gms | German Medical Science

GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Das neue E-Health-Gesetz: Was kommt auf Kliniken und niedergelassene Ärzte zu?

Mitteilung

Search Medline for

GMS Mitt AWMF 2015;12:Doc12

doi: 10.3205/awmf000311, urn:nbn:de:0183-awmf0003113

Received: December 11, 2015
Published: December 14, 2015

© 2015 Martenstein et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Gerade hat der Bundestag das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“, kurz E-Health-Gesetz genannt, verabschiedet. Nach den Beratungen im Bundesrat wird das Gesetz am 01.01.2016 in Kraft treten. Mit der Gesetzesinitiative soll eine sichere digitale Kommunikation zwischen Ärzten, Krankenhäusern, Krankenkassen und Patienten gewährleistet werden. Zudem sollen Patientendaten schneller abrufbar sein. Um das Projekt der Digitalisierung möglichst zügig voranzubringen und umzusetzen, stellt das E-Health-Gesetz einen Fahrplan für alle Beteiligten auf. Hierfür enthält das Gesetz ein Bündel von Fristen, Anreizen und Sanktionen. Was durch das geplante E-Health-Gesetz auf Kliniken und niedergelassene Ärzte im Einzelnen zukommt und welche Anreize und mitunter auch Sanktionen bei Abweichen vom Terminplan verhängt werden können, wird im Folgenden näher erläutert:


Text

1. Sektorenübergreifende Vernetzung und schneller Abruf von Patientendaten

Mit den gesetzlichen Neuregelungen will die Bundesregierung Ärzte, Kliniken, Apotheken und Krankenkassen künftig besser miteinander vernetzen. Wie eine Datenautobahn soll die Telematik-Infrastruktur die Beteiligten im Gesundheitswesen so miteinander verbinden, dass sie die für die Behandlung wichtigen medizinischen Informationen schnell, sicher und praktikabel austauschen können. Die Zeitpläne für die bundesweite Einführung der Telematik-Infrastruktur haben die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (Gematik) und die Industrie festgeschrieben. Danach soll ab Mitte 2016 mit der Umsetzung begonnen werden und bis Mitte 2018 sollen Arztpraxen und Krankenhäuser flächendeckend an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen sein.

2. Speicherung von Notfalldaten auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK)

Bisher sind lediglich die Stammdaten des Patienten (Name, Anschrift, Geburtsdatum, Geschlecht, Krankenversichertennummer, Versichertenstatus) auf der eGK hinterlegt. Ab 2018 sollen auf Wunsch der Patienten auch medizinische Notfalldaten auf der eGK gespeichert werden können, damit im Notfall wichtige Informationen über bestehende Allergien, Arzneimittelunverträglichkeiten oder Vorerkrankungen schnell verfügbar sind. Ähnlich wie bei der Bankkarte muss der Patient den Zugriff auf seine medizinischen Daten mittels seiner eGK und einer PIN freischalten. Im Notfall ist der Zugriff auch ohne Autorisierung durch den Patienten und nur mit dem elektronischen Heilberufsausweis oder dem elektronischen Arztausweis des behandelnden Arztes möglich. Die auf der eGK gespeicherten Daten sollen von den Ärzten – sowohl im stationären als im ambulanten Bereich – angelegt und stets aktualisiert werden. Die Lesbarkeit der Daten soll durch ein tragbares, nicht netzgebundenes Lesegerät gewährleistet werden. Zur Beschleunigung der Einführung des Notfalldatensatzes erhalten Ärzte, die einen Notfalldatensatz erstellen und aktualisieren, eine Vergütung.

Ärzte und Zahnärzte erhalten einen elektronischen Heilberufsausweis, damit sie auf die sensiblen Daten der eGK der Patienten zugreifen können. Die verschlüsselten Daten können, wenn der Patient den Zugriff auf diese Daten einem mitbehandelnden Arzt ermöglichen möchte, nur durch das gleichzeitige Stecken der Gesundheitskarte des Patienten und des Heilberufsausweises des Arztes in das Kartenlesegerät entschlüsselt werden.

3. Stammdatenmanagement - Prüfungspflicht der Vertrags(zahn)ärzte

Ab dem 01.07.2016 sind Vertragsärzte, also insbesondere niedergelassene Ärzte, verpflichtet, die Versichertenstammdaten ihrer Patienten auf der eGK zu prüfen und ggf. zu aktualisieren. Dieses Stammdatenmanagement soll für aktuelle Daten in der Arztpraxis sorgen und vor Leistungsmissbrauch zu Lasten der Beitragszahler schützen. Nach Äußerungen der Gematik sollen Ärzte, gesetzliche Krankenkassen und Apotheken Mitte 2016 in der Lage sein, die Stammdaten von Patienten über eine sichere Netzverbindung miteinander abzugleichen; bis Anfang 2018 sollen Notfalldaten auf die eGK aufgespielt werden können. Ab Juli 2018 sind pauschale Kürzungen der Vergütung der Ärzte und Zahnärzte vorgesehen, die ihrer Verpflichtung zur Versichertenstammdatenprüfung nicht nachkommen – und zwar so lange, bis die Prüfung durchgeführt wird.

4. Medikationsplan

Patienten, die mindestens drei verordnete Arzneimittel gleichzeitig anwenden, haben ab dem 01.10.2016 einen Anspruch auf Aushändigung eines Medikationsplans in Papierform durch einen Vertragsarzt. Hierdurch soll die Therapiesicherheit verbessert und unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln verhindert werden. Der Arzt soll in dem Medikationsplan alle verordneten und angewendeten Arzneimittel mit Anwendungshinweisen sowie Hinweise auf Medizinprodukte, sofern sie für die Einnahme der Medikamente relevant sind, dokumentieren. Auch soll der Vertragsarzt den Patienten über seinen Anspruch auf Aushändigung eines Medikationsplans aufklären. Die geplanten Regelungen zum Medikationsplan sind daneben auch für Apotheker von Bedeutung; sie sollen durch das einheitlich genutzte elektronische Programm von Anfang an in den Medikationsplan einbezogen und bei Abgabe oder Änderung der Medikation auf Wunsch des Patienten zur Aktualisierung verpflichtet sein. Ärzte, die einen Medikationsplan erstellen und aktualisieren, erhalten hierfür eine Vergütung. Ab 2018 soll der Medikationsplan zusätzlich elektronisch über die Gesundheitskarte abrufbar sein.

5. Elektronische Patientenakte

Zudem soll das E-Health-Gesetz bis Ende 2018 die technischen Voraussetzungen für eine elektronische Patientenakte schaffen. Die elektronische Patientenakte soll ab 2019 als freiwillige Anwendung für die gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen und Daten wie Arztbriefe, Notfalldatensatz, Medikationsplan, Impfpass oder Mutterpass etc. für sie bereitstellen. Über diese Gesundheitsdaten sollen die Versicherten den behandelnden Arzt dann entsprechend informieren können.

6. Ausbau der Telemedizin

Telemedizinische Leistungen wie die telekonsiliarische Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen (ab 01.04.2017) und die Online-Videosprechstunde (ab 01.07.2017) sollen in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen und im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) ausgebaut und mit Zuschlägen finanziell gefördert werden. Hierdurch soll insbesondere die intersektorale Kooperation von Ärzten und die Versorgung von Patienten in unterversorgten Regionen, gerade bei Nachsorge- und Kontrollterminen, erleichtert werden.

7. Elektronischer Entlassbrief - Vergütungszuschläge

Krankenhäuser erhalten ab dem 01.07.2016 für das Erstellen eines elektronischen Entlassbriefes einen Zuschlag von einem Euro pro voll- und teilstationärem Behandlungsfall und die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen für das Einlesen eines elektronischen Entlassbriefs einen Zuschlag von 50 Cent. Diese Vergütung ist als Anschubfinanzierung zu verstehen und daher auf zwei Jahre bis zum 30.06.2018 begrenzt. Der elektronische Entlassbrief soll mindestens folgende Angaben enthalten: Diagnosen, Befunde, Therapiemaßnahmen, die Medikation bei Entlassung aus dem Krankenhaus, den Entlassungsgrund und empfohlene Rehabilitationsmaßnahmen. Eine Extravergütung ist auch für Ärzte vorgesehen, die ab 2016 die Arztbriefe elektronisch übermitteln (55 Cent pro Brief). Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung dieser personenbezogenen Daten darf nur nach vorheriger Information des Patienten und mit dessen Einwilligung erfolgen; sie kann jederzeit widerrufen werden. Information, Einwilligung und Widerruf bedürfen der Schriftform.

8. Datenschutz

Der Zugriff auf die Daten der Gesundheitskarte darf nur zum Zwecke der medizinischen Versorgung und nur durch einen engen, gesetzlich festgelegten Personenkreis, insbesondere durch Ärzte und Zahnärzte, erfolgen. Um auf die medizinischen Daten der Gesundheitskarte zugreifen zu können, gilt das sog. Zwei-Schlüssel-Prinzip: Sowohl der elektronische Heilberufsausweis des Arztes als auch die elektronische Gesundheitskarte des Patienten sind notwendig, um Zugriff auf die Daten zu haben. Der Patient stimmt dem Zugriff des Arztes zu, indem er seine Gesundheitskarte in das Kartenlesegerät des Arztes steckt und seine PIN eingibt. Eine Ausnahme besteht bei Notfalldaten und, wenn der Patient dies wünscht, dem Medikationsplan.

9. Fazit

Auf der einen Seite werden die nun geplanten gesetzlichen Neuregelungen das digitale Zeitalter im Gesundheitswesen nicht revolutionär voranbringen, sie sind vielmehr als ein weiterer Schritt hin zu einer zunehmenden Digitalisierung der Arzt – Patientenbeziehung zu verstehen. So ist der Nutzen der Telematik nicht zu verkennen, um insbesondere in unterversorgten Gebieten den Versorgungsauftrag erfüllen zu können. Auf der anderen Seite rücken wir dem Szenario des gläsernen Patienten immer näher und sehen die Befürchtungen eines „big brothers“ bestätigt. So werden zukünftig Krankenkassen und auch Arbeitgeber immer stärker den Anspruch auf Zugang zu den elektronisch gespeicherten Gesundheitsdaten erheben. Die notwenigen Sicherungskonzepte müssen für diese Fälle den Schutz der Patientenautonomie gewährleisten. Aus Erfahrungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen wird man durchaus Zweifel hegen dürfen, dass solche elektronischen Sicherungen im digitalen Sektor auch tatsächlich halten, was sie versprechen.