gms | German Medical Science

51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Vergleich komplexer und einfacher Trainingsfälle in der Kardiologie

Meeting Abstract

  • Alexander Hörnlein - Universität Würzburg, Würzburg
  • Frank Puppe - Universität Würzburg, Würzburg
  • Christina Schnabel - Universitätsklinikum Würzburg
  • Wolfram Völker - Universitätsklinikum Würzburg

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds259

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2006/06gmds282.shtml

Veröffentlicht: 1. September 2006

© 2006 Hörnlein et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Fallbasierte Trainingssysteme sind in der Medizin inzwischen gut akzeptiert [1]. Allerdings reicht das Spektrum von sehr einfachen Fällen, bei denen alle Symptome und Befunde des Patienten auf einmal präsentiert werden und dazu Aufgaben zur Diagnose und/oder Therapie gestellt werden, zu sehr komplexen Fällen, die abschnittweise präsentiert werden und auch Aufgaben zu Zwischendiagnosen, zur Befundung bildhafter und multimedialer Daten, zur Auswahl und Anforderung von Untersuchungen, zur Therapiefortsetzung in Folgesitzungen, zu fallübergreifendem Hintergrundwissen und zu Begründungen aller Entscheidungen umfassen. Komplexe Fälle sind realistischer, aber ihre Bedienkomplexität und die Bearbeitungsdauer durch den Benutzer sind höher, und sie sind auch aufwändiger zu erstellen. Das Ziel dieser Studie ist, die Akzeptanz verschieden komplexer Fälle im Kontext eines Blended Learning Konzepts in der Kardiologie als Teil der Pflichtvorlesung Inneren Medizin im Studiengang Humanmedizin zu untersuchen.

Material und Methoden

Das Autoren- und Ablaufsystem d3web.Train [2], [3] wurde benutzt, um 18 kardiologische Trainingsfälle zu erstellen, die das Spektrum der wichtigsten kardiologischen Diagnosen im Rahmen der Pflichtvorlesung „Innere Medizin“ im 2. bzw.3 klinischen Semester der Humanmedizin abdecken. Die Fälle wurden nach der Vorlesung zur Klausurvorbereitung bereitgestellt, das Bearbeiten der Fälle war für die Medizinstudenten freiwillig. Die Fälle unterschieden sich in der Komplexität und Art der Aufgaben. Neben Multiple-Choice-Fragen (MC) gab es auch hierarchische Long-Menu-Fragen (LM), bei denen die Diagnose, Therapie bzw. Untersuchung aus einer Vielzahl von möglichen Alternativen ausgewählt werden musste. Die Aufgabenarten umfassten Fragen nach der Enddiagnose (alle Fälle; LM), nach Zwischendiagnosen (12 Fälle; LM), nach Untersuchungen (14 Fälle, davon 6 MC und 8 LM), nach Befundung von Bildern bzw. Videos (15 Fälle; MC), nach Therapien (15 Fälle, davon 7 MC und 8 LM), nach Diagnosen bzw. Therapieänderungen in Folgesitzungen (4 Fälle; MC); und Fragen nach Hintergrundwissen (alle Fälle; MC). Bei jedem Fall wurde die Bearbeitungsdauer, sowie die Qualität der studentischen Falllösung automatisch aufgezeichnet, außerdem wurden bei Fallabschluss 2 Fragen gestellt, wobei die Studenten die technische Bedienung (Skala von 1= leicht; 15=sehr schwierig) und den Inhalt des Falles (Schulnoten: 1-6) bewerten sollten. Außerdem konnten sie einen Kommentar zum Fall eingeben.

Ergebnisse

Die Vorlesung wurde von 261 Studenten besucht, davon lösten 81 Studenten mindestens einen Fall und 32 Studenten mehr als 10 Fälle; insgesamt wurden 869 Fallbearbeitungen abgeschlossen. Die ersten beiden Fälle wurden deutlich häufiger als die übrigen gelöst (165 bzw. 98, die restlichen 16 Fälle wurde im Schnitt 38 Mal gelöst); da sie zur Einarbeitung und Orientierung dienten, werden sie für den folgenden Vergleich zwischen einfachen und komplexen Fällen nicht betrachtet. Die restlichen 16 Fälle wurden von Studenten gelöst, die jeweils sowohl einfache als auch komplexe Fälle bearbeitet hatten; daher ist ein Vergleich Ihrer Bewertung zwischen den beiden Fallgruppen interessant. Wir klassifizieren die Fälle als komplex, bei denen die Studenten Untersuchungen mit hierarchischen Long-Menu-Fragen statt mit MC-Fragen auswählen mussten. Diese Untersuchungsauswahl hatte auch unmittelbar Auswirkungen auf die weitere Fallpräsentation: zu Untersuchungen, die die Studenten nicht ausgewählt hatten, wurden den Studenten keine Untersuchungsergebnisse präsentiert, so dass Ihnen unter Umständen entscheidende Hinweise zur Diagnosestellung fehlten. Daher haben diese Fälle einen deutlich höheren Schwierigkeitsgrad als die einfachen Fälle, bei denen die Studenten ebenfalls schrittweise, aber in jedem Fall alle relevanten Untersuchungsergebnisse präsentiert bekamen. Ein weiterer Unterschied zwischen „komplexen“ und „einfachen“ Fällen ist, dass die komplexen Fälle auch bei der Therapie LM-Fragen hatte, während die einfachen Fälle nur MC-Therapiefragen enthielten. Weiterhin hatten vier der acht komplexen Fälle eine Folgesitzung (und keiner der einfachen Fälle) und auch die Fragen nach Zwischendiagnosen waren wesentlich komplexer als bei den einfachen Fällen.

Die Durchschnittwerte in der Tabelle [Tab. 1] zeigen, dass die komplexen Fälle eine 50% längere Bearbeitungszeit (4,6 Minuten zusätzlich) brauchten, sie um 9,8 Prozentpunkte schlechter gelöst wurden, die subjektive Bewertung der Leichtigkeit der Bedienung um 1,5 Punkte auf einer 15-stufigen Skala schwieriger und der Inhalt um fast eine Schulnote (0,7) schlechter bewertet wurden. Sowohl bei den objektiven Kriterien (Bearbeitungsdauer, Lösungsqualität) als auch den subjektiven Kriterien (Leichtigkeit der Bedienung, Bewertung der Fallqualität) schnitten die komplexen Fälle signifikant schlechter ab (zweiseitiger T-Test; α < 0,05). Insbesondere die schlechtere Inhaltsbewertung der komplexeren Fälle ist überraschend, da in ihnen mehr inhaltliches Wissen drin steckt.

Diskussion

Komplexere Fälle sind realistischer, d.h. die Aufgaben sind ähnlicher zu dem Vorgehen eines Arztes bei der Patientenbehandlung. Andererseits braucht ihre Bearbeitung mehr Zeit und die Bedienkomplexität des Trainingssystems steigt. In der vorliegenden Fallstudie überwogen offensichtlich die Nachteile der Komplexität, was sich auch in der überraschend schlechteren inhaltlichen Bewertung der komplexeren Fälle ausdrückt: hier liegt die Vermutung nahe, dass die Schwierigkeiten bei der Bedienung das Vermitteln der Inhalte beeinträchtigt haben. Diese Vermutung wird auch durch die zahlreichen Freitextkommentare der Studenten im Fallfragebogen unterstützt. Da vom grundsätzlichen Standpunkt komplexere Fälle mehr Wissen und auch die differentialdiagnostische Vorgehensweise besser vermitteln könnten, sind weitere Studien erforderlich, um zielgruppenspezifisch das Potential der komplexeren Fälle besser auszuschöpfen.


Literatur

1.
Mathies H, Fischer M, Haag M, Klar R, Puppe F.: eLearning in der Medizin und Zahnmedizin, Proc. 9. Workshop gmds AG CBT in der Medizin, Berlin: Quintessenz, 2005.
2.
Betz, C, Hörnlein, A, Puppe F. Experiences with generating diagnostic training cases from dismissal reports. 2005. in [1], 50-58.
3.
Reimer S, Hörnlein A, Tony HP, Krämer D, Oberück S, Betz C, Puppe F, Kneitz C. Assessment of a case-based training system (d3web.Train) in rheumatology "Rheumatology International", Springer Verlag, Apr 2006: 1-7, DOI 10.1007/s00296-006-0111-x, URL http://dx.doi.org/10.1007/s00296-006-0111-x