gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Epidemiologische Diskussion der Tumorerkrankungen bei Beschäftigten der Deponie Ihlenberg (Gemeinde Selmsdorf)

Meeting Abstract

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  • Stefan Weiß - Institut für Community Medicine, Universität Greifswald, Greifswald
  • Claudia Terschüren - Institut für Community Medicine, Universität Greifswald, Greifswald
  • Wolfgang Hoffmann - Institut für Community Medicine, Universität Greifswald, Greifswald

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds222

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2005/05gmds053.shtml

Veröffentlicht: 8. September 2005

© 2005 Weiß et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Die Sondermülldeponie Ihlenberg zählt mit einer Gesamtfläche von zirka 165 ha zu den größten Anlagen ihrer Art in Europa.

Seit längerer Zeit besteht der Verdacht, dass unter den Beschäftigten der Deponie und der umliegenden Bevölkerung eine erhöhte Rate an Krebserkrankungen vorliegen könnte. Eine Häufung an Krebserkrankungen unter den Beschäftigten liegt nach Leitung der Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft mbH (IAG) und des Betriebsarztes jedoch nicht vor. Bis zum 31.12.2004 wurden durch die Deponieleitung 16 an Krebs erkrankte Beschäftigte bei der Berufsgenossenschaft Tiefbau angezeigt. Dies geht auf eine Liste mit 13 Namen an Krebs erkrankter Deponiebeschäftigter zurück, die im März 2002 dem Deponiebeirat und dem Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommern durch eine lokale Bürgerinitiative übergeben wurde. Bis Juni 2003 wurde diese Liste auf insgesamt 18 Namen erweitert.

Eine systematische Untersuchung wurde bis heute nicht durchgeführt. Zur Beantwortung der Frage, ob die Anzahl der unter den Beschäftigten der IAG berichteten Erkrankungen der statistischen Erwartung entspricht, sind detaillierte Angaben über die Anzahl der Beschäftigten (in jedem Betriebsjahr der Anlage), deren Alters- und Geschlechtsverteilung sowie der Beschäftigungszeitraum jedes Mitarbeiters und dessen aktueller Vitalstatus erforderlich. Alle diese Informationen sind jedoch gegenwärtig nicht in der benötigten Vollständigkeit und Präzision verfügbar.

Kernaufgabe ist daher eine quantitative Diskussion der Wahrscheinlichkeit für eine statistisch signifikante Erhöhung der Fallzahlen innerhalb der Unsicherheitsbereiche der Eingangsdaten. Hiermit soll insbesondere die Frage beantwortet werden, ob ein weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich einer analytischen Untersuchung der möglichen Ursachen der Erkrankungsfälle besteht.

Material und Methoden

In die Betrachtungen wurden diejenigen Fälle einbezogen, die dem Landesgewerbearzt Mecklenburg-Vorpommern als Berufskrankheiten-Verdachtsanzeige bis zum 31.12.2004 gemeldet waren (N=16). Von allen Fällen lagen aus Datenschutzgründen lediglich Angaben zum Geschlecht, Diagnosejahr, Diagnosealter sowie zur Diagnosegruppe vor. Die bekannten Krebserkrankungen wurden in zwei zu untersuchende Kategorien klassifiziert. Die Kategorie „Lymphome“ beinhaltet alle Erkrankungsfälle der ICD-9 Gruppen 200, 202 und 201. Die Gruppe „Alle“ umfasst sämtliche angegebenen Krebslokalisationen (Leber, Pankreas, Larynx, Lunge, Testis, Gehirn, einschließlich der malignen Lymphome).

Die Eingangsparameter (Anzahl der Beschäftigten eines jeden Betriebsjahres der Anlage, die Alters- und die Geschlechtsverteilung im Beschäftigungszeitraum jedes Mitarbeiters) wurden in einer Sensitivitätsanalyse über einen großen Wertebereich einschließlich extremer Annahmen variiert und für jede Parameterkombination die resultierende standardisierte Inzidenzratio (SIR) berechnet. Die Gesamtanzahl der Beschäftigten wurde beispielsweise zwischen 80 und 520 Personen pro Jahr variiert. Der Anteil der männlichen Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigtenanzahl wurde im Bereich zwischen 75% bis 95% betrachtet.

Neben den univariaten Betrachtungen wurden Modelle berechnet, bei denen jeweils zwei Eingangsparameter simultan variiert wurden (Abb.1 [Abb. 1]). Die Altersverteilung der Beschäftigten wurde jeweils mit der Altersverteilung der Bevölkerung von Nordwestmecklenburg (NWM) und der Altersverteilung der sozialversicherungspflichtigen Angestellten am Arbeitsplatz (Stat. Bundesamt 30.06.2003) abgeschätzt. Als Referenzbevölkerungen wurden die Bevölkerungen von Mecklenburg-Vorpommern, Nordwestmecklenburg und dem Saarland betrachtet.

Ergebnisse

Die SIR wurde für die Krebslokalisationen „Alle“ (N=16 Fälle) und „Lymphome“ (N=5 Fälle) berechnet. Unter sonst konstanten Bedingungen ist eine Erhöhung der Gesamtbeschäftigtenanzahl für die Krebserkrankungen „Lymphome“ und „Alle“ mit einer linearen Abnahme der SIR assoziiert. Eine Variation des männlichen Beschäftigtenanteils zeigt, dass mit zunehmendem Männeranteil die SIR kleiner wird (Abb.1 [Abb. 1]).

Eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Annahmen zur Altersverteilung der Beschäftigten ergab höhere SIR Werte für die Annahme einer Altersverteilung gemäß der sozialversicherungspflichtigen Angestellten (Abb.1 [Abb. 1]). Die Wahl der unterschiedlichen Vergleichsbevölkerungen hatte dagegen nur einen geringen Einfluss auf die SIR.

Diskussion

In allen Analysen ergaben sich für den überwiegenden Teil der Parameterkombinationen erhöhte SIR-Werte. Für viele plausible Konstellationen wird die statistische Signifikanzschwelle erreicht. Die Erhöhung für die „Lymphome“ fällt trotz der geringen Fallzahl in der Regel ausgeprägter aus als für „Alle Krebserkrankungen“ zusammen. Es ist allerdings zu beachten, dass die 95%-Konfidenzintervalle gleichzeitig erheblich größer werden.

Dieses Ergebnis spricht dafür, dass im Rahmen der oben diskutierten Unsicherheitsbereiche eine Erhöhung der Häufigkeit von Krebserkrankungen unter den Beschäftigten der Deponie Ihlenberg zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann. Gleichzeitig muss jedoch betont werden, dass der gewählte deskriptive Studienansatz keinesfalls im Sinne eines kausalen Zusammenhanges interpretiert werden darf.

Wesentliche Limitation dieser Analyse betreffen naturgemäß die fehlenden Eingangsdaten. Die Sensitivitätsanalyse zeigt, dass sowohl die Anzahl als auch die Altersverteilung der Beschäftigten erhebliche Auswirkungen auf die SIR haben. Auch das Ausmaß der Fluktuation sowie der für die Mehrheit der ehemaligen Beschäftigten gegenwärtig unbekannte Vitalstatus beeinflussen die tatsächliche SIR wesentlich.

Eine weitere Limitation betrifft die Gruppierung der Erkrankungsfälle in heterogene Gruppen. Aufgrund der begrenzten Anzahl aufgetretener Krebsfälle ist die Analyse für die Gruppe der weiblichen Beschäftigten statistisch nicht aussagefähig.