Rehabilitation ein signifikanter Effekt (F (1,60)=39.023, p=<.001). Der Gruppenunterschied ist hingegen nur marginal signifikant (F (1,60)=2.984, p=.089). Ähnlich dem Befundmuster beim Distress-Thermometer stiegen die Werte insgesamt zum Follow-up-Termin wieder an (F (1,45)=6.711, p=.013), dies aber unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit (F (1,45)=.223, p=.639). Die fünf Wochen nach der Rehabilitation gewonnenen Werte befanden sich ebenfalls unter den Ausgangswerten (F (1,45)=9.880, p=.003). Auch hier lag aber bezüglich dieser Entwicklung kein Gruppenunterschied vor (F (1,45)=1.371, p=.248).

HADS-D Dimension Angst

Abbildung 5 [Abb. 5] zeigt den zeitlichen Verlauf der Angstwerte.

Auch bei der Dimension Angst (HADS-D) offenbart sich, dass sich im Laufe der Zeit die Werte zwischen Beginn und Ende der Rehabilitation (F (1,68)=17.402, p=>.001) sowie zwischen Beginn und der Follow-up-Messung (F (1,52)=7.680, p=.008) reduzieren. In Abbildung 5 [Abb. 5] zeigt sich zwar, dass dieser Effekt in der Experimentalgruppe nachhaltiger ist, die Signifikanzgrenze wird aber bzgl. der Gruppenvariable weder innerhalb der Rehabilitation (F (1,68)=.657, p=.421) noch im Vergleich der Prätestung mit der Follow-up-Messung (F (1,52)=2.736, p=.104) erreicht.

Eine zufriedenstellend wahrgenommene finanzielle Situation hängt dabei positiv mit einer Verbesserung der Angstsymptomatik zwischen dem Prä- und Posttest (r(68)=.306, p=.011) zusammen. Weiterhin ist das Empfinden eines verbesserten körperlichen Zustands nach der Rehabilitation (r(69)=.246, p=.042) sowie die Freude auf zu Hause (r(69)=.315, p=.008) mit reduzierten Angstwerten zwischen den ersten beiden Zeitpunkten assoziiert.

HADS-D Dimension Depression

Die Depressionswerte zu den drei Messzeitpunkten präsentiert Abbildung 6 [Abb. 6].

Das Muster wiederholt sich bezüglich des Haupteffekts der Zeit zwischen dem ersten und zweiten (F (1,68)=17.402, p=>.001), dem zweiten und dritten (F (1,52)=10.380, p=.002) sowie dem ersten und dritten (F (1,52)=3.311, p=.075) Zeitpunkt. Während zwischen den ersten beiden Messungen offensichtlich keine Gruppenunterschiede existieren (F (1,68)=0, p=1,00), findet sich über die gesamte Zeitspanne ein marginal signifikanter Unterschied (F 1,52)=3.311, p=.075).

Wahrgenommene soziale Unterstützung („Ich fühle mich von meiner Familie unterstützt“) (r(67)=–.282, p=.021) sowie Religiosität (r(69)=–.312, p=.009) sind mit einer Verbesserung der Depressionswerten innerhalb der Rehabilitation assoziiert. Der Zusammenhang zwischen der familiären Unterstützung und Depressionswerten lässt sich auch bezüglich der ersten und letzten Messung (r(54)=–.312, p=.024) feststellen.


Diskussion

Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Überprüfung der Effektivität und Durchführbarkeit einer intensivierten psychoonkologschen Betreuung von psychisch belasteten Tumorpatienten im Vergleich zu einer standardisierten onkologischen Rehabilitation.

Ein in der onkologischen Rehabilitation diskutiertes, aber noch nicht gelöstes Problem ist die frühzeitige Identifikation von psychisch belasteten Tumorpatienten die einer psychoonkologischen Betreuung bedürfen. Es existieren keine standardisierten, evaluierten und praktisch anwendbaren Fragebögen. Die S3 Leitlinie zur psychoonkologischen Versorgung erwachsener Tumorpatienten [10] empfiehlt die Anwendung des HADS bzw. des Distress Thermometers, wobei der HADS den Nachteil einer aufwendigen Auswertung besitzt und somit im Alltag als Screening Instrument nicht in Frage kommt. Das Distress Thermometer ist für den deutschsprachigen Raum von Anja Mehnert evaluiert [11], allerdings fehlen Metaanalysen zu diesem Instrument [10].

Das von uns in dieser Untersuchung angewandte Verfahren (Selbstauskunft der Patienten bzw. Einschätzung der psychischen Belastung durch den aufnehmende Arzt) ist unserer Auffassung nach dazu geeignet psychisch belastete Patienten zu identifizieren. Die durch dieses Verfahren identifizierten Patienten zeigten bezüglich des erlebten Distress, Angst und Depression überdurchschnittliche Werte. Dies gilt auch für die wahrgenommenen emotionalen, sozialen und körperlichen Belastungen (M=25,95, SD=8,98) (FBK-10). Einschränkend sollte bemerkt sein, dass die Studie für diese Fragestellung nicht konzipiert war. So haben wir die Patienten, die sich selber als nicht belastet eingestuft haben oder vom Arzt so eingestuft wurden, mit den hier verwendeten Fragebögen nicht befragt. Wir wissen somit nicht wie viele Patienten, die belastet waren, übersehen wurden.

Da die Zuweisung der Patienten in die beiden Therapiearme nicht randomisiert, sondern nach Zustimmung der Patienten bzw. deren zeitliche Valenzen für die Rehabilitation erfolgte, erscheint es für die Interpretation der Resultate von eminenter Bedeutung, ob sich die beiden Gruppen bzgl. ihrer psychischen Belastungen unterscheiden. In den von uns erhobenen Items unterschieden sich beide Gruppen zu Beginn der Rehabilitation weder bezüglich des wahrgenommenen Distress (t (68)=.977, p=.332), der Angst- (t (68)=–.215, p=.830) oder Depressionswerte (t (68)=–.126, p=.900) noch bezüglich der Ergebnisse beim FBK-10 (t (60)=.295, p=.769) statistisch voneinander. Allerdings befanden sich die mittleren HADS Werte für Angst und Depression zum Zeitpunkt t1 für beide Gruppen unseres Kollektivs im Grenzbereich. Somit handelt es sich um ein eher gering belastetes Untersuchungskollektiv. Möglicherweise wäre der Effekt bei einem sehr stark belasteten Kollektiv deutlicher ausgeprägt gewesen.

Als zweites Ergebnis dieser Untersuchung lässt sich feststellen, dass die hier erfassten Werte für Angst, Depression und Distress sich in beiden Gruppen während der Rehabiliation signifikant bessern. Anschließend steigen sie im gewohnten Umfeld (t3) wieder an. Sie erreichen jedoch nicht wieder das Ausgangsniveau, was für einen langfristigen Effekt der Rehabilitation spricht. Diese Beobachtungen entsprechen den Ergebnissen von Krüger et al. [12] und denen einer der größten Untersuchungen in Deutschland, die den Effekt der psychoonkologischen Therapie in der Rehabilitation an 1165 Patienten, auch im Vergleich intensiviert versus nicht-intensiviert, untersuchte [13]. Auch in dieser Untersuchung konnte für die Parameter Angst, Depression und Distress ein signifikant positiver Effekt in der Rehabilitation gezeigt werden. Allerdings verlor sich der Effekt in dieser Untersuchung nach der Rehabilitation zum Zeitpunkt t3 (1 Jahr nach Rehabilitation). Da in der vorliegenden Untersuchung t3 nach 5 Wochen erhoben wurde, sind die Ergebnisse der beiden Studien nicht zu vergleichen, denn in der Studie von Mehnert et al. [13] wurde der 5-Wochen-Zeitraum nicht evaluiert, während in der vorliegenden Studie der Zeitraum von 1 Jahr nicht erfasst wurde. Zudem sind die erfassten Stichproben was den Patientenumfang betrifft sehr unterschiedlich.

Für uns überraschend differierte, trotz eines geplanten zeitlichen Unterschiedes der Dauer der Rehabilitation von 14 Tagen, die Aufenthaltsdauer beider Gruppen nur um 7,7 Tage (Interventionsgruppe: 33,71 d (SD=2,65); Kontrollgruppe 26,03 d (SD=5,45)). Ursächlich hierfür war, das Patienten der Kontrollgruppe ihre Rehabilitation um bis zu 7 Tage verlängerten, während Patienten der Interventionsgruppe die angebotenen zusätzlichen 14 Tage nicht vollumfänglich wahrnahmen. Gründe für die Nichtinanspruchnahme der zusätzlichen 14 Tage waren berufliche oder private Gründe. Eine Verkürzung der 5-wöchigen Rehabilitation aufgrund der intensivierten psychoonkologischen Betreuung gab kein Patient an. Unseres Wissens nach gibt es zu dieser Beobachtung keine Vergleichsliteratur, so dass wir diese Beobachtung an dieser Stelle nicht weiter diskutieren können.

Der Umstand, dass sich die Aufenthaltsdauer der Patienten nur um ca. 1 Woche und somit um 5 Arbeits- bzw. Therapietage unterschied, ist für die Interpretation der Effektivität der Therapiemaßnahme von Bedeutung. Die einzelnen in der Studie erhobenen Parameter seien hier separat diskutiert.

Distress-Thermometer und FBK-10

Die Erhebung des Distress-Thermometer und des FBK-10 zeigt für die Patienten beider Gruppen eine signifikante Besserung der psychischen Belastung für die Dauer der Rehabilitation (Distress-Thermometer F (1,68)=44.548, p=<.001, FBK-10 (F (1,60)=39.023, p=<.001). Im Follow-up verlieren sich beide Effekte, wenngleich für beide Instrumente ein nachhaltiger signifikant positiver Effekt für die Patienten gezeigt werden kann. Somit kann hier attestiert werden, dass alle psychisch belasteten Patienten von einer psychoonkologischen Betreuung in der Rehabilitation profitieren, dass aber bei einer Intensivierung der Betreuung und/oder einer Verlängerung der Maßnahme für die in diesen beiden Messinstrumenten erfassten Parameter keine nachweisbare Verbesserung erzielt werden kann.

Diese Daten decken sich mit der Untersuchung von Mehnert und Koch [13], die einen nahezu identischen Verlauf dieses Parameters in ihrer Untersuchung sahen. Auch in dieser Untersuchung gab es keinen Unterschied zwischen einer intensivierten Betreuung (SPOR) und einer nicht intensivierten psychoonkologischen Behandlung.

Somit glauben wir feststellen zu dürfen, dass für die Aspekte des Distress-Thermometers und FBK 10 eine onkologische Rehabilitation hilfreich und effektiv ist, aber eine Intensivierung der Therapie was Zeit und Therapieumfang angeht nicht sinnvoll ist.

Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D)

Diese Feststellung trifft auf die im HADS-D erfassten Items Angst und Depression nicht zu. Die Dimension Angst kann durch die durchgeführten Therapien sowohl während der Rehabilitation als auch für die Follow-up Zeit signifikant verbessert werden. (F (1,52)=7.680, p=.008). Die Daten des Follow-up suggerieren einen größeren Effekt im Follow-up für die Experimentalgruppe, allerdings verfehlt dieser Unterschied das Signifikanzniveau, so dass nur von einem Trend gesprochen werden kann. Die Daten der „SPOR-Studie“ [13] bestätigen unsere Ergebnisse für den Zeitraum der Rehabilitation, jedoch nicht im Follow-up. Hier verliert sich der Unterschied. Dies mag durch das längere Follow-up und die größere Stichprobe bedingt sein.

Ein hier nicht weitergehend untersuchter, aber möglicherweise interessanter Aspekt besteht in der Korrelation zwischen Angst und der wahrgenommenen finanziellen Situation. Eine gute bzw. sichere finanzielle Situation hängt dabei positiv mit einer Verbesserung der Angstsymptomatik zwischen dem Prä- und Posttest (r(68)=.306, p=.011) zusammen. Patienten mit einer Tumorerkrankung verlieren signifikant häufiger als gleichaltrige Gesunde ihre Arbeitsstelle [14], [15]. Soziale und finanzielle Konsequenzen einer Tumorerkrankung stellen für onkologische Patienten eine erhebliche Belastung der Lebensqualität dar. So berichten Delgado et al. [16] dass Patienten Sorgen bezüglich finanzieller Belastungen als belastender empfanden als die körperlichen oder psychischen Nebenwirkungen der Erkrankung bzw. der Therapie. Somit erklärt sich diese Beobachtung.

Insgesamt glauben wir aber feststellen zu dürfen, dass für die im HADS gemessene „Angst“ eine onkologische Rehabilitation lindernd wirkt und diese Patienten von einer intensiveren Zuwendung, möglicherweise auch unter der Berücksichtigung der beruflichen und somit finanziellen Situation profitieren.

Ein sehr vergleichbares Ergebnis findet sich für den Parameter Depression. Hier zeigt sich eine signifikante Besserung während der Rehabilitation und ein persistierender Effekt im Follow-up. Auch in diesem Parameter zeigt sich ein Trend zu Gunsten der Interventionsgruppe (F 1,52)=3.311, p=.075). Dieser statistische Trend signalisiert, dass das intensivierte Programm langfristig die Depressions- und Angstwerte reduzieren kann. Diese Resultate werden für die Rehabilitation durch die Daten der SPOR-Studie [13] gestützt. Allerdings verliert sich in der zitierten Studie der Unterschied wiederum im Follow-up. Dies erklären wir durch die größere Stichprobe und den längeren Follow-up, möglicherweise aber auch durch die Intensivierung des Aspektes der beruflichen Situation der Patienten (MBOR) in der onkologischen Rehabilitation, der im Jahre der SPOR-Studie (2009) noch nicht so intensiv betrieben wurde wie im Jahre 2015. Eine Beobachtung, die uns umso wichtiger erscheint, da für das Symptom Depression genauso wie bei dem Item Angst eine klare Korrelation zur beruflichen Situation besteht. Der von uns beschriebe Effekt auf Angst und Depression ist unter dem Aspekt zu betrachten, dass der zeitliche Unterschied zwischen beiden Therapiegruppen nur 7 Tage bzw. 5 Werktage betrug und die Therapie in der Interventionsgruppe eine offene Gruppe und eine regelhafte Musik- und Kunsttherapie in der Gruppe umfasste. Die Verbesserung der Depressionssymptomatik erscheint besonders erwähnenswert, da Tumorpatienten, die gleichzeitig unter einer Depression leiden, bezüglich ihrer Krebserkrankung eine schlechtere Prognose besitzen [3]. Inwieweit die hier attestierte Verbesserung der Depression eine günstigere Tumorprognose für unsere Patienten bedingt, lässt sich an den hier erhobenen Daten nicht beurteilen, jedoch postulieren.

Die vorliegende Untersuchung bietet unserer Auffassung nach folgende Schwächen:

  • Die fehlende Randomisation der Patientenzuordnung bietet die Möglichkeit, dass innerhalb der Gruppen Unterschiede existieren, die wir nicht erfasst haben.
  • Ein Rücklauf der Fragebögen im Follow-up von ca. 80% ist für die vorliegende Fragestellung als sehr gut zu bezeichnen, dennoch sind beide Gruppen im Follow-up sehr klein, so dass dies ein Grund dafür sein mag, dass das Signifikanzniveau für die Items Angst und Depression verpasst wurde.
  • Die Untersuchung erfolgte monozentrisch, so dass eine Übertragung der Befunde auf andere Kliniken nur eingeschränkt vorgenommen werden kann.
  • Das Follow-up mit 5 Wochen ist möglicherweise zu kurz.

In der Zusammenschau der Daten glauben wir, folgendes Fazit aus der Untersuchung ziehen zu können:

  • Eine Identifizierung von psychisch belasteten Patienten über die Selbstauskunft von Patienten bzw. den aufnehmenden Arzt ist möglich und ohne größeren Aufwand im klinischen Setting durchführbar
  • Eine intensivierte psychoonkologische Betreuung über einen Zeitraum von 33 Tagen ist in der Lage, Angst und Depression bei psychisch belasteten Tumorpatienten anhaltend zu reduzieren.
  • Für die Aspekte des Distress-Thermometer und des FBK-10 erscheint uns eine Intensivierung der psychoonkologischen Betreuung nicht gerechtfertigt.

Die Bestätigung dieser Resultate sollte in einer größeren Multicenter Studie erfolgen.

Folgende Aspekte sollten bei nachfolgenden Untersuchungen zusätzlich evaluiert werden:

  • Eine Randomisierung der Patienten auch hinsichtlich Alter, Tumorentität, Tumorstadium und Therapie
  • Welche Rolle spielt die Beratung von Patienten in Hinblick auf berufliche und familiäre Probleme für die langanhaltende Besserung der Angst– bzw Depressionsproblematik?
  • Haben die verbesserten Werte für Depression und Angst prognostische Bedeutung für den Verlauf der Krebserkrankung?

Anmerkungen

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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