gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Kleinräumige Prävalenzunterschiede von Atemwegserkrankungen bei Kindern: Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten einer von Eltern angeregten Studie

Meeting Abstract

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  • Gabriele Bolte - Sachgebiet Umweltmedizin, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim, Deutschland
  • G. Büchele - Abteilung Epidemiologie, Universität Ulm, Deutschland
  • M. Wildner - Sachgebiet Gesundheitsberichterstattung, -förderung, Prävention, Sozialmedizin, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim, Deutschland
  • H. Fromme - Sachgebiet Umweltmedizin, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds052

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2005/05gmds099.shtml

Veröffentlicht: 8. September 2005

© 2005 Bolte et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

In einer ländlichen Region Bayerns wurde von Eltern über ein gehäuftes Auftreten von Atemwegserkrankungen bei ihren Kindern berichtet und ein Zusammenhang mit lokal erhöhten Luftschadstoffbelastungen durch ansässige Gewerbebetriebe und LKW-Verkehr vermutet. Angesichts der teilweise erheblichen Besorgnis in der Bevölkerung wurde eine Studie zur systematischen und standardisierten Erhebung der Prävalenz von Atemwegserkrankungen bei Kindern in der Region initiiert mit dem Ziel (1) eines kleinräumigen Vergleichs der Prävalenz in den von der diesbezüglichen Elterninitiative benannten Ortschaften mit der Prävalenz in benachbarten Ortschaften und (2) eines externen Vergleichs mit publizierten Prävalenzdaten aus Deutschland.

Material und Methoden

Studienpopulation: Die Studienpopulation des Kerngebiets (N=362) umfasste alle Kinder und Jugendlichen im Alter bis 18 Jahren aus den Ortschaften, die von der Elterninitiative benannt worden waren. Die Studienpopulation des Vergleichsgebiets (übrige Ortsteile der Gesamtgemeinde) wurde auf die Altersgruppen 6-7 und 13-14 Jahre begrenzt (N=201).

Fragebogen: Grundlage waren Module aus validierten Erhebungsinstrumenten umweltepidemiologischer Studien. In einer schriftlichen Befragung wurden Elternangaben erhoben zur Gesundheit ihrer Kinder mit Schwerpunkt Husten, Asthmasymptomatik, ärztlichen Diagnosen und Therapien von Atemwegserkrankungen, allergische Rhinitis, atopische Dermatitis, Daten zu soziodemographischen Merkmalen und Geburtsparametern sowie die Einschätzung der Eltern, ob und inwieweit Umweltbelastungen in der Region von Bedeutung sind.

Datenanalyse: In der bivariaten Analyse wurde zur Testung auf Prävalenzunterschiede der χ²-Test herangezogen. Mittels logistischer Regression wurden Odds Ratios (OR) mit 95% Konfidenzintervallen (KI) als Assoziationsmaß berechnet mit Adjustierung für Alter, Geschlecht, Geburtsgewicht und Stillen. Etwaige familiäre Cluster wurden durch Verwendung von Mehrebenen-(multi level-)Modellen berücksichtigt. In einer Sensitivitätsanalyse wurden frühgeborene oder nach der Geburt beatmete Kinder ausgeschlossen. Alle Analysen wurden mit der Statistiksoftware SAS 9.1 durchgeführt.

Ergebnisse

In die Analysen konnten 121 Mädchen und 141 Jungen aus 185 Familien eingeschlossen werden. Die Teilnahmerate lag bei 46% (Kerngebiet 53%, Vergleichsgebiet 35%).

Im externen Prävalenzvergleich wurden Daten der Beobachtungsgesundheitsämter Baden-Württemberg [1], der Schuleingangsuntersuchungen in Bayern [2] sowie der ISAAC-Surveys in München [3] und Münster [4] verwendet. Es zeigten sich keine systematisch erhöhten Prävalenzen für Symptome und Arztdiagnosen von Atemwegserkrankungen bei Kindern aus dem gesamten Untersuchungsgebiet bzw. aus dem Kerngebiet.

Im internen, kleinräumigen Prävalenzvergleich zwischen Kern- und Vergleichsgebiet war jedoch ein Muster höherer Prävalenzen für andauernden Husten (OR 3,26 [95% KI 1,19-8,92]) und den Arztdiagnosen asthmatische/spastische/obstruktive Bronchitis (2,85 [0,92-8,80]), Asthma (2,03 [0,77-5,33]), Lungenentzündung (7,74 [0,98-61,11]) und Pseudokrupp (2,27 [0,81-6,33]) zu beobachten. Im Gegensatz dazu gab es keine systematischen kleinräumigen Prävalenzunterschiede bei allergischer Rhinitis und atopischer Dermatitis.

Diskussion

In der Praxis wird häufig der Wunsch bzw. die Forderung an den öffentlichen Gesundheitsdienst herangetragen, Beobachtungen der Wohnbevölkerung zu einem mutmaßlichen Cluster von Erkrankungen mit einer epidemiologischen Studie nachzugehen. Die dargestellte Studie ist ein Beispiel für die Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten einer derartigen kleinräumigen Untersuchung zu Erkrankungsprävalenzen in der Bevölkerung. Während der externe Prävalenzvergleich keine auffällige, systematische Erhöhung der Prävalenzen von Atemwegserkrankungen in dem Kerngebiet ergab, wurde im kleinräumigen Vergleich innerhalb des Untersuchungsgebiets ein Muster höherer Prävalenzen von Husten, Asthmasymptomatik und Atemwegserkrankungen mit hauptsächlich infektiöser Ursache im Kerngebiet beobachtet. Die bereits aufgrund der Festlegung des Untersuchungsgebiets (Kerngebiet) auf Basis der Angaben der Elterninitiative und damit Begrenzung der Zielpopulation geringe statistische Power der Studie wurde durch die niedrige Teilnahmerate noch weiter vermindert. Es konnten weder ein Selektionsbias angesichts der geringen und zudem zwischen Kern- und Vergleichsgebiet unterschiedlichen Teilnahmerate noch ein Informationsbias aufgrund der der Studie vorangegangenen intensiven öffentlichen Diskussionen ausgeschlossen werden. Eine Vielzahl möglicher Confounder sowie Einflussfaktoren im multifaktoriellen Geschehen bei Atemwegserkrankungen konnte nicht adäquat berücksichtigt werden [5]. Orientierende Messungen zur Luftschadstoffbelastung in der Außenluft im Kerngebiet (Feinstaub PM10, SO2, CO, NO, NO2) sowie eine Kartierung von Flechten als Bioindikatoren für die lufthygienische Situation hatten zumindest keine Hinweise auf eine außergewöhnlich hohe Exposition im Kerngebiet ergeben. Somit konnte die Studie das Dilemma nicht lösen, einerseits nicht auf alle Fragen klare Antworten bieten zu können und andererseits keine Begründung für eine vertiefende Studie mit umfassender Erhebung der individuellen Exposition unter Berücksichtigung diverser Risikofaktoren und Confounder zu liefern.


Literatur

1.
Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Beobachtungsgesundheitsämter. Belastungs- und Wirkungsmonitoring. Untersuchung 2000/01. Ergebnisse und Bewertung Heft 2002/1, Anhang Heft 2002/2. Stuttgart; 2002
2.
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. Projektbericht Schuleingangsuntersuchungen 2003: Umwelt und Gesundheit. Materialien zur Umweltmedizin Band 8. München; o.J.
3.
Weiland SK, von Mutius E, Hirsch T, Duhme H, Fritzsch C, Werner B, Husing A, Stender M, Renz H, Leupold W, Keil U. Prevalence of respiratory and atopic disorders among children in the East and West of Germany five years after unification. Eur Respir J 1999; 14: 862-70.
4.
Maziak W, Behrens T, Brasky TM, Duhme H, Rzehak P, Weiland SK, Keil U. Are asthma and allergies in children and adolescents increasing? Results from ISAAC phase I and phase III surveys in Münster, Germany. Allergy 2003; 58: 572-9
5.
Elliott P, Wartenberg D. Spatial Epidemiology: Current approaches and future challenges. Environ Health Perspect 2004; 112: 998-1006