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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Erkennung und Quantifizierung schlafbezogener Atmungsstörungen aus dem Elektrokardiogramm

Meeting Abstract

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  • Christoph Maier - Hochschule Heilbronn, Heilbronn
  • H. Wenz - Schlaflabor der Thoraxklinik Heidelberg, Heidelberg
  • J. Meyer - Abteilung Innere Medizin III, Universiätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
  • H. Dickhaus - Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Abteilung Medizinische Informatik, Universität Heidelberg, Heidelberg

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds426

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2006/06gmds366.shtml

Veröffentlicht: 1. September 2006

© 2006 Maier et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Schlafapnoe ist eine in der Allgemeinbevölkerung weit verbreitete Atmungsstörung mit häufigen Unterbrechungen des Atemflusses während des Schlafes, die aufgrund ihrer negativen kardiovaskulären Seiteneffekte und der verminderten Leistungsfähigkeit während des Tages dringend ärztlicher Behandlung bedarf. Diagnostischer Standard ist die so genannte Polysomnografie (PSG), eine teuere und für den Patienten unangenehme Registrierung zahlreicher physiologischer Parameter wie Atemfluss und -bewegung, Blutsauerstoffsättigung, EKG, EEG, EMG, EOG, die in speziell ausgerüsteten Schlaflabors durchgeführt werden muss. Einfacher handhabbare und weniger aufwändige diagnostische Verfahren sind daher von großem klinischem Interesse [1], [2].

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Detektion von Schlafapnoe unter ausschließlicher Verwendung von Information aus dem während des Schlafes registrierten Elektrokardiogramm. In Epochen von jeweils einer Minute Dauer wird anhand der Bewertung charakteristischer Modulationen von Herzfrequenz und QRS-Amplitude eine Aussage über das Vorliegen von Apnoe-Ereignissen innerhalb dieser Minute getroffen. Die Bewertung der diagnostischen Genauigkeit erfolgt durch Vergleich gegen den Befund einer von einem Experten annotierten, zeitgleich registrierten PSG.

Material und Methoden

Bei 38 Patienten, die zur Schlafapnoe-Diagnostik ins Schlaflabor eingewiesen wurden, wurde parallel zur PSG ein digitales Langzeit-EKG mit 8 Kanälen (I, II, V1…V6) und 1000 Hz Abtastrate registriert. Die Gesamtdauer aller Messungen betrug 18504 Minuten, von welchen 5661 Minuten (31,8%) Apnoe-Ereignisse enthielten. Nach Filterung zur Unterdrückung von Grundlinien-Schwankungen und 50Hz-Einstreuungen erfolgte die Detektion und Klassifikation der QRS-Komplexe mittels selbst entwickelter Software. Schlagklassen wurden manuell nach visueller Kontrolle und ggf. manueller Korrektur der Klassenzusammensetzung vergeben. Zur Untersuchung der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse schlossen wir einen weiteren Datensatz (35 Messungen) ein, der als „Physionet Apnea ECG Data Base“ (PAEDB) frei im Internet verfügbar ist [3].

Basis der Herzfrequenzanalyse war die Zeitreihe konsekutiver RR-Intervalle. An ektopische Schläge oder Signalartefakte angrenzende Intervalle wurden mittels eines im Phasenraum arbeitenden Prädiktionsverfahrens interpoliert. Zur robusten Beschreibung der QRS-Amplitude in jeder der acht Ableitungen diente der mittlere Betrag (MB) des grundlinienbereinigten EKGs in einem um die R-Zacke zentrierten Fenster von 120ms Dauer. Auch hier wurden Artefakte und Ektopen von der Berechnung ausgeschlossen und entsprechende Werte interpoliert.

Repetitive Apnoe-Episoden bewirken eine vergleichsweise regelmäßige, niederfrequente (ca. 0.5-1 min-1) Oszillation im Zeitgang der RR-Intervalle (Abbildung 1 [Abb. 1] oben), die über das autonome Nervensystem (ANS) vermittelt wird und in der Literatur als „cyclic variation of heart rate“ (CVHR) beschrieben ist [4]. Eine Schwingung mit ähnlichem Charakter lässt sich aufgrund der Modulation der Thoraximpedanz durch die Atemanstrengungen in den Amplituden des QRS-Komplexes beobachten [2] (Abbildung 1 [Abb. 1]). Um die Information aus allen acht Ableitungen auszunutzen, berechneten wir mittels eines adaptiven Verfahrens eine Hauptkomponentenanalyse (aPCA) über die achtdimensionalen Vektoren der QRS-Amplituden aller Kanäle. Ferner versuchten wir, durch Demodulation der QRS-Amplituden eine Größe abzuleiten, die das Ausmaß der Atembewegungen widerspiegelt (Abbildung 1 [Abb. 1] unten). Als Merkmal zur Apnoeerkennung diente ein von unserer Gruppe entwickeltes [5], auf der Kreuzkorrelation einminütiger Epochen mit einer 5-minütigen Umgebung basierendes Ähnlichkeitsmaß (lSimil), welches die lokale Regelmäßigkeit der Zeitreihe quantifiziert. Zur vergleichenden Bewertung wurde eine Receiver Operating Characteristics (ROC) Analyse über alle Minutenwerte gegen die Befunde aus der PSG durchgeführt. Die Fläche unter der ROC-Kurve sowie Sensitivität und Spezifität des geometrisch dem Punkt (0/1) nächstliegenden Punkts auf der ROC-Kurve dienten als Vergleichskriterien.

Ergebnisse

Tabelle 1 [Tab. 1] dokumentiert die Ergebnisse der ROC-Analyse, im oberen Teil für den klinischen Datensatz, die letzten zwei Zeilen für die nur einen EKG-Kanal enthaltende PAEDB. Für die klinischen Daten sind Werte von lSimil auf den QRS-Amplituden (MB) sowohl der individuellen Ableitungen als auch über alle Ableitungen gemittelt gelistet, letzteres auch für die demodulierten QRS-Amplituden (demod(MB)). Offensichtlich bleibt das Ergebnis für die Herzfrequenz im klinischen Datensatz (RR, AUC 77.9) deutlich hinter dem der QRS-Amplituden zurück. Ferner sind mit einer AUC zwischen 77,9 (V1) und 89,0 (I) beträchtliche Unterschiede über die verschiedenen Ableitungen zu beobachten. Die Mittelung der lSimil-Werte über alle Kanäle bringt eine minimale Verbesserung (AUC 89,3), die den Aufwand für die adaptive Hauptkomponentenanalyse (aPCA, AUC 87,6) ungerechtfertigt erscheinen lässt. Auch bei den demodulierten QRS-Amplituden erzielt die Mittelung über alle Kanäle das bessere Ergebnis (AUC 84,5) gegenüber den Einzelkanälen (nicht in Tabelle 1 enthalten), welches allerdings deutlich hinter den unbearbeiteten Amplituden zurückbleibt.

Im Hinblick auf die QRS-Amplituden zeigt der PAEDB-Datensatz mit AUC 88,3 ein erstaunlich konsistentes Resultat. Bemerkenswert ist allerdings die gegenüber dem klinischen Datensatz um nahezu 12% bessere Leistung der RR-Intervalle (AUC 89,8). Um Gründe für diese Diskrepanz zu finden teilten wir den klinischen Datensatz nach Ausschluss aller Patienten mit Beta-Blocker Medikation (n=10) in zwei Subgruppen - mit (Dia+, n=24) und ohne (Dia-, n=4) Diabetes - ein. In beiden Gruppen war die Prävalenz von Apnoe-Ereignissen vergleichbar (26,7% vs. 28,7%). Die RR-Zeitreihe für Dia- erzielte nun einen AUC von 84,0 gegenüber 69,3 für die Subgruppe Dia-. Für die QRS-Amplituden waren die Ergebnisse mit 91.0 (Dia-) vs. 89.3 (Dia+) vergleichbar.

Diskussion

Obgleich der auf die PAEDB beschränkte Blick in Tabelle 1 [Tab. 1] eine Gleichwertigkeit der Modulationen von Herzfrequenz und QRS-Amplitude als Informationsquelle zur Apnoe-Detektion aus dem EKG nahe legt, und die Ergebnisse für die QRS-Amplituden für beide – sehr verschiedenen – Datensätze mit AUC 88,3 und 89,3 erstaunlich konsistent sind, spricht der deutliche Einbruch von nahezu 12% für die RR-Intervalle auf den klinischen Daten klar gegen diese Annahme. Vielmehr legt dieses Ergebnis die Existenz von nicht apnoebedingten Einflussfaktoren nahe, die sich auf die Modulation des Herzrhythmus, nicht aber auf die QRS-Amplituden auswirken und in beiden Datensätzen mit unterschiedlicher Prävalenz auftreten. In Frage kommen hier z. B. Medikamente wie Beta-Blocker oder Erkrankungen wie Diabetes, die aufgrund ihrer Auswirkungen auf das ANS vorwiegend die Herzfrequenzvariabilität beeinflussen. Die Subgruppenanalyse scheint dies trotz der kleinen Stichprobengröße zu bestätigen, da in der Dia+-Gruppe eine wesentlich schlechtere Erkennungsrate auf den RR-Intervallen erzielt wird während die QRS-Amplituden bei beiden Gruppen vergleichbare Resultate – auch zur PAEDB – aufweisen. Neben diesem Ergebnis spricht auch die geringere Abhängigkeit von Schlafstadien oder weiteren Einflüssen wie periodischen Beinbewegungen für robustere Eigenschaften der Amplitudenmodulationen des EKGs im Hinblick auf die Erkennung von Schlafapnoe. Hierbei führt die Idee der Quantifizierung des Ausmaßes der Atembewegungen mit Hilfe der Demodulation als Vorverarbeitungsschritt zu keiner Verbesserung der Ergebnisse. Ebenso besitzt die aufwändigere Hauptkomponentenanalyse gegenüber der einfachen Mittelung über alle Kanäle offensichtlich keinen Vorteil.


Literatur

1.
Penzel T, McNames J, de Chazal P, Raymond B, Murray A, Moody G. Systematic comparison of different algorithms for apnoe detection based on electrocardiogram recordings. Med Biol Eng Comput. 2002;40:402-7.
2.
Moody GB, Mark RG, Zoccola A, Mantero S. Derivation of respiratory signals from multi-lead ECGs. In Proc. Computers in Cardiology 1985. Washington DC: IEEE Computer Society Press; 1985. p. 113-6.
3.
http://www.physionet.org/physiobank/database/apnea-ecg/
4.
Guilleminault C, Tilkian A, Dement WC. Cyclical variation of the heart rate in sleep apnoea syndrome. Mechanisms and usefulness of 24hr electrocardiography as a screening technique. Lancet. 1984:126-31.
5.
Maier C, Dickhaus H, Bauch M, Penzel T. Comparison of heart rhythm and morphological ECG features in recognition of sleep apnea from the ECG. In: Proc, Computers in Cardiology. 2003. Piscataway: IEEE Press; 2003. p. 311-4.