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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

AWMF: Keine Normierung von medizinischen Gesundheitsdienstleistungen und Versorgungsprozessen

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2014;11:Doc3

doi: 10.3205/awmf000292, urn:nbn:de:0183-awmf0002921

Received: May 15, 2014
Published: May 15, 2014

© 2014 Müller.
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Zusammenfassung

Stellungnahme der AWMF - Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. zu Normierungsvorhaben des Europäischen Komitee für Normung (Comité Européen de Normalisation - CEN) vom 15. 05. 2014


Text

Die AWMF spricht sich nachdrücklich und begründet gegen eine Normierung medizinischer Gesundheitsdienstleistungen und Versorgungsprozesse durch das Europäische Komitee für Normung (CEN) aus. Die Hauptgründe sind

1.
Widerspruch zum Patientenrecht auf eine individuell angemessene Versorgung
2.
Ungeprüfte Transferierbarkeit von Normen nach Deutschland
3.
Mangelnde Methodik und fehlende Überprüfbarkeit der Entwicklung des Verfahrens


Seit mehr als 50 Jahren unterstützt die AWMF ihre mittlerweile 168 Mitgliedsgesellschaften bei der Verfolgung medizinisch-wissenschaftlicher Aufgaben und Ziele sowie bei der Verbindung der wissenschaftlichen Medizin mit der ärztlichen Praxis. Bereits im März 2012 hat die AWMF in einer Stellungnahme deutlich gemacht, dass die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften jede Standardisierung und Normierung ärztlicher Leistungen auf nationaler und europäischer Ebene ablehnen[1] . Die Normierung medizinischer Gesundheitsdienstleistungen und Versorgungsprozesse auf europäischer Ebene verstößt gegen europäische Verträge und widerspricht bewährten nationalen berufsrechtlichen Regelungen[2] . Diese 2012 von der AWMF gemachten Äußerungen gegen die derzeitigen Normierungsvorhaben von Behandlungsprozessen des Europäischen Komitees für Normung (CEN) gelten auch heute unverändert fort.

Bei kritischer Analyse der ersten Entwürfe und der abgeschlossenen Normierungsvorhaben im Europäischen Komitee für Normung bestehen grundlegende Bedenken an der Eignung, Transferierbarkeit, Qualität und Entwicklungssystematik der Normen.

Wesentliche Kritikpunkte an alle Normierungsvorhaben im Bereich medizinischer Leistungen sind die Folgenden:

  • Zunächst freiwillige Normen im Bereich von Gesundheitsdienstleistungen werden nach Anerkennung und Bezug in entsprechenden Verordnungen oder Gesetzen zu Richtlinien und behindern damit sowohl die ärztliche Therapiefreiheit als auch das Recht des Patienten auf eine seinen individuellen Bedürfnissen entsprechende Gesundheitsversorgung.
  • Europäische Normen werden für EU-Länder bindend. Eine Adaptation an länderspezifische Gesundheitssysteme, Kulturen und Versorgungsregeln ist nicht mehr möglich.
  • Derzeitige Normierungsvorhaben des Europäischen Komitees für Normung lassen jegliche Qualität und Systematik der Entwicklung vermissen, wie:
    • Transparenz über den Prozess der Entstehung und der beteiligten Personen und Institutionen.
    • Freier Zugang zur Mitarbeit am Entwicklungsprozess, der nicht von intransparenten Berufungsvorgängen oder Kostenbeteiligungen bzw. Zahlung von Vergütungen abhängig ist, sondern eine Beteiligung aller relevanten, am späteren Behandlungsprozess beteiligten Gruppierungen zum Ziel haben muss.
    • Kriterien für die Auswahl der Experten, damit die Sachkompetenz nachvollziehbar ist.
    • Transparenz über Interessenkonflikte der Beteiligten, der Entwicklergruppe insgesamt sowie über die die Finanzierung des Projekts.
    • Belege für alle Aussagen (Evidenz oder Gruppenkonsens) und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsmechanismen (Angabe von Quellen und Kriterien).
    • Beschreibung der Methodik der Feststellung des aktuellen Standes der Wissenschaft und Technik als Grundlage der Aussagen und transparente Implementierung von Regeln zur Adaptierung einer Änderung im Verlauf an einen geänderten Stand der Wissenschaft und Technik.
    • Regelwerk zur Methodik und entsprechende transparente, für unabhängige Kontrollgremien überprüfbare Darlegung des Entstehungsprozesses jedes Produkts.

Die AWMF sieht generell keine Qualitätsverbesserung medizinischer Leistungen durch Normierungsvorhaben. Vielmehr besteht in einem in erster Linie privatwirtschaftlich organisierten Prozess einer europäischen Normierung medizinischer Leistungen eine Gefahr für das Ziel der Verbesserung, wenn die Normierungsvorhaben überwiegend von finanziellen Aspekten beeinflusst werden. Es besteht zudem die Gefahr, dass der gegenwärtige Stand der Wissenschaft und Technik im Bereich komplexer medizinischer Leistungen nicht abgebildet wird und ein am flächendeckend erreichbaren Minimum orientierter Konsens zu Qualitätsverlusten für Mitgliedsstaaten mit bereits guter Versorgungsqualität entsteht.

Die AWMF und die in ihr zusammengeschlossenen Fachgesellschaften werden sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Qualitätsentwicklung der medizinischen Versorgung auch zukünftig auf aktuelle, systematisch entwickelte, wissenschaftliche medizinische Leitlinien als Entscheidungshilfen für die Betreuung individueller Patienten gestützt wird und dass die inhaltlichen und kompetenzrechtlichen Grundlagen der ärztlichen Berufsausübung in den einzelnen Fachgebieten in Deutschland auf höchsten Niveau gewahrt bleiben. Sie wird der Standardisierung von Berufsausübungsregelungen auf europäischer Ebene durch das Europäische Komitee für Normung entgegenwirken und die bewährten Regelungsmechanismen der ärztlichen Berufsausübung im Deutschen Weiterbildungsrecht gegen überflüssige und Interessen gesteuerte Einflüsse verteidigen und gemeinsam mit den zuständigen Ärztekammern weiterentwickeln.

Ansprechpartner/Kontakt:

AWMF-Geschäftsstelle

Ubierstr. 20

40223 Düsseldorf

eMail: office@awmf.org


Literatur

1.
1 Stellungnahme der AWMF zu Normierungsvorhaben im Europäischen Komitee für Normung (CEN) und im Deutschen Institut für Normung (DIN). Verfügbar: http://www.awmf.org/die-awmf/awmf-stellungnahmen.html External link
2.
2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Artikel 168 Abs. 7. Verfügbar: http://www.aeuv.de/aeuv/dritter-teil/titel-xiv/art-168.html External link