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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Mikrobiozide Wirksamkeit, weitere biologische Wirkungen, Verträglichkeit und Abbaubarkeit von Octenidindihydrochlorid

Microbicidal efficacy, further biological activities, tolerance and biodegradation of octenidine-dihydrochlorid

Übersichtsarbeit

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  • corresponding author Axel Kramer - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland
  • Gerald Müller - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2007;2(2):Doc49

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/dgkh/2007-2/dgkh000082.shtml

Published: December 28, 2007
Published with erratum: April 8, 2008

© 2007 Kramer et al.
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Zusammenfassung

Es wird ein Überblick über die mikrobiozide und viruzide Wirksamkeit einschließlich des Wirkungsmechanismus und über die Wundverträglichkeit von Octenidin im Vergleich zu anderen häufig eingesetzten antiseptischen Wirkstoffen gegeben. Zur Einschätzung des Wirkstoffs In Hinblick auf seine Eignung zur Wundantiseptik werden weitere biologische Wirkungen dargestellt und eine toxikologische Bewertung vorgenommen.

Schlüsselwörter: Octenidindihydrochlorid, Chlorhexidin, PVP-Iod, Polihexanid, Triclosan, Benzalkoniumchlorid, Silberverbindungen, mikrobiozide Wirksamkeit, Zytotoxizität, Biokompatibilitätsindex, Resorption, Toxikologie

Abstract

An overview of octenidine is given on the basis of microbicidal and virucidal activity as well as on mechanism of action and wound tolerance in comparison to other often used antiseptic agents. For the assessment of the active agent in due to its suitability for antisepsis of wounds, additionally, other biological effects were demonstrated and a toxicological assessment has been done.


Mikrobiozide Wirksamkeit, weitere biologische Wirkungen, Verträglichkeit und Abbaubarkeit von Octenidindihydrochlorid

Einleitung

Octenidindihydrochlorid ist ein mikrobiozider Wirkstoff, der vor allem in Haut-, Schleimhaut- und Wundantiseptika eingesetzt wird. Auf Grund seines breiten Wirkungsspektrums auf der einen Seite und der guten Verträglichkeit auf der anderen Seite gewinnt dieser Wirkstoff zunehmend an Bedeutung in der Praxis der Antiseptik und hat in einigen Indikationsbereichen klassische antiseptische Wirkstoffe wie Chlorhexidin und PVP-Iod bereits abgelöst. Aus diesem Grund soll der Wirkstoff einer Nutzen-Risiko-Bewertung im Vergleich vor allem zu Chlorhexidin, Triclosan und PVP-Iod unterzogen werden.

Physiko-chemische Eigenschaften

Octenidin ist kationisch und oberflächenaktiv, unterscheidet sich aber explizit von Quats wie Benzalkoniumchlorid und von Guanidinen wie Chlorhexidin, weil weder die Amid- oder Ester- noch die Anilinstruktur im Molekül enthalten sind. Der Wirkstoff ist im pH-Bereich von 1,6-12,2 sowie unter Lichteinfluss stabil und in wässriger Lösung bis 130°C dampfsterilisierbar [1].

Mikrobiozide Wirksamkeit

Octenidin ist mikrobiozid hoch wirksam. Lediglich gegen C. albicans zeigt sich bei Anwesenheit von Muzin eine gewisse Wirkungsschwäche (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Im Vergleich zu derzeit international in unterschiedlicher Häufigkeit angewandten antiseptischen Wirkstoffen übertrifft Octenidin diese ausnahmslos deutlich an mikrobiozider Wirksamkeit (Tabelle 2 [Tab. 2]). Bei 30 min Einwirkungszeit ist Octenidin noch in der Verdünnung von 22 bzw. 17 µg/ml (=0,0022% bzw. 0,0017%) wirksam, was etwa 1/50 der Anwendungskonzentration im Octenisept® entspricht.

Es ist keine bakterielle Resistenzentwicklung induzierbar [2] und auf Grund des Wirkungsmechanismus (s.u.) auch nicht zu erwarten.

Octenidin wirkt nicht gegen Bakteriensporen, ist aber gegen HSV wirksam, was z. B. bei HSV-Infektion von Verbrennungswunden [3], [4] relevant sein kann.

Wirkungsmechanismus

Octenidin wird stark an negative Zelloberflächen adsorbiert. Dort reagiert es mit anionischen Polysacchariden der mikrobiellen Zellwand und Phospholipiden der Zellmembran, greift in die enzymatischen Systeme ein, zerstört die Zellfunktion [5], [6] und führt zur Leckage der Cytoplasmamembran [7]. Dadurch wird die Funktion der Mitochondrien gestört [8]. Eigene Untersuchungen weisen auf eine starke Adhärenz an Lipidkomponenten in Zellmembranen hin (z.B. Cardiolipin), was die hohe antimikrobielle Wirkung bei gleichzeitig guter Verträglichkeit für menschliches Epithel und Wundgewebe erklären könnte.

Verträglichkeit

Für Octenidin sind keine toxisch-resorptiven Risiken bekannt. Bei Anwendung auf Wunden und vaginal ist keine Resorption nachweisbar. Bei dermaler Applikation am Versuchstier ergaben sich keine Hinweise auf neurotoxische Nebenwirkungen [9]. Es gibt keine Anhaltspunkte für karzinogene, mutagene, teratogene, embryotoxische und fertilitätsbeeinträchtigende Risiken. Allergien gegen Octenidin wurden bisher nicht bekannt [1].

Ältere Befunde zur höheren Zyto- und Gewebetoxizität der Kombination Octenidin mit Phenoxyethanol im Vergleich zu Iodophoren und Polihexanid bedürfen der kritischen Einordnung, da inzwischen nachgewiesen wurde, dass Octenidin mit Zellen bzw. Proteinen stabile Komplexe bildet, die unter Erhalt der antimikrobiellen Wirksamkeit eine stark reduzierte Zytotoxizität aufweisen [10]. Diese ungewöhnliche, bisher nicht beschriebene Wechselwirkung eines Antiseptikums mit Zellen bzw. deren Matrixbestandteilen dürfte sich in vivo günstig auf die Verträglichkeit auswirken, weil nur die oberste Zellschicht mit dem Wirkstoff exponiert wird, dieser aus den gebildeten Komplexen in geringen nicht zytotoxischen Konzentrationen in die Umgebung abgegeben wird und damit bioverfügbar bleibt. Es ist davon auszugehen, dass durch die Wundversiegelung eine nachfolgende bakterielle Kolonisation unterbunden wird. Offensichtlich ist dieses Phänomen die Erklärung der Diskrepanz zwischen den in vitro Befunden mit Octeniseptâ und den günstigen tierexperimentellen und klinischen Beobachtungen.

Die Zytotoxizität einer Chlorhexidin-haltigen Brandsalbe mit Dexpanthenol (B) entsprach bei Verdünnung auf 1,25% zellabhängig etwa der von Octenisept (O) in einer Verdünnung von 2,5% (Tabelle 3 [Tab. 3]), d.h. Octenisept ist deutlich besser zellverträglich.

Um Antiseptika miteinander vergleichen zu können, wurde der Biokompatibilitätsindex (BI) eingeführt [11]. Er basiert darauf, dass unter gleichen Versuchsbedingungen die Mikrobiozidie und die Zytotoxizität ermittelt werden. Ist der BI >1, ist die Wirksamkeit höher als die Zytotoxizität. Von allen bisher geprüften Wirkstoffen besaß Octenidin den günstigsten BI (Tabelle 4 [Tab. 4]).

In einer doppelblinden, randomisierten, stratifizierten, kontrollierten Studie in Parallelgruppen an oberflächlichen Wunden am Schwein war die Kombination von Octenidin mit Phenoxyethanol in Bezug auf die Wundheilung Ringer-Lösung gleichwertig [12]. In einer doppelblinden, randomisierten, kontrollierten klinischen Studie an chronischen Wunden wurde die Granulation über einen vierwöchigen Beobachtungszeitraum im Vergleich zu Ringer-Lösung sogar signifikant verbessert [13].

Erythrocyten und Granulozyten werden bei 30 min Inkubation bis 0,05% nicht durch Octenidin geschädigt [14].

Weitere biologische Wirkungen

In vitro war in einem Vollblutmodell ohne und mit LPS-Zugabe keine Stimulation von TNF-a nachweisbar. Ferner war ohne LPS-Zugabe keine Freisetzung des Wachstumsfaktors PDGF-AB, dagegen mit LPS-Zugabe dosisabhängig eine Stimulierung nachweisbar [15].

Am Mäuseohr wurde der Einfluss einer lokalen Applikation auf die Mikrozirkulation untersucht. Die stärkste Arteriolenverengung wurde durch Ethanol und ein Alkohol-basiertes Hautantiseptikum ausgelöst. Zwei Antiseptika auf Basis von Octenidin bzw. Polihexanid induzierten eine signifikante Erweiterung. Die funktionelle Kapillardichte und die Erythrocytenfließgeschwindigkeit wurden durch die Alkohole und ebenso durch Polihexanid signifikant reduziert, dagegen durch Octenidin nicht beeinflusst bzw. die Fließgeschwindigkeit war nach 10 min sogar leicht erhöht. Durch die Alkohole und Polihexanid wurde die Leukozyten-Endothel-Interaktion signifikant verstärkt, während sie bei Octenidin und Kontrolle (Kochsalzlösung) unbeeinflusst blieb. Außer Octenidin verursachten alle Antiseptika ein signifikantes Leakage für FITC-Dextran. Damit wurden durch Octenidin keine negativen Effekte induziert [16].

Ökotoxizität

Im geschlossenen OECD-Flaschentest wird Octenidin nach 5 d vollständig abgebaut, d. h. es besteht kein ökotoxisches Risiko [17].

Schlussfolgerung für die Eignung zur Wundantiseptik

Octenidin-basierte Wundantiseptika sind als Wirkstoff der ersten Wahl für infizierte akute Wunden anzusehen. Bei reduzierter Anwendungskonzentration erscheinen sie vergleichbar wie Polihexanid auch zur Behandlung infizierter chronischer Wunden geeignet (Tabelle 5 [Tab. 5]).

Aus folgenden Gründen erscheint die Ausweitung der Anwendung von Octenidin auch auf chronische Wunden aussichtsreich:

  • Die hohe Effektivität gewährleistet eine mikrobiozide Wirksamkeit bis zur Verdünnung von 0,01%, dann kommt der günstige BI zum Tragen.
  • Die starke Bindung an die Zellmatrix führt zur Bildung eines lokalen Wirkstoffdepots mit der Möglichkeit der Applikation in größeren Abständen.
  • Auf Grund der fehlenden Resorption sind keine resorptiv-toxischen Nebenwirkungen zu befürchten.

Literatur

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Müller G, Kramer A. Biocompatibility index of antiseptic agents by parallel assessment of antimicrobial activity and cellular cytotoxicity. Chem Biol Interaction. Submitted.

Erratum

Als Vorname des Autors Müller wurde irrtümlich "Georg" angegeben.