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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Intrapersonelle Unterschiede in schluckrelevanten sEMG-Signalen gleicher Volumina und Konsistenzen

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc27

doi: 10.3205/15dgpp53, urn:nbn:de:0183-15dgpp535

Veröffentlicht: 7. September 2015

© 2015 Pluschinski et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Oberflächenelektromyographie (sEMG) ermöglicht die Darstellung biomechanischer Aktivität der Muskulatur während des Schluckvorgangs. In früheren Studien wurde häufig untersucht, welchen Einfluss unterschiedliche Bolusvolumina und -konsistenzen auf die sEMG-Signalstärke haben.

Eine Untersuchung der intrapersonellen Stabilität von schluckassoziierten sEMG-Ableitungen bei gleichbleibenden Elektrodenpositionen, Schluckvolumina und -konsistenzen liegt bislang nicht vor und ist Ziel der vorliegenden Studie.

Material und Methoden: Bei 8 gesunden Probanden (3 männlich, 5 weiblich; 20–63 Jahre, Formel 1=38;10) wurden 16 sEMG-Elektroden an den schluckrelevanten Regionen des Gesichtes, Mundbodens und Halses platziert. Die sEMG-Ableitungen erfolgten bei insgesamt 50 Bolusschlucken unterschiedlicher Konsistenzen (Leerschluck, Wasser, Apfelmus, Kartoffelbrei, Brot) und Volumina (5, 10, 20 ml/gr) in drei aufeinander folgenden Sitzungen. Von den abgeleiteten sEMG-Signalen wurde das jeweilige Integral bestimmt, dessen intrapersonelle Stabilität univariat mittels Kendall-W und Friedman-Test sowie multivariat mittels linearer Regression überprüft wurde.

Ergebnisse: Die Integralwerte demonstrierten hohe Übereinstimmungen der drei Sitzungen (W=0,970, p<0,001) ohne signifikante Unterschiede (p>0,05). Beeinflusst wurden die Integralwerte signifikant von den Variablen „Probanden“, „Kanäle“ und „Geschlecht“ (ps<0,001), nicht signifikant von den Variablen „Testsitzung“, „Konsistenzen“, „Volumina“ (F=93,50, p<0,001, korr. R2=0,07).

Diskussion: Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass schluckassoziierte sEMG-Signale im Gesicht, am Mundboden und Hals intrapersonell stabil ableitbar sind, was an einer größeren Stichprobe konfirmiert werden sollte.

Fazit: sEMG-Ableitungen eignen sich zur Darstellung biomechanischer schluckrelevanter Teilfunktionen als mögliche Basis für Diagnostik und Therapie.


Text

Hintergrund

Die Oberflächenelektromyographie (sEMG) ermöglicht die Darstellung biomechanischer Aktivität der Muskulatur während des Schluckvorgangs. In früheren Studien wurde häufig untersucht, welchen Einfluss unterschiedliche Bolusvolumina und -konsistenzen auf die sEMG-Signalstärke haben [1], [2].

Eine Untersuchung der intrapersonellen Stabilität von schluckassoziierten sEMG-Ableitungen bei gleichbleibenden Elektrodenpositionen, Schluckvolumina und -konsistenzen liegt bislang nicht vor und ist Ziel der vorliegenden Studie.

Material und Methoden

Bei 8 gesunden Probanden (3 männlich, 5 weiblich; 20–63 Jahre, Formel 1=38;10) wurden 16 sEMG-Elektroden an den schluckrelevanten Regionen des Gesichtes, Mundbodens und Halses platziert. Die sEMG-Ableitungen erfolgten bei insgesamt 50 Bolusschlucken unterschiedlicher Konsistenzen (Leerschluck, Wasser, Apfelmus, Kartoffelbrei, Brot) und Volumina (5, 10, 20 ml/gr) in drei aufeinander folgenden Sitzungen. Von den abgeleiteten sEMG-Signalen wurde jeweils das Integral bestimmt, dessen intrapersonelle Stabilität überprüft wurde: univariat mittels Kendall-W und Friedman-Tests, multivariat mittels linearer Regression. Für die Berechnung der Integralwerte wurden in den sEMG-Ableitungen mit einem von der Forschungsgruppe entwickelten Programm drei Marken gesetzt: Onset, Offset und Amplitude der Schluckkurve. Das Programm berechnete das Integral anhand der folgenden Formel:

Formel 2

Ergebnisse

Die Integralwerte demonstrierten hohe Übereinstimmungen der drei Sitzungen (W=0,970, p<0,001, N=16 Kanäle) ohne signifikante Unterschiede im Friedman-Test (p>0,05) für alle Probanden zusammengenommen. Allerdings erreichten bei drei von acht Probanden Friedman-Testergebnisse statistisch signifikante Werte bei getrennten Vergleichen: χ 2(3)≥6,08, ps<0,05, Ns=16.

Beeinflusst wurden die Integralwerte signifikant von den Variablen „Probanden“ (β=–0,206), „Kanäle“ (β=–0,080) und „Geschlecht“ (β=0,092; ps<0,001), nicht signifikant von den Variablen „Testsitzung“, „Konsistenzen“ und „Volumina“ (F(1, 3838)=93,50, p<0,001, korr. R2=0,07, Methode „Schrittweise“, N=3840). Der niedrige Prozentsatz der erklärten Varianz dürfte vor allem mit dem hohen Anteil der Nullwerte zusammenhängen: In 68% der Fälle fanden sich entweder keine sEMG-Signale oder Signale, die innerhalb von zwei Standardabweichungen von der Ruhekurve (Baseline) blieben. In solchen Fällen wurde der Integralwert auf null gesetzt.

Bemerkenswert ist der etwas unerwartete Anstieg der durchschnittlichen Integralwerte von der ersten Sitzung (Formel 1=1,88) zur zweiten (Formel 1=1,91) und dann zur dritten (Formel 1=2,22), vor allem auf den Kanälen 9–11 (Mundboden, s. Abbildung 1 [Abb. 1]). Dieser Anstieg hat allerdings im Friedman-Test das Signifikanzniveau nicht erreicht (p>0,05).

Interpersonelle Unterschiede in der Ausprägung der Integralwerte erwiesen sich als sehr stark, von Formel 1=0,01 bei dem Probanden mit den schwächsten sEMG-Signalen bis zu Formel 1=1,74 bei der Probandin mit den stärksten Signalen. Im Durchschnitt lag der Integralwert bei Formel 1=0,30, SD=1,34, N=3840.

Diskussion

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass schluckassoziierte sEMG-Signale im Gesicht, am Mundboden und Hals intrapersonell stabil ableitbar sind, was an einer größeren, alterskontrollierten Stichprobe konfirmiert werden sollte. Signifikante Unterschiede in der Integralausprägung zwischen Testsitzungen bei drei Probanden deuten eher auf unterschiedlich starke sEMG-Signale auf denselben Kanälen hin, d.h. auf quantitative Unterschiede, und weniger auf qualitativ andere Verteilungen der Aktivitätsmuster (vgl. Abbildung 1 [Abb. 1]). Die meisten Probanden demonstrierten besonders starke Aktivitäten im Mundbodenbereich (Kanäle 9–11 in Abbildung 1 [Abb. 1]), gefolgt von Orbicularis oris (Kanäle 2–5, 7, 8 in Abbildung 1 [Abb. 1]) (vgl. [3], [4]). Aufgrund der niedrigen Probandenzahl lassen sich Ergebnisse bzgl. signifikant höherer Integralwerte bei Frauen im Vergleich mit Männern in der Regression nicht auf die Gesamtpopulation übertragen. Bemerkenswert ist die immense Varianz des Ausprägungsgrads von Integralwerten bei einzelnen Probanden, mit entsprechend großer Standardabweichung.

Fazit

Bei Gesunden scheinen sEMG-Ableitungen in den schluckrelevanten Regionen Mundboden, Orbicularis oris und im pharyngealen Bereich stabil zu sein und eignen sich damit möglicherweise für Diagnostik und Therapie bei Schluckgestörten.


Literatur

1.
Nagy A, Molfenter SM, Péladeau-Pigeon M, Stokely S, Steele CM. The effect of bolus volume on hyoid kinematics in healthy swallowing. Biomed Res Int. 2014;2014:738971. DOI: 10.1155/2014/738971 Externer Link
2.
van den Engel-Hoek L, de Groot IJ, Esser E, Gorissen B, Hendriks JC, de Swart BJ, Geurts AC. Biomechanical events of swallowing are determined more by bolus consistency than by age or gender. Physiol Behav. 2012 May;106(2):285-90. DOI: 10.1016/j.physbeh.2012.02.018 Externer Link
3.
Crary MA, Carnaby Mann GD, Groher ME. Biomechanical correlates of surface elec-tromyography signals obtained during swallowing by healthy adults. J Speech Lang Hear Res. 2006 Feb; 49(1):186-93.
4.
Ertekin C, Eryaşar G, Gürgör N, Arıcı S, Secil Y, Kurt T. Orbicularis oculi muscle activation during swallowing in humans. Exp Brain Res. 2013 Jan;224(1):79-91. DOI: 10.1007/s00221-012-3290-6 Externer Link