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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Die Bedeutung des Wissenschaftsstandortes Deutschland für die Medizinische Forschung

Mitteilung

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Mitteilungen aus der AWMF 2004;1:Doc18

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Published: June 14, 2004

© 2004 Encke.
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Zusammenfassung

Überarbeiteter Vortrag vom Presse-Seminar der AWMF am 1. Juni 2004 im Langenbeck-Virchow- Haus in Berlin: Aktueller Stand und Zukunftsperspektiven von Forschung und Wissenschaft in der Medizin


Text

Mit Recht betonen viele die Notwendigkeit, vor allem Bildung und Innovation zu stärken. Deutschland soll ein Land der Ideen werden… Deutschland ein Land der Ideen, das ist nach meiner Vorstellung Neugier und Experimentieren, das ist in allen Lebensbereichen Mut, Kreativität und Lust auf Neues, ohne Altes und Alte auszugrenzen. (Horst Köhler, anläßlich seiner Wahl zum Bundespräsidenten).

Die Hochschulmedizin und die medizinische Forschung, insbesondere die klinische Spitzenforschung in Deutschland leiden zunehmend unter gesellschaftspolitischen, strukturellen und finanziellen Einschränkungen, die ihre Arbeit und ihre internationale Stellung ernsthaft gefährden. Die Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Deutschland wird vor allem von Nachwuchswissenschaftlern an deutschen Hochschulen und im Ausland als wenig attraktiv wahrgenommen. Dies erscheint angesichts des globalen Wettbewerbs um den hochqualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs als ein besonders Alarmsignal.

Die finanzielle Ausstattung unserer medizinischen Forschung ist international nicht konkurrenzfähig. Ausweislich einer Erhebung der Kultusministerkonferenz (2001) zur Hochschulmedizin und der Kalkulation der außeruniversitären Forschungsförderung verbleiben der medizinischen Forschung in Deutschland jährlich 2-2,5 Milliarden €. Der exakte Anteil der Spitzenforschung daran ist nicht bekannt (Rüdiger Strehl).

Das NIH in den USA verfügt über einen jährlichen Etat von 25 Milliarden US-$. Hinzu kommen andere nationale Quellen und lokale Forschungsaufwendungen, die z.B. in Stanford oder Harvard das 8-12 fache gegenüber deutschen medizinischen Fakultäten betragen.

Durch die Einführung neuer Vergütungsstrukturen in der Krankenversorgung (DRG´s) sowie die Reduktion der Länderzuführungsbeträge für Forschung und Lehre und die Kürzung der Hochschulbaufinanzierung (HBFG-Verfahren) muss die Hochschulmedizin in den kommenden Jahren zusätzlich mit Einbussen von 15-20% rechnen.

Eine wissenschaftsfeindliche, für die klinische und wissenschaftliche Medizin gleichermassen ungeeignete Arbeitzeitgesetzgebung, eine nicht adäquate Vergütung durch eine starre Tarifstruktur für Ärzte und Wissenschaftler mit sehr unbefriedigender Einkommensperspektive, die übermäßige Belastung mit Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben, die mangelnde Transparenz und Unsicherheit der eigenen beruflichen Perspektive (Vertragsgestaltung und Karriere, Habilitation, Junior Professur, Lebensstellung etc.) , die ungenügende Berücksichtigung familiärer Aspekte, insbesondere für Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen haben zu einer erheblichen Frustation des ärztlichen und wissenschaftlichen Nachwuchses beigetragen. 61% der Studierenden, aber nur noch 27,8% im akademischen Mittelbau und 6,2% der Professorenschaft sind Frauen. Bis zu 40% der Absolventen des Medizinstudiums gehen primär keiner ärztlichen Tätigkeit in Deutschland mehr nach, arbeiten aber in großer Zahl als Ärzte und Wissenschaftler im Ausland.

Die Vorwürfe, namentlich des hochqualifizierten ärztlichen und wissenschaftlichen Nachwuchses mit Auslandserfahrung, richten sich aber auch gegen überkommene, verkrustete Hochschul- und Institutsstrukturen mit mangelhafter Kollegialität und Interdisziplinarität und gegen das darauf beruhende schlechte Arbeits- und Forschungsklima. Ein gerechter Leistungswettbewerb um personelle und sächliche Forschungsmittel wird dagegen ausdrücklich befürwortet.

Parallel zu den ungünstigen Rahmenbedingungen für die medizinische Forschung besteht einerseits ein überhöhtes Anspruchsdenken der Gesellschaft an Medizin und Wissenschaft, andererseits eine sehr kritische Einstellung gegenüber der Grundlagen- und Klinischen Forschung. Dies wird z.B. durch die Verzögerung der Entwicklung und Verbreitung der Molekularbiologie und biomedizinischen Forschung in Deutschland, die Debatte um die Stammzellforschung, eine geringe Teilnahmebereitschaft an klinischen Studien, die vergleichsweise geringe Bereitschaft zur Organspende u.a. dokumentiert. Die ungenügende Würdigung des Leistungsstandards der deutschen Medizin in der Öffentlichkeit ist ein weiteres Merkmal.

Die Standortnachteile für die Wissenschaft in Deutschland sind damit offensichtlich. Sie werden in erster Linie durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen verursacht. Aber auch die atmosphärische Verschlechterung des Forschungsklimas („gefühlte Perspektiven") wird von den Jüngeren ausdrücklich beklagt. Es fehlt trotz einer anspruchsvollen Krankenversorgung und im einzelnen hervorragender Forschungsergebnisse an den Universitäten eine strukturierte medizinische und wissenschaftliche Ausbildung (Facharztweiterbildung, postgraduale Ausbildungswege wie Doktorandenkollegs, Graduiertenkollegs, MD/PhD Programme etc.).

In the midst of chaos lies opportunity (Albert Einstein).

Der Wissenschaftsrat (WR) hat im Februar 2004 Empfehlungen zur Stärkung der Forschung in der Universitätsmedizin durch strukturelle Änderungen publiziert. Daraus ergeben sich nach Ansicht von Karl Einhäupl (Vorsitzender des WR) als vordringliche Ziele:

Anspruch auf einen Spitzenplatz in der Forschung durch Innovationen; Stärkung eines fairen Wettbewerbsgedankens durch leistungsgerechte Vergabe der Forschungsmittel; Wissenschaftstarif zur leistungsgerechten Vergütung der Forscher; Primat wissenschaftlicher Ausrichtung in der Hochschulmedizin; Internationalisierung durch Erleichterung der Zuwanderung qualifizierter Forscher; Bekenntnis zum Elitegedanken; Corporate Identity mit der eigenen Universität; hervorragende Lehre als Bringschuld; Nachwuchsförderung als Zukunftsinvestition; strukturierte wissenschaftliche Ausbildung; die Fakultät als Zentrum medizinischer Forschung unter Einbeziehung auswärtiger Forschungseinrichtungen.

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu den Leitungsstrukturen und den Rahmenbedingungen für eine exzellente klinische Forschung in der Hochschulmedizin lassen in vieler Hinsicht die notwendige Beziehung zur Realität vermissen. Die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften betonen nachdrücklich die Erhaltung der Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung . Dies muß und kann heute nicht mehr an eine Person gebunden sein; die Leitungsaufgaben innerhalb des Gesamtspektrums können durch mehrere Personen mit unterschiedlicher Wichtung wahrgenommen werden. Die vom WR vorgeschlagenen unterschiedlichen Qualifizierungswege der Universitätsmedizin (Abbildung) [Abb. 1] berücksichtigen aber diese für die klinische Medizin auf allen Ebenen wichtige Einheit nicht genügend. Das angloamerikanische Consultant Modell als Pas de deux (Tandemmodell) erscheint für die Leitung deutscher Universitätskliniken wenig erfolgversprechend. Der WR ordnet sein Tandemmodell denn auch am Ende selbst der Departmentstruktur mit einem Chairman („Klinikleitung") unter.

Die (kumulative) Habilitation, d.h. die Vorweisung und Evaluation adäquater Publikationen und der wissenschaftlichen Vorleistungen soll aus Sicht der AWMF als qualifizierender wissenschaftlicher Karriereweg in der Medizin unbedingt erhalten bleiben . Die alternative Juniorprofessur ist für die Medizin wegen der zusätzlichen, aber notwendigen Qualifizierung als Kliniker (Facharztweiterbildung, Oberarzterfahrung) nur ausnahmsweise (mittelbare Krankenversorgung, grundlagenorientierte klinische Forschung) geeignet. Die in der klinischen Medizin in den nächsten Jahren zu besetzenden Professuren können ohnehin zahlenmässig in keiner Weise durch qualifizierte Juniorprofessoren aufgefüllt werden (J. Pfeilschifter).

Ausdrücklich unterstützt wird von der AWMF die Quervernetzung der Medizin durch die Förderung von Interdisziplinären Zentren für Klinische Forschung (IZKF) und Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) sowie die stärkere Einbindung außeruniversitärer, auch industrieller Forschungseinrichtungen und der Lehrkrankenhäuser.

Empfehlungen zur Verbesserung der Medizinischen Forschung und ihrer Attraktivität für den wissenschaftlichen Nachwuchs:

- Substantielle Aufstockung der finanziellen Ausstattung der medizinischen Forschung und Hochschulmedizin (Infrastruktur, Overhead)

- Adäquate Vergütung wissenschaftlicher Arbeit

- Den wissenschaftlichen und medizinischen Bedürfnissen angepasste Arbeitszeit -Gesetzgebung.

- Effiziente akademische Frauenförderung.

- Leistungsgerechte Mittelverteilung mit interner und externer Evaluation.

- Flexible Karrierewege (z.B. Habilitation, Juniorprofessur, Bologna-Kriterien (Europa), Anerkennung internationaler Diplome).

- Anerkennung des Elitegedankens durch personenbezogene Förderung von hochqualifizierten Wissenschaftlern und nicht nur von wissenschaftlich herausragenden Projekten.

- Karriereförderung über längere Zeiträume mit Transparenz und Planbarkeit für die Nachwuchsforscher. Flexibleres Vertragsrecht im Wissenschaftsbereich.

- Weiterentwicklung und Verbesserung der interdisziplinären Forschung und Ausbildungswege.

- Verbesserung des Forschungsklimas an den Universitäten (Strukturierung und Evaluation der ärztlichen und wissenschaftlichen Ausbildung. Facharztweiterbildung. Postgraduale MD/PhD-Programme. Doktoranden- und Graduiertenkollegs. Corporate Identity).

- Stärkere Internationalisierung der deutschen Forschung mit großzügigerer Einbeziehung qualifizierter ausländischer Nachwuchswissenschaftler.

- Förderung des Verständnisses der Gesellschaft für die medizinische Forschung (z.B. klinische Therapiestudien in der Onkologie. Intensivmedizin. Transplantationsmedizin und Organspende).

- Bessere fachliche Kommunikation mit den Medien.

Schlussbemerkung:

- Die Qualität von Medizin und Forschung wird nicht durch Institutionen, sondern durch die Persönlichkeiten bestimmt, die sie führen und ausfüllen.

- Zur Bildung gehört das Vorbild.

- Die Medizin ist keine reine Naturwissenschaft, sondern eine Erfahrungswissenschaft, die sich in hohem Masse naturwissenschaftlicher Methoden bedient.

Quellen:

Wissenschaftsrat : Empfehlungen zu forschungs- und lehrförderlichen Strukturen in der Universitätsmedizin - Februar 2004

Jahresversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK): Wissenschaftlicher Nachwuchs - 3./4.5.2004 Berlin

Workshop BMBF, DFG und Wissenschaftsrat : Hochschulmedizin der Zukunft: Ziele und Visionen für die klinische Spitzenforschung. 10./11.5.2004 Berlin

Rüdiger Strehl (Verband der Universitätsklinika Deutschlands):

Finanzierungsstrukturen der Klinischen Spitzenforschung in Deutschland. Workshop BMBF, DFG und WR 10./11. 5. 2004

Gesundheitsforschungsrat (AG Nachwuchsförderung des Wiss. Ausschusses):

Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses für die Hochschulmedizin. - Mai 2004

Josef M.Pfeilschifter: Juniorprofessur oder Habilitation - Adäquate Wege in der Medizin? Medizinischer Fakultätentag 2003, Lübeck