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10. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung, 18. GAA-Jahrestagung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.
Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie e. V.

20.-22.10.2011, Köln

Bedingungen und Möglichkeiten qualitativ-orientierter Forschungen in der Versorgungsforschung – das Beispiel der informierten Einverständniserklärungen

Meeting Abstract

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  • corresponding author Christine Holmberg - Berlin School of Public Health, Charite Universitätsmedizin Berlin, Deutschland

10. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. 18. GAA-Jahrestagung. Köln, 20.-22.10.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dkvf027

doi: 10.3205/11dkvf027, urn:nbn:de:0183-11dkvf0271

Veröffentlicht: 12. Oktober 2011

© 2011 Holmberg.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Versorgungsforschung ist darauf angewiesen, realistische Daten zur tatsächlichen Versorgungssituation und –form zu erhalten, um optimale Versorgungsstrukturen zu sichern und zu gestalten. Um dies zu erreichen, muss die Versorgungsforschung mit einer Bandbreite an empirischen Methoden, unter anderen qualitativen Methoden, arbeiten. Die Arbeit mit qualitativen Methoden ist aus unterschiedlichen Perspektiven umstritten. Zum einen entspricht sie häufig nicht dem Objektivitätsanspruch einer positivistisch geprägten Wissenschaft, zum anderen ist es schwierig, Qualitätskriterien an qualitative Forschung anzulegen. Ziel des Beitrags ist es, anhand von Forschungen zu informierten Einverständniserklärungen aufzuzeigen, welchen Beitrag qualitative Studien zur Versorgungsforschung leisten, und welche Kriterien qualitativen Arbeitens erfüllt sein müssen, um das Potenzial qualitativer Forschung für die Versorgungsforschung nutzbar machen zu können.

Material und Methoden: In einer Fallanalyse wird mithilfe einer kritischen Begutachtung (in Anlehnung an das Diskussionspapier der AG Qualitative Methoden des Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung e.V.) herausgearbeitet, welchen Beitrag ein theoretisch fundierter qualitativer Zugang zu Fragen der Versorgungsforschung leisten kann. Als Fallbeispiel dient die informierte Einverständniserklärung, deren Praxis von Dixon-Woods et al. [1] beschrieben und analysiert wird. Der Artikel wird in Beziehung zu quantitativ-orientierten Artikeln zu informierter Einverständniserklärung gesetzt.

Ergebnisse: Dixon-Woods et al. liefern eine Analyse von 25 Interviews mit Frauen, die Einwilligungserklärungen zu chirurgischen Eingriffen unterschrieben haben. Zehn der Probanden, die unterschrieben haben, wünschten den Eingriff nicht. In einer quantiativen Befragung wurde erfasst, dass Personen, die eine Einwilligung unterschreiben, nicht notwendigerweise den Eingriff möchten. Die qualitative Analyse der Interviews zeigt auf, wie eine solche Diskrepanz zwischen unterschriebener Einwilligungserklärung und Wunsch zustande kommt. Dixon-Woods et al. [1] zeigen auf, dass die medizinische Institution ein Feld ist, in dem bestimmte Kräfte wirken, die einzelne Akteure in bestimmte Rollen mit bestimmten Handlungsmustern zwingen. Für die Versorgungsforschung sind das wichtige Erkenntnisse über den Alltag der Krankenversorgung, die zwingend in die Planung und Organisation von Gesundheitsversorgung einbezogen werden müssen. Eine Analyse der Interviews, die es ermöglicht, die Ergebnisse der Auswertung von 25 Interviews auf andere Settings zu übertragen, war nur möglich, weil die Autoren über ein fundiertes sozialwissenschaftliches Theoriewissen verfügten.

Schlussfolgerungen: Im Gegensatz zur Auswertung quantitativer Forschung sind in der qualitativen Forschung die theoretischen Überlegungen nicht notwendigerweise in der Auswertungsmethodik enthalten (Statistik), vielmehr muss dies von den Analysanden aktiv an das Material herangetragen werden. Qualitative Forschung, deren Design und Analyse theoretische Überlegungen integriert, ist in der Lage, Erkenntnisse zu generieren, die konzeptionell in andere Settings übertragbar sind und die einen eigenen, wichtigen Beitrag zur Versorgungsforschung leistet. Um hochwertige Ergebnisse qualitativer Studien in der Versorgungsforschung zu erhalten, bedarf es neben einer prozessorientierten Qualitätskontrolle einer klaren theoretischen Ausrichtung der Analyse. Eine Ausbildung in qualitativen Methoden muss damit eine sozialwissenschaftliche Theorienbildung mit einschließen.


Literatur

1.
Dixon-Woods M, Williams SJ, Jackson CJ, Akkad A, Kenyon S, Habiba M. Why do women consent to surgery, even when they do not want to? An interactionist and Bourdieusian analysis. Social Science and Medicine. 2006;62:2742-2753.