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GMS Health Innovation and Technologies

EuroScan international network e. V. (EuroScan)

ISSN 2698-6388

Mundgesundheit nach kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden Apparaten

Oral health with fixed appliances orthodontics

HTA-Kurzfassung

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GMS Health Technol Assess 2008;4:Doc02

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/hta/2008-4/hta000051.shtml

Published: March 11, 2008

© 2008 Frank et al.
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The complete HTA Report in German language can be found online at: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta205_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Kieferorthopädische Maßnahmen stellen einen bedeutsamen Anteil an zahnmedizinischen Interventionen dar. Wie bei medizinischen Methoden im Generellen stellt sich die Frage, in welcher Weise es wissenschaftliche Belege (Evidenzen) für die Wirksamkeit dieser Maßnahmen gibt.

Die Frage der Wirksamkeit ist verbunden mit der Frage, was als Wirkung verstanden wird. Grundsätzlich wird die Wirkung der Intervention auf der Basis der Okklusion bzw. der Zahngesundheit verstanden, was weitere Funktionen des Mundraums außer Acht lässt. Daher ist die Verallgemeinerung auf Mundgesundheit eine nunmehr in der Wissenschaft geforderte Betrachtung.

Würdigt man diese Weiterentwicklung, dann ist folglich keine Studie verfügbar, die einerseits die langfristige Wirkung der kieferorthopädischen Intervention untersucht, noch eine die die Auswirkungen auf die Mundgesundheit zum Thema hat.

Die Frage, ob sich durch die Anwendung von festsitzenden Apparaten im Rahmen einer kieferorthopädischen Maßnahme eine langfristige Verbesserung des Mundgesundheitszustands ergibt, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Der wissenschaftliche Sachstand beschäftigt sich gegenwärtig mit der Definition von Mundgesundheit. Selbst die Frage, ob die Zahngesundheit durch festsitzende Apparate langfristig verbessert werden kann ist auf der Basis der für die evidenzbasierte Medizin üblichen Qualitätsgüte nicht beantwortbar.

Ob die Behebung von Zahnfehlstellungen eine wirksame Voraussetzung für die Erhaltung der natürlichen Bezahnung ist, kann ebenfalls nicht beantwortet werden. Es gibt zu diesem Thema keine verallgemeinerungsfähige Studie mit Aussagekraft für Europa oder Deutschland.

Das Risiko für eine Kariesanfälligkeit kann in keiner Weise quantifiziert werden. Karies wird in aller Regel thematisiert, von einer Quantifizierung des Risikos wird in sämtlichen geprüften Studien Abstand genommen, vermutlich da dies von zahlreichen Faktoren, vor allem der Mitarbeit des Patienten abhängt.

Die Frage der Indikationsstellungen bleibt aus der wissenschaftlichen Literatur völlig offen. Zwar wurden einige Indizes entwickelt, die der Frage der Therapiebedürftigkeit oder der -priorität eine Quantifizierung verleihen, diese Indizes werden aber in ihrer Aussagekraft und empirischen Relevanz durch jüngere Forschungsarbeiten fundamental in Frage gestellt.

Es verstärkt sich der Eindruck, dass eine große Kluft zwischen der praktischen Anwendung kieferorthopädischer Maßnahmen und der wissenschaftlichen Erforschung ihrer Wirksamkeit existiert. Es wird viel Forschungsarbeit im Bereich Diagnostik oder Weiterentwicklung von Geräten oder Techniken erbracht, jedoch äußerst wenig im Bereich Interventionsbedarf, Analyse der Nachhaltigkeit, Einflussfaktoren auf den Erfolg oder Quantifizierung von Nebenwirkungen wie z. B. Karies oder Wurzelresorption.

Forschung zur Absicherung der Indikationen fehlt nahezu gänzlich, da auch die erforderlichen Evaluationsparameter (z. B. mittel- bis langfristiger Zahnerhalt) nicht erforscht werden, geschweige denn die Mundgesundheit.

Diese Lücke ist insofern bedenklich, da ökonomisch eine Koppelung der Feststellung des Bedarfs (Bedarfsweckung) und der Leistungserbringung in mitteleuropäischen Gesundheitssystemen gegeben ist. Dies eröffnet Rahmenbedingungen für das möglichen Schaffen einer so genannten angebotsinduzierten Nachfrage.

Um die professionelle Arbeit der Kieferorthopädie (KFO) nicht in den Nahebereich von Bedarfsinduzierung oder unbelegter Indikationsstellungen zu bringen, ist eine Beforschung dieses Themas ganz wesentlich. Die erforderliche viel stärkere Absicherung von Indikationsstellungen zur Sicherheit und Abgrenzung zu nicht medizinisch gerechtfertigen Leistungen könnte wesentliche Beiträge zur weiteren Vertrauensbildung für Patienten oder Versicherungsgesellschaften schaffen. Die für die Interventionsabsicherung existierenden Indizes, wie der Index of Treatment Need (IOTN), scheinen eine akademische Bedeutung zu haben, die in der täglichen Praxis irrelevant erscheinen.

Die Frage, welche Indikationsstellungen nun für die Intervention als wissenschaftlich abgesichert gelten können, muss unverzüglich große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die individuelle und subjektive Einschätzung des Behandlers (dessen Erfahrung nicht in Zweifel gezogen wird) ist für die Durchführung von kieferorthopädischen Maßnahmen als nicht ausreichend zu beurteilen. Die Begründung durch wissenschaftlich gut abgesicherte Studien ist absolut zu fordern, dem Patienten gegenüber aus ethischen, dem Sozialversicherungssystem aus finanziellen und letztendlich auch dem Behandler aus evaluativen und legitimatorischen Gründen.

Koordinierte Forschungsvorhaben, die das Ziel der gezielten Datensammlung haben sind vor dem Hintergrund geeigneter Versuchsplanungen für individuelle therapeutische Prozesse dringend erforderlich. Auch die dabei angepeilte Studienqualität ist ein wesentliches Thema. Die Veröffentlichung von methodisch völlig unverwertbaren oder mit zahlreichen offensichtlichen Fehlern behaftete Studien ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der evidenzbasierten Medizin, der allgemein bekannten Methodenlage und der angespannten Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems inakzeptabel. Die KFO verdient sich in Anbetracht der wahrscheinlich zu Recht vermuteten Erfolge auch eine entsprechend qualitativ hoch stehende wissenschaftliche Begleitung und Absicherung ihrer Vorgehensweise.

Schlüsselwörter: Kieferorthopädie, fixe Apparate, Karies, Mundgesundheit, Evaluation, HTA

Abstract

Orthodontic treatment represents an important fraction in dental interventions. According to other medical methods the question for scientific evidence for the effectiveness of these treatments arises.

The question of the effectiveness is connected with the question what is understood as an effect. In principle, the effect of the intervention is understood on the basis of the occlusion or dental health, what disregards further functions of oral health. The generalization to oral health is therefore a necessary consideration in science now.

If one appreciates this further development, then there is no one single randomised study available which examines the long-term effect of the orthodontic intervention or for the effects on the oral health.

The question, whether the application of a fixed appliance in an orthodontic treatment causes a long-term improvement in oral health, cannot be answered at the present time. The scientific status is the definition of oral health at present. Also the question, whether in the long run the dental health can be improved by fixed appliances cannot be answered with a quality usually achieved by evidence-based medicine.

Whether correction of a dental malposition is an effective prerequisite for the preservation of the natural teeth, cannot be answered. There is no generalizing study with sufficient scientific background for Europe or Germany to this topic.

The risk for caries cannot be quantified. Caries is identified as a central topic in general but due to numerous factors influencing the risk it is not quantified.

The question of the indications is completely open from the scientific literature. For the question of the therapy need or therapy priority some indexes were developed, which lead to a quantification. These indices however are fundamentally criticised by recent research in their meaning and the empirical relevance.

There is an impression that there exists a big gap between the practical application and the scientific investigation of this effectiveness of fixed appliances or orthodontic treatment in general. There is much research in the area of diagnostics or further development of appliances or techniques done, however extremely few in the area of need for intervention, analysis of the sustainability; influence factors on the success, like caries or quantification of side effects e. g. root resorption.

This research to evaluate the indications is completely lacking, also the required evaluation parameters (e. g. means long-term dental maintenance).

This gap is in this respect dubious since a link of determining the demand (inducing demand) and supply in Central European health systems is economically given. This enables to create a possibility for a so-called supply induced demand.

To get rid of discussions that the professional work of orthodontics can be near to induced demand or unnecessary indications, research of this topic is quite essential. This requires much stronger information for indications. This can improve confidence for patients and insurance companies. Existing indices like the Index of Treatment Need (IOTN) seem to be of academic interest without practice importance for daily work.

The question which indications can be regarded as scientifically proven for the intervention must be given big attention immediately. The individual and subjective assessment of the orthodontist (whose experience is not doubted) has to be considered as not sufficient. The scientific background is absolutely necessary due to ethic reasons for the patient, economic reasons for the social insurance system or financiers and also for the orthodontists to evaluative and legitimates the treatment.

Well coordinated research with the goal of collecting specific data is urgently required for individual therapeutic processes with appropriate design. The study quality is also an essential topic. It is unacceptable at the beginning of the 21st century with the background of the evidence based medicine, that studies are published with enormous methodological errors. Orthodontics deserves a well discussed scientific position to prove the enormous individual success and to demonstrate the effectiveness of the developed treatments.


Executive Summary

Orthodontic treatment represents an important fraction in dental interventions. According to other medical methods the question for scientific evidence for the effectiveness of these treatments arises.

1. Health political background

Orthodontic treatments are a frequent intervention. The scientific position is very important due to the frequency of treatments in combination with financial expenditure. Patients or their parents or financiers pose more and more the question, whether these interventions are effective and worth the money.

2. Scientific background

The effectiveness of medical interventions is evaluated in scientific studies with patients. It is necessary to distinguish between standardized interventions and not standardized ones. Orthodontic measures belong to the not standardized interventions since an individual medical treatment planning and a therapy made to measure for the patient must be planned.

Furthermore, a large number of techniques and appliances are used in orthodontic treatment which have differences in their therapeutic effect.

By the techniques of fixed appliances oral hygiene is more difficult to achieve and this needs more cooperation of the patient. Is this not achieved sufficiently caries or other problems can lead to a possibly faster dental loss despite a successful orthodontic intervention.

The principal goal is the prolongation of the maintenance of natural teeth. Additionally there are also functional aspects of oral health. Therefore not only the technical success of the obtainment of a normocclusion can be regarded as a success of treatment, but oral health must be regarded as a comprehensive condition.

The question how caries must be regarded as a side effect by implementation of fixed appliances is also important.

3. Research questions

This HTA report follows the following research questions:

  • Which evidence concerning long-term development of oral health after an orthodontic treatment with fixed appliances exists? Is the status of oral health better for treated patients in comparison with not treated patients in the long run?
  • Is the correction of dental malocclusion an effective prerequisite for the preservation of the own teeth?
  • Can the risk for caries be assessed when fixed appliances are used? Which methods can be taken to avoid caries?
  • Which indications can be recommended for the application of fixed appliances after analysis of the scientific literature?
  • How important is a multi professional approach and functional oriented treatment in orthodontic application of fixed appliances?
  • Are there publications concerning the economic and ethical aspect of the application of fixed appliances?

4. Methods

The research questions should be answered evidence oriented, according to published scientific studies. The scientific literature had to be selected systematically. This was made by the retrieval of publications in literature databases. The relevant studies were evaluated for the questions in a two-step procedure and used for this review.

5. Results

The question, whether the application of a fixed appliance in an orthodontic treatment causes a long-term improvement in oral health, cannot be answered at the present time. The scientific status is the discussion for a definition of oral health at present. Also the question, whether in the long run dental health can be improved by the application of fixed appliances can not be answered with a level of evidence usually achieved by evidence-based medicine.

Whether correction of dental malocclusion is an effective prerequisite for the preservation of the natural dentation, cannot be answered. There is no generalizable study with sufficient scientific background for Europe or Germany to this topic.

The risk for caries can not be quantified. Caries is identified as a central topic in general but due to numerous factors influencing the risk it is not quantified.

The question of assessment of indications is completely open from the scientific literature. For the question of therapy need or therapy priority some indices were developed, which enable a numerical quantification. However, these indices are fundamentally criticised by recent research in their meaning and the empirical relevance.

6. Discussion

The scientific evidence for orthodontic measures is exceptionally low. None of the questions posed in this report can be answered even if lower evidence study types, like not randomised or retrospective studies are included.

The scientific investigation of not standardized interventions is a certain challenge (therapeutic setting). It is, however, a need from the scientific and ethical view, in principle, that interventions also require appropriate research and evidence. Payers of the interventions also can expect a sufficient degree of reliability, patients can expect, that the intervention is well investigated and the informed consent is based on scientific research.

Basically there is no doubt that - on the one side that orthodontic treatment is very effective. Hundreds of thousands of patients treated orthodontic successfully with great satisfaction surely give evidence, that there are very professional interventions carried out with a considerable diagnostic effort.

There is the impression that there exists a big gap between the practical application of fixed appliances and the scientific investigation of the effectiveness of the intervention. There is much research done in the area of diagnostics or further development of appliances or techniques realised, however extremely few research in the area of treatment need, analysis of the sustainability, influence factors on the success, like caries or quantification of side effects e.g. root resorption.

Also if the intervention does not need any further research concerning effectiveness due to their obviousness (e. g. the surgical resection of a finger is effective, no study is required here), the question of the indication nevertheless must (when the surgical resection of a finger is required) be examined scientifically and the treatment must be justifiable.

This research to evaluate the indications is completely lacking, also the required evaluation parameters (e. g. means long-term dental maintenance).

This gap is in this respect dubious since a link of determining the demand (inducing demand) and supply in Central European health systems is economically given. This enables to create a possibility for a so-called supply induced demand.

To get rid of discussions that the professional work of orthodontics can be near to induced demand or unnecessary indications, research of this topic is quite essential. The required much stronger information for indications can improve confidence for patients and insurance companies. Existing indexes like the Index of Treatment Need (IOTN) seem to be of academic interest without relevance for daily work.

The question which indications can be regarded as scientifically proven for the intervention must be given big attention immediately. The individual and subjective assessment of the orthodontist (whose experience is not doubted) has to be considered as not sufficient. The scientific background is absolutely necessary due to ethic reasons for the patient, economic reasons for the social insurance system or financiers and also for the orthodontist to evaluate and legitimate the treatment.

7. Conclusions/Recommendations

Oral health is a relatively new concept and the first definitions are published two to three years ago. The interdisciplinary aspect of the problem should increasingly be taken into account. While the technical aspect of the orthodontic treatment is in the centre of the interest, the functional aspect of the orofacial system must not be disregarded.

The cooperation of the patient also appears as important, like the consideration of mouth functions, like mastication, swallowing, hygiene or muscle activities and balance of the forces for the success of this intervention.

The concept of oral health has shown weak evidences despite far-reaching systemic consequences for human health, like gastrointestinal diseases.

The question which indications can be regarded as scientifically proven for a need of an intervention must be given attention immediately. The individual and subjective assessment of the orthodontist (whose experience is not doubted) has to be considered as not sufficient. The scientific background is absolutely necessary. Well coordinated research with the goal of collecting specific data is urgently required for individual therapeutic processes with appropriate design. The study quality is also an essential topic. It is unacceptable at the beginning of the 21st century with the conceptional background of evidence based medicine, that studies are published with enormous methodological errors. Orthodontics deserves a well discussed scientific position to prove the enormous success and to demonstrate the effectiveness of the developed treatments.


Kurzfassung

Kieferorthopädische Maßnahmen stellen einen bedeutsamen Anteil an zahnmedizinischen Interventionen dar. Wie bei medizinischen Methoden im Generellen stellt sich die Frage, in welcher Weise es wissenschaftliche Belege (Evidenzen) für die Wirksamkeit dieser Maßnahmen gibt und welche Nebenwirkungen dabei zu erwarten sind.

1. Gesundheitspolitischer Hintergrund

Kieferorthopädische Maßnahmen sind eine häufig durchgeführte Intervention. Aufgrund der Kombination von hoher Anwendungshäufigkeit mit den jeweiligen finanziellen Aufwendungen ist die wissenschaftliche Absicherung der Interventionen von besonderer Bedeutung. Patienten bzw. deren Eltern als auch Finanziers stellen sich zunehmend die Frage nach der erzielbaren Wirkung dieser Interventionen und in welcher Weise sich diese Aufwendungen für die Gesundheit von Patienten tatsächlich auch langfristig lohnen.

2. Wissenschaftlicher Hintergrund

Die Wirksamkeit von medizinischen Interventionen wird üblicherweise in wissenschaftlichen Studien mit Patienten geklärt. Dabei ist zwischen standardisierten und nicht-standardisierten Interventionen zu unterscheiden. Kieferorthopädische Maßnahmen zählen zu den nicht-standardisierten Interventionen, da eine individuelle Behandlungsplanung und eine auf den Patienten maßgeschneiderte Therapie geplant werden muss.

Des Weiteren wird bei kieferorthopädischen Maßnahmen mittels festsitzender Apparate eine große Anzahl von Techniken und Geräten eingesetzt, die in ihren therapeutischen Wirkungen unterschiedlich sind.

Durch die Befestigungstechniken der festsitzenden Apparate wird die Mundhygiene erschwert sowie eine Mitarbeit des Patienten erforderlich. Ist diese nicht ausreichend gegeben, führt dies trotz erfolgreicher Intervention trotzdem zu einem möglicherweise beschleunigten Zahnverlust, da Karies bzw. andere Probleme (Zahnfleisch) die Dauerhaftigkeit des Erfolgs der Intervention gefährden.

Als Oberziel kann sicherlich die Frage nach der Verlängerung des Erhalts der natürlichen Bezahnung betrachtet werden. Zusätzlich berührt eine kieferorthopädische Maßnahme auch funktionelle Aspekte des Mundraums. Daher kann nicht nur der technische Erfolg der Erzielung einer Normokklusion als Erfolg betrachtet werden, sondern die Mundgesundheit muss als gesamtes Zustandsbild betrachtet werden.

Die Frage, in welcher Weise nun Karies tatsächlich als eine Begleiterscheinung von festsitzenden Apparaten betrachtet werden kann, ist ebenfalls Thema.

3. Forschungsfragen

Dieser HTA-Bericht geht den folgenden Forschungsfragen nach:

  • Welche Erkenntnisse gibt es über die langfristige Entwicklung des Mundgesundheitszustands nach kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden Apparaten? Ist der Mundgesundheitszustand bei kieferorthopädisch behandelten Patienten mit festsitzenden Apparaten langfristig besser als bei nicht-behandelten Patienten?
  • Ist die Behebung von Zahnfehlstellungen eine wirksame Voraussetzung für die Erhaltung der natürlichen Bezahnung?
  • Wie kann das Risiko für Kariesanfälligkeit bei der Anwendung von festsitzenden Apparaten abgeschätzt werden? Welche Maßnahmen können zur Kariesvermeidung getroffen werden?
  • Welche Indikationsstellungen für die Anwendung festsitzender Apparate können nach Analyse der wissenschaftlichen Literatur empfohlen werden?
  • Welche Rolle spielt die Interdisziplinarität bzw. der funktionsorientierte Ansatz bei der Behandlung von Zahnfehlstellungen, bei denen festsitzende Apparate eingesetzt werden?
  • Gibt es wissenschaftliche Literatur, die sich mit der Frage der Ökonomie bzw. Ethik der Anwendung festsitzender Apparate auseinandersetzt?

4. Methodik

Die Forschungsfragen sollen evidenzorientiert, das heißt aus der wissenschaftlichen Studienlage heraus beantwortet werden. Die wissenschaftliche Literatursuche ist zu diesem Zweck systematisch auszuwählen. Dies erfolgte durch die Recherche der Literatur in Literaturdatenbanken. Aus diesen Arbeiten wurden in einem zweistufigen Verfahren die für die Beantwortung der Fragen relevanten und qualitätsgeprüften Arbeiten ausgewählt und in einer systematischen Übersichtsarbeit verarbeitet.

5. Ergebnisse

Die Frage, ob sich durch die Anwendung von festsitzenden Apparaten im Rahmen einer kieferorthopädischen Maßnahme eine langfristige Verbesserung des Mundgesundheitszustands ergibt, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Der wissenschaftliche Sachstand beschäftigt sich zurzeit mit der Definition von Mundgesundheit. Selbst die Frage, ob die Zahngesundheit durch festsitzende Apparate langfristig verbessert werden kann ist nicht auf der Basis der für die evidenzbasierte Medizin üblichen Qualitätsgüte bewertbar.

Ob die Behebung von Zahnfehlstellungen eine wirksame Voraussetzung für die Erhaltung der natürlichen Bezahnung ist, kann ebenfalls nicht beantwortet werden. Es gibt zu diesem Thema keine verallgemeinerungsfähige Studie mit Aussagekraft für Europa oder Deutschland.

Das Risiko für eine Kariesanfälligkeit kann in keiner Weise quantifiziert werden. Karies wird in aller Regel thematisiert, da dies jedoch von zahlreichen Faktoren, vor allem auch der Mitarbeit des Patienten abhängt, wird in sämtlichen geprüften Studien von einer Quantifizierung des Risikos Abstand genommen.

Die Frage der Indikationsstellungen ist aus der wissenschaftlichen Literatur völlig offen. Zwar wurden einige Indizes entwickelt, die der Frage der Therapiebedürftigkeit oder der -priorität eine Quantifizierung verleihen, diese Indizes werden aber in ihrer Aussagekraft und empirischen Relevanz durch jüngere Forschungsarbeiten fundamental in Frage gestellt.

6. Diskussion

Die wissenschaftliche Absicherung von kieferorthopädischen Maßnahmen ist außerordentlich gering. Keine der in diesem Bericht gestellten Fragen kann auch nur annähernd beantwortet werden, selbst wenn weichere Studientypen, wie nicht-randomisierte oder retrospektive Studien mit eingeschlossen werden.

Selbstverständlich ist die wissenschaftliche Prüfung von nicht-standardisierten Interventionen eine gewisse Herausforderung (therapeutisches Setting). Es ist jedoch grundsätzlich eine Forderung aus wissenschaftlicher und ethischer Sicht, dass Interventionen am Menschen auch einer entsprechenden Absicherung bedürfen. Auch Zahler der Interventionen können sich einen gewissen Grad an Sicherheit bezüglich des Erfolgs dieser Intervention erwarten, genauso wie die Einwilligung des Patienten zur Therapie auf einem gesicherten Kenntnisstand sowie einer fundierten Prognose des Behandlers aufbauen muss.

Auf der anderen Seite ist kein Zweifel daran zu hegen, dass kieferorthopädische Maßnahmen an sich sehr wirksam sind. Hunderttausende von erfolgreich kieferorthopädisch behandelten Patienten mit großer Zufriedenheit legen sicherlich Zeugnis davon ab, dass hier sehr professionelle Interventionen mit einem beträchtlichen diagnostischen Aufwand durchgeführt werden.

Es verstärkt sich der Eindruck, dass hierbei eine große Kluft zwischen der praktischen Anwendung und der wissenschaftlichen Erforschung dieser Wirksamkeit existiert. Es wird viel Forschungsarbeit im Bereich Diagnostik oder Weiterentwicklung von Geräten und Techniken erbracht, jedoch äußerst wenig in den Bereichen Interventionsbedarf, Analyse der Nachhaltigkeit, Einflussfaktoren auf den Erfolg oder Quantifizierung von Nebenwirkungen wie z. B. Karies oder Wurzelresorption.

Wenn auch die Wirksamkeit von Interventionen aufgrund ihrer Offensichtlichkeit keiner weiteren Erforschung bedürfen (z. B. die chirurgische Entfernung eines Fingers ist wirksam, hier ist keine Studie erforderlich), so muss trotzdem die Frage der Indikationsstellung (wann ist die chirurgische Entfernung eines Fingers erforderlich) wissenschaftlich untersucht und begründbar sein.

Forschung zur Absicherung der Indikationen fehlt nahezu gänzlich, da auch die erforderlichen Evaluationsparameter (z. B. mittel- bis langfristiger Zahnerhalt) nicht erforscht werden, geschweige denn die Mundgesundheit.

Diese Lücke ist insofern bedenklich, da dies aufgrund der gesundheitsökonomischen Koppelung von Feststellung des Bedarfs (Bedarfsweckung) und Leistungserbringung in mitteleuropäischen Finanzierungssystemen gegeben ist. Dies eröffnet Rahmenbedingungen für das Schaffen einer möglichen so genannten angebotsinduzierten Nachfrage.

Um die professionelle Arbeit der KFO nicht in den Nahbereich von Bedarfsschaffung oder unbelegter Indikationsstellungen zu bringen, ist eine Beforschung dieses Themas ganz wesentlich. Die erforderliche viel stärkere Absicherung von Indikationsstellungen zur Sicherheit der Abgrenzung zu nicht-medizinisch gerechtfertigen Leistungen könnte wesentliche Beiträge zur Vertrauensbildung von Patienten oder auch Versicherungsgesellschaften bringen. Die für die Interventionsabsicherung existierenden Indizes, wie der Index of Treatment Need (IOTN), scheinen geringe Bedeutung zu haben, die in der Praxis theoretisch abgehoben erscheinen.

7. Schlussfolgerung/Empfehlung

Das Thema Mundgesundheit ist relativ neu und die ersten Definitionen zu diesem Thema gibt es erst seit einigen Jahren. Hierbei ist auf die interdisziplinäre Betrachtung des Problems zu achten. Während die technische Durchführung der kieferorthopädischen Maßnahme im Zentrum des Interesses steht, darf der funktionelle Zusammenhang des orofazialen Bereichs nicht außer Acht gelassen werden.

Die Mitarbeit des Patienten erscheint für das Funktionieren dieser Intervention ebenfalls wichtig, wie die Berücksichtigung von Mundfunktionen, wie Kauen, Schluckmuster, Hygiene, Muskelaktivitäten und Kräftebalance.

Die Mundgesundheit hat den schwachen Evidenzen folgend jedoch auch weit reichende systemische Folgen für die Gesundheit, wie andere systemische, z. B. gastrointestinale, Erkrankungen.

Der Frage, welche Indikationsstellungen nun für die Intervention als wissenschaftlich abgesichert gelten können, muss unverzüglich große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die individuelle und subjektive Einschätzung des Behandlers (dessen Erfahrung nicht in Zweifel gezogen wird) ist für die Durchführung von kieferorthopädischen Maßnahmen als nicht ausreichend zu beurteilen. Die Begründung durch wissenschaftlich gut abgesicherte Studien ist absolut zu fordern, dem Patienten aus ethischen, dem Sozialversicherungssystem aus finanziellen und letztendlich dem Behandler aus evaluativen und legitimatorischen Gründen.

Koordinierte Forschungsvorhaben, die das Ziel der gezielten Datensammlung haben sind vor dem Hintergrund geeigneter Versuchsplanungen für individuelle therapeutische Prozesse dringend erforderlich. Auch die dabei angepeilte Studienqualität ist ein wesentliches Thema. Die Veröffentlichung von methodisch völlig unverwertbaren oder mit zahlreichen offensichtlichen Fehlern behafteten Studien ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der evidenzbasierten Medizin, der allgemein bekannten Methodenlage und der angespannten Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems inakzeptabel. Die KFO verdient sich in Anbetracht der wahrscheinlich zu Recht vermuteten Erfolge auch eine entsprechend qualitativ hoch stehende wissenschaftliche Begleitung und Absicherung ihrer Vorgehensweise.