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Kongressbericht: Demenz – eine wachsende Herausforderung für die ärztliche Praxis

6. Ärztetag am Dom des Arbeitskreises "Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet"

Frankfurt am Main, 2. Februar 2013

Demenz – eine wachsende Herausforderung für die ärztliche Praxis

Kongressbericht

  • corresponding author Gerd Hoffmann - Arbeitskreis Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet; Johann Wolfgang Goethe-Universität, Institut für Sportwissenschaften, Frankfurt am Main, Deutschland
  • author Ulrich Finke - Arbeitskreis Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet; St. Katharinen-Krankenhaus Frankfurt am Main, Deutschland
  • author Dewi Maria Suharjanto - Arbeitskreis Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet; Haus am Dom, Frankfurt am Main, Deutschland
  • author Josef Schuster - Arbeitskreis Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet; Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main, Deutschland

Arbeitskreis Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet. 6. Ärztetag am Dom des Arbeitskreises "Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet". Frankfurt am Main, 02.-02.02.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. Doc13eth01

doi: 10.3205/13eth01, urn:nbn:de:0183-13eth013

Veröffentlicht: 23. Februar 2016

© 2016 Hoffmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

In einer Bevölkerung mit immer älteren und auch kränkeren Patienten nimmt die Zahl der Menschen mit Demenz deutlich zu. Damit stellen sie eine zunehmende Herausforderung an die Betreuung aller Beteiligten dar, sowohl in medizinischer als auch in pflegerischer sowie ethischer und sozialmedizinischer Sicht. Wie stellen wir uns dieser Herausforderung? Wie sehen wir diese Menschen in unserer Mitte? Inwieweit werden und können sie in unsere Gesellschaft integriert werden? Wie gehen wir mit ihnen in Praxis und Krankenhaus um? Wie behandeln wir sie, wie müssten, wie sollten wir sie behandeln? Der 6. Ärztetag am Dom will versuchen, aus medizinischer, medizinisch-psychologischer, sozialer und ethischer Sicht hierzu die Fragen einzugrenzen und erste Antworten zu geben.

Grußworte (Bischof Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst, Limburg)

Der Blick des Gläubigen führt die notwendige Differenzierung der wissenschaftlichen Fachdisziplinen wieder zusammen: Der ganze Mensch, in jedem Stadium des Lebens, ist einmalig; er besitzt einen Namen, nicht nur ein Krankheitsbild. Ungeachtet seiner körperlich-geistigen Einbußen besitzt er eine Würde, die in seiner Bundespartnerschaft mit Gott wurzelt. Alle Menschen sind aufgerufen, demente Personen als selbstverständlichen Teil unserer Gemeinschaft anzunehmen. Auch Demenz ist Leben.

Medizinische Grundlagen und Behandlungsmöglichkeiten der Demenz (Prof. Dr. med. Johannes Pantel und Dr. rer. nat. Julia Haberstroh, Arbeitsbereich Altersmedizin mit Schwerpunkt Psychogeriatrie und klinische Gerontologie, Institut für Allgemeinmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Die Demenzen zählen zu den häufigsten neuropsychiatrischen Erkrankungen des höheren Lebensalters. Demenz ist ein klinisch definiertes Syndrom, dessen Leitsymptomatik eine chronische und zumeist im Alter erworbene organisch bedingte Beeinträchtigung der intellektuellen Leistungsfähigkeit darstellt. In den fortgeschrittenen Stadien geht diese mit einem erheblichen Verlust an Autonomie und der Fähigkeit zur Selbstversorgung einher. Demenzen können vielfältige Ursachen haben, gehen jedoch in mehr als der Hälfte der Fälle auf die neurodegenerativ bedingte Alzheimer-Krankheit zurück. Die überwiegende Zahl der Demenzerkrankungen ist nicht heilbar. Gleichwohl steht zur Behandlung bereits heute eine Vielzahl therapeutischer Maßnahmen zur Verfügung, deren adäquater Einsatz eine sorgfältige und individuelle Diagnostik voraussetzt. Aufgrund der Chronizität der Demenzen und ihrer massiven Auswirkungen für das psychosoziale Wohlbefinden und die Lebensqualität stellen psychosoziale Interventionen ein wichtiges und häufig auch wirkungsvolles Element eines ausbalancierten Gesamtbehandlungsplanes dar.

Möglichkeiten und Grenzen rehabilitativer Maßnahmen bei Menschen mit Demenz (Dr. med. Norbert Lübke, Leiter des Kompetenz-Centrums Geriatrie des GKV-Spitzenverbandes und der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste beim MDK Nord, Hamburg)

An Demenz erkrankten Menschen sollte die Möglichkeit rehabilitativer Maßnahmen bei anderen Erkrankungen mit zusätzlichen Beeinträchtigungen ihrer Aktivitäten und Teilhabe nicht vorenthalten werden. Sie starten oft von einem schlechteren Ausgangsniveau, zeigen aber ähnliche Zuwächse ihrer Aktivitäten wie Menschen ohne Demenz. Bei höhergradiger Demenz kommt dem präakuten Ausgangsstatus besondere prognostische Bedeutung zu. Dementiell erkrankte Menschen sollten in diesbezüglich erfahrenen und qualifizierten, vorzugsweise geriatrischen Einrichtungen rehabilitiert werden. Für dementiell Erkrankte, die auf ihr gewohntes Lebensumfeld und ihre gewohnten sozialen Bezüge angewiesen sind, gibt es das Angebot mobiler Rehabilitation. Medizinische Rehabilitation der Demenz selbst ist bisher nicht hinreichend evidenzbelegt. Es gibt aber viele Ansatzpunkte, die Lebensqualität an Demenz erkrankter Menschen zu verbessern. Diese setzten bisher am besten belegt aber bei der Qualifizierung und Gesunderhaltung der betreuenden Angehörigen an und müssen stärker kontinuierlich begleitend konzipiert werden.

Assistierte Freiheit – Philosophisch-ethische Aspekte der Demenzerkrankung (Prof. Dr. med. Dr. theol. Walter Schaupp, Lehrstuhl für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz, Österreich)

Der Beitrag rückt im Hinblick auf Demenz Freiheit und Autonomie in den Mittelpunkt. Zusammen mit Bewusstsein seiner selbst und Vernunft gilt Freiheit als unmittelbarste Voraussetzung menschlicher Moralfähigkeit und Würde. Es wird der Paradigmenwechsel, der nicht mehr das klassische Mitleids- und Fürsorgedenken, sondern das Recht behinderter Menschen auf Freiheit und Selbstentfaltung im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten in den Mittelpunkt stellt, dargelegt. Dabei wird von einem Verständnis menschlicher Autonomie ausgegangen, das diese nicht als etwas fertig Gegebenes ansieht, sondern als Fähigkeit, die sich erstens prozesshaft entfaltet, die dazu zweitens grundsätzlich Unterstützung und Assistenz durch die Umwelt benötigt und die drittens individuell verschiedene Spielarten und Entfaltungsmöglichkeiten kennt. Zwei erfolgversprechende Konzepte oder Strategien sind in diesem Zusammenhang das Bemühen, die Autonomiechancen von Betroffenen über wirksame Möglichkeiten des Vorausverfügens zu stärken, und das Anliegen, auf auch bei Demenz erhalten gebliebene Freiheitsmöglichkeiten aufmerksam zu machen und sie zur Entfaltung zu bringen.

Das Selbst demenzkranker Menschen – Psychologische Aspekte (Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Andreas Kruse, Institut für Gerontologie, Universität Heidelberg)

In der Begegnung mit demenzkranken Menschen kann die Verletzlichkeit des Lebens erkannt werden. Die Begegnung verdeutlicht die grundsätzliche Aufgabe des Menschen, im Schicksal des anderen Menschen auch das eigene potenzielle Schicksal zu erkennen. Im Hinblick auf die Menschenwürde besitzt die Erfahrung von Bezogenheit in allen Phasen der Demenz entscheidende Bedeutung für das Wohlbefinden. Damit ist gemeint, dass demenzkranke Menschen nicht aus vertrauten sozialen Kontexten ausgeschlossen werden, sondern dass sie – im Gegenteil – weiterhin eine offene, sensible, konzentrierte Zuwendung erfahren, und dies auch dann, wenn sie zur verbalen Kommunikation nicht mehr in der Lage sind und ihre aktuelle Befindlichkeit wie auch ihre aktuelle Motivlage nur aus Mimik und Gestik erschlossen werden kann. Es sollte nicht von einem Menschenbild ausgegangen werden, das sich ausschließlich an den kognitiven Leistungen eines Menschen orientiert. Vielmehr sollten die noch bestehenden Ressourcen eines demenzkranken Menschen beachtet werden, die vielfach im emotionalen, im empfindungsbezogenen, im kommunikativen und im alltagspraktischen Bereich liegen. Ein ethischer Entwurf zum gelingenden Leben im Alter kann auf den folgenden fünf Kategorien aufbauen: Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, bewusst angenommene Abhängigkeit, Mitverantwortung, Selbstverwirklichung. Überlegungen zur altersfreundlichen und pflegefreundlichen Kultur werden erörtert.

„Wenn der Geist zerfällt…“ – Carolus Horn 1921–1992 – Alzheimer und Kunst (Prof. Dr. med. Konrad Maurer und Dr. med. David Prvulovic, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Frankfurt am Main)

Visuelle Störungen sind ein häufiges Phänomen bei der Alzheimer-Krankheit. Dabei kommt es zu einer zunehmenden Beeinträchtigung der räumlichen Vorstellungskraft, der Objekterkennung; sogar die Farbwahrnehmung und die Farbpräferenzen verschieben sich deutlich im Krankheitsverlauf. Für den Patienten verändert sich dadurch das Aussehen der Welt. Einen eindrucksvollen Einblick in diese Veränderungen gibt das Gesamtwerk des Künstlers und Grafikers Carolus Horn. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die typischen Veränderungen der visuellen Perzeption bei der Alzheimer-Krankheit am Beispiel von Veränderungen in den Grafiken und Zeichnungen von Carolus Horn im Laufe seines Krankheitsprozesses.

Schlüsselwörter: Würde des Menschen, Epidemiologie und Klinik der Demenz, Diagnostik der Demenz, Therapie der Demenz, psychosoziale Interventionen bei Demenz, TANDEM-Training, Rehabilitation, rehabilitative Maßnahmen, mobile Rehabilitation, Angehörige, Freiheit, Autonomie, Bewusstsein, Vernunft, Moralfähigkeit, Paradigmenwechsel, Vorausverfügung, Verletzlichkeit des Lebens, Schicksal, Wohlbefinden, Zuwendung, Menschenbild, kognitive Leistungen, Ressourcen, emotional, empfindungsbezogen, kommunikativ, alltagspraktisch, Ethik, Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, Abhängigkeit, Mitverantwortung, Selbstverwirklichung, altersfreundliche Kultur, pflegefreundliche Kultur, Alzheimer-Krankheit, Kunst und Demenz, Carolus Horn, visuell-räumliche Beeinträchtigung, Verschiebung der Farbpräferenz


Fragestellungen und Einführung in den 6. Ärztetag am Dom in Frankfurt am Main

In einer Bevölkerung mit immer älteren und auch kränkeren Patienten nimmt die Zahl der Menschen mit Demenz deutlich zu. Damit stellen sie eine zunehmende Herausforderung an die Betreuung aller Beteiligten dar, sowohl in medizinischer als auch in pflegerischer sowie ethischer und sozialmedizinischer Sicht. Wie stellen wir uns dieser Herausforderung? Wie sehen wir diese Menschen in unserer Mitte? Inwieweit werden und können sie in unsere Gesellschaft integriert werden? Wie gehen wir mit ihnen in Praxis und Krankenhaus um? Wie behandeln wir sie, wie müssten, wie sollten wir sie behandeln? Der 6. Ärztetag am Dom will versuchen, aus medizinischer, medizinisch-psychologischer, sozialer und ethischer Sicht hierzu die Fragen einzugrenzen und erste Antworten zu geben.

Prof. Dr. med. Ulrich Finke, Vorsitzender des Arbeitskreises Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet, Ärztlicher Direktor des St. Katharinen-Krankenhauses Frankfurt am Main, führte in den 6. Ärztetag am Dom in Frankfurt am Main ein.


Grußworte (Bischof Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst, Limburg)

Es ist mir eine große Freude, Sie so zahlreich im Haus am Dom im Bistum Limburg zum 6. Ärztetag begrüßen zu können. Gemeinsam stellen Sie sich in Fachvorträgen und Austausch der Thematik der „Demenz“. Der Ärztetag am St. Bartholomäus-Dom ist eine anerkannte ärztliche Fortbildung. Durch Ihre Teilnahme signalisieren Sie zugleich, dass auch die Kirche als Ort der Wissenschaft ernst zu nehmen ist, dass sie das ihr Eigne beizutragen hat.

Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang den Mitgliedern des ehrenamtlichen Arbeitskreises „Ethik in der Medizin“, der sich für dieses Anliegen des wissenschaftlichen Austausches mit großem Engagement einsetzt. Der Ärztetag ist darüber hinaus auch ein Ort, an dem Wissenschaft ethisch reflektiert wird.

Der wissenschaftliche Diskurs soll in den Dienst des Menschen gestellt werden; das ist das Besondere dieses Tages und aus diesem Grunde findet er meine besondere Unterstützung.

Die große Teilnehmerzahl am heutigen Tag zeigt, dass Demenz eine wachsende Herausforderung geworden ist: gesamtgesellschaftlich ebenso wie für die ärztliche Praxis im Besonderen. Die Befassung mit Demenz ist als verbreitetes gesellschaftliches Phänomen ein wichtiges Feld Ihrer Arbeit. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sind gegenwärtig etwa 1,4 Millionen Menschen in Deutschland an einer Demenz erkrankt, es ist davon auszugehen, dass es bis zum Jahr 2050 rund 3 Millionen Menschen sein werden, sofern kein Durchbruch in der Therapie gelingt. Allein in Frankfurt leben ca. 10.000 direkt Betroffene. Die Zahl derer, die durch ein an Demenz erkranktes Familienmitglied mit dieser Krankheit in Pflege und Fürsorge zu tun haben, ist dementsprechend größer.

Als Ärzte sind Sie in besonderer Weise Ansprechpartner für Betroffene und ihre Angehörigen. Sie haben mit einer Erkrankung zu tun, die wie ein Schicksalsschlag auf eine Familie fallen kann. Unser menschliches Dasein, das uns in der Unbewusstheit des Alltags in der Regel als frei, gegenwartsbestimmt und voller Potential begegnet, wird plötzlich als Schicksalsmasse erlebt. Die Demenzerkrankung berührt das Selbst so grundlegend, dass der Mensch zunehmend seine Kohärenz und seine Dynamik einbüßt. Ein Mensch verliert sich buchstäblich selbst – eine erschütternde Erkenntnis. Auch für die Angehörigen ist das schwer: Aus persönlichen Gesprächen weiß ich, wie belastend der Prozess einer Demenzerkrankung ist – auch für das eigene Gewissen; wenn man meint, man könne von den Charakteristika der Krankheit nicht mehr abstrahieren, könne den geliebten Menschen nicht mehr sehen.

Sicher haben Sie noch die öffentliche Berichterstattung in Erinnerung: Am 11. Oktober 2012, dem 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, hat Papst Benedikt XVI. das „Jahr des Glaubens“ für die ganze Kirche eröffnet.

Glaube“ wird im christlichen Kontext mit dem altgriechischen Wort „pistis“ übersetzt.

Wörtlich übertragen kann man es auch mit: „sein Herz hängen an“. Eine wunderbare, geradezu ‚körperliche’ Metapher, die Ihnen als Medizinern und Ärzten nahestehen kann. „Sein Herz hängen an“ – drückt sich auch im Zeugnis der Heiligen Schrift aus: Gott hat uns ins Leben gerufen, er wiegt uns wie eine Mutter, er führt uns wie ein Vater. Gott ist nicht einfach nur Urheber des Lebens, kein unbewegter Beweger, sondern Schöpfer, Vater und Bundespartner der Menschen. Er ist die Wurzel, die uns trägt – so bezeugt es der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer (vgl. Röm 11,18).

Der Blick des christlich-kirchlichen Glaubens bemüht sich immer schon um einen Blick für das Ganze. Die Ausdifferenzierung und die Unterscheidung der einzelnen Disziplinen in Humanwissenschaften, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften hat ihr Recht, denn aus ihr geht eine Fülle wertvoller Ergebnisse hervor, von deren Austausch alle profitieren.

Im Fall von Demenzerkrankungen ist dies z.B. die Erkenntnis, dass für die abnehmende Kohärenz eines dementen Selbst eine Schädigung der Gehirngefäße verantwortlich ist, die nichts mit Altersstarrheit zu tun hat. Dennoch birgt die notwendige Differenzierung der Fachdisziplinen auch eine Gefahr in sich. Der segmentierte Blick vertieft und verfestigt die geistige Zerrissenheit des modernen Menschen. Der Blick von Theologie und Kirche ist hier grundsätzlicher: Gott hat das Leben geschaffen; den Menschen als sein Ebenbild. Daraus gewinnen wir die Erkenntnis, dass jedem Menschen, in jedem Stadium seines Lebens – in Alter und Krankheit ebenso wie dem Ungeborenen – eine unverwechselbare Einmaligkeit und damit Würde zukommt. Auch und gerade Angehörige von an Demenz Erkrankten haben dies oft zum Ausdruck gebracht:

Menschliches Leben ist in allen seinen Stadien heilig. Auch der an Demenz Erkrankte hat seinen Namen, auch dann, wenn er sich selbst nicht an diesen Namen erinnern sollte. Vor wenigen Tagen kam ein Film in die deutschen Kinos mit dem Titel: „Vergiss mein nicht“. Es ist die Dokumentation einer Demenzerkrankung einer Mutter, aufgenommen von ihrem Sohn, dem Regisseur David Sieveking. Die Tatsache, dass sogar die Tagesthemen davon berichteten, ist ein Zeichen dafür, dass das Thema „Demenz“ in unserer Gesellschaft angekommen ist. Sievekings Film aber steht für mehr.

Der Film, der übrigens am 13. März vom Regisseur persönlich hier im Haus am Dom vorgestellt wird, zeigt, dass das Thema „Demenz“ die Öffentlichkeit nicht mehr nur als volkswirtschaftliches Schreckgespenst bewegt, sondern als gewaltvoller ‚Wink des Lebens’, sich und den anderen wieder als Geschenk wahrzunehmen.

Eigentlich bin ich der Demenz dankbar“, so sagt es Sievekings Vater in der Dokumentation seines Sohns. „Dafür, dass ich die Liebe neu entdeckt und erkannt habe, wie schön es ist, für jemanden da zu sein“. Solche Empfindungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, brauchen unsere Unterstützung. Sie als Ärzte sind aufgerufen, sich kundig zu machen, wie der Umgang mit Demenzkranken sachdienlich, hilfreich, vor allem aber würdevoll sein kann.

Wir alle sind aufgerufen, demente Personen als selbstverständlichen Teil unserer Gemeinschaft anzunehmen. Auch Demenz ist Leben.

Ich begrüße es sehr, dass seit Beginn des Jahres durch die Reform der Pflegeversicherung mehr Hilfe für Demenzkranke gesetzlich verankert wurde. Für mich als Bischof, Priester und Seelsorger ist damit die Hoffnung verbunden, dass Angehörigen mehr Freiraum ermöglicht wird, sich dem Menschen hinter der Krankheit zu widmen, um sich und den anderen – die eigene Seele und die Seele des anderen – jeden Tag aufs Neue wiederzufinden.

Ihnen allen wünsche ich einen guten Verlauf des Ärztetages im Bistum Limburg und einen fruchtbaren fachlich-kollegialen Austausch!


Medizinische Grundlagen und Behandlungsmöglichkeiten der Demenz (Prof. Dr. med. Johannes Pantel und Dr. rer. nat. Julia Haberstroh, Arbeitsbereich Altersmedizin mit Schwerpunkt Psychogeriatrie und klinische Gerontologie, Institut für Allgemeinmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Prof. Dr. med. Johannes Pantel: Studium der Medizin, Philosophie und Psychologie in Heidelberg und London; nach Tätigkeiten an der Neurologischen Universitätsklinik Essen und der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg seit 2003 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, dort seit 2011 Professur für Altersmedizin mit Schwerpunkt Psychogeriatrie und klinische Gerontologie.

Epidemiologie, klinische Definition und Ursachen des Demenzsyndroms

Die Demenzen zählen heute zu den häufigsten Erkrankungen des älteren Menschen. Mit Prävalenzen von etwa 1% bei den über 70–75-Jährigen, 5% bei den über 75–80-Jährigen, aber bereits über 10% bei den über 80-Jährigen und mehr als 35% bei den über 90-Jährigen sind bereits heute ca. 1.200.000 Menschen in Deutschland von diesem Syndrom betroffen [1]. Unter Berücksichtigung des demografischen Wandels, d.h. eines zunehmenden Anteils älterer und hochaltriger Menschen an der Bevölkerung, wird von einer Verdoppelung dieser Zahl innerhalb der nächsten Dekaden ausgegangen. Demenzen sind demnach altersgebundene Erkrankungen, die in ihrer Mehrzahl auf chronisch verlaufende, neurodegenerative Prozesse zurückzuführen sind.

Da die meisten Demenzerkrankungen beim derzeitigen Stand der Forschung medikamentös weder geheilt noch in ihrem Verlauf aufgehalten werden können, ist es wichtig, auch nicht-medikamentöse Interventionsmöglichkeiten zur Förderung der erkrankten Menschen zu erforschen [2]. In diesem Kontext ist es von großer Bedeutung, dass das wissenschaftliche Interesse nicht nur direkten Interventionsmaßnahmen für Demenzkranke gilt, sondern auch Angebote für Pflegepersonen entwickelt und überprüft werden. Diese Notwendigkeit ergibt sich zum Einen daraus, dass es die Pflegepersonen sind, die den größten Einfluss auf die Lebensqualität demenzkranker Menschen haben. Zum Anderen betrifft eine Demenz nicht nur den erkrankten Menschen selbst, sondern belastet auch ganz erheblich die familiär und professionell Pflegenden. Dieser Aspekt der Behandlung wird u.a. im weiteren Verlauf dieses Beitrags ausführlicher behandelt.

Demenz ist ein klinisches Syndrom, das auf der Grundlage der im Folgenden aufgeführten und u.a. in den Diagnostikmanualen des ICD 10 bzw. DSM IV niedergelegten Kriterien diagnostiziert werden kann:

  • A Fortschreitende Gedächtnisstörung (z.B. Merkfähigkeit/Kurzzeitgedächtnis, biographisches und semantisches Gedächtnis)
  • B Zusätzlich mindestens eines der folgenden Merkmale:
    • Beeinträchtigung des abstrakten Denkens und Urteilsvermögens sowie der Orientierung
    • Beeinträchtigung anderer höherer kognitiver Funktionen (Aphasie, Apraxie, Agnosie, Alexie)
    • Persönlichkeitsveränderungen und andere sogenannte nicht-kognitive Störungen (emotionale Labilität, depressive Symptome, Sinnestäuschungen, Wahn)
  • C A und B sind so schwer ausgeprägt, dass sie zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Alltagskompetenz und der Sozialbeziehungen führen
  • D Chronizität und fehlende Einschränkung des Bewusstseinszustandes (Wachzustand)
  • E Andere Ursachen der kognitiven und psychopathologischen Auffälligkeiten (z.B. Delir, depressive Pseudodemenz) wurden ausgeschlossen

Demenzen haben keine einheitliche Ursache, sondern können durch eine Vielzahl das Gehirn unmittelbar bzw. mittelbar betreffende Krankheitsprozesse verursacht werden [1]. Nach pathoanatomischen Studien sind bis zu zwei Drittel aller Demenzerkrankungen auf die Alzheimer-Demenz zu beziehen, die zu den neurodegenerativen Demenzen gezählt wird. Weitere neurodegenerative Demenzformen sind die frontotemporalen Degenerationen, die Demenz bei Parkinsonsyndrom, die Lewy-Körperchen-Demenz oder die (seltene) Creutzfeld-Jakob-Erkrankung. Nach heutigem Wissensstand sind die neurodegenerativen Demenzen vermutlich jeweils auf molekulare Fehlfaltungen hirneigener Proteine zurückzuführen, die einen physiologischen Abbau dieser Proteine verhindern und damit deren Anreicherung und Ablagerung im Hirngewebe begünstigen. Unterschiede ergeben sich jeweils hinsichtlich der spezifischen von der Fehlfaltung betroffenen Proteine (z.B. A-Beta-Protein bei der Alzheimer-Demenz; tau-Protein bei der frontotemporalen Demenz; alpha-Synuclein bei der Lewy-Körperchen-Demenz; Prion-Protein bei der Creutzfeld-Jakob-Demenz) sowie hinsichtlich der Lokalisation ihrer bevorzugten Ablagerung im Gehirn (sogenannte Prädilektionsstellen).

Neben den neuroedegenerativen Demenzen entfallen jeweils etwa 10–15% der Demenzen auf vaskuläre Demenzen bzw. auf Mischformen, in denen sich die beiden häufigsten Demenzursachen überlagern [1]. Allerdings ist die nosologische Stellung dieser Mischformen – eigenständige Entität oder zufällige Koinzidenz zweier für sich genommen selbst häufiger Erkrankungen – noch weitgehend ungeklärt. Demnach können Demenzen durch neurodegenerative Prozesse oder vaskuläre Schäden primär im Gehirn entstehen oder aber erst sekundär als Folge anderer, das Gehirn mittelbar betreffender Erkrankungen. Die Ursachen dieser ca. 10% aller Demenzen ausmachenden sogenannten „sekundären Demenzen“ sind vielfältig. Unter anderem zählen diverse Stoffwechselerkrankungen (z.B. Hypothyreose), chronisch-entzündliche Ursachen (z.B. Lues oder Neuroborreliose), Tumore (z.B. Meningeom) oder Umweltfaktoren (z.B. Alkohol und andere Giftstoffe) dazu.

In der Demenzdiagnostik sind Differentialdiagnose und Stadium einer möglichen Demenzerkrankung abzuklären. Dies schließt auch körperliche Erkrankungen ein, die über eine mögliche Hirnbeteiligung zur oben genannten sekundären Demenz führen können. Eine wichtige Ausschluss- bzw. Differentialdiagnose stellt darüber hinaus das Delir bzw. der akute Verwirrtheitszustand dar [3]. Das Spektrum der zu beachtenden Differentialdiagnosen macht eine intensive interdisziplinäre Kooperation erforderlich: Innere Medizin und Radiologie seien hier als die wohl wichtigsten Ansprechpartner genannt [1], [4], [5]. Grundlage des sich daraus ergebenden mehrstufigen Vorgehens ist eine ausführliche Exploration und klinische Untersuchung. Nur so können wichtige anamnestische Angaben bzw. Befunde verlässlich erhoben werden. Zur Standarddiagnostik zählen darüber hinaus eine zumindest orientierende psychometrische Untersuchung (z.B. MMST, DEMTEC, Uhrentest), eine Basisdiagnostik relevanter Laborparameter sowie eine Strukturbildgebung des Gehirns mittels CCT oder MRT [6]. Weiterführende und aufwändigere Untersuchungen – zu denen u.a. Lumbalpunktion mit Liquoranalyse oder eine Funktionsbildgebung mit der Positronen-Emmissions-Tomographie (PET) zählen – bleiben speziellen Fragestellungen vorbehalten.

Verlaufsformen der Demenzen

Alzheimer-Demenz (AD)

Kognitive Defizite, vor allem Störungen deklarativer Gedächtnisfunktionen, und psychopathologische Symptome bilden die Leitsymptome demenzieller Erkrankungen (s.o.). Nach den Ergebnissen epidemiologischer Längsschnittstudien entstehen die kognitiven Defizite i. S. einer „leichten kognitiven Beeinträchtigung“ schon unmerklich in der 7. Lebensdekade [7]. Die Veränderungen bleiben dann über Jahre kompensiert, um sich mit klinischer Manifestation der demenziellen Symptomatik exponentiell zu verstärken. Psychopathologische Symptome gehen mit depressiven Veränderungen oft schon bei der leichten kognitiven Beeinträchtigung und in den frühen Demenzstadien einher. Im weiteren Verlauf werden häufig Apathie, aber auch Störungen der Denkinhalte und der Wahrnehmung beobachtet. Schon aus diesen Gründen hat sich in der Klinik die Unterscheidung von drei Verlaufsstadien – beginnende, mittelgradige und schwere Demenz – bewährt [1]:

In ihrem Anfangsstadium ist die Alzheimer-Demenz typischerweise durch schleichend einsetzende kognitive Defizite charakterisiert, die vorwiegend – nicht ausschließlich – deklarative Gedächtnisleistungen betreffen. Die Defizite bleiben in der Regel lange kompensiert, etwa indem externe Gedächtnisstützen eingesetzt werden. Andere Betroffene versuchen, defizitäre Bereiche zu meiden, woraus ein „fassadäres Verhalten“ mit stereotypen bzw. floskelhaften Kommunikationsstilen entstehen kann. Typischerweise werden Leistungseinbußen zunächst von nahestehenden Personen bemerkt. Nicht selten entwickeln die Patienten in den Anfangsstadien eine gedrückte, teilweise auch ratlos-verunsicherte Stimmung, die als Reaktion auf die Leistungseinbußen verständlich wird. Der Umgang mit den eigenen subjektiv wahrgenommenen kognitiven Defiziten ist häufig geprägt von einer Verleugnung bzw. Verharmlosung der Beeinträchtigung bei mangelnder Krankheitseinsicht. Für den klinischen Alltag, aber auch für die Begegnung mit den Patienten unterstreichen diese Ausführungen die Bedeutung eines geduldig-verständnisvollen, keinesfalls konfrontativen Explorationsstiles sowie ausführlicher Fremdanamnesen. Weitere kognitive Defizite betreffen Wortfindung und Wortflüssigkeit sowie visuokonstruktive Fähigkeiten, etwa in Form einer konstruktiven Apraxie mit Beeinträchtigung von Erkennen, Zusammenfügen oder Zeichnen von Figuren. Das implizite Gedächtnis mit dem unbewussten Wissen um Handlungsabläufe bleibt zunächst weitgehend intakt. Dagegen sind in der Testung Störungen der Denkabläufe, insbesondere bei der Bewältigung komplexer Aufgaben, nachweisbar. Im weiteren Verlauf werden nach der Ribotschen Regel neuerworbene vor Altgedächtnisinhalten beeinträchtigt. Diese Reihenfolge gilt auch für kognitive Störungen, indem später erworbene Kompetenzen vor ontogenetisch früh angelegten Fähigkeiten defizitär werden.

Charakteristisch für mittelgradige Demenzen ist eine hochgradige Vergesslichkeit, die nicht nur auf neuere Gedächtnisinhalte und autobiographische Episoden beschränkt ist, sondern auch mehr und mehr Altgedächtnis und autobiographische Fakten einschließt. Das analytische Denken mit Erkennen von Zusammenhängen und Planen von Handlungsabläufen ist erheblich eingeschränkt und zunehmend aufgehoben, die sprachlichen Äußerungen verarmen auf ein floskelhaftes Niveau und werden zusätzlich durch Paraphasien und Perseverationen beeinträchtigt. Andererseits werden mnestische Defizite auch konfabulatorisch „überbrückt“. Häufig sind ideomotorische und ideatorische Apraxie, die Bewegungsabläufe und Handlungsfolgen auch bei alltäglichen Verrichtungen, etwa dem Ankleiden oder Gebrauch von Geräten, stören und schließlich unmöglich machen. Agnosie (Störungen des Erkennens), Alexie und Akalkulie (Störungen der Lese- bzw. Rechenfähigkeit) bilden weitere häufige kognitive Störungen. Auch Apathie ist oft zu beobachten. Besondere Bedeutung haben ferner Wahnbildungen und Wahrnehmungsstörungen, die in expansive Verhaltensauffälligkeiten münden können. Gegenüber den entsprechenden Phänomenen bei schizophrenen Psychosen werden Wahnbildungen bei Demenzen kaum von einer ausgeprägten Wahnstimmung getragen, sondern erscheinen fragmentiert und inkonsistent; Wahnwahrnehmungen sind deshalb die Ausnahme. Noch bei schweren Demenzen sind depressive Symptome häufig, obwohl ihre Prävalenz gegenüber den Anfangsstadien abnimmt. Ob diese vorwiegend reaktiv, im Gefolge des subjektiv leidvoll erlebten Kompetenzverlustes, entstehen oder Ausdruck der fortschreitenden neurodegenerativen Veränderungen sind, ist ebenso wenig wie ihre Abgrenzung von apathischen Defiziten abschließend geklärt.

Im Stadium der schweren Demenz sind schließlich alle höheren psychischen und kognitiven Funktionen stark beeinträchtigt. Selbst die Orientierung zur eigenen Person oder Erinnerung biografischer Schlüsselerlebnisse ist oft völlig verschüttet, sprachliche Äußerungen beschränken sich auf einzelne Worte oder einfache Sätze mit fehlerhafter Syntax und werden durch Echolalie und Logoklonie zusätzlich erschwert. Das Sprachverständnis ist erheblich eingeschränkt oder vollständig aufgehoben. Häufig erscheinen in der kindlichen Entwicklung physiologische komplexe Reaktionsmuster erneut; Beispiele hierfür sind das Spiegelzeichen oder das TV-Phänomen, bei dem Personen im Fernsehen nicht als fiktiv erlebt, sondern als real anwesend verkannt werden. In der Endphase der Erkrankung sind die Betroffenen meist bettlägerig und durch die hiermit verbundenen typischen Komplikationen gefährdet. Dennoch bleiben die Patienten auch in den weit fortgeschrittenen Stadien für nonverbale Kommunikation empfänglich und können – etwa anlässlich besonderer Fehlleistungen oder Konflikte – ihre Defizite wahrnehmen und darunter leiden.

Weitere Demenzformen

Bei den Vaskulären Demenzen sind vereinfacht drei Formen – die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, die Multiinfarkt-Demenz und Demenzen nach Infarkten in „strategisch“ wichtigen Arealen, etwa im Thalamus – zu unterscheiden [1]. Bei der Multiinfarkt-Demenz ist oft ein fluktuierender Verlauf, vaskuläre Risikofaktoren, fokale neurologische Befunde, z.T. auch eine depressive Färbung der Symptomatik sowie eine Affektinkontinenz und -labilität nachweisbar.

Frontotemporale Demenzen sind klinisch durch Wesensänderungen, „Frontalhirnzeichen“ mit Disinhibitionszeichen, Antriebsstörungen und defizitären Exekutivfunktionen charakterisiert. Aufgrund der frühen neuropathologischen Beteiligung von Frontal- und Temporallappen gehören Störungen von Sprachproduktion und Sprachverständnis (Aphasie) häufig zu den ersten Auffälligkeiten. In typischen Fällen ist, zumal in Anfangsstadien, das deklarative Gedächtnis nur diskret betroffen. Konfabulationen und fassadäres Verhalten werden häufig beobachtet. Achsensymptome der Demenz mit Lewy-Körperchen sind fluktuierende Leistungsfähigkeit, optische Halluzinationen mit manchmal szenischer Ausgestaltung sowie eine u.U. nur diskret ausgeprägte Parkinson-Symptomatik (Hypokinese, Rigor, Tremor).

Therapeutische Maßnahmen

Für die überwiegende Zahl der Demenzerkrankungen – einschließlich der Alzheimer-Demenz und anderer neurodegenerativer Demenzformen – wird auf absehbare Zeit keine ursachenbezogene, d.h. real in den Krankheitsprozess eingreifende Therapieoption zur Verfügung stehen. Gleichwohl gibt es bereits heute vielfältige hinsichtlich ihrer Wirksamkeit belegte Therapiemaßnahmen, die sowohl zu einer Linderung der Symptome, aber auch zu einer Stabilisierung und Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, der Alltagsfunktionen und der Lebensqualität beitragen können [8]. Nicht alle Patienten sprechen auf die verfügbaren Therapieoptionen in gleicher Weise an, bei Ausschöpfung verfügbarer Behandlungsmöglichkeiten werden jedoch bisweilen erstaunliche Stabilisierungen und auch Verbesserungen des Krankheitsbildes beobachtet.

Zu den anerkannten Therapieoptionen zählen heute neben einer adäquaten Basistherapie (d.h. gute allgemeinmedizinische Betreuung, Behandlung von Begleiterkrankungen, Optimierung der Umwelt- und Betreuungsbedingungen) auch eine medikamentöse Behandlung mit Antidementiva, die insbesondere für die Behandlung der AD bereits seit einigen Jahren zugelassen sind [6]. Namentlich handelt es sich hierbei um die Acetylcholinesterase-Hemmstoffe Rivastigmin, Donepezil und Galantamin, die für die Behandlung der leichten und mittelgradigen Ausprägungen der AD zur Verfügung stehen, sowie um das am Glutamat-System ansetzende Memantin, für das in Deutschland eine Zulassung zur Behandlung der moderaten bis schweren Demenz besteht. Die Behandlungseffekte sind vielfach repliziert, wenngleich im Gruppenmittel aller Behandelten nicht sehr groß. Gleichwohl kann ein angemessener Einsatz dieser Medikamente im Einzelfall erstaunliche Verbesserungen bzw. Stabilisierungen der Symptome bewirken. Da die Behandlung mit diesen Substanzen rein symptomatisch ist, sind die Behandlungserfolge nicht von Dauer.

In den letzten Jahren ging daher eine Vielzahl von klinischen Prüfungen mit sogenannten krankheitsmodifizierenden („disease-modifying“) Prüfsubstanzen an den Start, deren zentrales pharmakologisches Ziel in einer Hemmung der Entstehung bzw. einer Förderung der Mobilisierung des für die AD pathogenetisch bedeutsamen A-Beta-Proteins („Beta-Amyloid“) besteht. Diese basieren u.a. auf der Hemmung der für die A-Beta-Bildung relevanten Sekretasen bzw. auf einer immunologischen Neutralisierung des pathogenetisch relevanten Polypeptids (aktive bzw. passive Immunisierung mit spezifischen Antikörpern gegen A-Beta). Die bisherigen Ergebnisse dieser Studien sind jedoch eher ernüchternd bis enttäuschend, insofern entweder schwerwiegende Nebenwirkungen auftraten oder keine klinische Wirksamkeit belegt werden konnte. Ob sich diese von vielen Hoffnungen bei Betroffenen und Experten begleiteten „Anti-Amyloid-Strategien“ oder andere krankheitsmodifizierende pharmakologische Interventionen in absehbarer Zeit noch bis zur klinischen Einsatzreife entwickeln lassen, ist vor dem Hintergrund der jüngsten Rückschläge sehr fraglich.

Nach sorgfältiger Indikationsstellung kann bei der Demenz auch eine zeitlich begrenzte Behandlung der psychopathologischen Symptome mit ausgewählten Psychopharmaka therapeutisch sinnvoll sein [9]. Hierbei ist aber insbesondere eine Dauerbehandlung von Verhaltensauffälligkeiten mit Neuroleptika bzw. Antipsychotika und anderen primär sedierenden Pharmaka tunlichst zu vermeiden, da diese nach heutigem Kenntnisstand mehr schaden als nutzen kann [10].

Von zunehmender Bedeutung für die Behandlung sind daher – gerade vor dem Hintergrund begrenzter medikamentöser Therapieoptionen – psychologische und psychosoziale Interventionen, zu denen neben den unmittelbar patientenbezogenen Angeboten (kognitive Verfahren, Ergotherapie, körperliche Aktivität, künstlerische Therapien, Musiktherapie, sensorische und multisensorische Verfahren, Aromatherapie etc.) auch Trainingsangebote für berufliche und familiäre Betreuungspersonen zählen [11], [12], [13]. Einschränkend muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass für die meisten der psychosozialen Interventionen bislang noch keine wissenschaftlich zufriedenstellenden Wirksamkeitsbelege vorliegen. Diese Feststellung darf jedoch nicht vorschnell auf die unzureichende Effektivität der Maßnahmen schließen lassen, sondern ist im Wesentlichen der unzureichenden Qualität der vorliegenden Studien geschuldet. Obwohl demnach die Beurteilung der Wirksamkeit von psychologischen und psychosozialen Interventionen bei Demenz aufgrund der Datenlage unter Zugrundelegung strenger Evidenzkriterien nur eingeschränkt möglich ist, wird ihr Einsatz von der aktuellen Diagnose- und Behandlungsleitlinie Demenz der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) grundsätzlich empfohlen [6].

Förderung von Kommunikation und Kooperation in der Betreuung demenzkranker Menschen: das Projekt TANDEM

Pflegende Angehörige und auch beruflich Pflegende fühlen sich besonders durch nicht-kognitive Veränderungen im Bereich des Affekts, des Verhaltens und der Kommunikationsfähigkeit des gepflegten demenzkranken Menschen belastet [14], [15]. Die Kommunikationsfähigkeit des demenzkranken Menschen hat große Bedeutung, da sie die Grundlage der Interaktion zwischen dem an Demenz erkrankten Menschen und seinen Pflegepersonen darstellt, die wiederum eine der wichtigsten Quellen des Wohlbefindens und der Lebensqualität demenzkranker Menschen darstellt. Kooperation im Sinne der sozialen Unterstützung gilt als einer der wichtigsten Coping-Mechanismen zur Prävention von Burnout in der familiären sowie beruflichen Pflege demenzkranker Menschen. Will man die Lebensqualität demenzkranker Menschen verbessern und die Belastungen und Beanspruchungen der Pflegepersonen reduzieren, so müssen folglich unbedingt Kommunikation und Kooperation in der Pflege unterstützt werden.

Das Projekt TANDEM hat sich zum Ziel gesetzt, die Kommunikation und Kooperation in der Betreuung demenzkranker Menschen zu verbessern, um somit die Belastung von familiär sowie beruflich Pflegenden zu reduzieren und gleichzeitig die Lebensqualität der betreuten demenzkranken Menschen zu verbessern. Zu diesem Zweck werden von der Professur für Gerontopsychiatrie des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main seit 2004 Trainingsangebote entwickelt, durchgeführt und evaluiert, die seit 2011 am Arbeitsbereich Altersmedizin des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität weitergeführt werden. Ein weiteres Ziel des Projekts TANDEM ist es, eben diese Trainingsangebote langfristig in der Versorgungspraxis zu implementieren und in ihrer Anwendung zu multiplizieren. Zielgruppe für die Trainingsangebote sind hierbei sowohl berufliche Pflegekräfte aus ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen als auch pflegende Angehörige von demenzkranken Menschen.

Die Entwicklungen in der Pflege alter und demenzkranker Menschen haben in den letzten Jahren zu einer starken Zunahme der Qualifikationsanforderungen im medizinischen und pflegerischen Bereich geführt. Dabei kommt vor allem auch den Anforderungen an soziale und kommunikative Kompetenz der Pflegenden eine entscheidende Bedeutung zu [9]. Dem gestiegenen Qualifizierungsbedarf für diese Schlüsselkompetenzen steht jedoch eine geringe und hinsichtlich Zielgruppen oder auch inhaltlicher Schwerpunkte wenig vergleichbare Angebotspalette gegenüber. Die Folge sind Überforderung und enorme psychische Beanspruchung auf Seiten der Pflegenden, die als Hauptursache für hohe Fluktuationsraten und Fehlzeiten sowie häusliche Gewalt in der Pflege diskutiert werden, sodass ein adäquater Umgang und eine qualitätsvolle Pflege und Betreuung der Betroffenen kaum noch gewährleistet werden kann [16].

Die Förderung von Lebensqualität demenzkranker Menschen sowie die Reduktion der Beanspruchungen der Pflegepersonen und die Frage nach geeigneten Maßnahmen hierfür werden sowohl in der beruflichen, aber auch der familiären Pflege Betroffener zunehmend bedeutsam [2]. Bereits heute besteht ein wachsender Bedarf an Qualifizierungsmaßnahmen, dem derzeit jedoch vor allem durch fachwissenvermittelnde Fort- und Weiterbildungsangebote begegnet wird. Reine Wissensvermittlung muss jedoch unbedingt durch Transfermaßnahmen unterstützt werden [17]. Nur wenn erworbenes Fachwissen auch tatsächlich auf den Pflegealltag transferiert wird, können die gelernten Inhalte tatsächlich als Kompetenzen in der Pflege genutzt werden und nachhaltig zu Beanspruchungsreduktion und Lebensqualität beitragen.

Das Projekt TANDEM startete im Jahr 2004 mit einem Kommunikations-Training für pflegende Angehörige von Demenzpatienten (Kommunikations-TAnDem: [14]), das unterstützt von der Alzheimer Gesellschaft Frankfurt am Main durchgeführt wurde. Bei der Umsetzung dieser ersten Pilotstudie arbeitete die Professur für Gerontopsychiatrie, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, mit der Arbeitsgruppe Pädagogische Psychologie der TU Darmstadt zusammen. Die erfolgreiche Pilotstudie wurde mit dem Parkwohnstiftpreis für Gerontologie 2005 und mit dem Georg-Gottlob-Studienpreis für angewandte Psychologie 2007 ausgezeichnet. Weiterhin konnten zwei Promotionsstipendien von der Deutschen Alzheimer Stiftung sowie von der BHF-Bank-Stiftung für eine Fort- und Weiterführung des Projekts TANDEM eingeworben werden. 2005 wurden die beiden Projektschwerpunkte „TANDEM in der Familie“ und „TANDEM im Pflegeheim“ [18] gegründet. 2007 startete darüber hinaus dank einer erneuten Förderung durch die BHF-Bank-Stiftung ein Multiplikatorenprogramm des „TANDEM im Pflegeheim“. Dieses beinhaltet zum einen die TANDEM-Trainerausbildung, in der Wohnbereichsleitungen von Demenzstationen zu TANDEM-Trainerinnen ausgebildet werden; zum anderen wurden die Trainings des Projekts „TANDEM im Pflegeheim“ umfassend manualisiert. Seit 2008 wird das TANDEM zudem durch einen weiteren ambulanten Schwerpunkt ergänzt, in dem die TANDEM-Trainings im Rahmen des Leuchtturmprojekts „Quadem“ (gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit; [19]) zur Anwendung kommen. Auch dieses Projekt wurde ergänzt durch ein vom Hessischen Sozialministerium und den Landesverbänden der Pflegekassen in Hessen finanziertes Multiplikatorenprogramm („MultiTANDEM“), das eine Trainerausbildung sowie die Manualisierung der TANDEM-Trainings für pflegende Angehörige sowie für Pflegekräfte ambulanter Dienste beinhaltete. Die im Rahmen der beiden Multiplikatorenprogramme entstandenen Manuale sind 2011 im Springer-Verlag erschienen [12].

Es konnte in wiederholten Studien der eigenen Arbeitsgruppe für verschiedene Zielgruppen gezeigt werden, dass Kommunikationstrainings für die Pflegepersonen demenzkranker Menschen die Beanspruchungen der Pflegenden reduzieren und gleichzeitig die Lebensqualität demenzkranker Menschen verbessern sowie nicht-kognitive Symptome wie beispielsweise Reizbarkeit und Aggressivität reduzieren können [14], [15], [18]. Die wichtigsten Ergebnisse der bisher durchgeführten TANDEM-Studien werden im Folgenden vorgestellt.

Kommunikations-TAnDem: Kommunikations-Training für pflegende Angehörige von Demenzpatienten: Die Wirksamkeit des Kommunikations-TAnDems wurde bereits in zwei kontrollierten Trainingsstudien mit Wartekontrollgruppendesign und Prozesserhebung überprüft, an denen insgesamt 65 pflegende Angehörige teilnahmen, die Informationen zu 65 demenzkranken Menschen lieferten [14], [20]. Die Ergebnisse der Studien belegen Wirkungen für die Variablen „Kommunikationskompetenz“, „Wissen über Kommunikation bei Demenz“, „Fähigkeitsselbstkonzept“, „Lebensqualität der demenzkranken Menschen“ und „Beanspruchung der pflegenden Angehörigen“. Demnach handelt es sich beim Kommunikations-TAnDem um einen Ansatz zur indirekten Förderung der Lebensqualität von demenzkranken Menschen durch ein Training der pflegenden Angehörigen. Insgesamt verdeutlichen die Befunde die Notwendigkeit der Einbeziehung der pflegenden Angehörigen in Interventionsprogramme sowie die Bedeutung der Kommunikationskompetenz für das Wohlbefinden der demenzkranken Menschen und deren pflegende Angehörige.

TANDEM im Pflegeheim – Trainings zur Kommunikation in der stationären Pflege demenzkranker Menschen: Auch für das TANDEM im Pflegeheim konnte die Wirksamkeit der Intervention in zwei kontrollierten Trainingsstudien mit Wartekontrollgruppendesign und Prozesserhebung nachgewiesen werden. Evaluationsdaten von 86 Altenpflegekräften und darüber hinaus Informationen zu 139 demenzkranken Menschen liegen bereits vor [15], [18]. In längsschnittlichen und prozessualen Analysen konnte nachgewiesen werden, dass das Training die soziale Kompetenz der Pflegekräfte steigert und deren psychische Beanspruchung reduziert sowie die Lebensqualität der betreuten demenzkranken Bewohner steigert.

Quadem – Qualifizierungsmaßnahmen zur Steigerung der Lebensqualität demenzkranker Menschen über eine Förderung der Kommunikation und Kooperation in der ambulanten Altenpflege: Das Projekt nutzte zwei wissenschaftlich evaluierte und in der Praxis bewährte Qualifizierungsmaßnahmen: 1. TANDEM, Trainings für familiär und beruflich Pflegende zur Steigerung von sozialen Schlüsselkompetenzen, insbesondere der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten, sowie 2. THELIA, ein Programm zur Schulung ehrenamtlich Pflegender, das diese in die Lage versetzt, für demenzkranke Menschen zentrale Lebensthemen zu erkennen und in die alltägliche Versorgung zu integrieren [19]. In längsschnittlichen Analysen konnte gezeigt werden, dass die Teilnahme an diesen kombinierten Interventionen zu einer Reduktion der Beanspruchung pflegender Angehöriger führte und wesentliche Aspekte der Lebensqualität demenzkranker Menschen (v.a. Bewegungsmöglichkeiten und Aktivitäten) positiver wahrgenommen wurden [21].

Multiplikatorenprogramme: Um die Trainingsmaßnahmen der TANDEM-Projekte nachhaltig in den Versorgungsalltag zu implementieren und zur Multiplikation dieser erfolgreichen Intervention beizutragen, wurden zwei Multiplikatorenprogramme durchgeführt (stationäre und häusliche Pflege). Erwartungsgemäß konnte für das Multiplikatorenprogramm im stationären Bereich eine nachhaltige Steigerung der sozial-kommunikativen Kompetenz sowie eine nachhaltige Reduktion der erlebten Beanspruchung der beruflich Pflegenden nachgewiesen werden [22]. Die Evaluation des Multiplikatorenprogramms für den ambulanten Bereich (MultiTANDEM) ist bislang noch nicht abgeschlossen, erste Ergebnisse sind jedoch vielversprechend. Weiterhin trägt das 2011 veröffentlichte Trainingsmanual [12] zu einer nationalen Multiplikation der Angebote bei. Eine englischsprachige internationale Publikation des Manuals wird derzeit in Erwägung gezogen.

Ausblick

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass Ursachen, Art, Ausprägung und Zusammensetzung der kognitiven und psychopathologischen Einzelsymptome bei der Demenz höchst variabel sein können. Im Einzelfall hängen sie oft weniger von der nosologischen Zuordnung (d.h. von dem Vorliegen einer spezifischen Demenzform bzw. neuropathologischen Demenzursache) als vielmehr von der Topographie und lokalen Ausprägung von Nervenzellverlust und synaptischer Desintegration ab [23].

Die Topographie der zerebralen Schäden ist zwar beeinflusst von der jeweiligen Demenzform (z.B. frontotemporale Demenz versus Alzheimer-Demenz), gleichwohl gibt es hier starke syndromale Überlappungen. Auch das jeweilige Stadium der Erkrankung und biografische sowie persönlichkeitsbezogene Faktoren haben einen starken Einfluss auf die individuelle Ausprägung und Zusammensetzung der Symptome, aber auch auf die noch vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen. Das Profil der neuropsychologischen Defizite zu ergründen und dabei noch verfügbare Ressourcen nicht zu übersehen, ist auch für die fruchtbare Arbeit mit Demenzpatienten eine wichtige Voraussetzung. Dies setzt jedoch eine individuelle Herangehensweise und eine stete Offenheit in der jeweils konkreten therapeutischen Beziehung voraus.

Die überwiegende Zahl der Demenzerkrankungen ist nicht heilbar. Gleichwohl steht zur Behandlung bereits heute eine Vielzahl therapeutischer Maßnahmen zur Verfügung, deren adäquater Einsatz eine sorgfältige und individuelle Diagnostik voraussetzt. Trotz aufwändiger Forschungsbemühungen in der Entwicklung effektiverer und möglicherweise krankheitsmodifizierender pharmakologischer Behandlungsmöglichkeiten waren bisherige Studien nicht von Erfolg gekrönt und die Verfügbarkeit derartiger therapeutischer Innovation kann seriöserweise nicht vorausgesagt werden. Aufgrund der Chronizität der Demenzen und ihrer massiven Auswirkungen für das psychosoziale Wohlbefinden und die Lebensqualität stellen daher psychosoziale Interventionen ein wichtiges und häufig auch wirkungsvolles Element eines ausbalancierten Gesamtbehandlungsplanes dar.


Möglichkeiten und Grenzen rehabilitativer Maßnahmen bei Menschen mit Demenz (Dr. med. Norbert Lübke, Leiter des Kompetenz-Centrums Geriatrie des GKV-Spitzenverbandes und der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste beim MDK Nord, Hamburg)

Dr. med. Norbert Lübke: Medizinstudium in Bochum und Hamburg, nach Tätigkeit in der Geriatrie am Albertinen-Haus Hamburg seit 2003 Leiter des Kompetenz-Centrums Geriatrie des GKV-Spitzenverbandes und der Medizinischen Dienste, Aufgabenbereich: Systemberatung der Träger in Fragen der Weiterentwicklung, Qualitätssicherung, Evidenzbasierung, Evaluation und sozialmedizinischen Begutachtung geriatrischer Versorgungsstrukturen und Leistungsangebote.

Warum rehabilitative Maßnahmen bei Demenz?

Demenzerkrankungen gehen mit erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten einher. Diese setzen sich nur zum kleineren Teil aus den Kosten der Sozialversicherungsträger – insbesondere der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Sozialen Pflegeversicherung (SPV), zum größeren Teil aus familialen Pflegekosten (insbesondere Zuzahlungsleistungen zu externer Pflege – ambulant wie stationär – sowie eigenen Pflegeleistungen) zusammen. Auch diese decken jedoch noch nicht alle informellen volkswirtschaftlichen Kosten ab. Hierzu müssten zahlreiche weitere Aspekte wie beispielsweise Produktionsausfälle pflegender Angehöriger oder bei diesen im Rahmen der pflegerischen Versorgung auftretende gesundheitliche Störungen und deren Folgen zusätzliche Berücksichtigung finden.

Nach Schwarzkopf et al. [24] betragen die Ausgaben der GKV und SPV zusammen für einen Versicherten mit Demenz jährlich durchschnittlich ca. 12.300 Euro gegenüber 4.000 Euro für einen Versicherten ohne Demenz. Rechnet man den Differenzbetrag von 8.300 Euro mit (eher niedrig geschätzten) 1,2 Millionen an Demenz erkrankten Menschen hoch, kommt man allein für diese beiden Sozialversicherungsträger auf Kosten von 10 Milliarden Euro pro Jahr.

Analysen des Statistischen Bundesamtes [25] zeigen, dass hiervon der ganz überwiegende Anteil an Ausgaben bei der SPV (und dort vor allem im Bereich stationärer Pflegeleistungen) anfällt, während sich demgegenüber die Kosten der GKV eher gering ausnehmen. Die Erbringung von Rehabilitationsleistungen unter der Diagnose „Demenz“ ist marginal (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Interessante Aufschlüsse über die Kostenverteilung im Verlauf der Erkrankung ergeben sich aus einer aufwändigen Analyse von Hallauer et al. [26]. Bezogen auf den Schweregrad der Demenz – abgeschätzt nach der sogenannten Mini-Mental-State-Examination (MMSE) (30 Punkte unauffällig, ab <26 leichte kognitive Defizite, <10 schwere Defizite) zeigt sich mit zunehmender Erkrankungsschwere eine massive Zunahme der Pflegekosten, während sich dies in den GKV-Kosten nicht widerspiegelt, diese mit zunehmender Beeinträchtigung sogar eher abnehmen (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Zugleich verdeutlicht diese Analyse den hohen Beitrag familiärer Pflegeleistungen in der Betreuung an Demenz erkrankter Menschen. Gelingt es, diese Pflegebedarfe auch nur in begrenztem Maße durch rehabilitative Maßnahmen zu begrenzen oder zu verzögern, könnte dies bereits von erheblicher wirtschaftlicher Relevanz sein.

Sozialmedizinische Herausforderung

Umso wichtiger ist an der Schnittstelle von Medizin und der rechtlichen Ausgestaltung von Versorgungssystemen sozialmedizinische ärztliche Kompetenz als Voraussetzung der Beurteilung notwendiger und wirksamer Maßnahmen der Gesundheitsversorgung. In der – soweit möglich evidenzbasierten – Bewertung von und Vorschlägen zur Ausgestaltung entsprechender Leistungsangebote zu Prävention, medizinischer Betreuung, Rehabilitation und Pflege liegt eine wesentliche Aufgabe des Kompetenz-Centrums Geriatrie. Nicht zuletzt müssen sich aber auch die in Klinik oder Praxis tätigen Ärzte als Akteure praktischer Sozialmedizin verstehen, indem sie über ihr Handeln die Weichen für die Inanspruchnahme oder Nichtinanspruchnahme entsprechender Versorgungsangebote – hier beispielsweise von rehabilitativen Maßnahmen bei an Demenz erkrankten Menschen – stellen.

Sozialmedizinische Begriffsklärungen

Medizinische Rehabilitation im sozialleistungsrechtlichen Sinne nach §40 SGB V ist eine

  • zeitlich (in der Regel auf 3–4 Wochen) befristete
  • Komplexbehandlung (d.h. Intervention, zu deren Zielerreichung das koordinierte Zusammenwirken mehrerer Therapeutengruppen respektive Professionen erforderlich ist),
  • um eine Beeinträchtigung von Aktivitäten und/oder Teilhabe abzuwenden beziehungsweise
  • eine bereits eingetretene Beeinträchtigung zu beseitigen, zu vermindern oder deren Verschlimmerung zu verhüten.

Rehabilitation setzt somit im Kern gar nicht auf Diagnosen, sondern auf Krankheitsfolgen im Sinne von Schädigungen der Körperstruktur und/oder Körperfunktionen (Körperebene) beziehungsweise der genannten Beeinträchtigungen von Aktivitäten (personale Ebene) oder Teilhabe (soziale Ebene) auf. Konzeptionell liegt diesem Ansatz das Krankheitsfolgenmodell der International Classification of Functioning [27] zugrunde.

Wenngleich auf diese Leistung prinzipiell ein gesetzlicher Anspruch gegenüber der GKV besteht, ist dieser an die Erfüllung so genannter Rehabilitationsindikationskriterien geknüpft, wie sie in der Begutachtungsrichtlinie Vorsorge und Rehabilitation des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) (letzte Fassung von 2011) [28] niedergelegt sind. Hierzu gehören Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit, ein Rehabilitationsziel sowie eine positive Rehabilitationsprognose. Hierbei meint

  • Rehabilitationsbedürftigkeit: das Vorliegen nicht nur vorübergehender Aktivitäts-/Teilhabebeeinträchtigungen (dieses Kriterium dürfte bei an Demenz erkrankten Menschen praktisch immer vorliegen). Rehabilitationsbedürftigkeit umfasst allerdings zugleich auch das für die Zielerreichung Nicht-Ausreichen anderweitiger gegebenenfalls vorrangiger Maßnahmen wie beispielsweise die Durchführung aktivierender Pflege, die vertragsärztliche Verordnung von Hilfs- oder Heilmitteln, die Pflegeberatung oder eine Schulung pflegender Angehöriger, wie sie im Leistungsumfang der SPV ebenfalls vorgesehen sind, oder aber beispielsweise auch eine vorrangig erforderliche Krankenhausbehandlung.
  • Rehabilitationsfähigkeit: die notwendige physische und psychische Belastbarkeit und gegebenenfalls Motivation der Rehabilitanden (vergleiche hierzu unten auch die Indikation für die besondere Erbringungsform mobiler Rehabilitation).
  • Rehabilitationsziel: ein alltagsrelevantes Ziel der Aktivitäts- beziehungsweise Teilhabeverbesserung, das in dem für die Maßnahme zur Verfügung stehenden Zeitraum unter Einsatz einer komplexen Intervention (im oben genannten Sinne) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, d.h. einer
  • positiven Rehabilitationsprognose, erreichbar erscheint. Die positive Prognose muss sich hierbei aus den medizinischen Konstellationen des Einzelfalls begründen lassen.

Im Hinblick auf eine unterschiedliche wissenschaftliche Evidenzlage wird im Folgenden zwischen einer Rehabilitation der unmittelbaren Beeinträchtigungen aus einer Demenz selbst heraus (Rehabilitation „wegen Demenz“) und der Rehabilitation von Beeinträchtigungen aufgrund anderer Erkrankungen, aber mit einer Demenz als Begleitdiagnose (Rehabilitation „bei Demenz“), unterschieden. In der realen Versorgung spielt sich das rehabilitative Leistungsgeschehen bei Menschen mit Demenz nahezu ausschließlich als Rehabilitation „bei Demenz“ ab, d.h. die Folgen einer anderweitigen Krankheit beispielsweise einer Schenkelhalsfraktur im Rahmen eines Sturzes begründen die Maßnahmen primär. Der überwiegende Teil derartiger Rehabilitationsmaßnahmen findet in geriatrischen Rehabilitationsstrukturen statt.

Versorgung von Menschen mit Demenz in der Geriatrie

Dies hängt damit zusammen, dass es sich bei Menschen mit Demenz in der Regel um geriatrische Patienten handelt. Diese sind im Wesentlichen durch ein höheres Alter, Multimorbidität und hiermit oft bereits verbundene Aktivitäts- und Teilhabebeeinträchtigungen charakterisiert. Diese Merkmale treffen auch für die meisten der an Demenz erkrankten Menschen zu. So kommen Menschen mit Demenz nur selten wegen ihrer Demenz, sondern in den meisten Fällen wegen anderer Erkrankungen im Krankenhaus oder einer Rehabilitationsklinik zur Aufnahme. Nichtsdestoweniger behandelt die Geriatrie in hohen Anteilen Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Eigene Auswertungen in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen (WIdO) aus dem Jahr 2007 ergaben, dass 28% aller stationären geriatrischen Krankenhausfälle eine kodierte demenzielle Erkrankung ausweisen, dies allerdings zu 98% als Nebendiagnose. Nach Registerdaten zur geriatrischen Rehabilitation (ebenfalls von 2007) weisen sogar 39% der geriatrischen Rehabilitationsfälle kognitive/demenzielle Beeinträchtigungen auf [29].

Evidenz zur Rehabilitation „bei Demenz“

Wir untersuchten im Auftrag der GKV 2009 die internationale Evidenzlage zu Wirksamkeit rehabilitativer Maßnahmen bei typischen geriatrischen Krankheitsbildern (Schenkelhalsfrakturen und Schlaganfällen) bei alten und hochaltrigen Patienten mit der Begleitdiagnose einer Demenz [29]. Die Sichtung hierzu gefundener, randomisiert kontrollierter Studien, systematischer Reviews und Metaanalysen ergab, dass eine Demenz zwar nie einen positiven prognostischen Outcomefaktor darstellt, die Rehabilitation bei Demenz aber dennoch wirksam ist. So fand sich beispielsweise nach Hüftfrakturen in den Interventionsgruppen gegenüber den Kontrollgruppen noch nach 12 Monaten ein höherer Anteil in der Häuslichkeit verbliebener Patienten [30] beziehungsweise ein doppelt so hoher Anteil an Patienten ohne verbleibende Gang- oder Transferverschlechterung respektive Heimaufnahmen [31]. Andere Untersuchungen wiesen gegenüber Kontrollen beispielsweise eine dreifache Zunahme der körperlichen Aktivität nach speziellen Trainingsprogrammen [32] oder bis zu 9-fach bessere Ergebnisse in der Bewältigung von Aktivitäten des täglichen Lebens 6 und 12 Wochen nach Abschluss ergotherapeutischer Interventionen [33], [34] nach. Ein neuer, im Auftrag des DIMDI erstellter HTA-Bericht zum Thema „Effektivität der ambulanten und stationären geriatrischen Rehabilitation bei Menschen mit der Nebendiagnose Demenz“ [35] bestätigt diese Ergebnisse.

Auch ein Blick in die Registerdaten aus der deutschen Versorgungspraxis geriatrischer Rehabilitation, wie sie beispielsweise in der bayrischen GiBDAT-Datenbank mit jährlich ca. 25.000 geriatrischen Rehabilitationsfällen oder deren baden-württembergischen Pendant KODAS mit ca. 17.000 jährlichen Rehabilitationsfällen zu finden sind, bestätigt beachtliche, in ihrem Umfang denen bei nicht kognitiv beeinträchtigten Rehabilitanden kaum nachstehende Rehabilitationserfolge. Die nachfolgenden Graphiken zeigen Beispiele hierfür aus dem Bereich der allgemeinen körperlichen Selbstversorgung, gemessen am Zuwachs des so genannten Barthel-Index (skaliert von 0 – komplette Abhängigkeit – bis 100 Punkten – komplette Selbständigkeit in den bewerteten Aktivitäten) und dem Bereich der Mobilität. Aus allen Daten geht hervor, dass an Demenz erkrankte Menschen im Mittel durchweg mit einem geringeren funktionellen Ausgangsstatus ihre Rehabilitation antreten als nicht an Demenz erkrankte Menschen, die Rehabilitation im Mittel auch mit einem geringeren funktionellen Ergebnis verlassen, der Hinzugewinn an Selbständigkeit – also die Differenz zwischen Ausgangs- und Endbefund – bei leicht und mittelschwer demenziell Erkrankten aber dem für nicht demenziell Erkrankte durchaus vergleichbar ist, allenfalls leicht geringer ausfällt [36] (siehe Abbildung 3 [Abb. 3] und Abbildung 4 [Abb. 4]).

Unklarer ist die Evidenzlage für Rehabilitationsergebnisse bei schwer demenziell beeinträchtigten Patienten. Eine der wenigen hierzu vorliegenden Untersuchungen [37] zeigt, dass es auch in dieser Teilgruppe zu guten Rehabilitationsergebnissen kommen kann, dass die Ergebnisse aber auch deutlich geringer ausfallen können (siehe Abbildung 5 [Abb. 5]).

Zum einen schränken kleine Fallzahlen in dieser Teilgruppe die Bewertung der Ergebnisse generell ein, zum anderen könnten bei dieser Subgruppe in hohem Maße auch unabhängig von dem zur Rehabilitation führenden Akutereignis schon länger bestehende funktionelle Beeinträchtigungen vorliegen, die das mit einer solchen Maßnahme realistisch erscheinende Ziel a priori reduzieren. Dies könnte bedeuten, dass das realistisch Erreichbare bereits mit geringeren Zuwächsen beispielsweise im Barthel-Index erreicht sein könnte, die Maßnahme also trotzdem bezogen auf ihr (kleineres) Ziel uneingeschränkt erfolgreich gewesen sein könnte. Es ist auch bei dieser Gruppe an Demenz erkrankter Menschen anzunehmen, dass das Rehabilitationspotenzial umso größer sein dürfte, je geringer die Beeinträchtigungen bereits vor dem die Rehabilitationsmaßnahme initiierenden Akutereignis waren. Letztlich ist zu berücksichtigen, dass die bisher vorliegenden Daten ausschließlich aus stationär rehabilitativen Settings stammen, diese aber für die Rehabilitation dieser Subgruppe möglicherweise nicht die geeigneten sind (vergleiche auch hierzu das Angebot mobiler geriatrischer Rehabilitation unten).

Mobile geriatrische Rehabilitation

Mobile geriatrische Rehabilitation stellt eine Sonderform der ambulanten Rehabilitation dar, bei der das Rehabilitationsteam seine Leistungen im gewohnten Lebensumfeld des Rehabilitanden, d.h. in der Regel in seiner Wohnung, gegebenenfalls aber auch im Pflegeheim, erbringt. Vorteile dieser Form der Leistungserbringung liegen unter anderem darin, dass die Rehabilitation unter den konkreten Alltagsanforderungen des Rehabilitanden und damit oft sehr viel konkreteren Zielsetzungen erfolgen kann. Ferner ist dort der Einbezug pflegender Angehöriger/Pflegepersonen in den Rehabilitationsprozess und das Alltagsmanagement des Rehabilitanden sehr viel realistischer umsetzbar als in einer externen Rehabilitationseinrichtung. Beides kann zu einer nachhaltigeren und möglicherweise effizienteren rehabilitativen Leistungserbringung beitragen. Als Nachteile sind vor allem der höhere Zeit- und Fahraufwand der Therapeuten und gewisse Einschränkungen im rehabilitativen Leistungsspektrum (beispielsweise durch nicht in die Häuslichkeit transportierbare Gerätschaften etc.) zu nennen.

Zugelassen ist diese Art der Rehabilitation nach den Rahmenempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes zur Mobilen Rehabilitation [38] bisher allerdings nur für Rehabilitanden, bei denen die Rehabilitationsfähigkeit und eine hinreichend positive Rehabilitationsprognose nur unter den Bedingungen einer mobilen Leistungserbringung in der Häuslichkeit gegeben ist. Dies trifft aber insbesondere für Menschen mit mittelgradiger Demenz zu, die nicht mehr ohne Verschlechterung ihrer Symptomatik in die fremde Umgebung einer Rehabilitationsklinik transferiert werden können, sondern für eine erfolgreiche Rehabilitation auf den Verbleib in ihrem gewohnten sozialen und räumlichen Lebensumfeld angewiesen sind. Leider stehen für die mobile Rehabilitation bisher bundesweit erst 10 Einrichtungen mit einem entsprechenden Angebot zur Verfügung.

Besondere Struktur- und Prozessanforderungen für die Rehabilitation an Demenz Erkrankter

Unsere im Rahmen des oben genannten Gutachtens durchgeführten Studienrecherchen ergaben immer wieder (wenn auch nicht immer systematisch untersuchte) Hinweise auf besondere Anforderungen an Einrichtungen, die rehabilitativ mit an Demenz erkrankten Menschen arbeiten wollen. Diese betrafen strukturelle und prozessuale Anforderungen an die Behandlung. Als wesentlich lässt sich zusammenfassen: Konzepte für die umfassende medizinisch-rehabilitative Behandlung demenziell Erkrankter:

  • bauen auf einer umfassenden Abklärung der kognitiven Defizite auf (diese sollte in der Regel im Vorfeld erfolgt sein),
  • sehen ein umfassendes Assessment vor (hierbei sind auch für den Einsatz bei Menschen mit Demenz geeignete/adaptierte Assessmentinstrumente vorzuhalten),
  • umfassen eine sektorenübergreifende Behandlungsplanung (neben den sorgsam zu eruierenden Präferenzen des Rehabilitanden sind auch die in der bisherigen Versorgung der Betroffenen gemachten Vorerfahrungen – Hausarzt, Angehörige, Pflegedienste, Rehabilitation, Altenhilfeangebote – und die Akzeptanz der angestrebten Ziele durch die an der Weiterbehandlung Beteiligten – Hausarzt, Angehörige, Pflegedienste, Rehabilitation, Altenhilfeangebote – zu berücksichtigen),
  • umfassen breit angelegte therapeutisch-rehabilitative Behandlungsoptionen (medizinische Diagnostik, neuropsychologische Diagnostik, generalistische Kompetenz, geriatrisches Team),
  • umfassen ein den speziellen Risiken demenziell Erkrankter angepasstes Risikomanagement (z.B. bezüglich Delir, Stürzen, Luxationen, nosokomialen Infektionen etc.),
  • berücksichtigen Erkenntnisse zu adaptierten Therapieansätzen für die Behandlung demenziell Erkrankter (beispielsweise die Bedeutung impliziten prozeduralen Lernens mit hohen repetitiven Anteilen anstelle explizit deklarativer Trainingsformen [39], einen nachvollziehbaren Alltagsbezug bei den rehabilitativen Trainingsmaßnahmen oder wegen eingeschränkter Generalisierbarkeit ein Training unter individuell realen Alltagsbedingungen [40], [33], [39],
  • berücksichtigen Erkenntnisse zur Bedeutung des therapeutisch-rehabilitativen Klimas (z.B. die Bedeutung eines vertrauensvollen, angstreduzierenden therapeutischen Klimas, die Beobachtung, dass die Compliance entscheidend davon abhängt, ob und in welchem Maße der Therapeut einen Zugang zum Patienten findet und eine tragfähige therapeutische Beziehung herstellen kann, oder Behandlungskontinuität statt ständigen Wechsels der Bezugspersonen etc.),
  • enthalten Elemente des Einbezugs und der Unterstützung der Angehörigen.

Rehabilitation wegen der Demenz

Voranzustellen ist auch hier, dass bei rehabilitativen Maßnahmen nicht eine Krankheitsdiagnose, sondern deren Auswirkungen im Fokus stehen. Im Fall einer Demenzerkrankung sind dies zum einen die unmittelbaren kognitiven Beeinträchtigungen, zum anderen die gegebenenfalls vorliegenden unmittelbar krankheitsbedingten motorischen beziehungsweise direkt auf die körperlichen und/oder instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens bezogenen Beeinträchtigungen durch die Demenz. Im Hinblick auf diese Beeinträchtigungen hat das Institut für Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 2009 [41] die Evidenz nichtmedikamentöser (rehabilitativer) Behandlungsmaßnahmen bei Alzheimer-Demenz in einem systematischen Review untersucht. Einbezogen wurden randomisiert kontrollierte Studien (RCTs) mit einer Effektmessung nach einem Beobachtungszeitraum von mindestens 16 Wochen. Insgesamt wurden 28 Studien identifiziert, hierunter 14 Studien zu Angehörigentraining, 7 Studien zu kognitiven Verfahren, 3 Studien zu aktivierungsorientierten Verfahren, 3 Studien zu emotionsorientierten Verfahren und 2 Studien zu weiteren Verfahren (1 Doppelzuordnung). Die Ergebnisse erwiesen sich bei überwiegend kleinen Fallzahlen, hoher Studienheterogenität und überwiegend schlechter Berichtsqualität als „ernüchternd uneindeutig“ und kaum belastbar verallgemeinerbar. Behandlungsansätze mit potenziell günstigem Effekt waren hiernach am ehesten Angehörigentraining, kognitive Verfahren und aktivierungsorientierte Verfahren.

Rehabilitation „der“ Demenz kann unter den strengen Kriterien der evidenzbasierten Medizin derzeit also noch nicht als hinreichend belegt gelten und wird bisher nahezu ausschließlich im Rahmen von Modellvorhaben angeboten. Federführend und mehrfach publiziert sind hierzu die Arbeiten des Alzheimer-Therapiezentrums Bad Aibling unter Leitung von Frau Dr. Barbara Romero [42], [43].

Wenngleich die dort gewählten Behandlungsansätze, die medikamentöse wie nichtmedikamentöse Komponenten für den Erkrankten vor allem mit intensiven Schulungsangeboten zur Stärkung der mitaufgenommenen betreuenden Angehörigen kombinieren, von den Rehabilitanden und ihren Bezugspersonen positiv aufgenommen werden, ist zu hinterfragen, ob es sich hierbei aus leistungsrechtlicher Sicht eigentlich wirklich primär um eine Rehabilitationsleistung für den von Demenz Betroffenen nach §40 SGB handelt oder ob sich der gegebenenfalls längerfristige positive Effekt nicht primär aus der Intervention bei den Bezugspersonen ergibt. Fachlich wäre dann im Hinblick auf den progredienten und kontinuierlich mit immer wieder neuen Herausforderungen einhergehenden Krankheitsverlauf weiter zu überlegen, ob solche Leistungselemente statt in einer Rehabilitation nach §40 SGB V nicht in einer anderen leistungsrechtlichen Form verortet werden sollte, die grundsätzlich wohnortnah und längerfristig kontinuierlich begleitend angelegt sein sollte. Gegebenenfalls wäre zum Beispiel zu überlegen, ob derartige Angebote auch flächendeckender in das Leistungsspektrum von Pflegestützpunkten nach § 92c SGB XI respektive die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI eingebunden werden müssten.

Fazit

  • An Demenz erkrankten Menschen sollte die Möglichkeit rehabilitativer Maßnahmen bei anderen Erkrankungen mit zusätzlichen Beeinträchtigungen ihrer Aktivitäten und Teilhabe nicht vorenthalten werden.
  • Sie starten oft von einem schlechteren Ausgangsniveau, zeigen aber ähnliche Zuwächse ihrer Aktivitäten wie Menschen ohne Demenz. Bei höhergradiger Demenz kommt dem präakuten Ausgangsstatus besondere prognostische Bedeutung zu.
  • Dementiell erkrankte Menschen sollten in diesbezüglich erfahrenen und qualifizierten, vorzugsweise geriatrischen Einrichtungen rehabilitiert werden. Für dementiell Erkrankte, die auf ihr gewohntes Lebensumfeld und ihre gewohnten sozialen Bezüge angewiesen sind, gibt es das Angebot mobiler Rehabilitation.
  • Medizinische Rehabilitation der Demenz selbst ist bisher nicht hinreichend evidenzbelegt.
  • Es gibt aber viele Ansatzpunkte, die Lebensqualität an Demenz erkrankter Menschen zu verbessern. Diese setzten bisher am besten belegt aber bei der Qualifizierung und Gesunderhaltung der betreuenden Angehörigen an und müssen stärker kontinuierlich begleitend konzipiert werden.

Danksagung: Ich danke den Mitarbeitern des Kompetenz-Centrums Geriatrie, Herrn Dr. Friedemann Ernst und Herrn Dr. Matthias Meinck, für die gemeinsam geführten Diskurse in dieser Thematik und ihre fachliche Unterstützung in vielen Einzelaspekten. Herrn Dr. Meinck gebührt Dank für seine Mitarbeit am Gutachtenteil des KCG zur Wirksamkeit geriatrischer Rehabilitation bei Demenz als Nebendiagnose von 2009 sowie die Aufbereitung der Daten des statistischen Bundesamtes zur Prävalenz und zu Kostenaspekten der Diagnose Demenz und Frau Kristina Pippel für die graphische Aufbereitung der Kostenaspekte und die Zusammenstellung des Literaturverzeichnisses.


Assistierte Freiheit – Philosophisch-ethische Aspekte der Demenzerkrankung (Prof. Dr. med. Dr. theol. Walter Schaupp, Lehrstuhl für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz, Österreich)

Prof. Dr. med. Dr. theol. Walter Schaupp: Studium der Humanmedizin in Innsbruck und Wien und Studium der katholischen Theologie in Wien und Rom. Seit 2003 Lehrstuhl für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz, Österreich. Arbeitsschwerpunkte Medizin- und Bioethik, Ethik und Spiritualität.

Leitwert Freiheit

Der Titel des vorliegenden Beitrags rückt im Hinblick auf Demenz Freiheit in den Mittelpunkt, wenn auch in assistierter Form. Tatsächlich stellen Freiheit und Autonomie die zentralen moralischen wie auch anthropologischen Leitwerte der gesamten Neuzeit wie auch unseres gegenwärtigen Menschenbilds dar. Sie stehen nicht nur an der Spitze unserer Werthierarchie, sie definieren auch, was Menschsein auszeichnet. War von der Antike bis ins Mittelalter die Vernunftfähigkeit, der „logos“, dasjenige, was den Menschen vor anderen Lebewesen auszeichnete, treten in der Neuzeit Freiheit und Selbstbestimmung an deren Stelle. Zusammen mit Bewusstsein seiner selbst und Vernunft gilt Freiheit als unmittelbarste Voraussetzung menschlicher Moralfähigkeit. All das erklärt den engen Zusammenhang, den es schließlich anthropologisch zwischen Freiheit und menschlicher Würde gibt.

Diese kurzen Hinweise machen aus einer philosophisch-anthropologischen Sicht die tiefgreifende Verunsicherung verständlich, welche die Zunahme an Demenzen in unserer Gesellschaft auslöst. Demenz bedroht den Menschen nicht wie andere Krankheiten nur in seiner Körperlichkeit oder Psyche, sondern scheint zerstörerisch in jenen Kern des Menschseins vorzudringen, der das Zentrale unserer menschlichen Existenz als vernünftige und freie Wesen ausmacht.

„Diskurse der Einschränkung“ von Würde

(Von Diskursen der Einschränkung von Würde im Gegensatz zu den früheren Diskursen der Ausweitung spricht R. Ammicht-Quinn ([44], S. 43)). Diese Verunsicherung schlägt sich gegenwärtig in zwei Phänomenen nieder, denen sich eine philosophisch-ethische Beschäftigung mit Demenz stellen muss. Erstens werden von vielen der Lebenswert und die Sinnhaftigkeit eines Lebens mit schwerer Demenz so sehr in Frage gestellt, dass es besser erscheint, einen solchen Zustand nicht mehr zu durchleben. Zweitens wird, radikaler, der Person- und Würdestatus von Menschen mit schwerster Demenz problematisiert. Beide Tendenzen, zwischen denen natürlich ein Zusammenhang besteht, sollen kurz anhand von Beispielen aus der jüngeren bioethischen Debatte um Demenz illustriert werden.

In einem Beitrag aus dem Jahr 2003 plädiert die bekannte amerikanische Philosophin und Bioethikern Ruth Macklin dafür, den Begriff „Würde“ in der Bioethik ersatzlos zu streichen, da das damit Gemeinte ohne Verlust durch das Prinzip Respekt vor Autonomie ersetzbar sei ([45]; ähnlich [46]). Die Argumentation zeigt zunächst, wie sehr Freiheit und Autonomie zur zentralen Definition des Menschlichen geworden sind. Entscheidender ist jedoch eine damit verbundene Verschiebung, die nicht sofort sichtbar wird. „Würde“ ist ein Begriff, den wir gewöhnlich dem Menschen in der Ganzheit seines Menschseins zuschreiben. Dagegen beziehen wir das Prinzip Respekt vor Autonomie in medizinethischen Überlegungen gewöhnlich auf eine bestimmte Fähigkeit des Menschen, die mehr oder weniger gegeben sein kann, und die neben anderen Fähigkeiten, z.B. jene zu „fühlen“, existiert. Die Konsequenz der Aufgabe der Würdekategorie ist dann, dass der moralische Respekt nicht mehr dem Menschen als Ganzem gilt, sondern es einzelne Fähigkeiten sind, auf die wir Rücksicht zu nehmen haben.

Seit einiger Zeit argumentieren einige Autoren, unter ihnen Dennis Cooley, Philosophieprofessor an der North Dakota University, dass sich auch von Immanuel Kant her ein Suizid bei drohender Demenz begründen, ja fordern ließe [47]. Kant kenne trotz seiner generellen Verurteilung der Selbsttötung [48] Fälle eines moralisch legitimen, ja empfohlenen Suizids, wenn dieser dazu dient, den Verlust der eigenen Würde bzw. einen entwürdigenden Zustand zu verhindern. So habe nach Kant ein unschuldig Verurteilter, wenn er vor die Wahl gestellt wird, sich entweder für die Todesstrafe oder für ein Dasein als Galeerensträfling zu entscheiden, das Erstere zu wählen ([49], S.376; Kant spricht nicht von der Galeere, sondern von einer Karrenstrafe („oder auch zeitlebens an der Karre zu seyn“)). Ebenso könne ein von einem tollwütigen Hund Gebissener, der weiß, dass er in Kürze seine Vernunft verlieren und zur Gefahr für andere werden wird, daran denken, sich selbst zu töten [50]. Diese und andere Beispiele könnten nach Cooley auf die Situation an Demenz erkrankter Menschen übertragen werden, denn auch hier drohe ein der Würde widersprechendes Dasein in Vernunftlosigkeit. Es soll hier nicht weiter der Frage nachgegangen werden, ob Cooley Kant zu Recht oder zu Unrecht für sein Plädoyer für Suizid bei Demenz in Anspruch nimmt. (Cooley scheint vor allem den wichtigen Unterschied zwischen einer Pflicht zur Aufopferung des Lebens in bestimmten Situationen (man lässt sich eher töten, als etwas Bestimmtes zu tun) und direkter Selbsttötung zu übersehen.) Interessant erscheinen in unserem Zusammenhang sein Anliegen allgemein sowie die Tatsache, dass sich offensichtlich auch von Kant her, und nicht nur auf dem Hintergrund einer utilitaristischen Ethik, Ansatzpunkte für die Beendigung des Lebens bei schwerer Demenz finden lassen.

Auf diesem Hintergrund werden schließlich Aussagen verständlich, welche die einflussreiche englische Philosophin und Politikerin Mary Warnock zum Thema Demenz getan hat. Deutlich wie kaum jemand anderer hat sie aus offensichtlich utilitaristischen Erwägungen vor einigen Jahren mehrmals öffentlich für eine Pflicht zum Suizid angesichts von drohender Demenz und Pflegebedürftigkeit argumentiert [51]. Ein jahrelanges Leben mit Demenz in einem Pflegeheim sei aus der Sicht des betroffenen Subjekts wertlos, für Familie und Gesellschaft bedeute es umgekehrt hohe und letztlich nicht zumutbare Lasten. Demente jahrelang zu pflegen müsse als eine moralisch kaum rechtfertigbare Verschwendung an finanziellen Ressourcen und an Lebensenergie von Menschen angesehen werden: „If you’re demented, you’re wasting people’s lives – your family’s lives – and you’re wasting the resources of the National Health Service“ [51]. Ein Suizid könne in dieser Situation als ein moralisch hochstehendes Selbstopfer für Familie und Gesellschaft gesehen werden.

Diese Diskursbeispiele genügen, um zu zeigen, wie wichtig es ist, sich im Zusammenhang mit Demenz mit Fragen von Freiheit und Autonomie im weitesten Sinn auseinanderzusetzen. Denn für viele entscheidet sich daran, ob sie sich ein Leben mit Demenz vorstellen können oder nicht.

Assistierte Freiheit bei Sigrid Graumann

Der Begriff „assistierte Freiheit“ ist im deutschsprachigen Raum vor allem durch eine Publikation von Sigrid Graumann mit dem Titel „Assistierte Freiheit. Von einer Behindertenpolitik der Wohltätigkeit zu einer Politik der Menschenrechte“ aus dem Jahr 2011 publik geworden [52]. Wie der Titel verrät, geht es um Behinderte und Behindertenpolitik, nicht primär um Demenz. Graumann plädiert für einen Paradigmenwechsel, der nicht mehr das klassische Mitleids- und Fürsorgedenken, sondern das Recht behinderter Menschen auf Freiheit und Selbstentfaltung im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten in den Mittelpunkt stellt. „Assistierte Freiheit“ wird in diesem Zusammenhang als „Institutionalisierung der notwendigen Unterstützung und Assistenz, die behinderte Menschen brauchen, um ihre Rechte auch wirklich ausüben zu können“ [53], definiert. Dahinter liegt wiederum, wie Graumann immer wieder betont, ein Verständnis menschlicher Autonomie, das diese nicht als etwas fertig Gegebenes ansieht, sondern als Fähigkeit, die sich erstens prozesshaft entfaltet, die dazu zweitens grundsätzlich Unterstützung und Assistenz durch die Umwelt benötigt und die drittens individuell verschiedene Spielarten und Entfaltungsmöglichkeiten kennt. Daraus folgt, dass sowohl das Ausmaß der zu erreichenden Freiheitsspielräume wie auch Art und Ausmaß der Assistenz, die Menschen dazu benötigen, individuell verschieden sind. Behinderte müssen grundsätzlich in dieses Spektrum eingeordnet werden und haben ein Recht darauf, dass die Gesellschaft ihnen jene Formen von Assistenz zur Verfügung stellt, die sie benötigen, um die ihnen gemäßen Freiheits- und Partizipationsmöglichkeiten zu realisieren.

Lässt sich das Konzept einer assistierten Freiheit, wie Graumann es entwickelt, nun sinnvoll auf Menschen mit Demenz übertragen, wie dies im Titel dieses Beitrags angedeutet ist? Muss im Hinblick auf Demente ein analoger Paradigmenwechsel eingemahnt werden, der auf bislang übersehene Freiheits- und Partizipationsmöglichkeiten bei Demenz fokussiert und der so dieser Krankheit zumindest teilweise den Schrecken zu nehmen vermag, den sie, wie eingangs erwähnt, in der heutigen Gesellschaft auslöst?

Es gibt in diesem Zusammenhang tatsächlich zwei erfolgversprechende Konzepte oder Strategien, die es wert erscheinen, in diesem Zusammenhang diskutiert zu werden: das Bemühen, die Autonomiechancen von Betroffenen über wirksame Möglichkeiten des Vorausverfügens zu stärken und das Anliegen, auf auch bei Demenz erhalten gebliebene Freiheitsmöglichkeiten aufmerksam zu machen und sie zur Entfaltung zu bringen.

Strategien des Vorausverfügens

Strategien des Vorausverfügens (advance directives) wollen Menschen wirksame Möglichkeiten an die Hand geben, zu einem Zeitpunkt, wo die Autonomiefähigkeit noch ungebrochen ist, umfassend darüber zu verfügen, wie zu einem späteren Zeitpunkt mit ihnen umgegangen wird. Sie werden von Alzheimer Europe ausdrücklich als eine wichtige Möglichkeit, die Autonomie betroffener Menschen zu erhöhen, begrüßt [54]. Strategien des Vorausverfügens sollen dem späteren Leben mit Demenz das Stigma der Abhängigkeit von anderen und kompletter Fremdbestimmtheit nehmen. Sie können so Angst vor der Zukunft nehmen und es den Betroffenen ermöglichen, unbeschwerter dieser Lebensphase entgegenzublicken.

Vorausverfügungen sind aber zugleich eine Form assistierter Freiheit, da die Realisierung des eigenen Willens zu einem späteren Zeitpunkt nicht nur entsprechende gesetzliche Regelungen voraussetzt, sondern entscheidend von der entgegenkommenden Bereitschaft anderer abhängig ist, die gefordert sind, den zuvor festgelegten Willen sensibel und differenziert im Hinblick auf konkrete Herausforderungen des gegenwärtigen Pflegealltags zu realisieren. Insofern handelt es sich nicht um eine Form direkter, sondern von indirekter, vermittelter Selbstbestimmung.

Obwohl Vorausverfügungen die genannten Vorteile haben, werden auch Grenzen dieser Strategie deutlich. Es lassen sich immer nur Rahmenbedingungen vorgeben, die weiter gefüllt werden müssen. Nie lassen sich alle Eventualitäten vorhersehen und alle Details festlegen. Dazu kommt, dass Vorausverfügungen trotz gesetzlicher Sicherungen auf die genannte entgegenkommende Bereitschaft anderer Personen angewiesen sind, die entsprechenden Willensäußerungen ernst zu nehmen und sie bestmöglich umzusetzen. Menschen, die ihren Mitmenschen oder dem Gesundheitssystem, z.B. aufgrund schlechter Erfahrungen, misstrauen, werden auch in Vorausverfügungen subjektiv wenig Sicherheit finden. Schließlich gibt es beträchtliche medizinethische Diskussionen darüber, ob Vorausverfügungen in allen Situationen kompromisslos befolgt werden sollen, z.B. wenn sie in Widerspruch zu aktuellen, vitalen Willensbekundungen von Patienten stehen. Die größte Schwierigkeit liegt jedoch darin, dass hier zwar ein Verfügen über ein zukünftiges Leben mit Demenz ermöglicht wird, nicht aber aktuelle Freiheit in bzw. unter Demenz. Manche sehen deshalb in Vorausverfügungen primär ein Mittel, einem solchen Leben überhaupt auszuweichen, indem sie, je nach gesetzlichen Möglichkeiten, Behandlungsunterlassungen oder aktive Euthanasie verfügen.

Entfaltung von Autonomiemöglichkeiten bei Demenz

Hier setzt die zweite Strategie grundsätzlicher an, denn sie geht davon aus, dass die Freiheitsmöglichkeiten bei Demenz nicht einfach verschwinden, sondern „schwache“ Formen von Autonomie erhalten bleiben. Die These lautet, dass Menschen mit Demenz nicht in völlige Irrationalität, Erinnerungslosigkeit und soziale Isolation absinken, sondern in einem bestimmten Ausmaß als autonom agierende, reagierende und interagierende Personen präsent bleiben.

Es ist wichtig zu sehen, dass die hier im Hintergrund stehende Idee von Autonomie eine graduelle und eine mehrdimensionale ist. Wie Graumann im Hinblick auf Behinderung ausführt, müssen wir auch bei Dementen davon ausgehen, dass es Stufen des freien Selbstverfügens gibt. Bestimmte, höherstufige und reflektierte Formen schwinden, andere Formen der Willensbildung und Willensäußerung bleiben jedoch erhalten bzw. treten in den Vordergrund. Damit ist das Autonomiekonzept, um das es geht, anthropologisch gesehen zugleich ein mehrdimensionales. Die Fähigkeit zu Autonomie wird als aus mehreren Teilkomponenten (verschiedene Formen kognitiver Fähigkeiten, Bewusstsein und Reflexivität, Fühlen und Erleben) bestehend bzw. diese voraussetzend vorgestellt.

Für ein solches Konzept von Autonomie lassen sich gute Gründe anführen. Tatsächlich privilegiert das gegenwärtig vorherrschende gesellschaftliche Verständnis von Autonomie einseitig die Fähigkeit zu rationaler Selbstbestimmung. Da bei Demenz vor allem die kognitiven Kompetenzen schwinden, während das emotionale Verarbeiten von Umwelteinflüssen länger erhalten bleibt, macht es Sinn, hier von einer „emotionalen Autonomie“ zu sprechen, die einer primär emotionalen Bewertung und Verarbeitung von Situationen durch eine Person entspricht.

Gestützt wird diese Sichtweise durch bestimmte Theoriebildungen im Rahmen der gegenwärtigen Geist-Gehirn-Debatte, welche die Frage betreffen, wie weit der Mensch denn überhaupt frei ist. Der so genannte Kompatibilismus, wie er u.a. von Michael Pauen vertreten wird, versucht hier einen neurobiologischen Determinismus (mentale Phänomene entsprechen streng kausal determinierten neurobiologischen Prozessen) mit einem gewissen philosophischen Freiheitsanspruch (menschliches Handeln wird subjektiv als „frei“ erlebt und ist auch objektiv nicht restlos kausalursächlich zu erklären) zu verbinden [55]. (Innerhalb der Geist-Gehirn-Debatte ist der Kompatibilismus nur einer unter mehreren Ansätzen, mit der Herausforderung des neuronalen Determinismus umzugehen und durchaus umstritten.) Seine zentrale These lautet, dass ein Mensch immer dann frei handelt, wenn sein Handeln durch sein „Selbst“ bestimmt ist, wie dies der Begriff „Selbst-Bestimmung“ nahe legt. Dieses „Selbst“ könne aber durchaus als eine rein neuronale Größe verstanden werden. Unter praktischen Bedingungen genügt es nach dieser Theorie, von der Selbstständigkeit und Autarkie eines solchen neuronalen Selbst auszugehen, ohne die Frage menschlicher Freiheit auf einer metaphysischen Ebene klären zu müssen (= „schwacher“ Freiheitsbegriff). Dieses neuronale Selbst enthält in sich den Niederschlag vergangener biographischer Erfahrungen und Präferenzbildungen und bildet in Auseinandersetzung mit der Umwelt ständig neu Präferenzen aus, die sich in verschiedenen Willensbildungen äußern und subjektiv als selbstbestimmtes Handeln erlebt werden.

Dieser (schwache) Freiheitsbegriff der auf der Autarkie eines neuronalen Selbst ruht, kommt dem Anliegen einer auch bei Demenz erhaltenen Autonomie entgegen. Wenn Menschen insofern als „frei“ angesehen werden können, als sie in der Lage sind oder in die Lage versetzt werden, ihrem neuronalen „Selbst“ entsprechend sich zu verhalten, dann können sich auch Demente „frei“ verhalten, auch wenn ihre Willensbildung nicht mehr auf eine höherstufige, reflexe Art und Weise erfolgt, sondern auf dem Hintergrund emotionaler Wertungen und biographisch eingeschliffener Präferenzen, die bleibend Ausdruck ihrer Autonomie sind. Schließlich ist auch das Verhalten von Gesunden, das wir alltagssprachlich als „frei“ qualifizieren, über weite Strecken durch deren biographischen Hintergrund und durch Wertungen der Vergangenheit konditioniert, und nie nur das Ergebnis völlig neu eingenommener Wertungen auf höchster Reflexionsstufe.

Das Moment der „Assistenz“ bekommt allerdings bei diesen Formen von Freiheit nochmals eine tiefere und umfassendere Bedeutung. Mehr als bei Vorausverfügungen wird es notwendig, dass andere die Willensäußerungen von Dementen adäquat verstehen und deuten. Sie müssen einerseits durch ihr Urteil den fehlenden Überblick über die Gesamtsituation des Lebens ersetzen und so z.B. Willensäußerungen daraufhin prüfen, ob sie nicht gegen fundamentale Interessen der Betroffenen verstoßen (z.B. bei Gefahr der Selbstverletzung); zweitens aber geht es darum, Willensäußerungen im Zusammenhang des Lebensganzen eines Menschen zu interpretieren und zu bewerten. (Entsprechend dem hier vertretenen Ansatz sollten schwer Demente nie nur aus ihren spontanen Willensäußerungen im Hier und Jetzt verstanden werden, sondern immer sollte beides berücksichtigt und miteinander ausgeglichen werden: aktuelle Willensäußerungen und das biographische Selbst der Person.) All dies wird immer wieder dazu führen, dass den spontanen Willensäußerungen solcher Personen zuwider gehandelt werden muss.

Lässt sich bei all dem daher überhaupt noch sinnvoll von assistierter Freiheit sprechen oder wird das Moment der „Assistenz“ hier so stark, dass es aufrichtiger ist, von Fremdbestimmung zu sprechen? Auf dem Hintergrund eines individualistischen Freiheits- und Autonomieverständnisses wird man hier eher Fremdbestimmung, wenn auch fürsorgende, sehen. Geht man dagegen davon aus, dass Identität und Autonomie im menschlichen Leben grundsätzlich nur über intersubjektive Bezüge realisierbar sind, dann wird man in geglückten Fällen auch hier noch eine Form „assistierter“, d.h. vermittelter Freiheit entdecken können.

Trotzdem tun sich auch hier, nüchtern betrachtet, Grenzen auf. Im Vergleich zur Situation bei Behinderung ist bei Demenz keine nachhaltige Entfaltung von Freiheitsmöglichkeiten möglich, sondern wir stehen vor einem unaufhaltsamen Bergab, und letztlich siegt die Krankheit über alle Bemühungen, Facetten autonomer Lebensgestaltung zu erhalten. Haben die degenerativen Veränderungen zweitens ein bestimmtes Ausmaß erreicht, ist es, wie schon angedeutet, für viele nicht überzeugend, hier überhaupt noch von Freiheitsmöglichkeiten zu sprechen. Viele wollen und können in den entsprechenden Reaktionen von Dementen keine spezifisch personalen Äußerungen mehr sehen und akzeptieren konsequenterweise ein solches Leben auch für sich selbst nicht mehr als lebenswert. All dies führt dazu, dass die Frage von Lebensqualität, Lebenswert und Würde eines Lebens mit Demenz nochmals auf einer tieferen Ebene untersucht werden muss.

Die verlorene Ganzheit des Lebens

Die Schwierigkeiten, ein Leben mit schwerer Demenz als ein menschenwürdiges zu akzeptieren, hängen unter anderem mit dem Phänomen einer zunehmenden Naturalisierung des Menschen zusammen. Gemeint ist, dass wir uns trotz kritischer Gegenreaktionen immer mehr an eine empirische Betrachtung der Wirklichkeit und des Menschen gewöhnen, für welche empirische Fakten und Zusammenhänge die einzige „dichte“ und „objektive“ Realität darstellen. Evolutionsbiologisch gibt es eine zunehmende Komplexität physikalischer und biochemischer Prozesse, die irgendwann mentale Phänomene wie Bewusstsein, bewusstes Fühlen, Vernunft und Freiheit aus sich entlassen. Dieser aus Materie emergierende „Geist“ sucht und schafft sich dann eine sinn- und werterfüllte Welt, die es aber „objektiv“ nicht gibt.

Eine erste Konsequenz dieser Entwicklung stellt die Schwierigkeit dar, im Menschen überhaupt etwas substantiell über die physikalische Wirklichkeit Hinausgehendes, etwas „Meta-physisches“ im ursprünglichen Sinn des Wortes, sehen zu können. Wir akzeptieren gewöhnlich geistige Phänomene, aber kaum mehr ein substantielles Kontinuum im Menschen, das die physikalische Wirklichkeit transzendiert. Eine zweite und wenig beachtete Folge besteht in der Schwierigkeit, die diachrone, zeitliche Einheit des menschlichen Lebens zu denken. Für beides stand in der abendländischen Geschichte für Jahrhunderte der Begriff der „Seele“, denn diese diente trotz aller Definitionsschwierigkeiten als Chiffre sowohl für eine metaphysische Tiefe im Menschen (seine transzendente Dimension) wie auch für die zeitliche Einheit des menschlichen Lebens über kontingente biochemische Prozesse hinaus. Als solche diente sie als Referenzgröße für den Status des Menschlichen und für moralische Achtung. Fällt diese Instanz weg, gerät man in Schwierigkeiten, genau anzugeben, worauf sich etwa der Begriff „Person“ stützt, worin menschliche Würde gründet, oder was damit gemeint ist, dass ein Mensch als Person sein Leben lang sich selbst gleich bleibt.

So gibt es heute beträchtliche Schwierigkeiten, von einem durchgängigen „Selbst“ bzw. einer durchgängigen Identität eines Menschen zu sprechen. Gegenwärtige Theorien gehen davon aus, dass wir uns unsere Identität aktiv konstruieren, aufrechterhalten, aber auch wieder dekonstruieren und aufgeben. „Selbst“ und „Identität“ sind so zu etwas Fragilem und Zerbrechlichem geworden. Am Ende des Lebens macht sich dies insofern bemerkbar, als es plausibel wird, einen Teil der biologischen Lebenskontinuität als nicht mehr zur „eigentlichen“ Person gehörig anzusehen, oder zu meinen, es werde hier vielleicht eine ganz andere Identität gelebt. Es ist verständlich, dass viele der Meinung sind, es sei besser, diese „Entfremdung“ nicht zu erleben und vorher das Leben zu beenden. Für die Umgebung kann der Verlust der Ganzheit wiederum bedeuten, dass in dem Dementen immer weniger die Person, die man gekannt und geliebt hat, vor einem steht, sondern mehr und mehr isolierte Restfragmente einer einmal gewesenen Person oder eben eine ganz andere, fremde „Identität“.

Umgekehrt finden wir in Kulturen, die über einen starken Seelenbegriff oder, wie im Fall des Buddhismus, über ein entsprechendes Äquivalent verfügen, keine Schwierigkeiten, in einem Komatösen oder auch Dementen einen Menschen zu sehen, dem mit Achtung und Ehrfurcht zu begegnen ist. (Für den Buddhismus ist der Bewusstseinsstrom entscheidend, der in allen fühlenden Lebewesen von ihrer Empfängnis bis zu ihrem Tod präsent ist und dann in eine neue Inkarnation übergeht. Er wird als „feinstofflich“ angenommen und gilt als empirisch grundsätzlich nicht nachweisbar.) Für den Buddhismus ist der so genannte „Bewusstseinsstrom“, auf den es im Hinblick auf die Frage, welchem Wesen wir Ehrfurcht und Empathie schulden, ankommt, durchaus eine „dichte“ Realität, obwohl gleichzeitig damit gerechnet wird, dass dieser empirisch nicht fassbar ist. Aus christlicher Sicht wiederum ist unabhängig vom Seelenverständnis die Idee, dass Menschen verschiedene Identitäten hintereinander leben, nicht möglich, da der Auferstehungsglaube impliziert, dass das physisch gelebte Leben vor Gott trotz aller Brüche zum Leben einer Person wird.

Kontinuität des Selbst und Sinnstiftung am Ende des Lebens

Allgemein wird zugestanden, dass Fragen des Lebenswerts subjektiv sind und so nur von jedem für sich selbst beantwortet werden können. Weniger deutlich wird in der Diskussion um Lebensqualität und Lebenswert gesehen, dass solche Fragen unmittelbar mit Sinnfragen zusammenhängen. Die Frage, ob ein bestimmtes Leben noch als lebenswert gelten kann, ist ja immer auch davon abhängig, wieweit es gelingt, darin einen Sinn zu finden.

Sobald man der Meinung ist, dass das menschliche Leben eine grundlegende Einheit darstellt, die bis zuletzt andauert (auch das Leben in schwerer Demenz wird immer noch „mein“ Leben sein), ergeben sich neue Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten der Sinnstiftung. Man kann eine Lebensphase mit Demenz auf ihren möglichen Sinn für das Lebensganze befragen, wie man auch umgekehrt das bisherige Leben als legitimen Schlüssel zur Deutung von Lebensäußerungen und Lebensmöglichkeiten in Demenz nehmen kann.

Im Gegensatz zum Endstadium anderer Erkrankungen, wo Patienten bis zuletzt bei Bewusstsein sind und selbst mit der Frage konfrontiert sind, wie sie ihre Krankheit „verstehen“ und „bewältigen“ wollen, kann Sinnstiftung bei schwerster Demenz nur noch durch andere stattfinden. Darin liegt ein erheblicher Unterschied, denn man könnte fragen, ob Sinn nicht etwas ist, das jeder nur für sich selbst finden kann. Noch dazu haben schwerst Demente in ihrem Leben keinerlei Möglichkeit mehr, sich einen solchen Sinn subjektiv anzueignen. Nun scheint es aber eine Tatsache zu sein, dass Menschen, wenn sie Demenz an einem nahen Angehörigen erleben, fast unwillkürlich Sinndeutungen vornehmen, indem sie versuchen, die Demenz und all die damit verbundenen Ereignisse zum Teil einer umfassenden „Geschichte“, eines umfassenden „Narrativs“ werden zu lassen. (Deutlich wird dies bei Geiger A. Der alte König in seinem Exil. [56] wie auch bei Jens T. Demenz. Abschied von meinem Vater [57].) Die herausfordernde Frage ist nun, wie weit solche Sinnzuschreibungen durch andere von unserer Identität, wie wir sie subjektiv erleben und konstruieren und wie sie für uns bei schwerster Demenz zu Ende geht, abtrennbar sind. Wer „sind“ wir wirklich? Viel spricht dafür, dass die sinnbezogene Realisierung unserer Lebensmöglichkeiten grundsätzlich relational im Zusammenspiel von eigenem und fremdem Erleben erfolgt. Wir erschaffen uns unser Selbst nie einfach nur selbst, sondern sind immer auch das, was wir für andere sind. In der Grenzsituation der schweren Demenz tritt dieser andere Pol unserer Identitätswerdung nur ungleich stärker hervor. Aus einer theologischen Sicht ist es ohnehin klar, dass der Mensch sein Selbst und seine Identität immer auch aus der Hand Gottes empfängt und damit die Grenzen des subjektiv hier und jetzt eingesehenen Sinns noch nicht die letztmöglichen sind.

Die hier angedeutete Möglichkeit, dass der Sinn des eigenen Lebens, und damit eben auch seine Werthaftigkeit, nicht nur von uns selbst gestiftet und erkannt wird, sondern sich ebenso über die und in den Augen anderer enthüllt, könnte auf eine letzte Art verweisen, wie assistierte Freiheit bei Demenz zu verstehen ist.


Das Selbst demenzkranker Menschen – Psychologische Aspekte (Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Andreas Kruse, Institut für Gerontologie, Universität Heidelberg)

Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Andreas Kruse: Studium der Psychologie, der Musik, der Philosophie und der Psychopathologie an den Universitäten Aachen und Bonn sowie an der Hochschule für Musik in Köln. Nach Tätigkeiten an den Universitäten Bonn, Heidelberg und Berlin seit 1997 Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg, seit 1989 Mitglied der Altenberichtskommissionen der Bundesregierung, seit 2008 Vorsitzender der Altenberichtskommission der Bundesregierung.

(I) Erkennen der Verletzlichkeit des Lebens in der Begegnung mit demenzkranken Menschen

Die Demenz als besondere Form der Verletzlichkeit des Menschen im hohen Alter erlangt zunehmend gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Dies hat zum einen damit zu tun, dass viele Menschen in ihrem Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis diese Erkrankung miterlebt haben oder aktuell miterleben; die damit verbundene persönliche Betroffenheit erhöht die Sensibilität für den Versorgungsbedarf und die Bedürfnisse demenzkranker Menschen. Dies hat zum anderen damit zu tun, dass die Demenz eine alterskorrelierte Erkrankung ist und in der Öffentlichkeit auch mehr und mehr als eine solche wahrgenommen wird: Fast 15 Prozent der über 80-jährigen, fast 35 Prozent der über 90-jährigen Bevölkerung leiden an einer Demenzerkrankung unterschiedlicher Ätiopathogenese. Wenn man gleichzeitig bedenkt, dass in den kommenden dreißig Jahren der Anteil der 80-jährigen Bevölkerung von heute sechs Prozent auf ungefähr 12 Prozent ansteigen wird, und man erwarten darf, selbst ein hohes Lebensalter zu erreichen, so liegt die persönliche Schlussfolgerung nahe, in Zukunft vielleicht zu jenen Menschen zu gehören, die an einer Demenz leiden werden. In dem heute an einer Demenz erkrankten Menschen erkennt man möglicherweise sich selbst – nämlich im Sinne des potenziellen Schicksals, das einem selbst in Zukunft widerfahren wird. Die von dem englischen Schriftsteller und Theologen John Donne (1572–1631) in seinen im Jahre 1624 erschienenen Devotions on Emergent Occasions (Devotion XVII) getroffene Aussage: „Do not send to know, for whom the bell tolls, it tolls for thee“ („Frage nicht, wem die Stunde schlägt, denn sie schlägt dir“) veranschaulicht treffend die Aufgabe, die dem Menschen grundsätzlich gestellt ist: Nämlich im Schicksal des anderen Menschen auch das eigene potenzielle Schicksal zu erkennen.

Dies erscheint gerade mit Blick auf die neurodegenerativen Demenzen (deren häufigste Form die Alzheimer-Demenz bildet) als naheliegend, wenn man bedenkt, dass die Alzheimer-Demenz – unabhängig von der Lebensführung – potenziell jeden Menschen im hohen und höchsten Alter treffen kann. Die zunehmende gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist schließlich dadurch bedingt, dass für die neurodegenerativen Formen der Demenz bislang noch keine Therapiemaßnahmen entwickelt werden konnten und auch die Wirkung präventiver Maßnahmen sehr begrenzt ist: Körperliches und kognitives Training können das Auftreten klinisch manifester Symptome verzögern, sie können aber das Auftreten einer neurodegenerativen Demenz nicht verhindern.

Bleiben wir noch bei der Verletzlichkeit des Menschen stehen, die wir gerade in der Begegnung mit demenzkranken Menschen wahrnehmen. Diese Verletzlichkeit spiegelt sich nicht nur in den schweren und schwersten Schädigungen des Zentralnervensystems wider, sondern in den Schädigungen des gesamten Organismus. Dies zeigen uns die Todesursachen bei Patienten mit Alzheimer-Demenz. Die häufigste Todesursache bilden Erkrankungen des Atemapparats (meistens Bronchopneumonien), gefolgt von cerebrovaskulären Insulten und cardiovaskulären Ereignissen. Die Tatsache, dass Bronchopneumonien die Todesursachen dominieren, lässt sich mit dem weitgehenden Verlust der Mobilität und der Bettlägerigkeit erklären, die das Risiko des Auftretens einer Lungenentzündung erkennbar erhöhen. Zudem sind die bei Alzheimer-Demenz-Patienten häufig zu beobachtenden Schluckstörungen – aufgrund von Aspiration – für die Bronchopneumonien verantwortlich zu machen. Die Thrombosierung der tiefen Beinvenen bildet einen zentralen Risikofaktor für die Entwicklung von Lungenembolien; diese werden oftmals nicht korrekt diagnostiziert. Die Tatsache, dass Alzheimer-Demenz-Patienten häufig an cerebrovaskulären Insulten oder cardiovaskulären Ereignissen sterben, legt die Annahme nahe, dass auch bei Alzheimer-Demenz den vaskulären Erkrankungen große Bedeutung zukommt – somit die strenge Differenzierung zwischen neurodegenerativen Demenzen einerseits und vaskulären Demenzen andererseits zumindest in den späteren (möglicherweise aber auch schon in den früheren) Phasen der Demenz zu relativieren ist. Die drei zentralen Todesursachen bei Alzheimer-Demenz machen deutlich, wie wichtig die sensible, an den Ressourcen und den Symptomen des demenzkranken Patienten orientierte Aktivierung und Stimulation ist, um dessen Mobilität möglichst lange zu erhalten und der Entwicklung von Symptomen entgegenzuwirken, die ja nicht nur das Mortalitätsrisiko erhöhen, sondern die auch mit einer Abnahme der Lebensqualität verbunden sind. Aus diesem Grunde gilt übrigens unsere mit Blick auf Palliative Care gegebene Empfehlung, auch im Vorfeld des Todes in die Palliativpflege rehabilitative Elemente zu integrieren, wenn dies die Ressourcen des sterbenden Menschen zulassen, auch für die Versorgung demenzkranker Menschen im Sterbeprozess.

(II) Menschenwürde

Eine genaue Analyse des Erlebens und Verhaltens demenzkranker Menschen zeigt, dass die Erfahrung von Bezogenheit in allen Phasen der Demenz entscheidende Bedeutung für das Wohlbefinden besitzt. Damit ist gemeint, dass demenzkranke Menschen nicht aus vertrauten sozialen Kontexten ausgeschlossen werden, sondern dass sie – im Gegenteil – weiterhin eine offene, sensible, konzentrierte Zuwendung erfahren, und dies auch dann, wenn sie zur verbalen Kommunikation nicht mehr in der Lage sind und ihre aktuelle Befindlichkeit wie auch ihre aktuelle Motivlage nur aus Mimik und Gestik erschlossen werden kann. Die Erfahrung der Bezogenheit, die Erfahrung offener, sensibler und konzentrierter Zuwendung ist an die Bereitschaft der sozialen Umwelt gebunden, die Menschenwürde des Demenzkranken ausdrücklich anzuerkennen und Möglichkeiten zu eröffnen, dass sich diese tatsächlich verwirklichen, dass sich diese „leben“ kann. Dies heißt, sich primär an den aktuellen Bedürfnissen und Neigungen wie auch an den Ressourcen eines demenzkranken Menschen zu orientieren und nicht allein eine pathologische und defizitorientierte Sicht dieses Menschen einzunehmen. Dies heißt weiterhin, nicht über die demenzkranken Menschen zu generalisieren, sondern deren Verschiedenartigkeit genauso zu erkennen wie die Verschiedenartigkeit jener Menschen, bei denen keine Demenz vorliegt. Und dies heißt drittens, dass keine Graduierung der Menschenwürde in der Hinsicht vorgenommen wird, dass demenzkranke Menschen „weniger“ Menschenwürde besäßen; damit ist auch ausgedrückt, dass die grundsätzliche Unterscheidung zwischen demenzkranken Menschen als psychopathologisch „auffälligen“ und nicht-demenzkranken Menschen als psychopathologisch „unauffälligen“ vermieden wird. Diese grundsätzliche Unterscheidung – in der auch die Abgrenzung von jenen Menschen zum Ausdruck kommt, bei denen eine Demenz vorliegt – wird nicht selten als das „eigentliche Problem“ in der Kommunikation mit demenzkranken Menschen gewertet; es ist gerade diese Unterscheidung, die die grundlegende Bezogenheit demenzkranker Menschen tiefgreifend stört oder sogar aufhebt.

Die Gefahr einer Graduierung der Menschenwürde ergibt sich aber auch im Falle der Dominanz eines Menschenbildes, das sich ausschließlich an den kognitiven Leistungen eines Menschen orientiert und bei eingetretenen kognitiven Verlusten dessen Würde grundlegend in Frage stellt; zahlreiche Autoren sehen in diesem einseitigen Menschenbild die entscheidende Gefahr für die Aufrechterhaltung einer offenen, sensiblen und konzentrierten Kommunikation mit dem demenzkranken Menschen wie auch für die unbedingte (also nicht an bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten gebundene) Akzeptanz seiner Person. Dabei ist zu bedenken, dass gerade bei Vorherrschen eines derartigen Menschenbildes die noch bestehenden Ressourcen eines demenzkranken Menschen übersehen werden, die vielfach im emotionalen, im empfindungsbezogenen, im kommunikativen und im alltagspraktischen Bereich liegen. Diese nicht-kognitiven Ressourcen sind für die Selbstaktualisierung eines Menschen – die wir verstehen als grundlegende Tendenz des Psychischen, sich auszudrücken, sich mitzuteilen, sich zu differenzieren – genauso wichtig wie die kognitiven Ressourcen. Und da wir von der Annahme ausgehen, dass die Selbstaktualisierung ein bei allen Menschen erkennbares, zentrales Motiv bildet, ist – nach unserem Verständnis – mit einem reduzierten, da ausschließlich die kognitiven Leistungen betonenden Menschenbild die Gefahr verbunden, den demenzkranken Menschen in der Verwirklichung eines zentralen Motivs zu beschneiden.

(III) Inseln des Selbst und Selbstaktualisierung bei weit fortgeschrittener Demenz

Die Anforderungen, die an die Versorgung und Begleitung demenzkranker Menschen im Sterbeprozess zu richten sind, erfordern eine grundlegende Reflexion über das Selbst und den Prozess der Selbstaktualisierung. Gerade wenn es um ein tieferes Verständnis möglicher Wirkungen von Zuwendung und leiblicher Kommunikation oder von Aktivierung und Stimulation geht – zentralen Aspekten der Begleitung demenzkranker Menschen –, sind grundlegende Annahmen über das Selbst und den Prozess der Selbstaktualisierung zu treffen. Denn diese geben der Begleitung sterbender, demenzkranker Menschen erst eine theoretisch-konzeptuelle Rahmung.

Das Selbst, das als kohärentes kognitiv-emotional-motivationales Gebilde den Kern der Personalität eines Menschen konstituiert, verliert in den fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung mehr und mehr seine Kohärenz. Dieses Selbst kann sich zu sich selbst wie auch zu seiner Umwelt immer weniger reflexiv in Beziehung setzen, was auch durch die grundlegenden Veränderungen im Körpererleben bedingt ist: Der Körper wird immer weniger als Teil des Selbst erlebt, er verliert im Erleben des Demenzkranken mehr und mehr seine Eigenständigkeit gegenüber der Umwelt, dadurch verändert sich die Ich-Du-Relation grundlegend, dadurch nimmt die Angst des Demenzkranken zu, vor dem Anderen auch körperlich nicht mehr geschützt zu sein. Diese tief greifenden Affektionen der Personalität sind es, die in der fachlichen Diskussion dazu führen, von einer Demenz nicht nur als einer Krankheit, sondern auch als einer bestimmten Weise des „In-der-Welt-Seins“ (im Sinne der Lebens-, Alltags- und Beziehungsgestaltung) zu sprechen. Denn die Demenz berührt nicht nur Teile der Person, sondern mehr und mehr die Person als Ganzes, sie beeinflusst nicht nur die Person-Umwelt-Beziehung, sondern sie verändert sie tiefgreifend.

Und doch darf nicht übersehen werden, dass auch bei einer deutlich verringerten Kohärenz des Selbst noch in späten Phasen immer Inseln des Selbst erkennbar sind, das heißt, Aspekte der Personalität, die in früheren Lebensaltern zentral für das Individuum waren, Daseinsthemen, die dessen Erleben früher bestimmt haben, sind in einzelnen Situationen immer wieder erkennbar. Hier wird wieder die Ressourcenperspektive sehr deutlich, die im Kontakt mit demenzkranken Menschen einzunehmen ist. Und auch mit Blick auf das Leibgedächtnis lässt sich konstatieren, dass dieses bei demenzkranken Menschen noch in späten Stadien der Erkrankung eine bemerkenswerte Ausprägung aufweist: Die leibliche Erinnerung an bestimmte Orte (mit hoher biographischer Prägung) lässt sich bis in späte Krankheitsstadien nachweisen, unter der Voraussetzung allerdings, dass sich die Betreuung und Begleitung demenzkranker Menschen von dem Grundsatz kontinuierlicher Stimulation und Aktivierung mit intensiven Bezügen zur Biographie leiten lässt. Auch mit Blick auf die Selbstbestimmung des demenzkranken Menschen kann die These aufgestellt werden, dass diese zwar nicht mehr in ihrer früheren prägnanten Gestalt erkennbar ist, dass aber bis in die späten Stadien der Erkrankung demenzkranke Menschen durchaus spüren, ob sie es sind, die eine Handlung ausführen, oder das Gegenüber. Allerdings kann diese basale Form der Selbstbestimmung vom demenzkranken Menschen nur dann erlebt werden, wenn dieser in einer Umwelt lebt, die die Erhaltung der Ich-Du-Relation auch unter der – oben angesprochenen – Bedingung eines grundlegend veränderten Körpererlebens zu einer zentralen Komponente der Stimulation und Aktivierung macht.

Es erscheint uns im begrifflichen wie auch im fachlichen Kontext als zentral, bei einer weit fortgeschrittenen Demenz ausdrücklich von Inseln des Selbst zu sprechen. Das Selbst ist, wie bereits dargelegt, als ein kohärentes, dynamisches Gebilde zu verstehen, das sich aus zahlreichen Aspekten (multiplen Selbsten) bildet, die miteinander verbunden sind (Kohärenz) und die sich unter dem Eindruck neuer Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen kontinuierlich verändern (Dynamik). Bei einer weit fortgeschrittenen Demenz büßt das Selbst mehr und mehr seine Kohärenz sowie seine Dynamik ein: Teile des Selbst gehen verloren, die bestehenden Selbste sind in deutlich geringerem Maße miteinander verbunden, die produktive Anpassung des Selbst im Falle neuer Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen ist nicht mehr gegeben, wobei sich auch die Möglichkeit, neue Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen zu gewinnen, mit zunehmendem Schweregrad der Demenz immer weiter verringert. Doch heißt dies nicht, dass das Selbst nicht mehr existent wäre: In fachlichen (wissenschaftlichen wie praktischen) Kontexten, in denen eine möglichst differenzierte Annäherung an das Erleben und Verhalten eines demenzkranken Menschen versucht wird, wird ausdrücklich hervorgehoben, dass Reste des Selbst auch bei weit fortgeschrittener Demenz deutlich erkennbar sind. Für jeden demenzkranken Menschen – auch wenn die Demenzerkrankung weit fortgeschritten ist – lassen sich Situationen identifizieren, in denen er (relativ) konstant mit positivem Affekt reagiert, sei dies der Kontakt mit Menschen, die eine ganz spezifische Ausstrahlung und Haltung zeigen, sei dies das Hören von bestimmten Musikstücken, sei dies das Aufnehmen von bestimmten Düften, Farben und Tönen, oder sei dies die Ausführung bestimmter Aktivitäten. Die Tatsache, dass in spezifischen Situationen (relativ) konstant mit positiven Affekten reagiert wird, weist darauf hin, dass diese Situationen wiedererkannt werden, dass sie damit also auf einen fruchtbaren biografischen Boden fallen – und dies lässt sich auch in der Weise ausdrücken, dass mit diesen Situationen Reste des Selbst berührt, angesprochen werden.

Die Identifikation solcher Situationen, die an positiv bewerteten biografischen Erlebnissen und Erfahrungen anknüpfen und aus diesem Grunde positive Affekte und Emotionen hervorrufen können, erweist sich als eine bedeutende Komponente innerhalb des Konzepts der Biografie- und Lebenswelt-orientierten Intervention. Gerade im Kontext der Annahme, dass bis weit in die Demenz hinein Reste des Selbst bestehen, erscheint dieser individualisierende, biografie- und lebenswelt-orientierte Rehabilitations- und Aktivierungsansatz als besonders sinnvoll, dessen Kern sehr treffend mit dem Begriff der Mäeutik (im Sinne des in der altgriechischen Philosophie verwendeten Begriffs der Hebammenkunst) umschrieben wird. Es wird ja in der Tat in einem theoretisch derart verankerten Rehabilitations- und Aktivierungsansatz etwas „gehoben“, nämlich biografisch gewachsene Präferenzen, Neigungen, Vorlieben, die sich in „einzelnen Selbsten“ ausdrücken. Diese weisen zwar bei weitem nicht mehr jene Kohärenz, Prägnanz und Dynamik auf, wie dies vor der Erkrankung der Fall gewesen war, doch sind sie wenigstens in Ansätzen erkennbar. Aus diesem Grunde ist hier ausdrücklich von Resten des Selbst zu sprechen. Der Ansatz des Leibgedächtnisses weist in der von diesem Autor vorgenommenen Übertragung auf die innere Situation demenzkranker Menschen Ähnlichkeiten mit der Annahme von Resten des Selbst bei weit fortgeschrittener Demenz auf.

Die Selbstaktualisierung beschreibt die grundlegende Tendenz des Menschen, sich auszudrücken und mitzuteilen; Ausdruck und Mitteilung vollziehen sich über sehr verschiedenartige psychische Qualitäten, die in kognitive, emotionale, empfindungsbezogene, sozialkommunikative, alltagspraktische und körperliche Qualitäten differenziert werden können. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass die Selbstaktualisierungstendenz eine grundlegende Tendenz des Psychischen darstellt, ergibt sich die weitere Annahme, dass auch im Falle einer weit fortgeschrittenen Demenz eine Selbstaktualisierungstendenz deutlich erkennbar ist. In Arbeiten zur Lebensqualität demenzkranker Menschen konnte gezeigt werden, dass auch bei weit fortgeschrittener Demenz Selbstaktualisierungstendenzen erkennbar sind, wenn die situativen Bedingungen den demenzkranken Menschen zu stimulieren, aktivieren und motivieren vermögen, wenn sich also in bestimmten Situationen das Erleben der Stimmigkeit einstellen kann – was vor allem in jenen Situationen der Fall ist, die biografische Bezüge aufweisen und (damit) Reste des Selbst berühren.

Die Selbstaktualisierungstendenz bildet unserer Annahme zufolge sogar die zentrale motivationale Grundlage für die Verwirklichung jener Ressourcen, über die der demenzkranke Mensch auch bei einer weit fortgeschrittenen Demenz verfügt. Es lässt sich beobachten, dass bei demenzkranken Menschen die emotionalen, empfindungsbezogenen, sozial-kommunikativen, alltagspraktischen und körperlichen Ressourcen deutlich länger fortbestehen als die kognitiven Ressourcen. Eine theoretisch-konzeptionelle oder anwendungsbezogen-praktische Annäherung, die den Menschen – und damit auch den demenzkranken Menschen – primär oder sogar ausschließlich von dessen kognitiven Ressourcen her begreift, unterliegt der Gefahr, die zahlreichen weiteren Ressourcen der Person zu übersehen. Und damit begrenzt sie von vornherein die thematische Breite des Stimulations-, Aktivierungs- und Motivationsansatzes und schmälert deren möglichen Erfolg.

Dabei zeigen Arbeiten aus der Interventionsforschung, dass emotionale, empfindungsbezogene, sozialkommunikative, alltagspraktische und körperliche Ressourcen unter angemessenen Stimulations-, Aktivierungs- und Motivationsbedingungen zum Teil bis weit in die Krankheit hinein verwirklicht werden können und auf diesem Wege zum Wohlbefinden des Menschen beitragen. Bei der Verwirklichung dieser Ressourcen werden zudem immer wieder Bezüge zur Biografie – zu den in der Biografie ausgebildeten Werten, Neigungen, Vorlieben, Interessen, Kompetenzen – offenbar, die den Schluss erlauben, dass auch in den späten Phasen der Erkrankung Reste des Selbst erkennbar sind. Diese Reste des Selbst verweisen ausdrücklich auf die Person, sie geben Zeugnis von dieser. Wenn hier von Resten des Selbst gesprochen wird, so ist damit nicht gemeint, dass „ein Teil“ der Person verloren gegangen wäre: Personalität ist diesem Verständnis zufolge nicht an bestimmte Fähigkeiten gebunden. Vielmehr vertreten wir die Auffassung, dass sich die Personalität des Menschen nun in einer anderen Weise ausdrückt.

In diesem Kontext sind zwei Aspekte der Stimulation, Aktivierung und Motivation demenzkranker Menschen hervorzuheben: Das Präsentisch-Werden der individuellen Vergangenheit sowie die Erfahrung der Bezogenheit.
(a) Präsentisch-Werden der individuellen Vergangenheit: Für die Begleitung und Betreuung demenzkranker Menschen ist die Erkenntnis zentral, dass das Lebendigwerden der Biografie in der Gegenwart eine zentrale Grundlage für das Wohlbefinden dieser Menschen bildet. Aktuelle Situationen, die mit den in der Biografie ausgebildeten Präferenzen und Neigungen korrespondieren und an den biografisch gewachsenen Daseinsthemen – zu verstehen als fundamentale Anliegen des Menschen – anknüpfen, bergen ein hohes Potenzial zur Selbstaktualisierung und damit zur Evokation positiver Affekte und Emotionen.
(b) Menschsein in Beziehungen: Für die Stimulation, Aktivierung und Motivation des demenzkranken Menschen ist die offene, konzentrierte, wahrhaftige Zuwendung und Kommunikation zentral. Diese Kommunikation zeichnet sich auf Seiten des Kommunikationspartners dadurch aus, dass dieser den demenzkranken Menschen nicht auf dessen „Pathologie“ reduziert, ihn auch nicht primär von dessen Pathologie aus zu verstehen sucht, sondern dass er in allen Phasen der Kommunikation, auch unter den verschiedensten Ausdrucksformen, nach dessen „eigentlichem Wesen“, nach dessen Personalität sucht. Nur unter diesen Bedingungen wird sich beim demenzkranken Menschen das Erleben einstellen, weiterhin in Beziehungen zu stehen, Teil einer Gemeinschaft zu sein, nicht von der Kommunikation mit anderen Menschen ausgeschlossen zu sein. In Arbeiten zur Interventionsforschung, die sich dem demenzkranken Menschen aus einer biografischen und daseinsthematischen Perspektive zu nähern versuchten, wurde eindrucksvoll belegt, dass gerade unter dem Eindruck einer wahrhaftigen Kommunikation Prozesse der Selbstaktualisierung erkennbar sind, die dazu führen, dass subjektiv bedeutsame Stationen, Ereignisse und Erlebnisse der Biografie wieder präsentisch und dabei von positiven Affekten und Emotionen begleitet werden.

(IV) Kategorien eines „guten Lebens“

Ein ethischer Entwurf zum gelingenden Leben im Alter kann auf den folgenden fünf Kategorien aufbauen:

1.
Selbstständigkeit
2.
Selbstverantwortung
3.
Bewusst angenommene Abhängigkeit
4.
Mitverantwortung
5.
Selbstverwirklichung

Dabei lassen sich diese fünf Kategorien wie folgt definieren: Selbstständigkeit beschreibt die Fähigkeit des Menschen, ein von Hilfen anderer Menschen weitgehend unabhängiges Leben zu führen oder im Falle des Angewiesenseins auf Hilfen diese so zu gebrauchen, dass ein selbstständiges Leben in den für die Person zentralen Lebensbereichen möglich ist. Selbstverantwortung beschreibt die Fähigkeit und Bereitschaft des Individuums, den Alltag in einer den persönlichen Vorstellungen eines guten Lebens entsprechenden Art und Weise zu gestalten und sich reflektiert mit der eigenen Person („Wer bin ich? Was möchte ich tun?“) wie auch mit den Anforderungen und Möglichkeiten der persönlichen Lebenssituation auseinanderzusetzen. Zudem beschreibt Selbstverantwortung im Prozess der medizinischen und der pflegerischen Versorgung die Mitbestimmung des Patienten bei der Entscheidung über die Art der zu wählenden Intervention. In der bewusst angenommenen Abhängigkeit spiegelt sich die Fähigkeit des Menschen wider, das – auch objektiv gegebene – Angewiesensein auf Unterstützung als Ergebnis seiner Verletzlichkeit und damit als ein Merkmal der conditio humana zu deuten. Sie beschreibt weiterhin dessen Fähigkeit, irreversible Einschränkungen und Verluste anzunehmen, wobei diese Fähigkeit durch ein individuell angepasstes und gestaltbares System an Hilfen gefördert wird, die dazu beitragen, Einschränkungen und Verluste in Teilen zu kompensieren oder deren Folgen erkennbar zu verringern. In der Mitverantwortung kommt die Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen zum Ausdruck, sich in die Lebenssituation anderer Menschen hineinzuversetzen, sich für andere zu engagieren, sich als verantwortlichen Teil innerhalb der Gemeinschaft zu definieren. Selbstverwirklichung beschreibt die Verwirklichung von Werten, Fähigkeiten, Neigungen und Bedürfnissen und die in diesem Prozess erlebte Stimmigkeit der Situation (die auch verstanden werden kann als Sinnerleben des Menschen).

Diese fünf Kategorien bilden nach unserem Verständnis den Kern des (in der Sprache der Nikomachischen Ethik ausgedrückten) guten Lebens im Alter. Denn Selbstständigkeit und Selbstverantwortung spiegeln das Moment der Selbstsorge – oder der Verantwortung vor sich selbst und für sich selbst – wider, das deswegen als zentral für das gelingende Leben erachtet werden kann, da es die Fähigkeit zur Gestaltung des eigenen Lebens akzentuiert. Dabei gehen wir von der Annahme aus, dass auch bei der Demenz – solange entsprechende körperliche und seelisch-geistige Ressourcen gegeben sind – die Selbstsorge ein bedeutendes personales Moment der Würde des Menschen bildet und sich der Respekt vor der Würde dieses Menschen auch im Respekt vor dessen Fähigkeit zur Selbstsorge ausdrückt. Dabei umfasst Selbstsorge Selbstständigkeit und Selbstverantwortung, und die Aufgabe einer fachlich wie ethisch fundierten medizinischen, pflegerischen, sozialen Begleitung ist darin zu sehen, die Ressourcen für ein (in Grenzen) selbstständiges und selbstverantwortliches Leben zu erkennen und zu fördern. Selbstverantwortung wird dabei in zweierlei Weise bedeutsam: Zum einen zeigt sich diese in der gedanklich-emotionalen Vorwegnahme der verschiedenen Phasen der Demenz und der Artikulation von Erwartungen, die an die Begleitung in diesen verschiedenen Phasen gerichtet werden – in diesem Kontext kommt der Aufklärung von demenzkranken Menschen in den frühen Phasen der Demenz großes Gewicht zu. Zum anderen zeigt sich diese im verbalen und nonverbalen Ausdruck von Bedürfnissen und Emotionen in spezifischen Situationen. Diese Erweiterung auf den nonverbalen Ausdruck ist nicht nur aus wissenschaftlichen, sondern auch aus ethischen Gründen von großem Interesse: Denn damit wird ein möglicher Weg zur vermehrten Beachtung der Selbstverantwortung des demenzkranken Menschen beschritten – und zwar in der Hinsicht, als mit der Erfassung des nonverbalen Ausdrucks von Bedürfnissen und Emotionen die Möglichkeit eröffnet wird, dass der Wille dieses Menschen möglichst umfassend umgesetzt und damit zur Erhaltung der – allerdings nur in engen Grenzen gegebenen – Selbstverantwortung beigetragen wird. In der Mitverantwortung spiegelt sich die grundlegende Zugehörigkeit des Menschen zur Gemeinschaft wider, ohne die menschliches Leben gar nicht denkbar ist – und dies gilt selbstverständlich auch für demenzkranke Menschen. Dabei ist Mitverantwortung auch im Sinne der Mitgestaltung des öffentlichen Raums zu deuten, die mit der subjektiven Erfahrung verbunden ist, für andere Menschen etwas tun zu können, auf andere Menschen reagieren zu können, Reaktionen von anderen Menschen auf das eigene Verhalten zu erfahren. Eine Person zu sein, die Teil der Gemeinschaft bildet, ist eine für das subjektive Lebensgefühl entscheidende Erfahrung. Mit dieser Aussage soll auch deutlich gemacht werden, dass nicht allein die soziale Integration und die erlebte Zugehörigkeit für das Lebensgefühl demenzkranker Menschen zentral ist, sondern – unter der Voraussetzung entsprechend gegebener Ressourcen – auch die Erfahrung, die empfangene Hilfe erwidern, anderen Menschen etwas geben und damit den sozialen Nahraum mitgestalten zu können. Die Angewiesenheit auf den anderen Menschen (und zwar im Sinne bewusst angenommener Abhängigkeit) ist als weitere grundlegende Erfahrung des Menschen zu verstehen, die mit dem Begriff der Begegnung umschrieben werden kann: In der Begegnung wird uns deutlich, dass wir nicht ohne den Anderen sein können, dass wir grundlegend auf den Anderen bezogen sind.

Kommen wir schließlich zur Selbstverwirklichung, die als Streben des Menschen nach Verwirklichung von Werten zu verstehen ist. Dabei lässt sich zwischen drei grundlegenden Wertformen differenzieren, in denen sich ein umfassendes Verständnis der Person und ihrer Möglichkeiten zur Wertverwirklichung ausdrückt: homo faber als der schaffende Mensch, homo amans als der liebende, erlebende, empfindende Mensch, homo patiens als der leidende, erleidende, sein Leiden annehmende Mensch. Wichtig ist hier die Aussage, dass auch in Grenzsituationen Selbstverwirklichung möglich ist. In der Verwirklichung der Einstellungswerte, das heißt, der Fähigkeit, in einer Grenzsituation zu einer neuen Lebenseinstellung zu gelangen (homo patiens), erkennt der Wiener Existenzpsychologe und Arzt Viktor Frankl sogar die höchste Form der Wertverwirklichung. Prozesse der Selbstverwirklichung bilden zudem den Kern psychologisch-humanistischer Theorien, die von der Annahme ausgehen, dass das Streben nach Selbstverwirklichung die Entwicklung über die gesamte Lebensspanne antreibe; zu nennen sind hier Arbeiten der Begründerin der Humanistischen Psychologie, Charlotte Bühler. Im Erleben der Stimmigkeit einer Situation sieht der Bonner Psychologe Hans Thomae das Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen der personalen Geschehensordnung des Menschen (wie sich diese ausdrückt in ihren Leitideen und ihren dominierenden Lebensthemen) und dem Gehalt einer Situation; hinzu tritt das Bedürfnis des Menschen nach Verwirklichung der Leitideen und Lebensthemen. Dieses Bedürfnis wird mit dem Begriff des propulsiven Ich umschrieben. Für das Verständnis der Selbstverwirklichung bei Demenz ist die Differenzierung zwischen den drei Werten – homo faber, homo amans, homo patiens – von grundlegender Bedeutung, zeigt uns diese doch, dass auch im Erleben und Lieben, dass auch in der Begegnung zentrale Quellen der Wertverwirklichung und Sinnerfahrung liegen. Diese Differenzierung korrespondiert auch mit der bereits dargelegten Notwendigkeit, sich grundsätzlich um die Erfassung der verschiedenen Qualitäten der Persönlichkeit zu bemühen und sich nicht ausschließlich auf die kognitiven Qualitäten zu konzentrieren. Die Tatsache, dass demenzkranke Menschen Glück und Freude empfinden können – und dies selbst bei einem weit fortgeschrittenen Verlust ihrer kognitiven Leistungskapazität –, macht deutlich, wie wichtig es ist, von dem Potenzial zur Selbstverwirklichung auch bei Demenzerkrankung zu sprechen.

Das für das Verständnis von Selbstverwirklichung notwendige Persönlichkeitsmodell, welches ausdrücklich die zahlreichen Qualitäten der Persönlichkeit als Quelle des Schöpferischen und des Sinnerlebens berücksichtigt, erweist sich im Hinblick auf den Respekt vor der Würde des demenzkranken Menschen als sehr wichtig. Denn wir würden dessen psychische Situation missdeuten, konzentrierten wir uns allein auf dessen Selbstbestimmung und die dafür notwendigen kognitiven Qualitäten. Gehen wir hingegen von einem möglichst umfassenden Persönlichkeitsmodell aus, so tritt nicht nur die Selbstbestimmung in das Zentrum des Interesses, sondern alle – bereits angeführten – Qualitäten der Persönlichkeit. Und dann ergibt sich auch die Frage, auf welche Art und Weise bei der Begleitung eines demenzkranken Menschen dazu beigetragen werden kann, dass sich die verschiedenen Qualitäten der Persönlichkeit ausdrücken und verwirklichen und somit Grundlage für das Wohlbefinden, wenn nicht sogar für das Erleben von Freude und Erfüllung bilden können.

Hier sei erwähnt, dass die im Jahre 2007 veröffentlichte Pflegecharta die angedeutete Problematik ausdrücklich aufnimmt. Denn in ihrer Präambel stellt sie ausdrücklich fest, dass der uneingeschränkte Anspruch auf Respektierung seiner Würde und Einzigartigkeit für alle Menschen gilt. Aus der Tatsache, dass sich Menschen, die Hilfe und Pflege benötigen, häufig nicht selbst vertreten können, erwächst für Staat und Gesellschaft große Verantwortung für den Schutz ihrer Würde am Ende des Lebens.

Gehen wir auf das Gegenteil des von uns als notwendig erachteten, umfassenden Modells der Persönlichkeit und auf das von uns vorgeschlagene Verständnis von Selbstverwirklichung ein, um noch deutlicher zu machen, worin nicht nur die fachliche, sondern auch die ethische Dimension des Respekts vor der Selbstverwirklichung liegt. So ist durchaus möglich, dass Menschen mit einer weit fortgeschrittenen Demenz das Humane abgesprochen wird, was vor allem der Fall ist, wenn in einer Gesellschaft primär eine in hohem Maße rationale Konzeption von Menschsein vertreten wird. Es ist auch zu beobachten, dass bei fortgeschrittener Demenz grundlegende Zweifel in Bezug auf die Menschenwürde vorgebracht werden, wobei diese Zweifel vielleicht weniger mit der Vorstellung von Menschenwürde zu tun haben, die bei dem Erkrankten selbst vorherrscht, als mit der Vorstellung von Menschenwürde, die der Außenstehende vertritt. Bei einem derart reduktionistischen Menschenbild ist zunächst die Kommunikation mit dem demenzkranken Menschen tiefgreifend gestört, weil Voraussetzungen der Kommunikationsfähigkeit als nicht mehr gegeben erachtet werden. Zudem besteht die Tendenz, dem demenzkranken Menschen das Recht auf qualitativ hochwertige medizinische und pflegerische Versorgung abzusprechen, weil dieser – einem derartigen Menschenbild zufolge – von einer solchen Versorgung nicht mehr profitiert.

(V) Sorgende Gemeinschaften – „geteilte Verantwortung“

Mit den bislang getroffenen Aussagen sind grundlegende Anforderungen an die Gestaltung der sozialen und räumlichen Umwelt angesprochen. Die allgemeinste Anforderung bezieht sich auf die Teilhabe demenzkranker Menschen. Mit Teilhabe ist deutlich mehr gemeint als soziale Integration. Sie spricht die Möglichkeit an, die soziale Umwelt aktiv mitzugestalten, sich mit anderen Menschen im Handeln und Sprechen auszutauschen, Mitverantwortung zu übernehmen. Dieser Teilhabebegriff, der seinen Ursprung auch in dem von Hannah Arendt explizierten Begriff des „öffentlichen Raumes“ hat, den die einzelnen Menschen durch ihre Individualität in einer unvergleichlichen, nicht wiederholbaren Art und Weise mitgestalten und prägen, erfordert auf Seiten der sozialen Umwelt größtmögliche Offenheit für die individuelle Persönlichkeit eines demenzkranken Menschen, für dessen spezifische Kompetenzformen (die eben nicht nur die Beachtung von Verlusten, sondern auch und in besonderer Weise von Ressourcen notwendig machen), für dessen spezifische Motive, Interessen, Erlebens- und Verhaltensformen. Sie legt zudem die Schaffung von Sozialräumen nahe, in denen sich demenzkranke Menschen einerseits geschützt fühlen können, in denen sie andererseits ausreichend Möglichkeiten finden, schöpferisch zu sein, selbstgewählten Tätigkeiten nachzugehen, mit anderen Menschen in einen Austausch zu treten.

Im Kontext solcher Vorstellungen von Sozialraumgestaltung werden Forderungen nach einer Re-Kommunalisierung sozialstaatlicher Leistungen wie auch nach einer sehr viel stärkeren Verantwortungsteilung – nämlich zwischen Familienangehörigen, professionell tätigen und zivilgesellschaftlich engagierten Menschen – laut. Bei einer Umsetzung dieser Forderung würden deutlich kleinere, aber auch deutlich intimere und leistungsfähigere soziale Netzwerke geschaffen, in denen sich das Schöpferische des Menschen – in diesem Falle: des demenzkranken Menschen – in sehr viel stärkerem Maße entfalten kann. Zudem kann gerade diese Verantwortungsteilung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich unsere Gesellschaft in einer sehr viel offeneren, einer sehr viel weniger „dramatisierenden“, mithin einer sensibleren Art und Weise mit dem Thema der Demenz auseinandersetzt. Zudem wird mit der zivilgesellschaftlich engagierten (und nicht nur professionellen) Begleitung demenzkranker Menschen ein bedeutender Beitrag zur Aufrechterhaltung einer auch an Humanitätsidealen orientierten Gesellschaft geleistet. Der Begriff der „sorgenden Gemeinschaften“, die sich innerhalb der Kommunen bilden, stellt dabei eine passende Umschreibung der Verantwortungsteilung dar.

Wie haben wir uns nun die sorgenden Gemeinschaften für demenzkranke Menschen vorzustellen? Es sind drei Komponenten, die hier wichtig sind: Die professionelle Pflege bildet eine Komponente, unterstützt durch zwei weitere Komponenten, nämlich die familiäre Pflege und die auf bürgerschaftlichem Engagement gründende Pflege. Gemeint ist hier, dass alle pflegerischen Aufgaben, die professionelle Pflege erfordern, tatsächlich von einer Pflegefachkraft ausgeführt werden. Diese Pflegefachkraft könnte zudem jene Tätigkeiten koordinieren, die Familienangehörige und bürgerschaftlich Engagierte übernehmen. Damit entstünde eine sorgende Gemeinschaft (caring community), die sich vom Prinzip der geteilten Verantwortung leiten ließe.

Worin aber liegt der Wert einer solchen sorgenden Gemeinschaft? Vier Überlegungen seien hier in aller Kürze angestellt.
(1) Die Integration der bürgerschaftlichen Engagementkultur in Pflegekontexte ist nicht nur im Sinne der Entlastung (der Pflegefachkräfte wie auch der Familienangehörigen), sondern auch im Sinne der menschlichen Bereicherung zu verstehen – ein neues Gesicht tritt in Erscheinung, damit verbunden sind neue Deutungs- und Handlungsansätze bei der Bewältigung gegebener Anforderungen.
(2) Die Integration der von Pflegebedürftigkeit betroffenen Familie in die Bürgerschaft wird gefördert, die Familie spürt, dass man sie nicht vergessen hat, dass sich die Bürgerschaft mitverantwortlich für deren Lebensqualität fühlt.
(3) Der Zusammenhalt der Bürgerschaft wird durch das Engagement ihrer Glieder gestärkt.
(4) Nicht nur die Familie, sondern auch die Pflegeversicherung wird entlastet, wenn einzelne Betreuungsaufgaben, die keine professionelle Pflege erfordern, durch freiwillig tätige Frauen und Männer übernommen werden. Dieses bürgerschaftliche Engagement wird in Zukunft immer wichtiger werden: Zum einen, weil die Anzahl der Menschen mit Hilfe- oder Pflegebedarf, vor allem die Anzahl der demenzkranken Menschen deutlich steigen wird – jüngsten Szenarien zufolge ist von einer Verdreifachung (und nicht mehr nur, wie früher angenommen, von einer Verdopplung) der Anzahl demenzkranker Menschen bis zum Jahre 2050 auszugehen. Zum anderen, weil die familiären Hilfe- und Pflegeressourcen erkennbar zurückgehen werden (vor allem ab dem Jahre 2030), und dies aus Gründen eines sich kontinuierlich verändernden quantitativen Verhältnisses zwischen pflegebedürftigen Familienmitgliedern und pflegenden Angehörigen sowie einer deutlich erhöhten, berufsbedingten Mobilität der mittleren Generation.

(VI) Überlegungen zur altersfreundlichen Kultur

Die nun folgenden Überlegungen zur altersfreundlichen Kultur sollen für jene gesellschaftlichen Entwicklungen sensibilisieren, die notwendig sind, um zu einem veränderten Umgang mit den Kräften und Stärken (Potenzialen) wie auch mit der Verletzlichkeit (Grenzen) im hohen und sehr hohen Alter zu gelangen. Dieser veränderte Umgang kann zum einen ältere Menschen dazu motivieren, ihre Kräfte und Stärken in den Dienst ihrer familiären und außerfamiliären Beziehungen zu stellen – dies im Sinne der Verwirklichung von Sorgekultur in sorgenden Gemeinschaften. Zum anderen kann er helfen, auch in der Erfahrung von Verletzlichkeit, Vergänglichkeit und Endlichkeit zu einer tragfähigen Lebenseinstellung zu gelangen – eine Frage, die vor allem in den frühen Phasen einer symptomatisch gewordenen Demenz mehr und mehr das Erleben des demenzkranken Menschen bestimmt.

(1) Unter altersfreundlicher Kultur verstehen wir zunächst die Einbeziehung älterer Menschen in den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Diskurs, dabei auch in den gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt. Nicht selten ist im öffentlichen Diskurs die Tendenz erkennbar, über ältere Menschen zu sprechen, aber eben nicht mit diesen. Über ältere Menschen, aber nicht mit diesen zu sprechen, legt die Annahme nahe, dass diese nicht als aktiver, mitverantwortlich handelnder Teil der Gesellschaft wahrgenommen, ja, dass diese in ihren Potenzialen nicht wirklich ernstgenommen werden. In einer altersfreundlichen Kultur kommen ältere Frauen und Männer in gleicher Weise zu Wort, wird diesen in gleicher Weise Respekt entgegengebracht wie jüngeren Menschen. Eine altersfreundliche Kultur verallgemeinert nicht über die Gruppe der älteren Menschen, sondern achtet die „Einzigartigkeit des Seins“ älterer Frauen und Männer – und dies gilt auch für jene Frauen und Männer, die an einer Demenz erkrankt sind.

(2) Mit dem erstgenannten Merkmal einer altersfreundlichen Kultur verwandt, doch einen etwas anderen Akzent setzend, ist die intergenerationelle Perspektive, die das zweite Merkmal einer altersfreundlichen Kultur bildet: Das Alter wird in eine Intergenerationenperspektive integriert, wobei ausdrücklich festzustellen ist – empirische Befunde stützen diese Aussage –, dass zwischen den Generationen ein reger Austausch von Anregungen, von Wissen, von Erfahrungen, von Hilfeleistungen, von Sympathiebekundungen besteht. Dieses Eingebundensein in eine Generationenfolge bildet für ältere Menschen noch mehr als für jüngere eine bedeutende Ausdrucksform von Teilhabe – dies gilt auch für jene Frauen und Männer, die an einer Demenz erkrankt sind.

(3) Eine altersfreundliche Kultur artikuliert das vitale Interesse an den Potenzialen im Alter (die von Person zu Person sehr verschieden ausfallen können) und schafft Rahmenbedingungen, die sich förderlich auf die Verwirklichung von Potenzialen auswirken. Zu diesen zählt die Schaffung von Gelegenheitsstrukturen, wie zum Beispiel Bürgerzentren und sorgende Gemeinschaften, in denen sich die Generationen begegnen, gegenseitig befruchten und unterstützen: ein bedeutender Anreiz zur Verwirklichung von Potenzialen im Alter.

(4) Eine altersfreundliche Kultur begegnet älteren Frauen und Männern, bei denen die Verletzlichkeit deutlich zum Ausdruck kommt, mit Respekt und Sensibilität. Sie schafft sozialräumliche Kontexte, die Selbstständigkeit und Selbstverantwortung fördern und die Teilhabe sichern: Zu nennen sind Begegnungsmöglichkeiten im Wohnquartier, zu nennen sind differenzierte, zielgruppenspezifische Dienstleistungssysteme, zu nennen sind barrierefreie Umwelten, die sich positiv auf die Erhaltung oder Wiedererlangung von Selbstständigkeit und Mobilität auswirken.

(5) Auch im Falle schwerer körperlicher und kognitiver Verluste eines älteren Menschen achtet eine altersfreundliche Kultur dessen Einzigartigkeit, bringt sie ihren Respekt vor dessen Menschenwürde zum Ausdruck, vermeidet sie es, die Lebensqualität dieses Menschen von außen bestimmen zu wollen, spricht sie diesem nicht das grundlegende Recht auf Teilhabe wie auch auf eine fachlich und ethisch fundierte medizinisch-pflegerische Betreuung ab. Eine „Graduierung“ der Menschenwürde wird genauso vermieden wie eine altersbestimmte „Abstufung“ des Umfangs und der Qualität medizinisch-pflegerischer Leistungen: Entscheidend für diese Leistungen ist allein die fachlich begründete Indikation, jedoch nicht das Lebensalter.

(6) Eine altersfreundliche Kultur ist vom Bemühen bestimmt, soziale Ungleichheit innerhalb der Gruppe älterer Menschen abzubauen und dabei sicherzustellen, dass jeder Mensch – unabhängig von Bildung, Einkommen, Sozialschicht – die sozialen und medizinisch-pflegerischen Leistungen erhält, die sich in seiner konkreten Lebenssituation als notwendig erweisen.

(7) Eine altersfreundliche Kultur leugnet nicht die Rechte, Ansprüche und Bedürfnisse jüngerer Menschen, sondern ist vielmehr von dem Bemühen bestimmt, die Rechte, Ansprüche und Bedürfnisse aller Generationen zu erkennen und anzuerkennen, wobei keine Generation bevorzugt oder benachteiligt wird. Dies ist auch bei Überlegungen zur Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme ausdrücklich zu bedenken.

(VII) Pflegefreundliche Kultur: Veränderte Anthropologie, veränderte Rahmenbedingungen

Abschließend soll die Frage gestellt werden: Welche Merkmale konstituieren eine „pflegefreundliche Kultur“?

(1) Eine pflegefreundliche Kultur lässt sich zunächst von dem Grundsatz leiten, dass Menschen auch in ihrer größten Verletzlichkeit von ihrer Freiheit und ihrer Würde her verstanden und in dieser angesprochen werden müssen. Dies heißt, dass alles dafür zu tun ist, die Selbstverantwortung des Menschen – auch dann, wenn diese nur noch in ihren Resten erkennbar ist („Inseln des Selbst“) – anzuerkennen und dieser zur Verwirklichung zu verhelfen. Dies heißt weiterhin, dass man neben einer grundlegenden Anerkennung der Würde des Menschen alles dafür tut, dass sich diese verwirklichen, dass diese „leben“ kann, was eine konzentrierte, empathische und kontinuierliche Zuwendung erfordert.

(2) Damit dieser Grundsatz mit Leben erfüllt wird, müssen die infrastrukturellen Rahmenbedingungen für eine gute Pflege geschaffen werden, zu denen gehören: Eine ausreichende Besoldung der Pflegefachpersonen, ansprechende Fort- und Weiterbildungsangebote, ein Personalschlüssel, der ein ausreichendes Maß an Fachlichkeit sicherstellt, in stationären Kontexten Wohnbedingungen für Bewohnerinnen und Bewohner, die sich vom Prinzip des Wohnens – mit seinen Komponenten: Heimatgefühl, Teilhabe, Zugehörigkeitsgefühl, Intimität, sensorische, emotionale, kognitive und soziale Stimulation – leiten lassen, schließlich eine enge Kooperation der Pflege mit den verschiedenen medizinischen Disziplinen, mit Sozialarbeit, Psychologie und Seelsorge. Zudem ist das Angebot an stationären Einrichtungen durch Wohngruppen im Quartier zu ergänzen, um auf diese Weise einen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Teilhabe im vertrauten Quartier und in vertrauten sozialräumlichen Kontexten zu schaffen.

(3) Diese infrastrukturellen Rahmenbedingungen sind anspruchsvoll. Und doch darf nicht übersehen werden, dass gerade in Phasen hoher oder höchster Verletzlichkeit das Angewiesensein des Menschen auf eine fachlich wie ethisch anspruchsvolle Pflege, auf ansprechende Wohnbedingungen, auf eine ansprechende Kommunikation deutlich größer ist als in einer Zeit weitgehend erhaltener Kompetenz und Selbstständigkeit. Zudem muss berücksichtigt werden, dass auch am Ende des Lebens eine Entwicklungsnotwendigkeit gegeben ist und Entwicklungspotenziale bestehen: Die Entwicklungsnotwendigkeit ergibt sich im Hinblick auf die Akzeptanz eigener Verletzlichkeit und Endlichkeit als Voraussetzung dafür, dass die letzte Lebensphase gestaltet werden kann. Von Entwicklungspotenzialen ist insofern auszugehen, als es Menschen auch in dieser Grenzsituation gelingen kann, ihr Leben zu einer Rundung zu bringen. Vielfach ist man wegen der zahlreichen Krankheitssymptome und der funktionalen Einschränkungen, die am Lebensende dominieren, geneigt, die seelisch-geistige Dimension des Menschen aus den Augen zu verlieren – und mit dieser die Entwicklungsnotwendigkeit wie auch die Entwicklungspotenziale. Dabei sollte die Konzentration auf ebendiese Dimension als wichtige Aufgabe jeder Form der Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen verstanden werden.

(4) Bei der Schaffung anspruchsvoller Rahmenbedingungen, die notwendigerweise mit höheren Investitionen verbunden sind, ist immer auch von einer Anthropologie auszugehen, die die Verletzlichkeit des Menschen wie auch dessen Entwicklungspotenziale selbst in Phasen hoher und höchster Verletzlichkeit erkennt und anerkennt. Solange man Pflegebedürftigkeit, Demenz und zum Tode führende Erkrankungen als „inferiore“ Ausdrucksformen menschlichen Lebens und nicht als Widerspiegelung der – biologisch gegebenen – Verletzlichkeit der menschlichen Natur begreift, wird man die Schaffung anspruchsvoller Rahmenbedingungen nicht als notwendig ansehen. Erkennt man hingegen in diesen die mit unserer Existenz gegebene Begrenztheit, Verletzlichkeit und Endlichkeit und erkennt man an, dass sich Menschen auch in diesen Grenzsituationen seelisch-geistig weiterentwickeln können, dann wird man ein lebendiges Interesse daran haben, anspruchsvolle Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen eine fachlich wie ethisch hochstehende Pflege eher gelingt.

(5) Zu diesen Rahmenbedingungen gehört die Stärkung der rehabilitativen Pflege, das heißt die stärkere Integration physiotherapeutischer, krankengymnastischer, ergotherapeutischer sowie bewegungs- und sportbezogener Elemente in den Pflegeprozess. Dies gilt ausdrücklich auch für Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, sowie für Menschen, bei denen die Pflege mehr und mehr von palliativen Konzepten und Strategien bestimmt ist. Dabei ist zu bedenken: Auch in palliativen Kontexten kann sich das rehabilitative Element der Pflege als wertvoll erweisen, wenn es nämlich darum geht, Bedingungen zu schaffen, die den schwerstkranken oder sterbenden Menschen dabei unterstützen, die letzte Lebensphase bewusst zu gestalten. Auch in der Schaffung derartiger Bedingungen drückt sich der Respekt vor der Selbstverantwortung dieses Menschen aus – selbst wenn diese nur noch in ihrer basalen Form erkennbar ist.

(6) Eine pflegefreundliche Kultur lässt sich von dem Gedanken leiten, das bürgerschaftliche Engagement dort, wo es möglich und sinnvoll ist, in den Pflegeprozess einzubeziehen. Pflegefachpersonen nehmen – neben ihrer pflegerischen Tätigkeit im engeren Sinne – auch Koordinierungsfunktionen wahr, um die Kooperation zwischen professioneller Pflege, familiärer Hilfe und bürgerschaftlichem Engagement zu ermöglichen. Hier gehen von den stationären und ambulanten Hospizdiensten wertvolle Impulse aus, die sich gleichfalls von diesem Kooperationsgedanken leiten lassen. Die Zusammenarbeit zwischen Pflegefachkräften, Familienangehörigen und bürgerschaftlich engagierten Personen lässt sich, wie bereits geschehen, treffend mit dem Begriff der „sorgenden Gemeinschaft“ umschreiben.

(7) Eine pflegefreundliche Kultur gründet auf der gesellschaftlichen Wertschätzung und Anerkennung pflegerischer Tätigkeit und der Pflegeberufe. Diese wird nur in dem Maße herbeizuführen sein, in dem in der Öffentlichkeit dargelegt wird, welche Aufgaben sich im Pflegeprozess stellen, welche Verantwortung Pflegefachkräfte übernehmen, welchen Beitrag eine fachlich wie ethisch anspruchsvolle Pflege für die Erhaltung oder Wiedererlangung von Lebensqualität und Wohlbefinden leistet.

(8) Dies heißt aber auch, dass unsere Gesellschaft – und somit jeder Einzelne – bereit ist, deutlich mehr in die Pflege zu investieren, als dies heute der Fall ist. „Was ist dem Menschen eine fachlich und ethisch anspruchsvolle Pflege wert?“ – diese Frage ist in einem umfassenderen gesellschaftlichen Diskurs zu erörtern, der dazu beitragen kann, dass in unserer Gesellschaft die Bereitschaft wächst, in deutlich höherem Maße in die Pflege zu investieren – übrigens auch in jene Orte, an denen Pflege stattfindet.

(9) Dabei ist auf die Vermeidung von sozialer Ungleichheit zu achten. Menschen mit ausreichenden finanziellen Ressourcen können sich eine Pflege leisten, die hohe fachliche und ethische Ansprüche erfüllt und die zudem an Orten geleistet wird, die einen hohen Wohnstandard und zudem die Aufrechterhaltung von Teilhabe sicherstellen. Bei Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen kann nicht von solchen Bedingungen ausgegangen werden. Und doch müssen auch sie eine fachlich wie ethisch anspruchsvolle Pflege erhalten – zudem an einem Ort, an dem sie sich zu Hause fühlen können, an dem sie sich geschützt fühlen. Letztlich kann damit auch eine Entwicklung abgewendet werden, die zu einer „sozioökonomisch mitbedingten“ Art des Sterbens führt. In der höchsten Verletzlichkeit des Menschen kann die soziale Ungleichheit besonders negative, fatale Folgen haben – diese zu vermeiden, muss erklärtes Ziel unserer Gesellschaft und damit ein einzuforderndes Gut sein.


Podiumsdiskussion mit den Referenten

In einer von Prof. Dr. med. Stephan Sahm, Kettelerkrankenhaus, Offenbach am Main, moderierten Podiumsdiskussion wurden unter Einbeziehung des Auditoriums die verschiedenen Aspekte des Themas vertiefend erörtert.

Prof. Pantel erläuterte, dass bei Personen ohne Leidensdruck nicht automatisch ein Screening auf Demenz durchgeführt werden müsse. Auch bei Personen, die noch einwilligungsfähig sind, mit Leidensdruck müsse nicht zwingend eine komplette Diagnostik durchgeführt werden, er plädierte eher für einen offenen, auf die jeweilige Situation abgestimmten Umgang.

Dr. Lübke erläuterte, dass der Anteil der von den Krankenkassen getragenen Kosten der Pflege dementer Personen relativ klein sei, unter anderem auch deshalb, weil der Anteil sogenannter informeller Kosten durch familiäre Pflege besonders hoch sei.

Auf die Frage von Prof. Sahm, ob man das Verhalten mit Dementen lernen könne, wies Prof. Pantel auf einen Ratgeber für direkt Pflegende und auf ein Manual für diejenigen, die andere im Umgang mit Dementen schulen wollen, hin.

Prof. Sahm griff den Aspekt auf, dass im Umgang mit Dementen emotionale Unglücke vermieden und Glücksmomente vermittelt werden sollen. Prof. Pantel legte dar, dass manche Demente durchaus glücklich sind, da sie ihre eigenen Defizite nicht erkennen.

Aus dem Auditorium wurde die Frage nach Prävention der Demenz gestellt: Prof. Pantel riet, Risikofaktoren möglichst auszuschalten und günstige Faktoren zu stärken, wie erstens eine gesunde Ernährung, zum Beispiel Mittelmeerkost mit viel frischem Gemüse, Obst und Olivenöl und nur in Maßen Alkohol, zweitens regelmäßige Bewegung, zum Beispiel dreimal 30 Minuten pro Woche, drittens eine lebenslange kognitive Betätigung und viertens das Vermeiden bestimmter Erkrankungen wie arterielle Hypertonie oder metabolisches Syndrom (Buch „Geistig fit in jedem Alter“ von Prof. Pantel). Prof. Pantel empfahl ausdrücklich nichts an Medikamenten zur Prävention der Demenz.

Auf die Frage aus dem Auditorium, was an Diagnostik bei organischen Symptomen oder Beschwerden bei dementen Patienten durchgeführt werden solle, antworteten Prof. Finke und Dr. Lübke, dass demente Patienten wie nicht demente Patienten behandelt werden sollen und Untersuchungen nur durchzuführen seien, wenn sie auch eine Handlungskonsequenz haben.

Im Zusammenhang mit Fragen der sogenannten künstlichen Ernährung zum Beispiel über eine PEG-Sonde sollen Ärzte und Kirche im Zweifel für das Leben stehen.

Menschen, die vor Jahrzehnten aus anderen Kulturen und Sprachräumen als Arbeitsmigranten gekommen sind, können im Rahmen einer Demenz die später erworbenen sprachlichen Fähigkeiten (also Deutsch als später erlernte Fremdsprache) wieder verlieren. Hier bedarf es einer kultursensiblen Pflege mit zum Beispiel einzelnen Pflegeheimbereichen, die auf die Pflege Demenzkranker mit Migrationshintergrund in der ersten Generation spezialisiert sind. Dazu ist eine Weiterbildung im Bereich Pflege Demenzkranker sinnvoll.

Dr. Lübke legte dar, dass sich Rehabilitationsmaßnahmen auch bei Menschen mit Demenz lohnen und dass Strukturen geschaffen werden sollten, die Angehörige stützen und kommunikationsfähig machen: das bringe die höchste Effektivität.

Prof. Schaub erläuterte, dass auch beim Dementen das Selbst immer noch vorhanden ist (siehe hierzu auch den Vortrag von Prof. Kruse).

Prof. Sahm dankte am Ende der Diskussion dem Haus am Dom und dem ehrenamtlichen „Arbeitskreis Ethik in der Medizin im Rhein-Main-Gebiet“, die den Ärztetag ermöglicht haben.


„Wenn der Geist zerfällt…“ – Carolus Horn 1921–1992 – Alzheimer und Kunst (Prof. Dr. med. Konrad Maurer und Dr. med. David Prvulovic, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Frankfurt am Main)

Prof. Dr. med. Konrad Maurer: studierte nach einem Musikstudium in Stuttgart und Paris Medizin in Göttingen und London. Nach Tätigkeiten an den Neurologischen Universitätskliniken in Göttingen und Mainz und an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Mainz hatte er ab 1983 die Professur für Psychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Würzburg und von 1993 bis zu seiner Emiritierung 2009 den Lehrstuhl für Psychiatrie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main inne.

Der Titel „Wenn der Geist zerfällt ...“ klingt dramatisch – und ist es auch. Der größte Feind des menschlichen Geistes und seiner denkenden grauen Zellen ist nun mal die Alzheimer-Krankheit. Bei dieser Krankheit lässt sich über graphische Darlegungen der Betroffenen nachvollziehen, wie der Angriff auf unseren Verstand und auf die „Vier-Dimensionalität“ unseres Geistes von statten geht; eine Attacke auf Raum und Zeit.

Die Dramatik des Themas wird noch verstärkt durch Beiträge in der Tagespresse. So vermerkte die BILD-Zeitung kürzlich: „Alzheimer … Jedes Jahr 300.000 Neuerkrankungen“. Es wurde noch vermerkt, dass Alzheimer-Experten Alarm schlagen: „In Deutschland herrscht eine dramatische Unterversorgung von Demenzkranken“. Mit 300.000 Neuerkrankungen pro Jahr wird es einen extremen Anstieg an Alzheimer-Kranken geben. Rechnet man die Neuerkrankungen zu den schon bestehenden Fällen hinzu, kommt man grob gerechnet im Jahr 2100 auf so viele Alzheimer-Kranke weltweit, wie Europa Einwohner hat. Dieser Vergleich regt zum Nachdenken an, aber natürlich nicht zum Aufgeben oder Verzweifeln.

Die vier Darstellungen der Rialto-Brücke in der Abbildung 6 [Abb. 6] wurden von dem Graphiker und Designer Carolus Horn in verschiedenen Stadien seiner Alzheimer-Krankheit eigenhändig erstellt [58]. In der Abbildung 6A [Abb. 6] sieht man die Rialto-Brücke in gesunder Schaffenskraft, in der Abbildung 6B [Abb. 6] im leicht betroffenen Zustand, in der Abbildung 6C [Abb. 6] während eines mittelgradigen Stadiums der Erkrankung und in der Abbildung 6D [Abb. 6] im Zustand des schwersten Befalls.

Die Abbildung 6D [Abb. 6], nur zur Verdeutlichung, entstand in einem ausgeprägten Stadium der Demenz, wobei der schwer betroffene Carolus Horn damals nur noch unter Aufsicht von Zivildienstleistenden leben konnte. Er war damals völlig hilflos und auf fremde Hilfe angewiesen; dennoch konnte er seine Erkrankung bildhaft darstellen und wiedergeben mit formalen Veränderungen der Raumzeit in Form eines fast vollständigen Verlustes der Räumlichkeit mit Höhe, Breite und Tiefe und auch einem Verlorengehen der Möglichkeit, Tageslicht wahrzunehmen, mit dem Effekt des Auflösens von „weißem Licht“ in seine spektralen Anteile. Die formalen Veränderungen der Bilder von Carolus Horn spiegeln somit Demenzsymptome wieder.

Prominente Frauen und Männer haben viel dazu beigetragen, die Kenntnis über das Krankheitsbild in der Öffentlichkeit zu verbreiten; sie haben groß angelegte Kampagnen veranstaltet, deren Erlöse für die Alzheimer-Forschung verwendet wurden. Galionsfiguren sind zum Beispiel Rita Hayworth, bei der man erstmals den Krankheitsnamen „Alzheimersche Krankheit“ diagnostizierte und stellvertretend für ältere Demenzkranke Ronald Reagan. Im deutschen Sprachraum ist es Rudi Assauer, der bewirkte, dass wir sehr gut über Symptome der Erkrankung in der Tagespresse aufgeklärt wurden. Zu nennen sind zudem Inge Meysel und Gunter Sachs. Bei Gunter Sachs wird wohl keine klassische Demenz vorgelegen haben; wohl aus Angst, die Erkrankung zu bekommen, setzte er seinem Leben ein Ende.

Wie gesagt, die Alterspyramide wird in Zukunft eine grundlegende Veränderung erfahren, wobei die Älteren sicherlich immer vergnügter werden dürften über die Tatsache, dass man nun sogar ein Lebensalter von 100 Jahren und mehr erreichen kann.

Realisierte Lösungen finden sich bereits in der Tagespresse: „…Man pflegt deutsch…“. So hat kürzlich ein Altenheim in Polen seine Eröffnung erfahren und ist voll belegt – mit Deutschen. Man könnte auch sagen: „…man spricht wieder deutsch…“. Es ist aber tragischerweise so, dass die Betroffenen, die Dementen, wohl nicht mehr deutsch sprechen, vielmehr aber die Pflegenden. Es hat sich eine Art Sprache der Alzheimer-Kranken entwickelt, die bereits unter der Bezeichnung „Alzheimerisch“ die Runde gemacht hat.

Dass vor allem formale Denkstörungen bei der Demenz auftreten, zum Beispiel das Weglassen von Verben, ist spätestens jetzt bekannt geworden. Sprachwissenschaftler gehen ungewöhnliche und neue Wege und versuchen die Demenz-Sprache zu verstehen. Ein entsprechender Artikel fand sich in der Presse unter dem Motto: „Das Demenz-anzeigende Füllwort“. Man spricht sogar von einem neuen Biomarker (Erkenntnismerkmal) neben Markern im Liquor und im Blut und mittels bildgebender Verfahren. Man spricht auch schon davon, dass eine sich anbahnende Demenz an den Sprachäußerungen erkannt werden kann. So suchen Sprachwissenschaftler nach Zeichen der Demenz in der Umgangssprache und in der Schriftsprache.

Sie fanden inzwischen heraus, dass Patienten mit einer Alzheimer-Demenz nicht allein Probleme mit dem Gedächtnis haben, sondern auch mit der Sprache, die ja eng mit der Gedächtnisfunktion verknüpft ist.

Linguisten und Computer-Spezialisten haben sich deshalb die Frage gestellt, ob durch eine Analyse der Schriftsprache frühzeitig Zeichen einer Demenz erkannt werden können.

Schreiben schützt offensichtlich vor „Alzheimer“ nicht. Von mehreren berühmten Schriftstellern bzw. Schriftstellerinnen ist bekannt, dass sie im Alter eine Demenz bekommen hatten:

  • Ines Murdoch (1919–1999), die – neuropathologisch gesichert – eine Alzheimer-Demenz bekommen hatte und
  • Agatha Christi (1890–1976), von der angenommen wird, dass sie ebenfalls an einer Demenz erkrankt war.

Nun zurück zum Krankheitsbild und vor allem auch zur Entstehung des Krankheitsbegriffes „Alzheimersche Krankheit“.

Der Ort der Entstehung der Diagnose „Alzheimer-Krankheit“ liegt in Unterfranken, in Marktbreit, wo Alois Alzheimer am 14. Juni 1864 zur Welt kam. Im nächsten Jahr, 2014, wird sich diese historische Geburt, die die Welt verändern sollte, zum 150. Mal jähren.

Aus gegebenem Anlass wurde über das Geburtshaus, welches sich im Besitz der Firma Lilly befindet, eine Broschüre entwickelt und eine Homepage ins Netz gestellt.

Diese Broschüre (Prospekt des Alzheimer-Geburtshauses) kann im Internet abgerufen werden: http://www.marktbreit.de/fileadmin/marktbreit.de/images/Dateien/AlzheimerProspektklein.pdf. Die Broschüre ist zweisprachig verfasst und informiert über Leben und Wirken von Alois Alzheimer.

Was macht das Geburtshaus in Marktbreit so attraktiv? Sicherlich die überwältigende Anzahl von persönlichen und wissenschaftlichen Dokumenten, die Alois Alzheimer zugeordnet werden können. Am interessantesten ist ein kleines schwarzes Kästchen mit 4 Originalpräparaten (Hirnschnitten), die eindeutig der Alzheimer-Patientin Auguste Deter zugeordnet werden können. Alzheimer hat die Hirnschnitte am 08. April 1906 eigenhändig angefertigt, an einem Tag, als Auguste Deter in Frankfurt verstorben war. Kein anderer als der Psychiater Franz Nissl hatte die Färbungen vorgenommen. Alzheimer hatte die Präparate auch selbst beschriftet und sie mit „Deter“ markiert. Die Präparate werden derzeit molekularbiologisch daraufhin untersucht, ob sich Veränderungen im genetischen Code der Auguste Deter finden, die uns dem Krankheitsbild näher bringen.

Ebenfalls einmalig ist das Original-Mikroskop von Alois Alzheimer, mit welchem er erstmals Plaques und Neurofibrillen bei der Auguste Deter entdeckte.

Eine Abbildung der Broschüre zeigt im oberen Teil in Form von blauen Knäueln Plaques der Auguste Deter und im unteren Teil Neurofibrillen.

1910 war es dann soweit; in seinem Lehrbuch „Psychiatrie, ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte“ verwendete Dr. Emil Kraepelin erstmals den Krankheitsbegriff „Alzheimersche Krankheit“. Er machte folgende Feststellungen: „Die klinische Deutung dieser Alzheimerschen Krankheit ist zurzeit noch unklar“; wie recht sollte er 113 Jahre später noch haben.

Eckdaten im Leben von Alois Alzheimer sind der Dezember 1888, als der junge Assistenzarzt an der „Städtischen Heilanstalt für Irre und Epileptische“ in Frankfurt am Main eine Position als Assistenzarzt bekam; damaliger Direktor war Heinrich Hoffmann, der Autor vom „Struwwelpeter“.

Eine Patientin sollte die besondere Aufmerksamkeit von Alois Alzheimer und später der ganzen Welt gewinnen, als am 25. November 1901 die Frankfurter Bürgerin Auguste Deter, geborene Höhmann, eingewiesen wurde [59]. Alois Alzheimer hat sich selbst die Mühe gemacht, die Patientin untersucht und den Aufnahmebefund eigenhändig niedergeschrieben. Der Dialog zwischen Alzheimer und Auguste Deter ist in der Krankenakte sehr gut erhalten und vermittelt den unmittelbaren Kontakt, den Alois Alzheimer damals mit seinen Patienten pflegte.

26.11.1901
Sitzt im Bett mit ratlosem Gesichtsausdruck.
Wie heißen Sie?
Auguste.
Familienname?
Auguste.
Wie heißt der Mann?
Ich glaube Auguste.
Ihr Mann?
Ach so, mein Mann…(versteht offenbar die Frage nicht).
Sind Sie verheiratet? Frau Deter?
Ja, zu Frau Deter.

Dieser kurze Dialog in Verbindung mit der ausdrucksvollen Portraitaufnahme der Auguste Deter hat sich inzwischen weltweit verbreitet, wobei vor allem das Foto die „Alzheimersche Krankheit“ immer wieder weltweit ins Gedächtnis zurückruft. Der Dialog lässt sofort erkennen, dass Alzheimer es mit einer „eigenartigen Krankheit“, wie er es selbst zum Ausdruck gebracht hatte, zu tun hatte.

Alois Alzheimer hat es nicht unterlassen, noch am Aufnahmetag eine Schriftprobe der Auguste Deter anfertigen zu lassen. 113 Jahre später werden Linguisten dann über sprachliche Veränderungen bei der Alzheimer-Krankheit nachdenken und auch über Veränderungen der schriftlichen Äußerungen.

Inzwischen gibt es mehrere Fragebogenvorlagen, mit welchen Symptome der Alzheimer-Krankheit frühzeitig erfasst werden. Eine der bekanntesten Vorgehensweisen ist der Mini-Mental-Status-Test (MMST).

Das Testverfahren könnte auch von Alois Alzheimer persönlich stammen, denn er ist der erste, der erstmals die Symptome der später nach ihm benannten Erkrankung erkannte und sorgfältig dokumentierte.

Wird derzeit ein Alzheimer-Patient sowohl in der Klinik als auch in der Praxis untersucht, wendet man diesen Test an; man fordert den Patienten auch dazu auf, wie es Alzheimer bei Auguste Deter getan hat, einen Satz zu schreiben und Figuren zu zeichnen, zum Beispiel Häuser oder einen Würfel. Relativ rasch sieht man Veränderungen der Räumlichkeit und, was das Erstaunlichste ist, Alzheimer-Patienten können die Uhrzeit nicht mehr erkennen. Beim Versuch, zum Beispiel die Uhrzeit 15 Uhr in einen Kreis einzutragen, kommen sie nicht mehr zurecht. Ein weiterer Hinweis dafür, wie schon von Alzheimer erkannt, dass Demenz-Patienten Winkelfunktionen nicht mehr erkennen können [60].

Im vorliegenden Beispiel aus dem Alltag der beiden Autoren wurde ein Alzheimer-Patient aufgefordert, einen Satz zu schreiben und ein Haus zu malen (Abbildung 7 [Abb. 7]). Er befand sich damals in einem mittelgradigen Ausprägungszustand der Alzheimer-Erkrankung. 4 Monate später wurde dieser Patient nochmals aufgefordert, an einer Tafel ein Haus zu zeichnen und denselben Satz nochmals zu schreiben. Der Verlauf ist geradezu erschreckend und belegt eindrucksvoll, dass der uns zugängliche Raum und die uns zugängliche Zeit in sich zusammenfallen. Betrachtet man den Wochentag „Montag“, sieht man, wie einzelne Buchstaben, zum Beispiel das „o“ und das „g“, regelrecht aus dem Bild herausfallen. Da Alzheimer-Kranke relativ frühzeitig auch das Gefühl für die Schwerkraft verlieren, könnte dieser Befund, dass Buchstaben nach unten fallen, als Symptom eines Verlustes des Gefühls für Schwerkraft gedeutet werden.

Dass Auguste Deter Fehler in ihrer Haushaltsführung machte, wurde von Alzheimer ausführlich dokumentiert.

1936, also 35 Jahre nach der Aufnahme der Auguste Deter in die damalige Anstalt für „Irre und Epileptische“, wurden im Rahmen einer Tagung der Neuropsychiatrischen Gesellschaft Filme gezeigt, u.a. auch ein Film über einen 70-jährigen Alzheimer-Patienten. Die Frankfurter Klinik war somit die erste, die nicht nur die jüngeren Betroffenen als „Alzheimer-Kranke“ bezeichnete, sondern auch ältere Patienten, die damals noch mit der Diagnose einer „senilen Demenz“ dokumentiert wurden (Pittrich, Veröffentlichung der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm / Nr C 387. Alzheimer'sche Krankheit, 1941).

Weltweit sind nach diesem denkwürdigen Kongress aufgrund der Erstdiagnose einer Alzheimer-Krankheit auch bei Älteren aus der Frankfurter Klinik weltweit Alzheimer-Gesellschaften, Selbsthilfegruppen und Alzheimer-Forschungszentren entstanden.

„Wenn der Geist zerfällt“, dies ist der Titel der Publikation über Mechanismen, wie man sich die Alzheimer-Erkrankung vorstellen kann und wie Symptome entstehen, die ein gedeihliches Zusammenleben unmöglich machen. Anhand von Bildern von Alzheimer-Kranken, speziell angefertigt von Carolus Horn, versteht man Verhaltensweisen und Symptome besser, da Raumdimensionen wie Höhe, Breite und Tiefe dem Zerfall anheim liegen und auch die Zeitachse im Frequenzbereich des wahrnehmbaren Lichtes und im Bereich von Sprachen und Musik sich verändert.

Alzheimer-Patienten erleiden einen systematischen Untergang von Nervenzellen in definierten Zentren im Gehirn und eine damit bedingte Minderfunktion von wichtigen Gehirnfunktionen, die uns vor allem ein Abbild der Außenwelt ermöglichen. Im Wesentlichen sind dies das Sehzentrum (V1), welches optische Eindrücke, die über das Auge ins Gehirn eintreffen, verarbeitet (siehe Abbildung 8 [Abb. 8]).

Dort findet auch die Winkelerkennung statt und somit die Fähigkeit, die Uhrzeit abzulesen. Weitere Bereiche sind ebenfalls im Hinterhauptslappen lokalisiert (V2). Damit erkennen wir Figuren und Muster. Der sog. „Euklidische Raum“ wird uns ebenfalls über das Gehirn vermittelt. In der Renaissance war über Filippo Brunelleschi genau festgelegt worden, wie räumliche Dimensionen auf ein Blatt Papier übertragen werden können, damit beim Betrachter ein 3-dimensionales Bild entsteht. Brunelleschi führte auch in der Europäischen Malerei Fluchtlinien und Fluchtpunkte ein und ermöglichte es somit dem Betrachter von Gemälden, Entfernungen abzuschätzen.

Das Gehirnareal V4 ermöglicht das Erkennen von Objekten, zum Beispiel einen Stuhl; wird dies nicht mehr bewerkstelligt, spricht man von einer Agnosie. Über Auguste Deter ist bekannt, dass sie die einfachsten Dinge im Haushalt nicht mehr bewältigen konnte, da sie an einer Agnosie litt, d.h. einer Unfähigkeit, Gegenstände zu erkennen. Bei Störungen in diesen Gehirnarealen verfällt für die entsprechenden Patienten das Tageslicht in seine spektralen Anteile, ähnlich wie wir es von den Farben eines Regenbogens her kennen.

Das soeben genannte Hirnareal (V4) ermöglicht es auch, Gesichter wahrzunehmen. Bei der Alzheimer-Krankheit spricht man von dem Symptom einer Prosopagnosie, d.h. einer Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen. Wir werden gleich bei Carolus Horn sehen, dass Gesichter flach werden, ihr kugelhaftes rundes Aussehen verlieren und verflachte Nasen, Augen und Mund erscheinen. Ein Wiedererkennen selbst von engsten Angehörigen wird damit unmöglich gemacht.

Die Hirnregionen V2 und V4 analysieren farbspezifische, zum Teil auch bewegungs- und formungsspezifische Informationen und ermöglichen die visuelle Gestalterkennung bei stationären runden Reizmustern – dabei werden Gestaltergänzungen vorgenommen.

V3 reagiert besonders auf bewegte Konturen und trägt zur Gestalterkennung von bewegten Objekten bei.

Das sog. „Binding-Phänomen“ ermöglicht es, dass Gestalten und Bedeutungen durch Synchronie miteinander verknüpft werden, simultan auftretende Erregungsmuster werden dabei verstärkt (Bahnung).

Die Wahrnehmung steht dabei ganz unter dem Motto, wie es von Max Wertheimer formuliert wurde: „Das Ganze ist verschieden von der Summe seiner Teile“ und noch wichtiger: „… Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Dies demonstriert Carolus Horn besonders bei seinen späten Malprodukten, die oft nur noch lediglich aus schwarzen und weißen Punkten und Flächen bestehen.

Diese integrativen Fähigkeiten des Gehirns werden höheren Frequenzen des EEGs zugeschrieben, den Gamma-Wellen (Frequenzbereiche zwischen 40 und 80 Hz).

Vor allem diese hohen Frequenzen tragen dazu bei, dass wir dazu in der Lage sind, aus Reizen der Umwelt uns Gesichter verinnerlicht vorzustellen, ebenso Landschaften, Gelesenes, menschliche Sprache und letztlich auch Musik.

Nun zum eigentlichen Thema: „Alzheimer und Kunst“. Viele bildende Künstler, wie aus der Tabelle 1 [Tab. 1] zu entnehmen ist, wiesen psychopathologische Auffälligkeiten auf. Unter „sehr ausgeprägte Auffälligkeiten“ finden sich bekannte Namen. Heißt dies nun, dass künstlerische Fähigkeiten bei psychopathologischen Auffälligkeiten zunehmen, ja, gelegentlich überhaupt erst eine künstlerische Betätigung ermöglichen? Rückt man hier in die Nähe von „Genie und Wahnsinn“?

Dazu ist zu vermerken, dass die Kunst in der Psychiatrie sich bislang fast ausschließlich auf Krankheitsbilder bezog, die vorwiegend den klassischen psychiatrischen Erkrankungen zuzuordnen sind, wie Schizophrenie und depressive Störungen. Ein Paradebeispiel ist das Bild „Angst“ von Edvard Munch (Abbildung 9 [Abb. 9]). Er dokumentierte in seinem illustrierten Tagebuch: „Ich lief entlang der Straße mit zwei Bekannten. Die Sonne ging unter. Ich fühlte einen Hauch von Melancholie. Der Himmel war plötzlich blutrot, ich hielt an und lehnte mich an ein Geländer, todmüde. Ich sah die flammenden Wolken als Blut und Schwerter, meine Bekannten liefen weiter. Ich stand da zitternd vor Furcht und mir war es, als ob sich die Natur in einem großen unendlichen Schrei verkrampfte.“

Da Künstler vor ca. 100 Jahren meist kein höheres Alter erreichten, verfügen wir kaum über Beispiele von Künstlern, die an einer Demenz erkrankten und demenentsprechend, aufgrund der hirnorganischen Veränderungen, auch ihre Kunst veränderten.

Zu nennen ist hier vor allem Willem de Kooning (1904 bis 1997), ein holländischer Maler, der in die USA emigrierte. Bei ihm weiß man, dass er nach einer erfolgreichen Tätigkeit als Künstler (Maler) an einer Demenz erkrankte und er beim Ausbrechen der Demenz und bei Verstärkung der Symptome seine Kunst auffällig veränderte [61]. Im gesunden Zustand malte er vorwiegend Bilder, die mit „Woman“ bezeichnet wurden (vgl. [61], Fig. 3); nach Ausbruch der Erkrankung verloren seine Bilder die Erkennbarkeit von Gesichtern und wurden mehr und mehr abstrakt; seine Bilder gingen in girlandenartige Darstellungen über und „versanken in der Abstraktion“ (vgl. [61], Fig. 1).

Im Folgenden wird auf den Graphiker und Designer Carolus Horn eingegangen, dessen Biographie in der folgenden Auflistung wiedergegeben wird:

Kurzlebenslauf von Carolus Horn (1921–1992)

  • Jugendzeit Auffällige Begabung für Zeichnen und Malen; sehr gute Tierdarstellungen
  • Vor dem Krieg Erste Anstellung bei McCann – Kinoplakate mit Luis Trenker
  • Im Krieg Wiedereinstellung bei McCann
  • Nach dem Krieg Karriere als Werbedesigner (Opel, Bundesbahn, Bundesbank, Esso, Dugena u.a.)
    Bekannte Slogans: „Nur Fliegen ist schöner“, „Packen wir’s an“, „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“
  • 1984 Allmählicher Beginn der Alzheimer-Krankheit mit Gedächtnisschwäche
    Kunst: Veränderung der räumlichen Bezüge mit Verlust der Dreidimensionalität
  • 1986 Reise nach Venedig – erste räumliche Orientierungsstörungen
  • 1987 Reise nach Griechenland – Denken und Reden fällt schwerer
    Erkennt Personen nicht mehr sicher
    Kunst: Malt „naiv“, viel Ornamentik erkennbar
  • 1989 Erkennt die Angehörigen nicht mehr, Inkontinenz, Aggressivität
    Kunst: Malerei gewinnt immer mehr „kindliche Züge“, Gesichter werden ganz eintönig, Wolken sehen ab 1988 aus wie „Spiegeleier“
  • 1990 Völlige Orientierungslosigkeit
    Kunst: Malt fast nur noch mit einem Bleistift, reißt den Rand der Bilder immer häufiger ab, anstelle ihn mit der Schere abzuschneiden, später nur noch Bleistiftgekritzel
  • 1992 Unterbringung in einem Pflegeheim
    Kunst: Hört völlig auf zu malen
  • Tod im Dezember 1992

Im gesunden Zustand war Carolus Horn ein erfolgreicher Graphiker und Designer; er hatte einen wesentlichen Anteil am deutschen Wirtschaftswunder. Er prägte als Graphiker diese glorreiche Zeit mit Slogans wie: „Pack den Tiger in den Tank“ (ESSO), „Die glücklichen Kühe“ (Glücksklee), „Alle reden vom Wetter, wir nicht“ (Deutsche Bahn), „ Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an“ (ESSO) und „Rosa Zeiten“ (Deutsche Bahn). Er konnte ausgezeichnet naturalistisch, also fotoecht, malen und zeichnen. Später auftretende krankheitsbedingte Veränderungen konnten somit in Beziehung gebracht werden zu Symptomen der Alzheimer-Krankheit.

Die Opel-Werbung fuhr brillante Erträge durch Verkauf von entsprechenden Luxuslimousinen ein (Abbildung 10 [Abb. 10]); wer kennt nicht den Opel-Blitz, für den auch vereiste Straßen kein Problem darstellten.

Was passierte dann bei Carolus Horn, als die Alzheimer-Erkrankung auftrat und als bei ihm das räumliche Vorstellungsvermögen mit Höhe, Breite und Tiefe so langsam verloren ging?

Das Gesamtwerk von Carolus Horn: Eine Dokumentation des Gestaltzerfalls

Am Beispiel von Carolus Horn (1921–1992), einem der begnadetsten Graphiker und Künstler seiner Zeit, sollen die Auswirkungen einer Alzheimer-Krankheit auf das künstlerische Schaffen im Verlauf der Erkrankung aufgezeigt werden. Am Beispiel seiner Krankengeschichte ließen sich durch die Alzheimer-Krankheit bedingte visuelle Defizite bis hin zum vollständigen Gestaltzerfall eindrucksvoll beobachten. Dies wiederum erlaubt einen in dieser Form noch nie dagewesenen Einblick in die durch die Erkrankung veränderte Wahrnehmungswelt von Alzheimer-Patienten und ermöglicht somit eine bessere Verstehbarkeit von Symptomen und Verhaltensweisen von Alzheimer-Kranken.

Carolus Horn zeigte bereits sehr früh eine besondere Begabung für das Zeichnen und Malen. Während des 2. Weltkrieges war er in Russland in Kriegsgefangenschaft geraten, wo ihm sein Talent zum Überleben verhalf. Er zeichnete im Lager Kriegsszenen, Szenen aus dem Gefangenenlager und auch Auftragswerke (Abbildung 11 [Abb. 11]). Das bekannteste Oeuvre, welches auch die Gefangenschaft überleben sollte, wurde das dann weltweit bekannte „Sarotti-Kätzchen“.

Nach Kriegsende und nach Entlassung aus der Gefangenschaft heuerte ihn ein Werbegraphiker der bekannten Werbeagentur McCann an. Dort entwarf und verwirklichte er dann Werbegraphiken u.a. für Coca Cola, Opel, Esso und andere Weltfirmen (siehe die Werbeslogans oben). Er wurde zu einem der bekanntesten und meist geachtetsten Werbe-Künstler seines Fachs und auch zum Inbegriff der aufkeimenden deutschen Wirtschaft der Nachkriegszeit.

Im Alter von 57 Jahren bekam er Herzschmerzen, es wurde Angina Pectoris diagnostiziert und 1982 ein Herzinfarkt; danach erfolgte eine Bypass-Operation. Obwohl er sich nach der Operation gut erholte und auch besser fühlte, zeigten sich zunehmend Anzeichen von Ängstlichkeit und Unruhe sowie Wesensveränderungen; er wurde eigensinniger, gereizter und misstrauisch.

Dies kann dahingehend gedeutet werden, dass Anfang der 80iger Jahre erstmals Anzeichen einer Demenzerkrankung auftraten. Es folgten dann Gedächtnisstörungen, Zeitgitter-Störungen und vor allem Orientierungsstörungen. Die Fähigkeit zu rechnen sowie das abstrakte Denken schwanden dahin. Es stellten sich auch Sprachstörungen ein.

Eine computertomographische Untersuchung lehnte Carolus Horn wegen einer Klaustrophobie ab. Aufgrund des typischen klinischen Verlaufes der Diagnose und vor allem aufgrund seiner Bilder konnte aber immer mehr bestätigt werden, dass er tatsächlich einen typischen klinischen Verlauf einer Alzheimer-Krankheit aufwies.

Was den fortschreitenden Verlust visuell-räumlicher Verarbeitung anbelangt, sind vor allem seine Bilder vom „Eisernen Steg“ in Frankfurt sehr lehrreich, die den Verlust an visuell-räumlicher Verarbeitung demonstrieren. So laufen die Fluchtlinien in Darstellungen aus der frühen Erkrankungsphase nur unwesentlich oberhalb des Horizonts zusammen: ein Zeichen dafür, dass die perspektivische Struktur nur leicht gestört ist. In weiteren Bildern dagegen, welche aus einer Zeit stammen, in der die Erkrankung mindestens mittelschwer ausgeprägt war, treffen sich die Fluchtlinien weit oberhalb des Horizonts, ein Anzeichen dafür, dass die Perspektive damals schwer gestört war (Abbildung 12 [Abb. 12]).

Dies mag auch als Grund dafür angesehen werden, dass der Betrachter der Bilder den Eindruck gewinnt, dass die im Bild gezeigten Personen gleichsam in der Luft hängen und nicht auf dem Erdboden gehen. Dazu passt auch, dass die Größe der dargestellten Bodenplatten nicht mit zunehmender Distanz vom Betrachter abnimmt, sondern konstant bleibt. Auch dies ist typisch für Alzheimer-Kranke, die an Störungen des Tiefeneindrucks leiden.

Im nächsten Beispiel (Abbildung 13 [Abb. 13]) sieht man, wie sich die Darstellung von Gesichtern verändert.

Da die Erkrankung räumliche runde Gegenstände zeichnerisch nicht mehr zulässt, sind auch Menschen und Tiere in ihrer Darstellung beeinträchtigt. Rundungen von Menschen und Tieren werden zunehmend platt, wobei man häufig lebkuchenartige Darstellungen bemerkt.

Gesichter von Menschen sind auf Grundformen reduziert und lassen sich kaum mehr voneinander differenzieren. Im klinischen Alltag wird die Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, als Prosopagnosie bezeichnet; dies ist ein sehr frühes Symptom bei der Alzheimer-Erkrankung.

In Abbildung 14 [Abb. 14] ist zudem eine bemerkenswerte Veränderung in den Wolkendarstellungen von Carolus Horn zu beobachten; Wolken, vor allem Cumuluswolken, verändern sich und werden eher als „Spiegeleier“ wahrgenommen. Bilder, in denen Carolus Horn Personen mit Doppelgesichtern malte, deuten auf psychotische Phänomene hin [62].

Ein weiteres Phänomen im Verlauf der Alzheimer-Krankheit ist eine Verschiebung der Farbpräferenz (Abbildung 15 [Abb. 15]): dominieren zu Beginn der Erkrankung noch vorwiegend Fähigkeiten, die auf die Wahrnehmungsfähigkeit von Tageslicht hinweisen, verfällt das sog. „weiße Licht“ im Verlaufe seiner Erkrankung in seine spektralen Anteile: es dominieren dann hellere leuchtende, überwiegend gelb-rötlich-blaue Farben [63].

Im Endstadium der Erkrankung schließlich ist der Verlust jeglicher Objekt- und Gestaltstruktur zu erkennen: seine Zeichnungen bestehen weitgehend aus Bleistiftkritzeleien (Abbildung 16 [Abb. 16]).

Wenige Monate nach der letzten Abbildung verstarb dann Carolus Horn in einer Einrichtung für Ältere und auch für Demente.

Treffend schilderte die Witwe des Künstlers, Tilde Horn, welche Bedeutung das Malen auch in den verschiedenen Phasen der Alzheimer-Erkrankung für Carolus Horn hatte:

„Malen und Zeichnen und die Kunstwerke anderer waren sein Lebensinhalt von Kindesbeinen an bis kurz vor seinem Tod. Die künstlerische Betätigung war für meinen Mann eine Selbstverständlichkeit, er hatte und wollte nie etwas anderes machen. Er musste sich diese Unbeirrbarkeit nicht mühsam erkämpfen und ging mit beneidenswerter Leichtigkeit seinen Weg durchs Leben. Seine Leidenschaft hat ihn immer ernährt, und sie hat ihm in allen Lebenslagen Freude und Anerkennung beschert, das sogar in der für viele so bitteren Zeit der Gefangenschaft in Russland. Und dann, während seiner Krankheit, hat sie ihm das traurige Dahinvegetieren erspart und mir die Pflege ungemein erleichtert.

Als die ersten deutlichen Zeichen seiner Erkrankung unverkennbar wurden, war Carolus Horn 64 Jahre alt. Der Arzt und ich hatten die Symptome lange für Durchblutungsstörungen in Folge einer Herzoperation gehalten und ich hatte ihn mit der Einnahme von Medikamenten und Vorschriften oft recht ungehalten und ungerecht gequält. Ich habe mich oft aufgeregt, wenn er zum Beispiel das Besteck nicht mehr richtig halten konnte oder seine Kleidung beschmutzte. All diese Abläufe, von denen man zuerst glaubt, dass man sich nur etwas zusammenzunehmen habe, um sie abzustellen. Carolus hat in dieser Zeit übrigens anderen gegenüber oft zum Ausdruck gebracht, dass er nicht mehr richtig denken und reden konnte.

Aber die vielen Merkmale, die sein Leben und unser Zusammenleben langsam veränderten, änderten nichts an seiner künstlerischen Betätigung. Jeder Tag begann mit der Arbeit am Schreibtisch und endete mit einem Berg von Büchern neben dem Bett, die allerdings im Laufe der Zeit immer fahriger durchblättert wurden. Über einen langen Zeitraum blieb der Antrieb unverändert, wenn auch die Resultate seiner Arbeit sich veränderten. Ich war zunächst erschrocken über die grellen Farben und die immer kindlicher werdenden Motive. Ich versuchte, eine Erklärung von ihm dafür zu bekommen, aber er konnte mir keine Antwort geben.

Zu diesem Zeitpunkt gab es keinen Zweifel mehr an der Art seiner Erkrankung. Jetzt war ich bereit, sie zu akzeptieren und mich darauf einzustellen. Ich musste alles tun, um ihm die Möglichkeit zu seiner künstlerischen Betätigung so lange wie möglich zu erhalten. Es fing an mit Bleistiftspitzen, Farbkästen reinigen, Papier und Mappen bereitlegen. Später malte ich einzelne Motive vor in der Hoffnung, dass er sie als Anregung zum Weitermalen benutzte, was er oft auch tat. Am Ende gab ich ihm den Bleistift in die Hand und er kritzelte anscheinend sinnlos über das Papier.

Viele andere Gewohnheiten des täglichen Lebens, die bei Carolus ausgeprägt waren, wie die weiten Wanderungen, die 5-Uhr-Teestunden mit seinem Nachbarn und die tägliche Betrachtung seiner Pflanzen im Garten behielt er ebenfalls lange bei. Aber sie waren schon sehr früh sinnentleert. Bei den Spaziergängen ging er nur noch im Laufschritt durch die Wälder ohne wie früher Bäume und Tiere zu betrachten. Als Tee servierte er dem Nachbarn bald heißes Wasser und als Kuchen holte er aus dem Eisschrank irgendetwas, und wenn es ein halber Kohlkopf war.

Beim Rundgang durch die Gärten köpfte er plötzlich alle Gänseblümchen. Trotzdem haben wir das alles, so lange es irgendwie ging, aufrechterhalten. Da ich seinem schnellen Lauftempo nicht mehr folgen konnte, ging ein Zivildienstleistender mit ihm spazieren und ließ ihn den Weg bestimmen, auch wenn der manchmal durch Pfützen und Matschlöcher führte, wobei er auch schon mal einen Schuh verlor.

Ich vermute deshalb, dass man auch bei Menschen, die keine so ausschließliche Begabung haben, durch die Unterstützung von Gewohnheiten viel für den Kranken selbst und damit auch für die Psyche der Pflegenden tun kann. Die besondere Begabung kann natürlich auch auf ganz anderen Gebieten liegen. Ich weiß zum Beispiel, dass ein an Alzheimer erkrankter Lateinlehrer bis kurz vor seinem Tod täglich Vokabeln lernte.

Ich gebe zu, dass nach 7 Jahren die positive Erinnerung zwangsläufig überwiegt und ich fast vergessen habe, dass ich schlimme Zeiten des Aufbegehrens und auch des Selbstmitleides durchgemacht habe. Trotzdem kann ich mit Sicherheit sagen, dass es mir nicht lieber gewesen wäre, wenn mein Mann vor dem Ausbruch seiner Krankheit an seinem Herzleiden gestorben wäre. Ich möchte die letzten Jahre mit ihm zusammen nicht missen. Trotz Kummer und Sorgen gab es viele und glückliche Stunden. Seine Kunst hat dazu beigetragen, dass sein Leben abwechslungsreicher wurde. Mit Freude erlebe ich, dass die Nachwelt der Kunst meines Mannes und der Kunst und Kunsttherapie bei Alzheimer-Kranken immer mehr Bedeutung beimisst.“


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