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53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Unterstützung der Patientenrekrutierung für klinische Studien durch Krankenhausinformationssysteme

Meeting Abstract

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  • Martin Dugas - Universität Münster, Münster, Deutschland
  • Matthias Lange - Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • Jürgen Grebe - Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocMI5-1

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2008/08gmds122.shtml

Veröffentlicht: 10. September 2008

© 2008 Dugas et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Die Rekrutierung von geeigneten Patienten ist eine wichtige Aufgabe im Rahmen klinischer Studien. Eine Analyse von über 100 klinischen Studien [1] hat ergeben, dass etwa die Hälfte der Studien wegen Problemen mit der Patientenrekrutierung länger als geplant dauern. Zu den Ursachen gehören die hohe Belastung der Ärzte im Rahmen der Patientenversorgung sowie eine große Anzahl von klinischen Studien mit teilweise komplizierten Ein- und Ausschlusskriterien. Im Krankenhausinformationssystem (KIS) werden im Rahmen der Routineversorgung eine Reihe von Merkmalen erfasst, die bei vielen Studien für Ein- bzw. Ausschluss von Patienten relevant sind, beispielsweise Diagnose, Alter, Geschlecht oder Laborwerte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wie KIS-Daten für die Patientenrekrutierung genutzt werden können und somit diese Systematisierung die klinische Forschung unterstützen kann.

Material und Methoden

Mit dem Reportgenerator des am Universitätsklinikum Münster eingesetzten KIS (ORBIS®, Agfa Healthcare) wurde eine individuelle Datenbankabfrage für jede einbezogene Studie erzeugt, um die für die Patientenrekrutierung jeweils relevanten Daten zu extrahieren. Beim Design der Abfrage wurde eine Optimierung von Recall und Präzision angestrebt.

Typische abgefragte Merkmale waren: Aufnahmediagnose, Zusatzdiagnosen (jeweils ICD-Kode), Alter des Patienten, Geschlecht sowie Standard-Laborwerte. Diese Datenbankabfragen werden automatisch einmal täglich ausgeführt und das Ergebnis der Abfrage wird mit dem Vortrag verglichen. Wenn für eine Studie neue Patienten gefunden wurden, die Einschlusskriterien erfüllen, wird automatisch eine E-Mail an den zuständigen Studienarzt erzeugt. Aus Datenschutzgründen enthält diese E-Mail keine personenbezogenen Angaben, sondern lediglich den Hinweis "Für Studie xyz sind neue Patienten vorhanden".

Der Studienarzt meldet sich dann beim KIS an und kann dort einen Report mit personenbezogenen Daten abrufen, wobei er nur im Rahmen seiner vordefinierten Rechte (Behandlungszusammenhang) Zugriff auf Patientenakten erhält. Der Zugriff auf die jeweilige Patientenakte ermöglicht eine genauere Prüfung, ob der Patient tatsächlich für die Studie infrage kommt, und wird nach den allgemeinen Verfahren des KIS protokolliert. Wenn der Patient geeignet erscheint, kontaktiert der Studienarzt den Patienten und bespricht eine mögliche Teilnahme an der Studie (informed consent). Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt einen Überblick des Verfahrens.

Zur technischen Verwaltung des Studienmoduls werden für jede Studie ein Ansprechpartner mit E-Mail-Adresse, die SQL-Befehle zur Datenbankabfrage sowie die Studienbezeichnung hinterlegt.

Ergebnisse

Dieser KIS-basierte Workflow zur Patientenrekrutierung wurde initial für die Studie zur akuten myeloischen Leukämie in Münster implementiert und ausgewertet [2]. Während einer Testphase von 50 Tagen wurden 41 Patienten durch das KIS-Verfahren identifiziert, davon konnten 13 als neue Patienten in die Studie aufgenommen werden, 7 weitere Patienten waren bereits Studienpatienten.

In der Zwischenzeit wurde das Verfahren deutlich ausgeweitet und ist momentan für 15 Studien am Universitätsklinikum Münster aktiv. Nach einer Laufzeit von insgesamt 10 Monaten wurden insgesamt 744 gemeldete Patienten in die jeweiligen Studien neu aufgenommen. Derzeit wird eine Umfrage bei den Anwendern zum Nutzen des Systems und zu möglichen Verbesserungen durchgeführt.

Von technischer Seite traten im Hinblick auf Performance und Zuverlässigkeit bisher keine Probleme auf.

Diskussion

Klinische Studien sind durch besonders hohe Anforderungen an die Dokumentationsqualität gekennzeichnet (GCP, [3]). KIS erfüllen derzeit in aller Regel nicht die Anforderungen an elektronische Studiendokumentationssysteme. Die Ausweitung der KIS-Nutzung führt dazu, dass Patientendaten mehr und mehr primär elektronisch verarbeitet werden. Unser Ansatz strebt an, diese KIS-Daten für die klinische Forschung nutzbar zu machen, im ersten Schritt zur Unterstützung der Patientenrekrutierung. Auch wenn noch nicht alle Informationen für Ein- und Ausschlusskriterien im KIS zur Verfügung stehen, kann man nach unseren Erfahrungen durch Standardmerkmale wie Diagnosen, Alter, Geschlecht und Laborwerte für viele Studien einen Workflow zur Benachrichtigung der Studienärzte implementieren. In der Literatur gibt es einige Berichte zu ähnlichen Ansätzen, die jedoch auf Einzelstudien ausgerichtet sind: Embi [4] beschreibt ein System für eine Diabetes-Studie mit ambulanten Patienten. Weiner [5] berichtet über ein Echtzeit-Benachrichtigungssystem in der Notfallmedizin. Afrin [6] analysiert Labordaten für eine Studie zur Lupus-Nephritis, bei dem das Problem der Präzision von Benachrichtigungen deutlich wird: Das Screening von 7 Mio. Laborwerten führte zur Identifikation von 70 möglichen Patienten, von denen letztlich nur drei in die Studie eingeschlossen werden konnten.

Falsch positive Nachrichten müssen vermieden werden, um Akzeptanz bei den Studienärzten zu erreichen. Bei der Münsteraner AML-Studie waren in der Pilotphase 20 von 41 Benachrichtigungen korrekt. Nach unseren Erfahrungen ist eine kodierte Diagnose wesentlich für eine präzise automatisierte Benachrichtigung. Da die elektronische Patientendokumentation häufig zeitlich verzögert erfolgt und nur für stationäre Patienten eine Dokumentationspflicht für ICD-Kodes besteht, ist das Verfahren besser für stationäre als für ambulante Patienten geeignet.

Der Direktzugriff auf KIS-Daten unterstützt den Studienarzt bei der Prüfung der Ein-/Ausschlusskriterien. Der Vorteil der Integration in das KIS besteht darin, dass dort bereits Berechtigungs- und Protokollierungsverfahren implementiert sind, die einen datenschutzgerechten Zugriff auf die Patientendaten ermöglichen; zudem wird ein technischer Mehraufwand für zusätzliche externe Systeme vermieden.

KIS-Daten können genutzt werden, um die Patientenrekrutierung für Studien gegebenenfalls zu beschleunigen und zu unterstützen. Durch Validierung von KIS und Steigerung der Datenqualität ergeben sich Perspektiven, künftig Routinedaten verstärkt für die klinische Forschung zu nutzen.


Literatur

1.
McDonald AM, et al. What influences recruitment to randomised controlled trials? A review of trials funded by two UK funding agencies. Trials 2006; 7:9.
2.
Dugas M, et al. Workflow to improve patient recruitment for clinical trials within hospital information systems – a case-study. Trials 2008; 9:2
3.
Guideline for Good Clinical Practice, ICH Topic E6 [http://www.emea.eu/] Externer Link
4.
Embi PJ, Jain A, Clark J, Bizjack S, Hornung R, Harris MC. Effect of a Clinical Trial Alert System on Physician Participation in Trial Recruitment. Arch Intern Med 2005; 165:2272-0
5.
Weiner DL, Butte AJ, Hibberd PL, Fleisher GR. Computerized recruiting for clinical trials in real time. Ann Emerg Med 2003; 41(2):242-6
6.
Afrin LB, Oates JC, Boyd CK, Daniels MS. Leveraging of Open EMR Architecture for Clinical Trial Accrual. AMIA Proceedings 2003:16-20