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Multiple Femur- und Tibiaschaftfrakturen beim Schwerverletzten: „Evidenz basierte Medizin“ versus „Versorgungsrealität“ im Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
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Veröffentlicht: | 19. Oktober 2004 |
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Gliederung
Text
Fragestellung
Die Versorgungsstrategie multipler Femur-/Tibiaschaftfrakturen des schwerverletzten Patienten stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Während isolierte Femur-/Tibiaschaftfrakturen des Schwerverletzten in der Literatur vielfach Erwähnung finden, werden multiple Frakturen nur mit geringem Evidenzgrad thematisiert. Daher war es das Ziel der Arbeit diesbezüglich die "Evidenz basierte Medizin" (EBM) mit der "Versorgungsrealität" zu vergleichen.
Methoden
Die "EBM" wurde anhand einer systematischen Literaturrecherche und –analyse evaluiert. Die Beurteilung der "Versorgungsrealität" basiert auf der Grundlage des Traumaregisters der DGU (1993-2002; n=14.110). Analysiert wurden alle primär versorgten Patienten, mit einer/multiplen Femur-/Tibiaschaftfrakturen und Angaben zu Prognosefaktoren wie ISS, New ISS, Alter, GCS, BE, und Quick. Die Auswertung erfolgte in Abhängigkeit von der Frakturanzahl und des Osteosyntheseverfahrens (Fixateur externe, Nagel).
Ergebnisse
71 Publikationen wurden systematisch analysiert. Aufgrund widersprüchlicher Ergebnisse konnte keine allgemeine Therapiestrategie abgeleitet werden. 1326 Patienten des DGU Traumaregisters (Altersdurchschnitt 35,7 Jahre, 73,4% männlich, ISS im Mittel 26,8 Punkte, Letalität 16,1%) erfüllten die Einschlusskriterien und hatten mindestens eine Femur-/Tibiaschaftfraktur. 925 Patienten hatten eine isolierte Fraktur, 305 hatten 2 und 69 Patienten hatten ≥3 Frakturen. Im Gegensatz zum ISS, dessen Werte mit zunehmender Frakturanzahl abnahm (ISS 27,1 isoliert versus 25,4 > 3 Frakturen), bildete der New ISS die Traumaschwere besser ab (35,9 versus 72 bei > 3 Frakturen). Obwohl alle Gruppen hinsichtlich ihrer Begleitverletzungen (SHT, Thoraxtrauma) und Prognosescore vergleichbar waren, stieg die Letalität von 15,3% über 17,7% auf 18,8% mit der Anzahl der Frakturen an. Die zunehmende Verletzungsschwere zeigt sich auch an den steigenden prä- und perioperativen Volumen- und EK-Substitutionen, sowie sinkenden Thrombozytenzahlen und Quickwerten. Beim Vergleich der Therapiekonzeptionen zeigten sich die primär mit einem Fixateur externe versorgten Patienten in einem schlechteren anatomischen- und physiologischen Grad der Verletzungsschwere als die mit einem Nagel versorgten Patienten: New ISS (41 vs. 29), GCS (10 vs. 13), SHT (51% vs. 22%), Thoraxtrauma (44% vs. 28%), Quick (62% vs. 75%), Thrombozyten (178.000 vs. 193.000) sowie Letalität (17% vs. 5%).
Schlussfolgerungen
Die im Traumaregister der DGU abgebildete Realität in der Behandlung multipler Femur-/Tibiaschaftfrakturen spiegelt die widersprüchlichen Ergebnisse der Literatur wider. So wird bis heute keine evidenz-basierte Behandlungsstrategie praktiziert. Allerdings scheint die anatomische- und physiologische Verletzungsschwere die therapeutische Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Zur Beantwortung der relevanten Frage des Operationszeitpunktes und der Verfahrenswahl der definitiven Versorgung von multiplen Femur-/Tibiaschaftfrakturen beim Schwerverletzten bedarf es randomisierter Studien.