gms | German Medical Science

67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
89. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
44. Tagung des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie

11. bis 16.11.2003, Messe/ICC Berlin

Zukunftsvisionen in der Biotechnologie

Kurzbeitrag (DGU 2003)

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  • Brigitte von Rechenberg - Musculoskeletal Research Unit, Pferdeklinik, Universität Zürich, Schweiz

Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie. Berufsverband der Fachärzte für Orthopädie. 67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, 89. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie und 44. Tagung des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie. Berlin, 11.-16.11.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. Doc03dguD22-6

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgu2003/03dgu0388.shtml

Veröffentlicht: 11. November 2003

© 2003 von Rechenberg.
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Gliederung

Text

Biotechnologie - das Schlagwort der modernen Forschungszeit beherrscht zur Zeit einen grossen Teil innerhalb der orthopädischen Forschung. Der Begriff der Biotechnologie ist weit gefasst und beinhaltet sowohl Carrier- und Release-systeme, wie auch das Gebiet des Tissue engineering und Moleküle (Zytokine etc.), welche Wachstum und Differenzierung von Zellen selektiv beeinflussen sollen.

Wenn heute den Beilagen von renommierten Zeitungen in ihrem Forschungsteil Glauben geschenkt werden soll, dann steht das Zeitalter der auswechselbaren Organe und im Labor gezüchteten Ersatzteile für den Menschen kurz bevor. Schweine, denen die wichtigsten Zellrezeptoren der Immunabwehr (MHC) wegrationalisiert und damit die Grundlagen für die moderne Transplantationsmedizin geschaffen wurden, sollen unsere Haupt-Lieferanten sein. Drug-targeting mit und ohne virale Vektoren, Release Systeme mit und ohne Carrier-Matrix, Wachstumsfaktoren und Inhibitoren, Zellen, die in Bioreaktoren vorbereitet wurden - alles ist möglich und wird in Forschungslabors auf der ganzen Welt emsig untersucht [1]. Nur, wenn wir gleichzeitig die Wachstumskurven und Aktienverläufe der Biotechnologie-Firmen anschauen, dann sind diese nicht ganz so enthusiastisch wie die Zeitungsberichte. Für manche Firmen verfliegen diese Träume relativ schnell und das Startkapital ist schnell verbraucht, die „Spin-off" Firma wird zur „Spin-down" Firma. Wenn sie Glück hat wird sie von einer grösseren Firma aufgekauft und kann wenigstens den Bankrott verhindern, doch manche dieser Produkte, welche gross angekündigt wurden, verschwinden so schnell von der Bildfläche wie sie gekommen sind, nur meistens viel leiser als sie angekündigt wurden.

Die Gründe dafür? Sie sind sicher vielfältig und variieren von Mal zu mal, doch ein Hauptgrund dürfte immer dort gefunden werden, wo die Hausaufgaben der Wissenschaft nicht schon am Anfang, vor Beginn der Euphorie gemacht werden. Nämlich, wenn die grundsätzlichen Fragestellungen, wie z.Bsp. die immunologische Reaktion des Körpers auf eingesetzte Materialien, bzw. dessen Umgang damit, nicht gestellt werden. Beispiele aus dem Knorpelbereich sollen dieses Problem illustrieren (die Ausführungen werden mit Beispielen aus der eigenen Forschung erläutert.):

Zellen werden in Bioreaktoren gezüchtet und als Transplantat oder Mix aus Einzelzellen in einen Knorpeldefekt mit oder ohne Periost-Befestigung gegeben [2]. Ein paar Jahre später werden Biopsien entnommen und hyaliner Knorpel nachgewiesen, angeblich an der gleichen Stelle. Die Zeit dazwischen ist eine Black-box - es weiss kaum jemand, was damit passiert ist. Wir haben keine Ahnung wie der Körper auf die Implantation reagiert, nachdem die Zellen „draussen" (dh. ex vivo) verändert, vervielfältigt und sonst noch be- und misshandelt worden sind. Nachdem inzwischen bekannt ist, dass Knorpelzellen aus dem einen Gelenk fähig sind dieselbe Zellart aus einem anderen Gelenk als „fremd" zu erkennen oder im Falle eines Knochendefektes Antikörper gegen Kollagen Typ I gebildet werden [3], müsste man fast annehmen, dass die im Gelenk verbleibenden Zellen die neu „ex machina" implantierten Zellen auch als „fremd" erkennen können [4]. Die Immunologie im Knochen-/ Knorpelbereich ist fast völlig unbekannt - es hat sich noch kaum jemand darum gekümmert mit Ausnahme bei Knochentransplantaten [5]. Aber nicht nur die Immunologie ist unbekannt, auch das ganz normale Umbauverhalten von Knorpel- im Zusammenhang mit Knochen ist nicht untersucht zusätzlich zu der Tatsache, dass noch immer niemand weiss, woher die Knorpelzellen kommen, ob und wie sie sich physiologischer-weise durch ein langes Leben im Gelenk erneuern oder nicht und welche Knorpelzellen dafür überhaupt in Frage kommen [6]. Noch sind sich die Wissenschaftler nicht einig, ob die neuen Zellen von der Gelenkfläche nach unten oder vom subchondralen Knochen nach oben wandern.

Eine ähnliche Situation besteht bei den osteochondralen Implantaten, auch dort ist unklar, was mit den Implantaten geschieht, auch abgesehen von der immunologischen Abstossungsreaktion. Die Vorbehandlung der Implantate hat Folgen, die je nachdem beeinflusst werden können. Dass Knochen langsam durch „Creeping Substitution" ersetzt wird, wissen wir spätestens seit Phemister[7]. Was mit dem Knorpel geschieht, ist unklar. Dient er lediglich zur „Tissue guided Regeneration" oder bleibt er einfach azellulär [8], [9]?

Diese und ähnlich grundlegende Fragen müssen beantwortet werden, bevor verantwortungsvolle Chirurgen sich ins euphorische Getümmel des „Tissue engineering" stürzen [10], [11], [12]. Es macht keinen Sinn biotechnologisch hergestellte Monster zu züchten, solange wir nicht wissen was wir überhaupt züchten wollen. Fragen, ob gezüchtete Zellen überhaupt notwendig sind, und ob sie sich tatsächlich integrieren können (und auch wollen) sind wichtige Fragen, die im Laufe dieser Forschung seriös beantwortet werden müssen. Es könnte ja durchaus sein, dass die implantierten Zellen lediglich dazu dienen vor ihrem Tod den geeigneten „Cocktail" der biologischen Signale auszuschütten, die dann in der Umgebung die notwendigen Regenerationsschritte bewirken. Wäre dem so, dann müsste man sich fragen, ob es gerechtfertigt wäre in grosse Fabriken zu investieren um funktionstüchtige Zellen und Organe zu züchten und das damit verbundene Risiko von Infektionen und ähnlich unerfreulichen Ereignissen in Kauf zu nehmen. Man müsste sich fragen, ob es nicht besser wäre, den Cocktail an Signalen etwas weniger kostenintensiv und mit weniger Risiko behaftet herzustellen. Abgesehen vom wissenschaftlichen „Muss", müssten diese Fragen auch im Hinblick auf ein Gesundheitssystem, welches schon lange die Grenzen der meisten Länder, überschritten hat, ernsthaft gestellt werden.

Bedeutet es, dass es keine Zukunftsvisionen in der Biotechnologie gibt? Keineswegs, es bedeutet lediglich, dass wir trotzdem unsere Hausaufgaben in der medizinischen Grundlagenforschung erledigen und uns bewusst sein müssten, dass das Ersatzteillager „Mensch" für den Moment noch etwas vorsichtig beurteilt werden sollte. Es bedeutet aber auch für Forschungsinstitutionen und Firmen, dass sie parallel zu den aktuellen Marktbedürfnissen auch die Grundlagen dazu nicht vernachlässigen dürfen. Im Falle von Firmen könnte sich die Praxis sich einfach das Know-how mit einem schnellen Firmenkauf unter den Nagel zu reissen und zu glauben, man könnte die seriöse Forschungsinvestition vernachlässigen oder - noch schlimmer - ganz darauf verzichten, auf die lange Sicht als Bumerang erweisen.


Literatur

1.
Hunziker EB. Articular cartilage repair: basic science and clinical progress. A review of the current status and prospects. Osteoarthritis Cartilage, 2002. 10(6): p. 432-63
2.
Brittberg M, Lindahl A, Nilsson A, Ohlsson C, Isaksson O, Peterson L, Treatment of Deep Cartilage Defects in the Knee with Autologous Chondrocyte Transplantation. New England Journal of Medicine, 1994. 331: p. 889-95
3.
Niebauer GW, Wolf B, Yarmush M, Richardson DW. Evaluation of Immune Complexes and Collagen Type-Specific Antibodies in Sera and Synovial Fluids of Horses with Secondary Arthritis. American Journal of Veterinary Research, 1988. 49(8 (August)): p. 1223-1227
4.
Kale S, Biermann S, Edwards C, Tarnowski C, Morris M, Long MW. Three-dimensional cellular development is essential for ex vivo formation of human bone. Nat Biotechnol, 2000. 18(9): p. 954-8
5.
Stevenson S, Sharkey N, Dannucci G, Martin R. The Incorporation and Function of DLA-Matched and -Mismatched Fresh and Cryopreserved Massive Allografts in Dogs, in Bone Transplantation, M. Aebi and P. Regazzoni, Editors. 1989, Springer Verlag: Berlin Heidelberg New York. p. 76-77
6.
Tew SR, Kwan AP, Hann A, Thomson BM, Archer CW. The reactions of articular cartilage to experimental wounding: role of apoptosis. Arthritis Rheum, 2000. 43(1): p. 215-25
7.
Phemister D. The fate of transplanted bone and regenerative power of various constituents. Surg Gynecol Obstet, 1914. 19: p. 303-333
8.
Rechenberg B v., Akens MK, Nadler D, Bittmann P, Zlinszky K, Kutter A, Poole AR, Auer JA. Changes in subchondral bone in cartilage resurfacing - an experimental study in sheep using different types of osteochondral grafts. Osteoarthritis and Cartilage, 2003. 11: p. 265-277
9.
Rechenberg B v., Auer JA. Photo-oxidized Osteochondral Transplants, in Cartilage Surgery and Future Perspectives, C. Hendrich, U. Nöth, and J. Eulert, Editors. 2003, Springer-Verlag: Heidelberg. p. 105-112
10.
Costantino PD, Hiltzik D, Govindaraj S, Moche J, Bone healing and bone substitutes. Facial Plast Surg, 2002. 18(1): p. 13-26
11.
Goomer RS, Deftos LJ, Terkeltaub R, Maris T, Lee MC, Harwood FL, Amiel D, High-efficiency non-viral transfection of primary chondrocytes and perichondrial cells for ex-vivo gene therapy to repair articular cartilage defects. Osteoarthritis Cartilage, 2001. 9(3): p. 248-56
12.
Goomer RS, Maris TM, Gelberman R, Boyer M, Silva M, Amiel D. Nonviral in vivo gene therapy for tissue engineering of articular cartilage and tendon repair. Clin Orthop, 2000(379 Suppl): p. S189-200