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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Eine web-basierte Plattform zur kollaborativen klinischen Forschung im Bereich der Onkologie

Meeting Abstract

  • Jürgen Meßmer - ARC Seibersdorf research GmbH - eHealth systems, Hall in Tirol, Österreich
  • Peter Ambros - CCRI - St. Anna Kinderspital, Wien, Österreich
  • Klaus Beiske - Department of Pathology, The National Hospital University of Oslo, Oslo, Norwegen
  • Marcus Hörmann - Department of Diagnostic Radiology, University of Vienna, Wien, Österreich
  • Val Lewington - Joint Department of Physics, Royal Marsden NHS Trust, London, Großbritannien
  • Sylvie Helfre - Service de Radiotherapie, Institut Curie, Paris, Frankreich
  • Ulrike Pötschger - CCRI - St. Anna Kinderspital, Wien, Österreich
  • Sue Burchill - Cancer Research UK Clinical Centere, St. James’s University Hospital, Leeds, Großbritannien
  • Ruth Ladenstein - CCRI - St. Anna Kinderspital, Wien, Österreich
  • Günter Schreier - ARC Seibersdorf research GmbH - eHealth systems, Hall in Tirol, Österreich

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds163

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2006/06gmds279.shtml

Veröffentlicht: 1. September 2006

© 2006 Meßmer et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Aufgrund der geringen Inzidenz ist es bei seltenen Erkrankungen notwendig, klinische Studien multizentrisch und international durchzuführen, um innerhalb einer vertretbaren Zeit jene Fallzahlen erreichen zu können, die erforderlich sind, um medizinische Hypothesen beantworten zu können. Bei komplexen Krankheitsbildern, wie z.B. dem Neuroblastom, sind an den Forschungsprojekten, neben den Onkologen, Spezialisten verschiedener Fachrichtungen wie Nuclearmediziner, Pathologen, Biologen, Radiologen, etc.beteiligt. Die Ergebnisse der von den Spezialisten durchgeführten Untersuchungen und Analysen, können wertvolle Hinweise auf verschiedene Aspekte der Erkrankung (z.B.: neue Marker, etc.) liefern. Diese Untersuchungen sind für ein bestimmtes Krankheitsbild oft dieselben, unabhängig davon für welche klinische Studie sie durchgeführt werden.

Wir haben eine web-basierte IT Plattform „web-basiertes Medizinisches Forschungsnetzwerk (MFN)“ entwickelt, die es ermöglicht mehrere klinische Studien parallel in einem System durchzuführen. Der Kern dabei ist ein GCP konformes Electronic Data Capure (EDC) System. Im MFN werden zusätzlich so genannte „Special Studies“ definiert, in denen die Untersuchungen und Analysen der Spezialisten dokumentiert werden. Die Daten der Special Studies können in jede, auf dem System laufende, klinische Studie integriert werden und umgekehrt. Das System wird im EU-Projekt „International Society of Pediatric Oncology (SIOP) European Neuroblastoma Research NETwork“ (SIOPEN-R-NET) für die Domäne Neuroblastom europaweit eingesetzt [1].

Material und Methoden

Die Ausgangsbasis für das Konzept waren die Anforderungen an das System, die basierend auf der Expertise der Spezialisten und Ärzte, sowie durch Literaturrecherche erhoben wurden. Auf Basis der Anforderungen wurden die notwendigen Komponenten identifiziert, konzipiert und implementiert (siehe Abb. 1 [Abb. 1]) [2], [3]. Speziell für die Kollaboration zwischen den Benutzern, sind die Komponenten Benutzermanagement, Registrierung, electronic Case Report Forms, Bilddaten Management und Kommunikation wichtig.

Benutzermanagement: Das Benutzermanagement ist auf Basis von Account - Rollen- Rechte implementiert. D.h. ein Benutzer erhält einen Account, dem mehrere Rollen zugewiesen werden können. Den Rollen werde Rechte wie z.B.: Editieren der Daten, Anlegen von Reviews, Hochladen von Bilder, etc. zugewiesen. Der Benutzer kann seine Rolle im System wechseln sofern er mehr als eine Rolle zugewiesen hat. Die Rollen sind studienspezifisch. Es kann eine Rolle „Arzt“ in der klinischen Studie A und auch in der klinischen Studie B geben. Der Benutzer hat jeweils nur Zugriff auf Daten, die er entsprechend seiner Rolle einsehen/bearbeiten darf.

Registrierung: Der Patienten-Registrierungsprozess wurde zweistufig implementiert. Zuerst wird der Patient im System registriert worauf ihm ein eindeutiges Pseudonym zugewiesen wird. Nach dem Registrierungsprozess wird der Patient automatisch in jene Special Studies aufgenommen, die für die Pre-Study-Evaluation registriert sind. Nach Eingabe der „Agreed Minimum Essential Data (AMED)“ kann der Patient - abhängig von den Studien-Einschlusskriterien - in eine der klinischen Studien aufgenommen werden. Der Patient wird dann automatisch zusätzlich auch in jene Special Studies aufgenommen, die für die entsprechende klinische Studie registriert sind.

eCRF (electronic Case Report Forms): Die eCRFs für die Special Studies implementieren neben den Standardfunktionen Abspeichern und Signieren auch einen Review-Mechanismus. Dies bedeutet, dass nach Eingabe und Signieren der Daten berechtigte Spezialisten die Daten einsehen, eine eigene Kopie (Review) der Daten anlegen und diese abändern können. Im eCRF ist ersichtlich, dass Reviews vorliegen. Diese können von anderen Spezialisten eingesehen werden. Ein Spezialist mit entsprechender Berechtigung kann schließlich aus den vorhandenen Reviews eines auswählen und als Ergebnis des Reviews, und somit für die Verwendung in klinischen Studien markieren. Weiters ist es möglich einzelne Datenfelder in eCRFs einer anderen Studie einzubauen. D.h. in einer klinischen Studie kann in einem eCRF ein Datenfeld aus einer Special Study angezeigt werden. Diese Datenfelder sind in der klinischen Studie nur lesbar. Es können auch ganze eCRFs aus Special Studies in klinischen Studien angezeigt werden. Auch in diesem Fall sind die Felder nicht editierbar. Das gleiche ist auch in umgekehrter Richtung möglich.

Bilddaten Management: Es wurde ein Modul entwickelt, welches es erlaubt Bilddaten zu einem eCRF in das System hochzuladen, zu betrachten und herunterzuladen. Das System ist zweistufig implementiert. Bilder können über ein HTML basiertes Interface, oder über ein ActiveX Plug-in transferiert und betrachtet werden. Das ActiveX Plug-in bietet dabei eine Bildbetrachtungskomponente mit der Funktionalität eines PACS-Browsers [4].

Kommunikation: Im MFN wurde ein internes Kommunikationssystem implementiert. Die Benutzer können untereinander Nachrichten austauschen, ohne dass deren Inhalte über das konventionelle, unsichere E-Mail System verschickt werden. Der Benutzer erhält lediglich eine externe E-Mail, in der er auf das vorliegen neuer Nachrichten im System aufmerksam gemacht wird. Um die Nachrichten zu lesen, muss er sich im System einloggen. Die gesamte Datenübertragung ist dabei per SSL verschlüsselt. Weiters können direkt aus eCRFs heraus Nachrichten verschickt werden. Diese sind bereits mit dem Adressaten (Benutzer der das eCRF zuletzt bearbeitet hat), sowie dem Patientenpseudonym und dem entsprechenden Formularnamen vorausgefüllt. Diese Funktion ist z.B. für das Query-Management von Nutzen [5].

Ergebnisse

Derzeit sind im SIOPEN-R-NET drei klinische Studien implementiert. Alle Studien benutzen eine gemeinsame Patienten-Registry, über die die Patienten im System registriert werden. Neben den klinischen Studien, sind die folgenden sieben „Special Studies“ implementiert: Biologie, Nuklearmedizin, Knochenmark, Radiologie, Pathologie, Radiotherapie, RT-PCR (Reverse Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion).

Alle Special Studies verwenden das Bilddaten Management. Bis zum 31.03.2006 wurden 687 Patienten in ca. 200 Kliniken aus 17 Ländern im System registriert. Es wurden über 3000 Bilddatensätze hochgeladen und 975 Reviews online durchgeführt.

Diskussion

Eine wesentliche Eigenschaft dieses Systems ist es, das die Spezialisten Ihre Daten selbst in das System eingeben und auch qualitätsgesichert reviewen können. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass die Special Studies pro Erkrankung nur einmal definiert und implementiert werden müssen und dann für jede weitere klinische Studie im MFN zur Verfügung stehen. Das System bietet im Grunde die Möglichkeit, Patienten in Special Studies aufzunehmen, bevor diese in eine klinische Studie aufgenommen werden. Dies ermöglicht es Parameter, die zu den Studieneinschlusskriterien gehören, qualitätsgesichert zu dokumentieren und online zu reviewen, bevor der Patient in die entsprechende klinische Studie aufgenommen wird (Pre-Study-Evaluation).

Durch die gemeinsame Registrierung, das gemeinsame Follow-up und die Ausgliederung der fachspezifischen Formulare in die Special Studies können klinische Studien wesentlich schneller entworfen und implementiert werden, da nur noch die studienspezifischen Formulare sowie die Einschlusskriterien benötigt werden. Daten die in einer Special Study eingegeben werden, können in anderen Special Studies oder auch in klinischen Studien angezeigt werden. Die Daten sind dabei nur lesbar. Diese Funktionalität wirft allerdings häufig die Frage auf, wer welche Daten sehen darf. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass die Mitglieder der Special Studies häufig auch klinische Daten wie z.B. Outcome-Parameter einsehen möchten, um diese für Qualitätsassessments und andere Analyse nutzen zu können. Um einen Bias in der Refenz-Befundung zu vermeiden, wird im gegenständlichen Netzwerk eine derartige „Rückkoppelung“ allerdings nur nach Beschluss des Steuerungskommittees und auf der Ebene der Statistik und nicht laufend im System ermöglicht.

Weiters ist auf der Ebene der Ethik zu klären, unter welchen Bedingungen die nunmehr bereits etablierten Services der Special Studies zur Evaluierung der Einschlusskriterien im Sinne einer Pre-Study-Evaluation herangezogen werden dürfen, da diese Evaluation auch über exteren Institutionen erfolgt und die Patienten zu diesem Zeitpunkt definitionsgemäß noch nicht in eine Studie eingeschlossen wurden, also möglicherweise noch keine Einverständniserklärung vorliegt.

Danksagung

Das Projekt SIOPEN-R-NET wird von der EU gefördert (5. Rahmenprogramm, QLRT-2001-01768). Das Projekt web-basiertes Medizinisches Forschungsnetzwerk (MFN) wurde vom Kompetenzzentrum HITT (health information technologies tirol) gefördert.


Literatur

1.
Schreier G, Meßmer J, Marko W, et al. SIOPEN-R-NET – ein web-basiertes medizinisches Forschungsnetzwerk für die Neuroblastom-Forschung. 49. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 19. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI) und Jahrestagung 2004 des Arbeitskreises Medizinische Informatik (ÖAKMI) der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG) und der Österreichischen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (ÖGBMT). Innsbruck, 26.-30.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc 04gmds332 . (http://www.egms.de/en/meetings/gmds2004/04gmds332.shtml, zuletzt aufgerufen am 24.03.2006)
2.
Lopez-Carrero C, Arriaza E, et.al. Internet in clinical research based on a pilot experience. Contemp Clin Trials. 2005 Apr;26(2):234-43.
3.
Schmier JK, Kane DW, Halpern MT. Practical applications of usability theory to electronic data collection for clinical trials. Contemp Clin Trials. 2005 Jun;26(3):376-85. Epub 2005 Mar 16.
4.
Messmer J, Gossy C, et al. Entwicklung einer Telemedizin-Plattform für ein europaweites medizinisches Forschungsnetzwerk. In: Tagungsband der 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), September 12.-14, 2005, Freiburg. 2005.
5.
Wisniewski SR, Eng H, et.al. Web-based communications and management of a multi-center clinical trial: the Sequenced Treatment Alternatives to Relieve Depression (STAR*D) project. Clin Trials. 2004;1(4):387-98.