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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Bibliothek trifft auf Web 2.0: Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB) e.V. vom 24.09. bis 26.09.2007 an der Universität Ulm

Bericht

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  • corresponding author Alison Hayworth - Kommunikations- und Informationszentrum der Universität Ulm, Ulm, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2007;7(3):Doc45

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/mbi/2007-7/mbi000097.shtml

Published: December 19, 2007

© 2007 Hayworth.
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Bibliothek trifft auf Web 2.0

„Medizinbibliotheken mitten im Zentrum von (E-)Learning, Forschung und Patientenversorgung“ – unter diesem Motto trafen sich rund 200 Teilnehmer aus Hochschulen, pharmazeutischer Industrie, Krankenhausbibliotheken sowie medizinischen Informations- und Dokumentationsstellen Deutschlands und des deutschsprachigen Auslands. Es ging um aktuelle Entwicklungen und Zukunftstrends: Wohin des Weges in Zeiten des Web 2.0 – also der Personalisierung von Online-Diensten, wie Weblogs und Wikis. Immer stärker tritt die Nutzerinteraktivität in den Vordergrund.

Dieses Jahr war man zu Gast in Ulm beim Kommunikations- und Informationszentrum (kiz) der Universität Ulm. Professor Dr. Hans Peter Großmann, der Leiter des kiz, stellte in seinem Festvortrag zur Eröffnung der Tagung die im Jahre 2003 integrierte neue zentrale Betriebseinheit vor, die aus Bibliothek, Rechenzentrum, Fotozentrale und Telefonie gebildet wurde. Als neuartiger Serviceprovider arbeitet das kiz daran, den Zukunftsaufgaben im Bereich von Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung gewachsen zu sein. Er erläuterte die aus der Integration gewonnenen Synergien – die Schaffung einer Dienste-Infrastruktur mit neuen Dienstleistungen, wie z.B. E-Learning-Angebote und Mediendesign. Anschließend präsentierte Thomas Eckert von der Universität Ulm das derzeit größte Klinikbauvorhaben in Baden-Württemberg: die Verlegung der Chirurgischen Klink aus einem historischen Gebäude im Stadtgebiet in einen Neubau auf dem Campusgelände in unmittelbarer Nähe der Medizinischen Klinik. Ein Kraftakt, der mit Kosten in Höhe von ca. 230 Mio. € veranschlagt ist und in einer Bauzeit von 5 Jahren (bis 2012) verwirklicht werden soll. Ganz Ostwürttemberg zwischen Bodensee und Aalen soll von diesem modernen, mit dem neuesten Stand der Technik ausgestatteten medizinischen Zentrum profitieren.

Wie medizinische Bibliotheken nicht nur in Ulm, sondern um Ulm herum mit der Herausforderung Web 2.0 umgehen – diese Frage griffen zu Anfang der Tagung die Arbeitskreise auf. Der Arbeitskreis der Medizinbibliotheken an Hochschulen machte sich unter der Leitung von Anna Schlosser über neue Wege auf dem Gebiet der Informationssuche und -vermittlung Gedanken. Dr. Liliana Barrio-Alvers stellte dazu die biomedizinische Suchmaschine GoPubMed (gopubmed.com) vor, ein frei zugängliches Alternativinterface zur PubMed. Die Verschmelzung des Datenbestandes der PubMed mit den Terminologien von MeSH und Gene Ontology (GO) ermöglicht eine differenzierte und beschleunigte Dokumentsuche. Anschließend präsentierte Bruno Bauer einen Überblick über die Einsatzmöglichkeiten von Weblogs an Medizinbibliotheken anhand der Weblogs der Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg (NEWSBLOG), der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien (UbMUW-INFO) und der Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Im Zuge der daran anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass der Trend weg vom klassischen Newsletterformat geht und hin zum dynamischen Newsblog, also ein Informationsaustausch durch soziale Software wie Wikis und Weblogs. Der Fokus bleibt freilich weiterhin auf Serviceangeboten, Infos und Neuigkeiten der jeweiligen Bibliothek. Hinzukommen immer mehr zusätzliche Informationen der jeweiligen Universität, z.B. Mitarbeiterpublikationen und –vorträge sowie über Events und aktuelle Projekte. In Wien geht man sogar einen Schritt weiter und schnürt ein lebendiges und ansprechendes Paket zusammen: Einträge sind größtenteils illustriert oder mit Fotos versehen, Karikaturen und Gastbeiträge lockern das Ganze auf. Selbstredend ist ein solcher aufwendiger Internetauftritt nur mit hohem dienstlichem und privatem Engagement seitens der Mitarbeiter zu bewältigen. Merkmal beider Weblogs ist die Möglichkeit, Beiträge zu kommentieren und die Kommentare in die Weblogs einzubauen. Wünschenswert wäre, dass die Benutzer dieses Kommunikationsinstrument stärker wahrnehmen. Weitere Erfahrungen, Anwendungsmöglichkeiten, und Einsteigertipps lieferte Dr. Oliver Obst von der Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster im weiteren Verlauf der Tagung. So dient etwa Bloggen dem unmittelbaren interaktiven Informations- und Ideenaustausches. Bloggen kann auch intern angewendet werden: zwischen Bibliotheksmitarbeitern oder Projektmitgliedern innerhalb einer Institution, als Dialog nach außen z.B. zwischen Bibliothek und Benutzern, oder als internationales Forum für Bibliothekskollegen in der ganzen Welt. Ein sichtbares und gefälliges Profil nach außen ist allemal eine gute Gelegenheit, die Bibliotheksservices zu entstauben und ihnen ein zeitgemäßes Gesicht zu geben.

Das Konzept E-Learning gewinnt an Universitäten zunehmend an Bedeutung. Das Stichwort heißt „Blended Learning“: ob als Pflichtkurse in Informationsbeschaffung für Studenten oder als Ergänzungsangebot zu den klassischen Medizin-Lehrveranstaltungen. Brigitte Schubnell von der Hauptbibliothek Universität Zürich berichtete über den Umstieg auf „Blended Learning“ bei der obligatorischen Lehrveranstaltung „Praktikum Wissenstransfer“, das im 2. Semester des Medizinstudiums belegt werden muss. Diesen Stoff hatte man früher versucht allein mit Lehrveranstaltungen zu vermitteln, was zu eher enttäuschenden Ergebnisse vor allem bei der Motivation der Studenten geführt hatte. Die neue Mischung aus einer Einführungsveranstaltung, einem E-Learning-Kurs mit Online-Test, und anschließenden Übungspraktikum mit Leistungsbescheinigung (Punktvergabe) hat sich recht gut bewährt, wobei der Arbeitsaufwand der Dozenten gleichgeblieben ist. Durch Leistungskontrollen und den interaktivischen Aspekt stieg die Motivation, wenngleich die Studenten nach wie vor finden, dass ihnen der Kurs zu bald im Studium angeboten wird. Trotzdem ist die Aktivität der Studenten durch Selbststudium und Präsenzveranstaltungen erhöht und der Lernerfolg ist größer.

Die Integration von E-Learning in das Medizinstudium selbst wurde durch zwei Ulmer Beiträge vertreten: das Kompetenzzentrum E-Learning in der Medizin Baden-Württemberg stellte sein Projekt „Top 25 PJ“ vor, ein E-Curriculum für das Praktische Jahr mit Fällen aus den TOP 25 der Krankenhausdiagnosen und häufigsten Diagnosen beim Hausarzt. Und Prof. Dr. Ilse Vollmar-Hesse demonstrierte ihr Internet E-Learning-Programm HistoNet (http://www.histonet2000.de/), dessen hoher Qualitätsstandard und enorme Zugriffsraten imponieren. Das Ziel: die Verbesserung der Qualität der Lehre durch multimediale, beliebig wiederholbare und zeitlich sowie räumlich unabhängige Lernmedien. Das Fazit: die neuen visuellen Trainingsmöglichkeiten werden als Ergänzung zur Präsenzlehre gut angenommen. Offenbar sind die Studierenden aber noch nicht bereit, ganz auf die bewährten Präsenzveranstaltungen zur verzichten. Auch in diesem Fall gilt: die Mischung macht‘s.

Ein anderes Beispiel für Web 2.0: Das Personal Digital Assistant (PDA). In den USA verbreitet, befindet sich die PDA-Bibliothek in Europa noch im Aufbau. Zwei Projekte wurden vorgestellt. Die Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster bietet seit 2003 eine „Mobile Library“ an. Dr. Obst schilderte die Vorteile eines solchen Angebots, gerade für Klinikärzte. Über 300 Teilnehmern wurden verschiedene Produkte angeboten wie z.B. Rote Liste, Arzneimittel Pocket, und Pschyrembel. Es hat sich gezeigt, dass im stressigen Klinikalltag, wo Fragen überall auftauchen und sowohl schnell als auch präzise beantwortet werden müssen, der kleine Computer, der am denkbar günstigstem Platz, in der Kitteltasche des Arztes am Krankenbett, zum Einsatz kommt, einen beachtlichen Dienst leistet. Ärzte haben bestätigt, dass diese tragbare und auf Knopfdruck abrufbare Wissensquelle eine neue Dimension des effizienten Arbeitens in der Krankenversorgung ermöglicht – bei der Diagnose, Medikamentendosierung und Therapie. Dr. Obst warf die Frage auf, ob sich eine Bibliothek eine PDA-Bibliothek aufbauen müsse, um sie zu bejahen: Neben Print- und Digitalenmedien könnte eine Bibliothek sich gleichsam „mobil“ machen und als Vorreiter von der erhöhten Aufmerksamkeit profitieren. Ein Nachahmer hat sich bereits eingereiht: Nach dem Vorbild der Zweigbibliothek Medizin in Münster und als erste Institution in Österreich, wurde Anfang 2007 das PDA-Projekt „Mobile Medicine“ an der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien gestartet, das von Helmut Dollfuß vorgestellt wurde.

Barrierefreier Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten in Zeitschriften und Büchern im Volltext: dieses bietet das Publikationsmodel Open Access Publishing. BioMed Central, ein Open Access Publisher, leitete einen Workshop über die Finanzierungsmöglichkeiten von Open Access Publishing für Institutionen. Universitäten und Kliniken sollten möglichst die Arbeit ihrer Autoren subventionieren, indem sie einen Fond für das Publizieren bei einer Open Access Zeitschrift einrichten, und ihre Mitarbeitern ermuntern (oder verpflichten), ihre Arbeiten in institutionelle Repositorien (Self-Archiving) abzulegen. Hier muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, gerade im Bereich der Medizin: man muss Forschern bewusst machen, dass auch bei Open Access Zeitschriften „Peer-Reviewing“ stattfindet und immer mehr Open Access Artikel in Datenbanken erschlossen und gefunden werden können. Wenn man diese Bewegung unterstützt, gibt es nur Gewinner – die Institutionen verschaffen sich und ihren Autoren höhere Sichtbarkeit und Renommee, sie fördern die Forschung, indem sie anderen Forschern kostenlosen Zugang zur wissenschaftlichen Literatur ermöglichen und sie sorgen durch ihren Beitrag dafür, dass mit der Zeit die Zeitschriftenabonnementpreise gesenkt werden – was schließlich auch zur Entlastung des Bibliotheksbudget führen müsste. Aber auch die Bibliothek hat die Aufgabe, aktiv Werbung für Open Access Publishing zu machen und die Wissenschaftler fachkundig zu beraten.

Zum Schluss der Tagung gab Ulrich Korwitz von der Deutsche Zentralbibliothek für Medizin die mit Spannung erwarteten Neuigkeiten zur Änderung des Urheberrechts bekannt, die voraussichtlich am 01.01.2008 in Kraft treten wird. Er schickte voraus, dass eine deutliche Verteuerung der Informationsversorgung zu erwarten sei. Die wichtigste Änderung für Bibliotheken: eine elektronische Dokumentlieferung ist nicht erlaubt, wenn der Verlag ein entsprechendes Pay-per-View Angebot anbietet. Der Post- und Faxversand (auch per Digitalfax) wird weiterhin gestattet sein. Es besteht die große Gefahr, dass der Dokumentlieferdienst in die graue Vorzeit des konventionellen Leihverkehrsystems, sprich der klassischen Fernleihe, zurückgeworfen wird. Diesen neuen, raueren Verhältnissen muss sich die Bibliothek stellen: Der Lizenzerwerb muss z.B. über Konsortien weiter ausgebaut und die Verbreitung der Open Access Initiative vorangetrieben werden, um ein noch breiteres Angebot an digitalen Texten zu gewährleisten. Es gibt aber auch ein paar Lichtblicke. Erfreulicherweise ist auch weiterhin mit der Erweiterung der DFG Nationallizenzen (z.B. im Bereich Medizin) zu rechnen. Zudem verhandelt subito momentan über die Möglichkeit der elektronischen Belieferung von Bibliotheken und Universitätsangehörigen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Hier sind innovative Schritte gefordert, denn trotz dunkel verhangenem Himmel stehen die Zeichen klar auf Handeln und Fortentwicklung: auf zum Web 2.0!