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Wie aus Interviews ein inhaltsvalider Fragebogen werden kann – ein Beitrag zur sequentiellen mixed methods-Methodik
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Veröffentlicht: | 14. September 2011 |
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Hintergrund: Die Anwendung von Studiendesigns mit einer Integration qualitativer und quantitativer Methoden (mixed methods) hat in den letzten Jahren auch in der medizinischen Forschung an Bedeutung gewonnen und wird als „third paradigm“ diskutiert [1]. In der häufig eingesetzten sequentiellen Form stellt der Prozess des Abgleichs der qualitativen Ergebnisse mit den nachfolgend einzusetzenden quantitativen Verfahren besondere methodische Herausforderungen, weil es keine standardisierte Methode gibt.
Material und Methoden: Ein qualitativ-quantitativ angelegtes Versorgungsforschungsprojekt [2] dient als Beispiel zur Darstellung unseres Vorgehens. Ziel des Projekts war die psychosoziale Charakterisierung von sehr gut vs. sehr schlecht eingestellten Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2. Zunächst wurden mögliche Charakteristika in Interviews mit Patienten und deren Hausärzten identifiziert; dann wurden diese Faktoren als Items formuliert, um sie an einer größeren Stichprobe mit einem Fragebogen zu erheben. Die im qualitativen Studienteil erarbeiteten Inhaltsanalysen der Interviews bilden den Ausgangspunkt für den hier beschriebenen mehrstufigen Prozess der Auswahl und Entwicklung von Fragebogenitems.
Ergebnisse: Sieben Schritte waren nötig, um zu einem inhaltlich validen Fragebogen zu gelangen:
- 1.
- Ermittlung der als wichtig identifizierten Faktoren aus dem Interviewmaterial und der bestehenden Literatur.
- 2.
- Suche nach bestehenden Fragebögen zur gleichen Thematik und Erstellung eines Itempools.
- 3.
- Einbezug von Experten für das Forschungsthema (→ weitere Hinweise auf Studien und Fragebögen).
- 4.
- Inhaltlicher Abgleich bestehender Fragebögen mit den in Schritt 1 gewonnenen Faktoren.
- 5.
- Konstruktion neuer Items für Faktoren, für die keine passenden Items in bestehenden Bögen gefunden werden konnten. Die Formulierung eigener und die Adaptation entlehnter Fragen erfolgten in enger Anlehnung an unsere Interviewanalysen.
- 6.
- Bewertung und Überarbeitung aller Items hinsichtlich methodischer Qualität [3] unter Mitarbeit eines Experten für Fragebogenentwicklung.
- 7.
- Kognitive Pretests [4] mit der ersten Fragebogenversion: Instruktionen, Fragen und Antwortskalen wurden Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 vorgelegt, auf Verständlichkeit, Ausfüllbarkeit und inhaltliche Validität geprüft und anschließend überarbeitet.
Schlussfolgerung/Implikation: Das dargestellte Vorgehen ist ein Beispiel, wie man Interviewergebnisse in einem Fragebogen verarbeiten kann. Will man neue statt altbekannter Faktoren erfassen, dann sollten die eigenen Interviews die primäre Grundlage der Itemformulierung bilden. Bereits existierende Items sollten ergänzend nur nach Bewertung ihrer inhaltlichen und methodischen Eignung genutzt werden. Das genannte Vorgehen mündete in einen Fragebogen, der in der Lage ist, die Interviewergebnisse in inhaltlich valider Weise abzubilden. In Projekten mit einem sequentiellen mixed methods-Design sollte der Zeit- und Kostenaufwand für die Entwicklung des quantitativen Instruments angemessen berücksichtigt werden.
Literatur
- 1.
- Dures E, Rumsey N, Morris M, Gleeson K. Mixed methods in health psychology: Theoretical and practical considerations of the third paradigm. J Health Psychol. 2010. DOI: 10.1177/1359105310377537
- 2.
- Herber OR, Wollny A, Pentzek M, Abholz HH, Icks A, Wilm S. Was erzählen Hausärzte über ihre Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2? Mögliche Gründe für unbefriedigende Blutzuckerwerte. Z Allg Med. 2010;86:203-208.
- 3.
- Porst R. Fragebogen: Ein Arbeitsbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 2008.
- 4.
- Prüfer P, Rexroth M. Kognitive Interviews. ZUMA How-to-Reihe; Nr. 15. 2005. http://www.gesis.org/fileadmin/upload/forschung/publikationen/gesis_reihen/howto/How_to15PP_MR.pdf (letzter Zugriff: 03.05.2011)