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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

EU-Kommission: Medizinstudium auf 5 Jahre verkürzen: AWMF nimmt Stellung gegen Verkürzung des Medizinstudiums

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2012;9:Doc3

doi: 10.3205/awmf000251, urn:nbn:de:0183-awmf0002515

Received: January 20, 2012
Published: January 26, 2012

© 2012 Müller.
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Zusammenfassung

Die AWMF hat sich am 20. Januar 2012 in einer Stellungnahme an den Deutschen Bundesrat gegen den Vorschlag der EU-Kommission ausgesprochen, das Medizinstudium auf 5 Jahre zu verkürzen.


Text

Die AWMF hat sich mit der Stellungnahme zum Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und die Verkürzung des Medizinstudiums um ein Jahr beschäftigt. Die AWMF unterstützt die Stellungnahme des MFT und des VUD uneingeschränkt und möchte ebenfalls betonen, dass Artikel 24 (2) weiter sechs Jahre Mindestausbildungszeit und 5.500 Stunden für Mediziner aufweisen muss.

Bei einer Verkürzung auf fünf Jahre würde das bereits jetzt lernintensive Medizinstudium weiter erschwert, der notwendige Erhalt einer hohen Qualität der ärztlichen Ausbildung wird zu einer Verteuerung der Ausbildungs- und Weiterbildungskosten führen.

Bei der Ausbildung sind es die Parallel-Curricula, die die universitären Kosten erhöhen, d.h. Mehrkosten für alle Bundesländer mit einer oder mehreren Medizinischen Fakultäten. Bei der Ausbildung kann durch die Verdichtung der Inhalte in kürzerer Zeit trotz gleicher Stundenzahl und Ressourcen nur weniger praktisches und theoretisches Wissen vermittelt werden, damit müssen zur Erlangung der Fertigkeiten mehr Ressourcen zu Verfügung gestellt werden, um denselben Stand bei Beginn der Weiterbildung zu erreichen, d.h. es entstehen Mehrkosten der Weiterbildung. Bereits jetzt bilden nicht alle Weiterbildungsstätten wirklich weiter. Die Zahl der von LÄK gemeldeten Weiterbildungsbefugten (WBB) betrug 40.039, die Zahl der aktiven WBB mit mindestens einem Weiterzubildendem dagegen nur 17.392, diese Verhältnis entspricht auch

der mittleren Rücklaufquote der WBB von 53,3% (s. Folie 18: BÄK Bundesrapport 2011.pdf ).

Mehr Studierende werden den zunehmenden zeitlichen Aufwand nicht mehr in der Regelstudienzeit schaffen und das Studium später beenden. Laut einer 2010 im Auftrag des Bundesbildungsministeriums erstellten Studie (Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2009) gehen 2/3 der Studierenden einer Erwerbstätigkeit während der Vorlesungszeit nach. Davon müssen derzeit 45% der Studierenden einer Erwerbstätigkeit nachgehen, um den notwendigen Lebensunterhalt zu sichern. Bundesweit gemittelt nehmen zurzeit nur 64% der Studierenden innerhalb der Regelstudienzeit an der M1 Prüfung teil (ermittelt aus den Studienplätzen nach Angaben von hochschulstart.de [ZVS] und des IMPP). Die gegenwärtige Studienabbrecherquote im Studiengang Medizin beträgt in Deutschland laut einer HIS-Studie 5%. Die Zahl der Studienabbrecher wird unter den erschwerten Bedingungen steigen.

Diese Studierenden haben keine abgeschlossene Ausbildung und stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Damit ist der volkwirtschaftliche Schaden durch zunehmenden Ärztemangel und durch ineffiziente Nutzung der universitären Ressourcen verstärkt. Dieser Schaden belastet besonders den Etat der Bundesländer.

Durch das beschleunigte Studium herrscht im Hochschulsystem Druck und erzeugt Angst und Verunsicherung. In Zahlen ausgedrückt: 20 Prozent der Studenten kommen gut mit zeitgerafften Studiengängen zurecht, 40 bis 50 Prozent sind verunsichert und versuchen, irgendwie Schritt zu halten. Weitere 30 bis 40 Prozent haben ernsthafte Schwierigkeiten. Aufgrund des zeitlichen Aufwands erscheint es ferner kaum mehr möglich im Studium eine Familie zu gründen, daher werden diese Zeiten in die Weiterbildung verlagert und führen zu einer potentiell schlechteren sozialen und familiären Ausgangssituation für Mediziner. Noch mehr Zeiten in der Weiterbildung zum Facharzt werden in Teilzeit durchgeführt, die Lernkurve bei beginnenden Medizinern wird geringer sein. Die Qualität der Weiterbildung kann damit nicht nur alleine von den Weiterbildungsstätten getragen werden, sondern wird wie in anderen europäischen Ländern durch staatliche Finanzierung der Weiterbildung ausgeglichen werden müssen.

Weitere Konsequenzen werden sein, dass aufgrund dieses Drucks die Mobilität eingeschränkt wird und diese in die Facharztweiterbildung oder danach verlegt wird, d.h. andere Länder werden von höheren Aus- und Weiterbildungsstufen profitieren. 62% spielen mit dem Gedanken, im Ausland zu arbeiten, 12% haben ernsthafte Pläne (Via Medici Umfrage 2006). Bereits jetzt sind es mehr deutsche Ärzte, die ins Ausland gehen als nach Deutschland zurückkehren. Bereits 2008 sind 3000 ursprünglich in Deutschland tätige Ärzte ins Ausland abgewandert, während nur 1600 zurückgekehrt sind. Zwischen 2000 und 2008 waren 19.276 Ärzte ins Ausland abgewandert und

nur 13.864 zurückgekommen (DKI 2010).

Ferner wird die Möglichkeit, sich wissenschaftlich mit einer Thematik auseinanderzusetzen, weiter eingeschränkt, mit der Konsequenz, dass durch mangelnde Ausbildung kein wissenschaftliches Grundwissen vermittelt wird. Dies hat nicht nur für forschende Kollegen eine Konsequenz. Der praktisch tätige Arzt muss sich ein fundiertes, von Interessenkonflikten unbeeinflusstes Urteil über den potentiellen Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen bilden können. Andernfalls drohen immense Folgekosten durch ineffiziente oder gar schädliche, überteuerte Behandlungspraktiken (The Good Stewardship Working Group. The "Top 5 Lists" in Primary Care - Meeting the Responsibility of Professionalism. Arch Intern Med 2011; Aug 8;171(15):1385-90 Epub 2011 May 23; Werner Bartens. Ärzte warnen vor zu viel Medizin. Süddeutsche Zeitung, Dienstag, 24. Mai 2011).

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Karl Heinz Rahn

Präsident der AWMF

Ubierstr. 20

40223 Düsseldorf