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Individualisierte Medizin in der Onkologie
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Veröffentlicht: | 23. März 2011 |
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Molekulargenetische Untersuchungen haben in den letzten 20 Jahren entscheidend zu einem besseren Verständnis der Pathogenese von Tumorerkrankungen beigetragen und waren Voraussetzung für eine auf dem Krankheitsverständnis basierende Herangehensweise in Erforschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe. Dadurch konnten wichtige Fortschritte in der molekularen Diagnostik von Tumorerkrankungen, Identifikation molekularer Marker für die Definition von Risikogruppen und Entwicklung neuer, gegen zelluläre bzw. molekulare Zielstrukturen gerichteter medikamentöser Therapiestrategien (sog. „targeted therapy“) erzielt werden. Trotz dieser Fortschritte ist unser Verständnis hinsichtlich der exakten Wirkungsweise neuer Wirkstoffe in der Onkologie noch sehr lückenhaft und die mit den „zielgerichteten“ medikamentösen Therapiestrategien verknüpften Erwartungen (besser wirksam und/oder weniger toxisch als konventionelle Zytostatika) konnten bisher nur bei wenigen Tumorerkrankungen erfüllt werden. Dies wird auch erklärt durch die genetische Heterogenität von Tumorerkrankungen mit bis zu 15 Mutationen mit onkogenen Eigenschaften („driver mutations“) innerhalb eines Tumorsubtyps.
Ziele individualisierter, besser stratifizierter Strategien in der Onkologie, z.B. basierend auf Biomarkern oder pharmakogenetischen Algorithmen, sind insbesondere die Erkennung von Patientenuntergruppen, bei denen neue Wirkstoffe gut wirksam sind, sowie die gezielte Behandlung von Patientenuntergruppen bzw. Tumorsubtypen anhand prädiktiver prognostischer Parameter. Darüber hinaus verspricht man sich von Ergebnissen der individualisierten Medizin eine Verbesserung des Designs klinischer Studien, um an kleineren, besser definierten Patientenuntergruppen die Wirksamkeit bzw. den Nutzen neuer Wirkstoffe rascher nachweisen zu können. Die Entwicklung individualisierter Therapiekonzepte in der Onkologie ist prinzipiell zu begrüßen, setzt allerdings die Identifizierung und Validierung geeigneter Parameter für eine an Patientenuntergruppen spezifisch ausgerichtete Therapie voraus. Um zu verhindern, dass unzureichend validierte, kostenintensive Verfahren vorschnell in die Gesundheitsversorgung eingeführt werden, benötigen wir auch für individualisierte Arzneimitteltherapien eine evidenzbasierte Wissensbasis, die im Rahmen kontrollierter klinischer Studien erarbeitet werden muss. Nur unter dieser Voraussetzung können die derzeit an die individualisierte Medizin geknüpften hohen Erwartungen erfüllt und deren Potenziale genutzt werden. Hierzu zählen in der Onkologie insbesondere eine Effizienzsteigerung in der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe, aber auch die aus ethischen und pharmakoökonomischen Gesichtspunkten nicht mehr vertretbare Strategie („Gießkannenprinzip“), nach Zulassung „zielgerichteter“ Wirkstoffe alle Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen mit diesen häufig sehr teuren Arzneimitteln zu behandeln, obwohl nur eine kleine Untergruppe davon profitiert.
An ausgewählten Beispielen (myeloproliferative Erkrankungen, Mammakarzinom, nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, kolorektales Karzinom) werden Möglichkeiten und Grenzen der derzeit verfügbaren, klinisch eingesetzten Biomarker, pharmakogenetischen Algorithmen und „zielgerichteten“ Therapiestrategien verdeutlicht und auf Herausforderungen an das Design zukünftiger klinischer Studien zur Validierung prädiktiver Biomarker bzw. zum Nachweis eines Zusatznutzens neuer Wirkstoffe in der Onkologie hingewiesen.