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53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Möglichkeiten der automatisierten Analyse und Klassifikation von Alltagsaktivitäten bei Jugendlichen – Ergebnisse der cyberMarathon-Studie

Meeting Abstract

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  • Maik Plischke - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der MHH, Braunschweig, Deutschland
  • Reinhold Haux - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der MHH, Braunschweig, Deutschland
  • Uwe Tegtbur - Institut für Sportmedizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocMI11-2

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2008/08gmds157.shtml

Veröffentlicht: 10. September 2008

© 2008 Plischke et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

In der cyberMarathon-Studie wurden Ansätze erarbeitet und Möglichkeiten untersucht, die alltägliche körperliche Aktivität von Jugendlichen mittels assistierender Gesundheitstechnologien zu erfassen und zu analysieren. Ziel war dabei die Untersuchung, inwiefern durch den Einsatz neuester Informations- und Kommunikationstechnologien die Alltagsaktivität transparenter gestaltet und durch Rückkopplung der analysierten Daten das Selbstmanagement zur Steigerung der Alltagsaktivität und Adipositasprävention von Jugendlichen verbessert werden kann [1]. Neben eines Architektur- sowie ein Präventionskonzeptes [2] gegen Übergewicht und Adipositas, welches in naher Zukunft als Baustein eines Präventions- und Interventionsprogrammes eingesetzt wird, galt es folgende Fragestellungen zu beantworten:

Kann mit Hilfe von Datenanalysealgorithmen Erkenntnisse bezüglich der Möglichkeiten einer automatisierten Analyse und Klassifikation von Alltagsaktivitäten geschaffen werden?

Material und Methoden

Als Basis der Untersuchungen und Analysen dienten die während der Studie (Oktober 2006 – Juli 2007) erfassten Sensordaten. Als Sensor wurden Multisensorarmbänder der Firma Bodymedia vom Typ SenseWear Pro2 eingesetzt. Folgenden Parameter wurden mit einer Standard-Speicherrate von einer Messung pro Minute erfasst: Beschleunigung, Leitfähigkeit der Haut (GSR), Haut- und körpernahe Temperatur sowie die Wärmedissipation. Die gemessenen Werte ermöglichen die Berechnung des Energieumsatzes, metabolischer Einheiten (MET), Dauer der körperlichen Aktivität, Liege-, Schlaf- und Tragedauer sowie die Anzahl der Schritte. Die Probanden der Hauptstudie (#22) haben die Multisensorarmbänder über die gesamten Messzeiträume getragen (insgesamt 8 Wochen; Tragezeit pro Woche: 167 Stunden). Ein Abnehmen des Sensorarmbandes sollte nur in Ausnahmefällen wie beim Baden, Duschen und Schwimmen erfolgen, um den Kontakt zwischen Gerät und Wasser zu vermeiden. Die Probanden haben alle Tätigkeiten zusätzlich in einem handschriftlichen Aktitvitätenprotokoll protokolliert, um eine Annotation der Daten zu ermöglichen. Zusätzlich dokumentieren die Probanden über eine TimeStamp-Funktion des Sensors den Beginn einer Aktivität. Die Analyse der Daten erfolgte mittels des Tools WEKA [3]. Die annotierten Daten wurden als interpersonelle Daten in einem Datensatz zusammengefasst. Als Klassifikationsmethode wurde der C4.5 Entscheidungsbaum-Algorithmus, der sich auch bei den Daten der Vorstudie bewährt hat, gewählt. Des Weiteren ist als Testmethode die in der Literatur empfohlene Kreuzvalidierung gewählt worden, die es ermöglicht, einen Entscheidungsbaum mit Trainingsdaten aufzubauen und mit einem Testdatensatz die Klassifikationsgüte zu bestimmen (vgl. [4]). Die Kreuzvalidierung wurde mit zehn Faltungen durchgeführt, d.h. der Datensatz wurde randomisiert in zehn gleich große Anteile aufgeteilt. Jeweils randomisierte neun Anteile des Datensatzes dienen als Trainingsdatensatz und die restlichen Daten als Testdatensatz. Der Entscheidungsbaum-Algorithmus wird zusätzlich zehn Mal wiederholt.

Ergebnisse

Insgesamt wurden über die gesamte Studie 470.011 Minuten mit dem Multisensorarmband aufgezeichnet. Davon wurden 94.243 Minuten annotiert und mit WEKA analysiert. Nach Zusammenfassung einzelner Tätigkeiten wie Frühstücken, Mittagessen und Abendessen zur Tätigkeit „Essen“ und einer Zusammenfassung der Schulstunden sowie der sportlichen Aktivität konnte zunächst eine Klassifikationsgüte von nur 67,92% erreicht werden. Diese Klassifikationsgüte konnte durch Zusammenfassung weiterer einzelner Tätigkeiten zu einer Kategorie „sitzende Tätigkeit“ auf 81% verbessert werden.

Um Aussagen treffen zu können, welche Daten erfasst werden müssen, um eine Tätigkeit zu erkennen, sollten im Folgenden unterschiedliche Konstellationen der gewählten Attribute analysiert werden. Anhand der Kreuzvalidierung mit sechs Beschleunigungsparametern (Transversale und logitudinale Beschleunigung-Peaks, Mittel und des Median absolute deviation (MAD)) ergibt sich eine Klassifikationsgüte von 71,67%. Eine isolierte Betrachtung der Temperaturparameter und den daraus abgeleiteten Größen (Wärmefluss-Mittel, Hauttemperatur-Mittel, Körpernahe Temperatur-Mittel, GSR-Mittel, Energieumsatz und METs) ergibt hingegen eine Klassifikationsgüte von 81%. Die Erfassung des Hautwiderstandes benötigt einen Sensor, der Dauerhaft mit der Haut in Kontakt ist. Zusätzlich hatte der fließende Strom zwischen den Kontakten bei einigen Kindern Hautirritationen hervorgerufen. Entsprechend und um die Möglichkeiten der Erweiterung des cyberMarathon-Konzeptes auf die Allgemeinheit zu überprüfen, wurde eine weitere Analyse ohne den Parameter GSR vorgenommen. Die Klassifikationsgüte liegt in dieser Konstellation bei 76,79%.

Diskussion

Neben den Beschleunigungsdaten sind für die Aktivitätsklassifikation der Wärmefluss (und damit die Körpertemperatur und hautnahe Temperatur) sowie die Berechnung des Energieumsatzes und der METs ein wesentlicher Faktor. In dieser Konstellation kann auf die Hautleitfähigkeit verzichtet werden. Eine andere Konstellation wäre die Integration der Hautleitfähigkeit und die Vernachlässigung des Energieumsatzes und der METs, welche als berechnete Parameter sowieso nur eine bedingte Aussagekraft haben. Eine Beschränkung rein auf die Beschleunigungsdaten liefert eindeutig schlechtere Klassifikationsgüten. Ein Nachteil, der sich durch den Einsatz des Multisensorarmbands ergeben hat, ist die fehlende Offenlegung der Algorithmen seitens Bodymedia, die zur Berechnung der einzelnen Parameter eingesetzt und nach denen klassifiziert wurden. Ebenfalls war es nicht möglich an die original gemessenen Werte heranzukommen. Entsprechend war die Datenanalyse nur auf berechneten Daten möglich, was wiederum zu Fehlern in der Datenauswertung führen kann. Dennoch gibt es Daten die sich eher an den originalen Messwerten orientieren (z.B. Mittel der longitudinalen Beschleunigung), aber auch rein berechnete Parameter wie METs oder der Energieumsatz. Ein weiterer Nachteil ergibt sich durch die eingeschränkte Möglichkeit, den Sensor an anderen Körperstellen als am Oberarm zu tragen. Selbst der Hersteller aber auch internationale Forschergruppen empfehlen für die Anbringung eines Beschleunigungssensors am ehesten den Rumpf bzw. die Hüfte [5], [6]. Im internationalen Vergleich werden weiterhin außer Aktivitätsmonitoren auch triaxiale Beschleunigungssensoren oder Schrittzähler zur Erfassung alltäglicher Bewegung eingesetzt (vgl. [7], [5], [6]), wobei hier nicht der Energieumsatz betrachtet wird.

Zur Erfassung, Analyse und Klassifikation von Alltagsaktivitäten können damit unabhängig von einem Multisensor oder auch Aktivitätsmonitors einzelne Sensoren eingesetzt werden, wobei darauf zu achten ist, dass die Beschleunigung als Hauptkomponente integriert wird. Um Aussagen über Aktivitätslevel oder Energieumsatzraten treffen zu können, ist die Verwendung von Wärmeflusssensoren oder Sensoren zur Bestimmung der Hautleitfähigkeit unabdingbar. Die automatisierte Analyse von Alltagsaktivität ist zurzeit nur sehr grobgranular möglich, kann aber ausreichende Informationen über den Alltag und Aktivitätslevel von Jugendlichen liefern.

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um Auszüge aus der Dissertation des Erstautors.


Literatur

1.
Plischke M. Zur Analyse alltäglicher körperlicher Aktivität von Jugendlichen mittels Assistierender Gesundheitstechnologien. Norderstedt: Books on Demand GmbH, 2008.
2.
Plischke M, Marschollek M, Wolf KH, Haux R, Tegtbur U. cyberMarathon – increasing physical activity using health-enabling technologies. To appear in: eHealth beyond the horizon - get IT there - Proceedings of MIE2008 (Göteborg; Sweden), IOS Press.
3.
http://www.cs.waikato.ac.nz/~ml/index.html. Zuletzt zugegriffen am: 25. März 2008 Externer Link
4.
Marschollek M, Wolf KH, Plischke M, Haux R. Classification of activities of daily life from long-term realistic multi-sensor data. Proceedings of IEEE Health Pervasive Systems HPS06, 30-34
5.
Karantonis DM, Narayanan MR. Implementation of a Real-Time Human Movement Classifier Using a Triaxial Accelerometer for Ambulatory Monitoring. IEEE transactions on information technology in biomedicine. 2006;10(1):156-67.
6.
Mathie M, Coster A, Lovell N, Celler B, Lord S, Tiedemann A. A pilot study of long-term monitoring of human movements in the home using accelerometry. J Telemed Telecare. 2004;10:144-51.
7.
Aminian K, Robert P, et al. Physical activity monitoring based on accelerometry: Validation and comparison with video observation. Med Biol Eng Comput. 1999;37:304–8.