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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Bundesverfassungsgericht stärkt die Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2008;5:Doc7

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/awmf/2008-5/awmf000150.shtml

Received: February 14, 2008
Published: February 15, 2008

© 2008 Wienke.
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Zusammenfassung

Strukturelle Änderungen in Universitätsklinika nur unter engen Voraussetzungen zulässig

Mit seinem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 27. 11. 2007 hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) der Verfassungsbeschwerde eines medizinischen Hochschullehrers und Klinikdirektors stattgegeben, mit der dieser sich gegen die Schließung einer von ihm geleiteten Bettenstation an einem nordrhein-westfälischen Universitätsklinikum gewandt hatte.


Text

Der Vorstand des Universitätsklinikums hatte nach Anhörung des betroffenen Klinikdirektors gegen seinen Willen die Schließung einer Bettenstation der Klinik beschlossen, da diese seit längerer Zeit angeblich defizitär sei. Diese Maßnahme sei nur ein Teil des gesamten Umstrukturierungsprozesses im Universitätsklinikum, da man angesichts der bestehenden Finanznöte und der damit erforderlichen Anpassungsprozesse die Wirtschaftlichkeit des Universitätsklinikums auf Dauer gewährleisten müsse. Einsparungen seien daher zur Erhaltung einer optimalen Patientenversorgung einerseits und einer nachhaltigen wirtschaftlichen Gesundung des Unternehmens andererseits zwingend notwendig. Bei der Beschlussfassung über die Schließung der Bettenstation war der Dekan der Medizinischen Fakultät als Mitglied des Vorstands des Universitätsklinikums anwesend und hatte dem Beschluss zugestimmt. Ungeklärt blieb, ob die nach den Regelungen der Klinikumsverordnung erforderliche Zustimmung des Fachbereichs Medizin eingeholt worden war.

Der Klinikdirektor hatte gegen die Schließung der Bettenstation u. a. vorgebracht, dass er durch diese organisatorische Maßnahme in seinem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes verletzt werde. Es sei zu erwarten, dass langjährige Studien abgebrochen werden müssten, sich die Forschungstätigkeit nicht mehr auf die gesamte Breite des von ihm vertretenen Faches erstrecken könne und die Möglichkeit entfalle, interdisziplinäre Therapieansätze gemeinsam mit anderen, am Campus vertretenen Fachgebieten zu erforschen. Schließlich sei auch die vom Vorstand unterstellte Annahme einer Unwirtschaftlichkeit der Bettenstation nicht korrekt.

Nachdem noch die Vorinstanzen die organisatorische Maßnahme des Vorstands des Universitätsklinikums im Verhältnis zum betroffenen Klinikdirektor nicht als rechtswidrig eingestuft hatten, entschied das BVG in seinem Beschluss vom 27. 11. 2007 nun zugunsten des Hochschullehrers. Die vorangegangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) verletze die Rechte des Hochschullehrers aus Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes und sei daher aufzuheben. Das OVG sei verpflichtet, im Rahmen der Fortführung des gerichtlichen Verfahren zu prüfen, ob der Fachbereichsrat der Medizinischen Fakultät der Universität mit der Frage der Schließung der Bettenstation befasst gewesen sei und dieser zugestimmt habe. Außerdem müsse das OVG die rechtlich maßgebliche und in tatsächlicher Hinsicht komplexe Frage entscheiden, ob und ggf. inwieweit die Schließung der Bettenstation die Bereiche von Forschung und Lehre betreffe.

In seiner Begründung stellt das BVG insbesondere darauf ab, dass die Universitätskliniken wegen ihrer spezifischen Funktion und ihres gesetzlichen Auftrages der Erfüllung der wissenschaftlichen Aufgaben der medizinischen Fachbereiche an den Universitäten dienten. Zwar seien die nordrhein-westfälischen Universitätskliniken zwischenzeitlich rechtlich verselbständigt worden; wegen der untrennbaren Verknüpfung von Forschung, Lehre und Krankenversorgung an den Universitätskliniken dürfe jedoch das Grundrecht des medizinischen Hochschullehrers auf Wissenschaftsfreiheit auch bei seiner Tätigkeit in der Krankenversorgung nicht unberücksichtigt bleiben. Dem sei auch bei einer organisatorischen Trennung von Universität (Medizinischem Fachbereich) und Universitätsklinikum Rechnung zu tragen.

Das Hochschulgesetz und die hier maßgebliche Klinikumsverordnung normierten ein Einvernehmenserfordernis zwischen Universität und Universitätsklinikum bei Entscheidungen des Universitätsklinikums, soweit der Bereich von Forschung und Lehre betroffen sei. Da dieses Einvernehmenserfordernis eine Sicherungsfunktion gerade für die individualgrundrechtliche Wissenschaftsfreiheit des medizinischen Hochschullehrers habe, komme diesem Verfahrensrecht schützende Wirkung zugunsten des einzelnen medizinischen Hochschullehrers zu. Dieser habe daher einen Anspruch darauf, dass Organisationsmaßnahmen des Universitätsklinikums im Bereich der Krankenversorgung, soweit diese Forschung und Lehre betreffen, nicht ohne Einvernehmen des Fachbereichs Medizin und damit unter Wahrung seiner insoweit bestehenden Einflussmöglichkeiten auf den organisierten Wissenschaftsbetrieb erfolgten. Denn die Mittelausstattung für Forschung und Lehre, die der Hochschullehrer wegen der organisatorischen Verselbständigung des Universitätsklinikums in seinem Verhältnis zur Universität und deren Fachbereich Medizin geltend machen müsse, würde gegenüber dem Universitätsklinikum gerade durch das Einvernehmenserfordernis sichergestellt. Für die Verwirklichung des individualgrundrechtlichen Schutzes der Wissenschaftsfreiheit sei die Wahrung des erforderlichen Einvernehmens von zentraler Bedeutung.

Vorliegend habe zwar der Dekan als Mitglied des Vorstands des Universitätsklinikums an der Entscheidungsfindung und der Beschlussfassung über die Schließung der Bettenstation mitgewirkt; ob diese Verfahrensweise der gesetzlich erforderlichen Herstellung des Einvernehmens mit dem Fachbereich entspreche, sei jedoch vom OVG nicht ausreichend geklärt worden. Im Übrigen sei auch im Hinblick auf die Erforderlichkeit des Einvernehmens und der damit einhergehenden Zuständigkeiten im weiteren Verfahren zu klären, ob überhaupt mit der beschlossenen Schließung der Bettenstation eine Angelegenheit von Forschung und Lehre betroffen sei. Auch hierzu werde das OVG weitere Ermittlungen anzustellen haben.

Der Beschluss des BVG macht deutlich, dass auch nach der rechtlichen Verselbständigung der Universitätsklinika die Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung bei strukturellen Veränderungen und organisatorischen Maßnahmen im Betrieb eines Universitätsklinikums gewahrt bleiben muss und mit verfahrenssichernden Regelungen die Teilbereiche einer universitären medizinischen Einrichtung zur Geltung kommen müssen. Vielerorts werden an den Universitätsklinika derzeit aus in erster Linie wirtschaftlichen Gründen zum Teil drastische Umstrukturierungen im organisatorischen Bereich der Krankenversorgung vorgenommen, bei denen nach den bisherigen Erfahrungen nur wenig Rücksicht auf die Bereiche Forschung und Lehre genommen wird. Modulares Großkrankenhaus, Medizinische Versorgungszentren (MVZ), integrierte Kooperationsstrukturen zwischen ambulanten und stationären Behandlungseinheiten, operative Facharztkliniken, fachgebietsübergreifende Dienste, Behandlungspfade, Scoresysteme und die Zentralisierung von Behandlungseinheiten sind Beispiele neuer Strukturen und Organisationsformen an deutschen Universitätskliniken. Die Aufgabenwahrnehmung in Forschung und Lehre fristet mancherorts bereits ein trauriges Dasein. Auch die Einrichtung fakultätsübergreifender Forschungsschwerpunkte und die zuletzt von politischer Seite ausgerufenen Projekte der Forschungsförderung können über diese seit einigen Jahren zu beobachtende Entwicklung nicht hinwegtäuschen. Mehr und mehr wird über demotivierte, schikanierte, frustrierte und in der Krankenversorgung verschlissene Mediziner an Hochschulkliniken berichtet, die in den Strom der in das Ausland abwandernden Kollegen eintauchen.

Der Beschluss des BVG gibt zu der Hoffnung Anlass, dass sich an den deutschen Universitätskliniken ein Umdenkungsprozess einstellt. Auch das Bundesverwaltungsgericht hatte zuvor in seinem Urteil vom 25. 10. 2007 - 2 C 30.07 - bereits unmissverständlich darauf hingewiesen, dass bei der Umbildung oder Neuorganisation einer Körperschaft einem Beamten ein amtsangemessener Tätigkeitsbereich verbleiben muss. Der VGH Baden-Württemberg hat in seinem Beschluss vom 18.05.2004 – 4 S 760/04 – festgestellt, dass ein Universitätsklinikum nicht befugt sei, einen Universitätsprofessor von der Wahrnehmung seiner Aufgaben in der Krankenversorgung zu entbinden, wenn dieser Aufgabenbereich Bestandteil des dem Universitätsprofessor übertragenen Amtes sei. Die Krankenversorgung zähle zum essentiellen Aufgabenbereich des Hochschullehrers im Fachbereich Medizin. Medizinische Forschung, Lehre und Krankenversorgung seien in den Einrichtungen der Universitätsklinika in vielfältiger Weise miteinander verflochten, größtenteils sogar untrennbar miteinander verknüpft. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Beschluss vom 11.11.2002 - 1 BvR 2145/01 - zur Besetzung des Aufsichtsrats nordrhein-westfälischer Universitätsklinika hervorgehoben, dass es sich bei der Krankenversorgung um eine Zusatzaufgabe der Hochschullehrer handele, die – nicht hinter, sondern selbständig – neben Forschung und Lehre trete.

Soweit sich verbeamtete Hochschullehrer demnach auf strukturelle Änderungen im Medizinbetrieb der von ihnen geleiteten Kliniken und Abteilung einrichten sollen, darf dabei die Grenze der amtsangemessenen Beschäftigung nicht unterschritten werden. Für medizinische Hochschullehrer und Klinikdirektoren, jedenfalls soweit diese verbeamtet sind, ergibt sich daraus ein unmittelbarer Anspruch auf Erhalt einer den Erfordernissen von Forschung und Lehre des jeweils vertretenen Fachgebiets entsprechenden personellen und sächlichen Ausstattung der von ihnen geleiteten Klinik. Umstrukturierungen, die in erster Linie mit wirtschaftlichen Aspekten begründet werden, müssen auf diese hochschulspezifischen Aspekte Rücksicht nehmen. Universitätsklinika sind Einrichtungen der Hochleistungsmedizin, die dem Fachbereich Medizin der Universität zur Erfüllung seiner Aufgaben in Forschung und Lehre dienen.

Diese dienende Funktion der Universitätsklinika muss sich auch in personifizierter Form gegenüber den einzelnen medizinischen Hochschullehrern erweisen, indem sichergestellt wird, dass die Mitglieder der Hochschule die ihnen durch Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetztes und durch das jeweilige Hochschulgesetz verbürgten Rechte in Forschung und Lehre wahrnehmen können. Gleichermaßen dienen die Universitätsklinika entsprechend der Hochschulgesetze und Errichtungsverordnungen regelmäßig auch der ärztlichen Fort- und Weiterbildung und der Aus-, Fort- und Weiterbildung des Personals und haben die Verbindung der Krankenversorgung mit Forschung und Lehre zu gewährleisten.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. 11. 2007 - 1 BvR 1736/07 - ; online abrufbar unter:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20071127_1bvr173607.html