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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Klinische Fertigkeiten Online (KliFO): Verbindung von fallbasiertem und systematischem Lernen mit den Plattformen Nickels und CASUS®

Clinical Skills Online (CliSO): Combining case based and systematic learning using the Nickels and CASUS® Platforms

Originalarbeit

  • author Daniel Bauer - Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik - Innenstadt, Schwerpunkt Medizindidaktik, München, Deutschland
  • author Michael Emde - Medizinische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Studiendekanat, Kiel, Deutschland
  • author Stefan Urbansky - Dresden E-Learning-Service, Dresden, Deutschland
  • author Gudrun Karsten - Medizinische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Studiendekanat, AG Medizindidaktik, Kiel, Deutschland
  • corresponding author Martin R. Fischer - Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Lehrstuhl für Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2009;5(1):Doc11

doi: 10.3205/mibe000090, urn:nbn:de:0183-mibe0000905

Published: February 25, 2009

© 2009 Bauer et al.
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Zusammenfassung

Mit „KliFO – Klinische Fertigkeiten Online“ wurde an den medizinischen Fakultäten der CAU Kiel und der LMU München ein gemeinsames Blended Learning-Konzept zum computergestützten Lernen und praktischen Trainieren von klinischen Untersuchungstechniken für Medizinstudenten entwickelt (http://www.cliso.de)

Das didaktische Konzept beinhaltet die standardisierte und Lernziel-bezogene Vermittlung klinischer Untersuchungstechniken und sensomotorischer Fertigkeiten und die Verbindung von typischen Fallbeispielen mit biomedizinischem Hintergrundwissen.

Beide beteiligten Fakultäten brachten hierbei ihre speziellen Kompetenzen und Erfahrungen in den Bereichen systematisches (Kiel: Lernplattform Nickels) bzw. fallbasiertes Lernen (München: Lernplattform CASUS® ) ein.

Eine Single-Sign-On-Lösung wurde durch Einsatz eines SCORM/AICC-HACP-Protokolles verwirklicht und erlaubt den direkten und gezielten Zugriff auf freigegebene Inhalte beider Lernplattformen und den Austausch der Ergebnisse der Lernzielkontrollen.

KliFO wurde in das vorklinische und klinische Curriculum integriert. Evaluationen in beiden Studienabschnitten bestätigen den Erfolg des Ansatzes in inhaltlich-didaktischer und technischer Hinsicht. Ein Transfer des Konzeptes auf andere Fakultäten wird angestrebt.

Schlüsselwörter: Blended Learning, körperliche Untersuchung, klinischer Untersuchungskurs, klinische Fertigkeiten, fallbasiertes Lernen, Single-Sign-On

Abstract

The medical faculties at Kiel and Munich University jointly developed the blended learning concept „CliSO – Clinical Skills Online“ for computer based and practical training of physical examination skills in undergraduate medical students (http://www.cliso.de).

CliSO’s didactic concept is based on standardized and learning target oriented mediation of physical examination and sensomotor skills and their association with biomedical basics.

Both faculties realized their individual competencies and experiences in systematic (CAU Kiel: Nickels) and case based e-learning (LMU Munich: CASUS®) respectively.

Direct and targeted access to contents as well as assessment data was facilitated with single sign on through SCORM/AICC-HACP protocol.

CliSO has been integrated into preclinical and clinical curricula. Evaluations in both stages confirm the concept’s didactic and technical approach. Transferring CliSO’s concept to other faculties seems a justified goal.

Keywords: blended learning, clinical skills, examination skills, case based learning, single sign on


Einleitung

Studierende der Medizin müssen mit Beginn des Unterrichtes am Patienten über gute Kenntnisse der wichtigsten Diagnose- und Therapietechniken verfügen. Die Realität zeigt aber, dass diese Techniken nicht sicher genug beherrscht werden. Mängel sind sowohl bei den manuellen Fertigkeiten zu verzeichnen, als auch bei der Beherrschung der theoretischen Grundlagen und der Fähigkeit, pathologische Befunde zu interpretieren [1].

Um diese Situation zu verbessern, führten LMU und CAU Veranstaltungen in Form von interdisziplinären, Theorie und Praxis integrierenden Lehreinheiten zur Standardisierung der Untersuchungsmethoden ein. Hierzu wurde das Blended Learning-Konzept [2], [3] KliFO (Klinische Fertigkeiten Online) entwickelt: Auf die strukturierte Wiederholung biomedizinischen Wissens und die standardisierte Vermittlung der Untersuchungstechniken in E-Learning-Einheiten folgt der Präsenzunterricht, in dem Untersuchungstechniken nach definierten Lernzielen gelehrt und praktiziert werden. Die hierauf folgenden Fallbeispiele sollen dann Anwendungsbezug und praktische Relevanz des Gelernten konkretisieren und einen Lerntransfer sichern, den klassische Präsenzveranstaltungen in dieser Form u.a. wegen Problemen mit der Patientenverfügbarkeit nicht leisten können (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Der Blended-Learning-Kurs wird mit einer klinisch-praktischen Prüfung im OSCE-Format („objective structured clinical examination“) abgeschlossen. So werden Effektivität und Flexibilität elektronischer Lernformen mit den Vorteilen einer Präsenzveranstaltung verbunden. Seit Sommer 2007 liegen acht KliFO-Lernmodule vor, die die Basisuntersuchungstechniken in den Bereichen kardiovaskuläres System, Lunge, Abdomen, HNO, Auge, Neurologie, Bewegungsapparat und Pädiatrie umfassen.


Methoden

CASUS® wurde an der LMU München entwickelt und wird seit 2000 von der SpinOff Firma Instruct AG weiter entwickelt und vermarktet. CASUS® ist ein webbasiertes E-Learning-System, das sich auf Fallbeispiele in Medizin, Jura, etc. spezialisiert hat [4], [5]. Die Plattform besteht aus dem Abspielsystem, dem Autorensystem, der Kursverwaltung (mit integrierter Nutzerverwaltung) und dem Auswertesystem. CASUS® eignet sich sowohl als eigenständige E-Learning-Plattform, als auch als Add-On an bestehende Lernmanagement-Systeme (LMS). Ebenso können Anwendungen wie z.B. Kommunikationslösungen oder Fragebogenwerkzeuge an CASUS® angeschlossen werden.

Nickels (vormals JaTeK) wurde 1995 an der TU Dresden initiiert und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt; seit 2004 als Open-Source-Projekt. Nickels ist eine webbasierte E-Learning-Plattform und bietet außer interner und externer (Webservices) Benutzerverwaltung, ein integriertes Autorensystem zur multilingualen, multimedialen und interaktiven Content-Erstellung sowie ein Tutorensystem mit Diagnosewerkzeugen zur Lernendenbetreuung und Evaluation. Ein Glossar und Kommunikationswerkzeuge stehen zur Verfügung [6].

Sowohl die systematischen als auch fallbasierten Lerneinheiten wurden mit Video, Grafik, Foto, Animation und Text multimedial angereichert.

Für die Vermittlung der systematischen bzw. fallbasierten Lehrinhalte wurden eine Single-Sign-On-Lösung für die Verknüpfung der Lernplattformen Nickels und CASUS® implementiert, um den Aufwand eines Contentaustausches zu vermeiden, die spezifischen Vorzüge der einzelnen Plattformen zu erhalten und die Benutzerfreundlichkeit zu garantieren (einmalige Passwortabfrage). Über SCORM/AICC-HACP (SCORM = Sharable Content Object Reference Model; AICC = The Aviation Industry CBT Committee; HACP = HTTP AICC Communication Protocol) kann bei der Inhaltserstellung die Abfolge der einzelnen Lerneinheiten gezielt vorgegeben werden. Die Studierenden bearbeiten nach einmaliger Passwortabfrage die für sie freigegebenen Inhalte in der vorgeschlagenen Reihenfolge und wechseln zwischen den Plattformen (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Der Einstieg geschieht jeweils über die den Studierenden wohlvertraute Plattform der Heimatfakultät. Die Benutzerführung bleibt in der Verantwortung der Heimatfakultät, während Daten über das Abschneiden in den eingebauten Lernzielkontrollen und die Verweildauer bei den einzelnen E-Learning-Materialien automatisch übermittelt werden.


Ergebnisse

Die Single-Sign-On-Lösung wurde realisiert. Verlinkungen zwischen den Plattformen sind bidirektional und zielgerichtet.

Mit Einführung des Pilotmoduls "Kardiovaskuläre Untersuchung" 2006 wurden neben den Inhalten und der curricularen Einbindung der KliFO-Module auch die technischen Aspekte durch die Studierenden in Kiel und München evaluiert (n=356) [7]: Die Verbindung der Plattformen wurde mit 3,46 (6 Punkt Likert Skala; 0 = trifft gar nicht zu, 5 = trifft voll zu) bewertet. Die Usability und allgemeine technische Lauffähigkeit wurden mit 3,53 bzw. 3,14 bewertet, wobei verschiedene in Freitextkommentaren geäußerte Verbesserungsvorschläge rasch umgesetzt wurden [7], [8]; siehe Abbildung 3 [Abb. 3].


Diskussion

Der Einsatz von KliFO an den medizinischen Fakultäten in Kiel und München wurde bezüglich didaktischem Konzept, technischer Funktionalität und Akzeptanz durch die Lernenden positiv bewertet. Die Integration von Grundlagenwissen mit klinischer Anwendung über Fallbeispiele in der E-Learning-Phase scheint sich unter kontrollierten experimentellen Bedingungen positiv auf den Lernerfolg auszuwirken [9]. Hier sind weitere Untersuchungen unter Feldbedingungen erforderlich. Wenn sich dieser Befund bestätigen sollte, würde das grundsätzliche Fragestellungen zur interdisziplinären integrativen Vermittlung von Lerninhalten über KliFO hinaus aufwerfen.

Den bisherigen Erfahrungen des Projekts folgend, können die E-Learning-Module von KliFO mit traditionellen Untersuchungskursen zum Erlernen der Basistechniken zu einem Blended-Learning-Ansatz erfolgreich kombiniert werden. Der KliFO-Ansatz trägt damit zur Umsetzung der ärztlichen Approbationsordnung bei, die eine Verknüpfung klinischen und theoretischen Wissens in der medizinischen Ausbildung vorsieht [10].

Ein Problem bei der Durchsetzung gemeinsamer Lehrstandards könnte in mangelnder Akzeptanz bei den unterschiedlichen Dozenten liegen. Diese könnten sich in ihrer individuellen Lehrefreiheit eingeschränkt fühlen, wenn sie Standards vermitteln sollen, denen sie persönlich nicht zur Gänze zustimmen.

Auch wenn Konzept und Bedienerfreundlichkeit von den Studierenden bisher überwiegend positiv bewertet wurde, ist bisher nicht erhoben worden, inwiefern der Einsatz von KliFO – und dabei insbesondere die Nutzung zweier Lernplattformen mit unterschiedlichen Benutzeroberflächen – Studierende benachteiligt, die in der Anwendung von Computern weniger erfahren sind.

Weitere medizinische Fakultäten haben Interesse an der Nutzung von KliFO bekundet. Inwiefern inhaltliche und technische Anpassungen für einen solchen Transfer von KliFO vorgenommen werden müssen, wird eine begleitende Evaluation dieser Vorgänge zeigen.


Fazit

Die im KliFO-Projekt erfolgreich verwirklichte Verknüpfung zweier etablierter, dabei in der Fokussierung sehr unterschiedlicher Plattformen hat Beispielcharakter und ist bei Erfüllung der Voraussetzungen (SCORM/AICC-HACP) auch mit weiteren Plattformen möglich.


Anmerkung

Danksagung

Das Projekt wurde finanziell von der Bund-Länder-Kommission (Förderkennzeichen M177800) und dem Innovationsfond des Landes Schleswig-Holstein sowie den medizinischen Fakultäten der CAU Kiel und der LMU München unterstützt. Ein Teil der Evaluationsergebnisse wurde in Studien gewonnen, die im Rahmen des Master of Medical Education-Studienganges (Universität Heidelberg) des Medizinischen Fakultätentages (MFT) durchgeführt wurden.

Wir danken allen Projektmitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Erstellung der Lerninhalte, die Evaluationen und Begleitstudien sowie die Weiterentwicklung und Harmonisierung der E-Learning Plattformen, insbesondere Martin Adler, Matthias Angstwurm, Thomas Brendel, Kirsten Brüchner, Martin Göbbels, Inga Hege, Matthias Holzer, Tobias Hoppe-Seyler, Michael Illert, Veronika Kopp und Harald Wiese.

Interessenkonflikte

Keine angegeben.


Literatur

1.
Angstwurm M, Göbbels M, Kopp V, Hege I, Karsten G, Illert M, Brüchner K, Fischer MR. Development of blended learning curriculum to teach basic clinical examination. In: AMEE (Association for Medical Eucation in Europe) Conference 2007; 25.-29.08. 2007; Trondheim, Norway.
2.
Ruiz JG, Mintzer MJ, Leipzig RM. The Impact of E-Learning in Medical Education. Acad Med. 2006;81(3):207-12. DOI: 10.1097/00001888-200603000-00002 External link
3.
Alonso F, López G, Manrique D, Viñes JM. An instructional model for web-based e-learning education with a blended learning process approach. Br J Educ Technol. 2005;36(2):217-35. DOI: 10.1111/j.1467-8535.2005.00454.x External link
4.
Fischer MR. CASUS - An Authoring and Learning Tool Supporting Diagnostic Reasoning. In: Daetwyler C, editor. Use of Computers in Medical Education (Part II). Zeitschrift für Hochschuldidaktik. 2000;1:87-98.
5.
Hege I, Kopp V, Adler M, Radon K, Mäsch G, Lyon H, Fischer MR. Experiences with different integration strategies of case-based e-learning. Med Teach. 2007;29(8):791-7. DOI: 10.1080/01421590701589193 External link
6.
Urbansky S. Integrierter Ansatz zur systemunabhängigen Wiederverwendung von Lerninhalten. Dissertation. Technische Universität Dresden; 2005.
7.
Brüchner K, Karsten G, Kopp V. Evaluation der Lernumgebung KliFO (Klinische Fertigkeiten Online) durch Medizinstudierende. In: Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA). Hannover, 16.-18.11.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc 07gma138. Verfügbar unter: http://www.egms.de/en/meetings/gma2007/07gma138.shtml External link
8.
Bauer D, Brüchner K, Kopp V, Illert M, Angstwurm M, Karsten G, Fischer MR. KliFO - Klinische Fertigkeiten Online. Konzeptentwicklung und Evaluation eines Blended-Learning Ansatzes zum Erlernen und Trainieren von klinischen Untersuchungstechniken. In: 12. Workshop der Arbeitsgruppe "Computerunterstützte Lehr- und Lernsysteme in der Medizin" der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, 7.-8.04.2008. Saarbrücken.
9.
Karsten G, Brüchner K, Fischer M, Demuth R. Vorbereitung auf einen Untersuchungskurs mittels eLearning: Lernerfolg und dessen Abhängigkeit von der Vermittlung von Hintergrundwissen. In: Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA). Köln, 10.-12.11.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc 06gma026. Verfügbar unter: http://www.egms.de/en/meetings/gma2006/06gma026.shtml External link
10.
Bundesministerium für Gesundheit und Forschung. Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002. Bundesgesetzblatt. 2002;44:2405-35.