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53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Zulassung und Nutzenbewertung von Arzneimitteln: Sind beide Fragen mit denselben Studien und Auswertungsmethoden zu beantworten?

Meeting Abstract

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  • Julia Schiffner-Rohe - Verband Forschender Arzenimittelhersteller e.V., Berlin, Deutschland
  • Hans-Juergen Lomp - Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co KG, Ingelheim, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocMBIO1-4

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2008/08gmds051.shtml

Veröffentlicht: 10. September 2008

© 2008 Schiffner-Rohe et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Jedes neu entwickelte Arzneimittel muss, bevor es auf dem Markt verfügbar ist, einen langwierigen Prozess von der klinischen Prüfung bis zur Zulassung durchlaufen. In diesem Prozess werden Qualität (quality), Sicherheit (safety) und Wirksamkeit (efficacy) durch die zuständigen Zulassungsbehörden (z.B. EMEA, FDA, BfArM) überprüft. Die „Spielregeln“, nach denen dieser Bewertungsprozess abläuft, sind dabei klar definiert und international einheitlich. So gibt es für Europa, USA und Japan verbindliche Richtlinien, die gemeinsam von Behörden, Industrie und akademischen Experten entwickelt wurden (ICH; international conference on harmonization). Diese legen die Anforderungen für Zulassungsstudien bezüglich Qualität, Sicherheit und den konfirmatorischen Wirksamkeitsnachweis fest. Die Ergebnisse dieser Studien dienen den Behörden zur Beurteilung, ob für das Arzneimittel ein akzeptables Nutzen/Schaden Verhältnis („acceptable benefit-risk relationship") vorliegt oder nicht. Ist dem der Fall, so wird die Zulassung erteilt.

Eine von der Zulassung unabhängige Frage ist die Bewertung des Zusatznutzens („additional benefit“) im Vergleich zu bestehenden Therapien. Diese Frage wird aufgrund der zunehmenden Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen in immer mehr Ländern gestellt, um den Ressourceneinsatz explizit und transparent zu rationalisieren. In der Konsequenz wird bewertet, in welchen Rahmen und für welche der zugelassenen Indikationen eine Kostenübernahme / Preiserstattung durch das nationalen Gesundheitsbudget erfolgt („reimbursement"). Zur Beantwortung dieser Frage gibt es in den verschieden Ländern sehr unterschiedliche Anforderungen.

Im Rahmen des Vortrags sollen folgende Fragen diskutiert werden: Können an Nutzen-Bewertungen dieselben Maßstäbe hinsichtlich Evidenzstandards angelegt werden wie an die Zulassungsfrage? Sind die bekannten statistischen Methoden des konfirmatorischen Wirksamkeitsnachweises auch 1:1 als Methoden für die Nutzen-Bewertung geeignet? Kann man bei der Nutzenbewertung aufgrund derselben Kriterien wie in der Zulassungsfrage zu einer dichotomen Entscheidung hinsichtlich eines Zusatznutzens kommen?

Material und Methoden

Für die Zulassung und die Nutzenbewertung wird zu Beginn die zugrunde liegende Fragestellung gegenübergestellt. Anforderungen und prozessuale Voraussetzungen werden anhand der internationalen Richtlinien für Zulassungen (ICH Richtlinien [1], [2]) und der geltenden und gängigen Methodenpapiere für die Nutzen-Bewertung am Beispiel des NICE http://www.nice.org.uk und IQWiG [3] gegenüber gestellt. An einzelnen Beispielen wird die Praxis der Nutzen-Bewertung mit der Theorie verglichen und es werden die unterschiedlichen Perspektiven der Bewertung aufgezeigt. Hieraus wird speziell versucht, abzuleiten, ob und inwiefern Konzepte der konfirmatorischen Statistik auch in der Nutzenbewertung Anwendung finden können.

Ergebnisse

Zulassung und Nutzen-Bewertung unterscheiden sich bereits in der Fragestellung. Dies hat Konsequenzen bereits auf die Studienplanung, z.B. hinsichtlich Komparatoren (Placebo versus aktive Substanzen), Studiendesign bei aktiven Vergleichsstudien (Äquivalenz/Nicht-Unterlegenheit versus Überlegenheit), oder auch der Wahl von Studienendpunkten (primärer Endpunkt versus mehrere gleichwertige Endpunkte). Diese Unterschiede kommen insbesondere dadurch zum Tragen, dass Zulassungsstudien explizit auf die entsprechende Fragestellung hin geplant werden, während Nutzen-Bewertungen auf existierendes Studienmaterial zurückgreifen (systematic review).

Neben der Fragestellung unterscheiden sich beide Konzepte auch in Auswertung und Interpretation. Dies betrifft insbesondere die Betrachtung von Subgruppen, die Bewertung von Klasseneffekten, Fragen der Validität (interne vs. externe Validität), oder "fairness of design“. Auch existieren Unterschiede hinsichtlich der Rolle von deskriptiver bewertender Statistik und Inferenzstatistik, die letztendlich im Falle des Zulassungsprozesses zur Reduktion auf dichotome Entscheidungen führt.

Nicht zuletzt aber werden die deutlichsten Unterschiede manifest aufgrund der Voraussetzungen des gesamten Prozesses: für die Zulassung werden die gesamten konfirmatorischen Studien nur nach detaillierter vorhergehender Konsultation mit den Behörden durchgeführt, während diese Vorabsprache bei der Nutzenbewertung bisher fehlt und damit keine Planungssicherheit vorhanden ist. Zudem ist zu beachten, dass dem möglichst objektiven Zulassungsprozess ein von Werturteilen geprägter Prozess der Nutzen-Bewertung gegenüber steht [4].

Diskussion

Die Frage der Zulassung eines neuen Arzneimittels verlangt letztlich eine dichotome Entscheidung. Hierzu haben sich in einem langen Prozess internationale Richtlinien und eine statistische Methodik entwickelt, die zusammen mit einem intensiven Konsultationsprozess die Entscheidungskriterien langfristig planbar und sehr transparent machen. Bei dieser Entscheidung scheinen Werturteile und die gesellschaftliche Organisation des Gesundheitswesens eine geringe Rolle zu spielen.

Demgegenüber ergeben sich bei der Nutzenbewertung erhebliche Unterschiede in Evaluationsperspektive, statistischer Methodologie, Transparenz und Planbarkeit. Da es hier darum geht, ob und wie dagegen ein neu zugelassenes Arzneimittel in den gesellschaftlich finanzierten Versorgungskontext gebracht wird, muss dies letztendlich eine gesellschaftliche Entscheidung bleiben. Neben Fragen des Nutzens und der Kosten spielen hier auch ethische, sozialrechtliche und politische Fragen eine Rolle. Insofern ist es nicht nur aus methodischen Gesichtspunkten, sondern auch aus Sicht des Entscheidungsträgers erforderlich, anstelle einer dichotomen Entscheidung (Zusatznutzen ja/nein) das Gesamtbild darzustellen.


Literatur

1.
ICH E9; March 1998, issued as CPMP/ICH/363/96
2.
ICH E10; July 2000, issued as CPMP/ICH/364/96
3.
IQWiG Methodenpapier Version 2.0; Stand 18.12.2008
4.
Strech D, Tilburt J. (2008). Value judgements in the analysis and synthesis of evidence, Journal of Clinical Epidemiology [in press]
5.
FDA & EMEA Verschiedene Zulassungsdossiers
6.
IQWiG verschiedene Nutzenwertungen
7.
NICE verschiedene Guidelines bzw. Health Technology Assessments