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MAINZ//2011: 56. GMDS-Jahrestagung und 6. DGEpi-Jahrestagung

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie e. V.

26. - 29.09.2011 in Mainz

Die Bedeutung der Überschuldungssituation in der Sozialepidemiologie am Beispiel des Rauchverhaltens: Ergebnisse einer Querschnitts-Untersuchung

Meeting Abstract

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  • Ulrike Zier - Univerisätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
  • Heiko Rüger - Univerisätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
  • Stephan Letzel - Univerisätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
  • Eva Münster - Univerisätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz

Mainz//2011. 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 6. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi). Mainz, 26.-29.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11gmds262

doi: 10.3205/11gmds262, urn:nbn:de:0183-11gmds2621

Veröffentlicht: 20. September 2011

© 2011 Zier et al.
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Gliederung

Text

Einleitung/Hintergrund: Der Zusammenhang zwischen niedrigem sozio-ökonomischem Status und erhöhtem gesundheitsbezogenem Risikoverhalten ist durch sozialepidemiologische Untersuchungen umfangreich dokumentiert [1], [2], [3], [4], [5]. Inwieweit die Überschuldungssituation (Zahlungsunfähigkeit) eines Menschen - bei Berücksichtigung der üblichen sozio-ökonomischen Indikatoren -einen unabhängigen Einfluss auf die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten nimmt, ist kaum bekannt. Dies, obwohl im Zuge der Wirtschaftskrise die Schuldnerquote in Deutschland auf 9,5 % der erwachsenen Bevölkerung gestiegen ist [6]. Anhand einer explorativen Analyse wird der Zusammengang zwischen Überschuldung und dem Rauchverhalten erstmalig für Deutschland untersucht.

Material und Methoden: Daten von überschuldeten Personen (n=949) einer Querschnittsstudie der Jahre 2006 und 2007 an Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern wurden mit dem Telefonischen Gesundheitssurvey 2003 des Robert Koch-Institutes (n=8318) gemeinsam ausgewertet. In der Studie an überschuldeten Personen wurde der Rauchstatus mittels der Frage „Haben Sie früher geraucht oder rauchen Sie zurzeit? (ich rauche täglich; ich rauche gelegentlich; ich habe früher geraucht; ich bin schon immer Nicht-Raucher)“ erhoben, im Telefonischen Gesundheitssurvey mit „Rauchen Sie zurzeit – wenn auch nur gelegentlich? (ja, täglich; ja, gelegentlich; nein, nicht mehr; habe noch nie geraucht)“. Personen, die angaben, täglich oder gelegentlich zu rauchen, wurden als „gegenwärtige Raucher“ zusammengefasst. Im zusammengeführten Datensatz wurden bivariate binär-logistische Regressionsanalysen für jeweils die in bisherigen Untersuchungen bereits identifizierten sozio-ökonomischen Einflussfaktoren Geschlecht, Alter, Partnerschaftsstatus, Bildung, Einkommen und Erwerbsstatuts sowie den gesundheitlichen Einflussfaktor Depression durchgeführt. In der multivariaten binär-logistischen Regression wurden diese potentiellen Einflussfaktoren hierarchisch eingefügt, um ihren kumulativen Einfluss auf die Assoziation zwischen Überschulung und Rauchverhalten zu schätzen.

Ergebnisse: In den bivariaten Analysen zeigte sich ein höheres Risiko zu Rauchen für männliche, arbeitslose und alleinstehende Personen, während Personen mit höherer Bildung, höherem Einkommen und höherem Alter ein geringeres Risiko aufwiesen. Im adjustierten Modell konnte ein unabhängiger Einfluss der Überschuldungssituation auf die Rauchprävalenz (aOR 1,65; 95%-KI 1,39-1,97) identifiziert werden.

Diskussion/Schlussfolgerungen: Überschuldung geht mit einer höheren Rauchprävalenz einher. Diese Assoziation lässt sich nicht durch die soziale Lage in ihrer üblichen Definition erklären. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit internationalen Studien, die auf einen Zusammenhang zwischen der individuellen finanziellen Situation und Tabakkonsum hindeuten [7], [8]. Chronischer Stress, verursacht durch finanzielle Belastungen, könnte unter anderem zur höheren Rauchprävalenz bei überschuldeten Menschen beitragen. Vor dem Hintergrund der Einschränkung der sozialen und wirtschaftlichen Teilhabe durch die Überschuldungssituation ist es denkbar, dass Rauchen als Coping-Strategie benutz wird. Um genauere Kenntnisse zu erlangen, sollten Schulden bzw. Überschulung in künftigen sozialepidemiologischen Untersuchungen zu Auswirkungen des sozio-ökonomischen Status auf Gesundheit und gesundheitsbezogenes Verhalten berücksichtigt werden.


Literatur

1.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Lebenslagen in Deutschland. 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Berlin: 2008.
2.
Mielck A. Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Bern: Verlag Hans Huber; 2005.
3.
Rohrmann S, Becker N, Kroke A, Boeing H. Trends in cigarette smoking in German centres of the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC): the influence of the educational level. Preventive Medicine. 2003;36:448-54.
4.
Schulze A, Lampert T. Bundes-Gesundheitssurvey: Soziale Unterschiede im Rauchverhalten und in der Passivrauchbelastung in Deutschland. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: 2006.
5.
Siahpush M, McNeill A, Borland R, Fong GT. Socioeconomic variations in nicotine dependence, self-efficacy, and intention to quit across four countries: findings from the International Tobacco Control (ITC) Four Country Survey. Tob Control. 2006;15(Suppl 3): iii71-5.
6.
Creditreform Wirtschaftsforschung. SchuldnerAtlas Deutschland Jahr 2010. Neuss: 2010.
7.
Siahpush M, Spittal M, Singh GK. Smoking cessation and financial stress. J Public Health (Oxf). 2007;29:338-42.
8.
Stead M, MacAskill S, MacKintosh A-M, Reece J, Eadie D. "It's as if you are locked in" qualitative explanations for area effects in smoking in disadventaged communities. Health and Place. 2001;7:333-43.