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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Wer soll das bezahlen? Klinische Informationssysteme und (schrumpfende) Bibliotheksetats

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  • corresponding author Ulf Paepcke - Medizinische Bibliothek, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Berlin, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2006;6(2):Doc18

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Published: September 14, 2006

© 2006 Paepcke.
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Wer soll das bezahlen? Klinische Informationssysteme und (schrumpfende) Bibliotheksetats

Klinische Informationssysteme sind eine nützliche Sache, aber sie kosten auch eine Menge Geld. Sollen überhaupt Bibliotheken an Universitätsklinika, die in der Regel aus dem Etat für Forschung & Lehre ihr Geld erhalten, Datenbanken finanzieren, die primär in der Krankenversorgung genutzt werden?

Seit 2003 hat die Medizinische Bibliothek der Charité - Universitätsmedizin Berlin UpToDate für die vier Standorte der Charité lizenziert. Trotz einer durchschnittlichen Nutzung von mehr als 800 Zugriffen pro Woche hat die Bibliothek sich entschieden, den Vertrag für UpToDate nur dann fortzuführen, wenn der Hauptanteil der Kosten künftig von den Kliniken getragen wird, die UpToDate nutzen. Die Bibliothek wäre bereit, sich weiterhin mit einem Sockelbetrag zu beteiligen, der z.B. bei 10%-20% der Lizenzkosten liegen könnte, und damit der Tatsache Rechnung tragen, dass die Datenbank auch von Hochschullehrern für die Vorbereitung von Vorlesungen und von Studierenden in der klinischen Ausbildung mit genutzt wird.

In dieser Situation machte UpToDate den Vorschlag, für eine Woche einen Mitarbeiter nach Berlin zu schicken, der in interessierten Kliniken bei Morgenbesprechungen oder Fallvorstellungen die Datenbank entweder neu oder aber vertiefend vorstellen sollte. Die Bibliothek erklärte sich zu einer Zusammenarbeit bereit, machte aber zur Bedingung, dass auch die Konkurrenzprodukte in eine solche Präsentation mit einbezogen werden müssten, um so einen direkten Vergleich zwischen den Datenbanken zu ermöglichen.

In einem ersten Schritt ermittelte eine Bibliotheksmitarbeiterin die E-Mail-Adressen aller Klinikchefs und Oberärzte aus den Fachgebieten, die durch UpToDate abgedeckt werden. Diese mehr als 200 Personen erhielten von der Bibliotheksleitung eine E-Mail, in der mitgeteilt wurde, dass die Bibliothek sich künftig nur noch in geringem Umfang an der Finanzierung von UpToDate beteiligen werde, und in der nach der Bereitschaft zu einer Beteiligung an der Finanzierung gefragt wurde sowie danach, ob Interesse an einer Informationsveranstaltung bestünde. Gleichzeitig wurde auf Testfreischaltungen anderer klinischer Informationssysteme mit deutlich niedrigeren Preisen hingewiesen, die als Alternative in Betracht gezogen werden sollten. Dies waren Clinical Evidence der BMJ Publishing Group, Dynamed von EBSCO, ClinicalResource@Ovid und MD Consult von Elsevier.

Es wurde allerdings darauf hingewiesen, dass ein direkter Vergleich der Angebote aufgrund der Unterschiede im Umfang, der Aufbereitung der Informationen und des Aufbaus der Datenbanken nicht möglich ist.

Insgesamt gab es sieben positive Rückmeldungen: in allen sieben Mails wurde - z.T. im Namen einer Abteilung oder Klinik - für die Fortführung der UpToDate-Lizenz plädiert, aber nur dreimal wurde die grundsätzliche Bereitschaft zu einer finanziellen Beteiligung geäußert. In drei Mails wurde um einen Termin für eine Präsentation gebeten.

Mit diesem doch recht mageren Ergebnis wollte sich UpToDate nicht zufrieden geben, und ein Mitarbeiter der Firma hat dann noch intensiv versucht, per Telefon Kontakt mit Klinikchefs und leitenden Oberärzten aufzunehmen und weitere Termine zu vereinbaren.

Insgesamt kamen schließlich sieben Vorführungen zustande, die zumeist in Kombination mit den morgendlichen Routinebesprechungen stattfanden. Die Teilnehmerzahl schwankte zwischen 20 und mehr als 30. Für die Gynäkologie/Geburtshilfe fanden drei Termine statt, drei für verschiedene Kliniken der Inneren Medizin und einer für die Pädiatrie.

Es war ein Manko aller Termine, dass sie unter großem Zeitdruck der Teilnehmer stattfanden und daher zumeist nicht mehr als 15 Minuten zur Verfügung standen. Dadurch ließ sich auch der Wunsch der Bibliothek, nämlich mit denselben Fragestellungen in allen fünf freigeschalteten Informationssystemen zu suchen, nicht verwirklichen. Die Präsentationen beschränkten sich ausschließlich auf UpToDate. Ein kursorischer Überblick über die Nutzungsstatistiken der vier anderen Datenbanken während der Präsentationswoche zeigt leider auch nur eine sehr geringe Zahl an Zugriffen.

Fazit: Das Interesse an klinischen Informationssystemen ist vorhanden, dies zeigt auch die bisherige starke Nutzung von UpToDate. Es ist jedoch extrem schwer, an die zeitlich sehr stark belasteten Ärzte heranzukommen, um sie in den Entscheidungsprozeß über eine weitere Lizenzierung von UpToDate, eine Beendigung des Vertrags oder den Wechsel zu einem anderen Produkt einzubeziehen. Zu versuchen, auch für die Konkurrenzprodukte von UpToDate ähnliche Veranstaltungen zu organisieren, würde ich aufgrund des damit verbundenen Aufwands und der geringen Resonanz für wenig sinnvoll halten.

Neben dem Zeitproblem besteht die größte Schwierigkeit hier an der Charité darin, dass die in Centren organisierten Kliniken nur begrenzt über eigene Mittel verfügen, um sich an den Kosten für ein klinisches Informationssystem zu beteiligen.

Wie kann es an der Charité jetzt weitergehen?

Ich sehe dafür nur zwei realistische Möglichkeiten: Die Klinikumsleitung stellt zusätzlich zum Anteil der Bibliothek zentrale Mittel für ein klinisches Informationssystem bereit. Bei dieser Gelegenheit sollte dann auch darüber gesprochen werden, ob nicht grundsätzlich ein Teil des Bibliotheksetats mit aus den Mitteln der Krankenversorgung finanziert werden sollte, da viele der abonnierten Zeitschriften und der erworbenen Monographien auch mit für diesen Bereich genutzt werden. Denkbar wäre z.B. eine Zusammensetzung des Bibliotheksetats zu 90% aus Mitteln von Forschung & Lehre und zu 10% aus Mitteln der Krankenversorgung.

Die zweite Möglichkeit besteht in der wenig attraktiven Lösung, dass die Kliniken aus eigenen Mitteln Einzelplatzversionen von UpToDate lizenzieren, was die Nutzungshäufigkeit jedoch sehr verringern und den effizienten Einsatz eines solchen Systems in Diagnostik und Therapie stark behindern würde.

P.S.: MD Consult von Elsevier wurde zwischenzeitlich lizenziert und zwar komplett aus Bibliotheksmitteln. Neben den Volltexten von fünfzig e-Books ist auch ein umfangreiches e-Journal-Paket Bestandteil von MD Consult. Die Abbestellung der vorher bestehenden Einzelabonnements für diese Zeitschriften finanziert den Großteil des Vertrags, so dass der Bibliotheksetat kaum zusätzlich belastet wird.