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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Evidenzbasierte Therapie von Sprachentwicklungsstörungen

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocHV4

doi: 10.3205/13dgpp14, urn:nbn:de:0183-13dgpp145

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 von Suchodoletz.
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Zusammenfassung

Zur Behandlung von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen stehen zahlreiche Methoden zur Verfügung. Diese gehen von ganz unterschiedlichen Konzepten aus. Die klassische Sprachtherapie ist ein rein symptomatischer Behandlungsansatz. Der Spracherwerbsprozess wird durch eine Erhöhung und Verbesserung des Sprachangebots (Input-Therapie) sowie eine Anregung zum aktiven Sprachgebrauch (Output-Therapie) unterstützt. Dazu wurde eine große Zahl spezifischer Verfahren entwickelt. Kausale Therapieansätze gehen davon aus, dass auditive, oralmotorische oder andere basale Defizite dem gestörten Spracherwerb zugrunde liegen. Dementsprechend steht ein Training psychischer Basisfunktionen im Mittelpunkt. Alternative Behandlungsmethoden wiederum beruhen auf recht verschiedenen, bislang unzureichend belegten Grundannahmen und werden nicht nur für Sprachstörungen, sondern für alle Entwicklungsstörungen in gleicher Weise empfohlen.

Im Vortrag wird ein Überblick über unterschiedliche Therapierichtungen gegeben und hinterfragt, welcher Nutzen für die Kinder von den einzelnen Behandlungsverfahren zu erwarten ist. Anhand der Ergebnisse einzelner Studien wird dargestellt, für welche Therapiemethoden Wirksamkeit (efficacy), Nützlichkeit (effectiveness) und/oder Wirtschaftlichkeit (efficiency) nachgewiesen wurden. Abschließend werden Merkmale zur Bewertung einer Therapie genannt, die eine Abgrenzung wirksamer und weniger wirksamer Methoden ermöglichen und damit eine sinnvolle Therapiegestaltung erleichtern.


Text

Zur Behandlung von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen stehen zahlreiche, von unterschiedlichen Konzepten ausgehende Methoden zur Verfügung.

Die klassische Sprachtherapie ist ein rein symptomatischer Behandlungsansatz. Ziel ist es, den Spracherwerbsprozess durch eine Erhöhung und Verbesserung des Sprachangebots (Input-Therapie) sowie eine Anregung zum aktiven Sprachgebrauch (Output-Therapie) zu unterstützen. Dazu wurden zahlreiche spezifische Verfahren erarbeitet.

Kausale Therapieansätze gehen davon aus, dass basale Defizite dem gestörten Spracherwerb zugrunde liegen. Je nach vermuteter Grundstörung erfolgt u. a. ein Training der auditiven Wahrnehmung, der phonologischen Merkfähigkeit, der sequentiellen Verarbeitung, der Automatisierung von Low-Level-Funktionen, der gerichteten Aufmerksamkeit, des Spielinteresses oder des Symbolspiels.

Alternative Behandlungsmethoden beruhen auf bislang unzureichend belegten Grundannahmen und werden nicht nur für Sprachstörungen, sondern in gleicher Weise für andere Entwicklungsstörungen empfohlen. Zu nennen sind u. v. a. m. die Tomatis-Therapie, die anthroposophisch orientierte therapeutische Sprachgestaltung, ein Training von Seitigkeit und Hemisphärenkoordination (Ohrigkeitstraining, Lateraltraining, dichotisches Training) oder von Entwicklungsschritten in der richtigen Reihenfolge (Neurofunktionelle Reorganisation nach Padovan, Therapie nach Doman und Delacato) sowie körperorientierte Verfahren (Osteopathie, Spiraldynamik, KISS-KIDD).

Die Effektivität der klassischen Sprachtherapie wurde in mehreren kontrollierten Studien überprüft, während für kausale und alternative Therapiekonzepte aussagefähige Evaluationsstudien fehlen.

Wirksamkeit

Bei der Bewertung einer Sprachtherapie sind außer der Wirksamkeit (efficacy) auch Nützlichkeit (effectiveness) und Effizienz (efficiency) zu berücksichtigen. Eine Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse zur Wirksamkeit zeigt, dass sich durch eine Sprachtherapie die Fähigkeiten eines Kindes auf allen linguistischen Ebenen verbessern lassen. Am ausgeprägtesten sind Therapieeffekte hinsichtlich der Lautbildung und des aktiven Wortschatzes. Weniger deutlich fallen Sprachfortschritte in der Grammatikproduktion und der kommunikativen Sprachkompetenz aus. Ob sich durch eine Sprachtherapie auch sprachrezeptive Fähigkeiten verbessern lassen, ist bislang nicht ausreichend belegt [1].

Sprachfortschritte treten nur in den Bereichen ein, die unmittelbar gefördert werden. Transfereffekte auf andere Sprachebenen sind kaum zu beobachten. Von unspezifischen Therapiekonzepten oder einer allgemeinen Kommunikationsförderung können demzufolge keine nennenswerten Sprachfortschritte erwartet werden. Ähnlich spezifisch wie eine direkte Sprachtherapie muss auch eine Beratung und Anleitung der Eltern sein. Eine strukturierte Anleitung der Eltern zu sprachförderndem Verhalten führt zu deutlichen und anhaltenden Verbesserungen der sprachlichen Kompetenzen der Kinder, nicht aber ein Training der nonverbalen Kommunikation oder der Responsivität des elterlichen Verhaltens.

Eine Therapie in Kleingruppen erwies sich in Evaluationsstudien als vergleichbar wirksam wie eine Einzeltherapie. Das gleiche gilt für eine direkte Behandlung des Kindes im Vergleich zu einer systematischen Anleitung der Eltern [2].

Nutzen

Für den Nutzen einer Sprachtherapie ist entscheidend, ob in der Therapiestunde erworbene Fähigkeiten auch in alltäglichen Interaktionen eingesetzt werden, ob Verbesserungen anhaltend sind und ob nicht nur in Therapiestudien, sondern auch unter Routinebedingungen Sprachfortschritte eintreten.

Nach bisherigen Erfahrungen kann davon ausgegangen werden, dass, wenn Sprachregeln ausreichend intensiv trainiert und automatisiert werden, sich die sprachlichen Kompetenzen des Kindes auch in Alltagssituationen verbessern. Ob Behandlungserfolge nach Therapieende überdauern, wurde bislang kaum untersucht. Aus einzelnen Studien geht hervor, dass erreichte Sprachfortschritte auch einige Monate nach Abschluss der Behandlung nachweisbar sind. Die Ergebnisse zu länger anhaltenden Effekten hingegen sind widersprüchlich [3].

Die Wirksamkeit einer Sprachtherapie unter Routinebedingungen wurde bislang erst in einer gut kontrollierten Studie überprüft. In dieser konnten keine nennenswerten Therapieeffekte nachgewiesen werden. Allerdings ist die Aussagefähigkeit dieser Studie begrenzt, da die Kinder im Durchschnitt nur sechs Behandlungseinheiten erhalten hatten. Dieses Ergebnis kann somit nicht als Beleg für die Unwirksamkeit einer logopädischen Standardtherapie, wie sie in Deutschland üblich ist, angesehen werden.

Effizienz

Über die Effizienz von Sprachtherapien ist bislang wenig bekannt. In einer Studie wurden Nutzen-Kosten-Rechnungen für eine Behandlung einzeln bzw. in Kleingruppen und durch eine Sprachtherapeutin bzw. eine gut angeleitete Hilfskraft durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass die Kosten pro erhöhtem Score in einem Sprachtest bei einer Kleingruppentherapie durch eine Sprachtherapeutin am niedrigsten sind. Eine andere Studie gibt Hinweise darauf, dass eine systematische Anleitung der Eltern von Late Talkers kostengünstiger als ein Abwarten ist.

Fazit

Insgesamt kann als nachgewiesen gelten, dass eine Sprachtherapie zu relevanten Sprachfortschritten führt, wenn diese direkt am Symptom ansetzt, spezifische Zielstrukturen trainiert werden und die Behandlung ausreichend lange und intensiv genug erfolgt. Für eine endgültige Bewertung der Effektivität von Sprachtherapie ist die Zahl aussagefähiger Evaluationsstudien aber noch zu gering und zu zahlreichen Fragen ist keine evidenzbasierte Entscheidung möglich. So ist ungeklärt, wann mit der Therapie begonnen werden sollte, bei welchem Kind welche Therapiemethode am effektivsten ist, ob Langzeiteffekte eintreten und wie wirksam eine Behandlung unter Standardbedingungen ist.


Literatur

1.
IQWiG. Früherkennungsuntersuchung auf umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache bei Kindern: Bewertung der KiSS.2-Studie. (IQWiG-Berichte Nr. 105). Available from: https://www.iqwig.de/download/Arbeitspapier_Frueherkennung_umschriebener_Stoerungen_des_Sprechens_und_der_Sprache.pdf Externer Link
2.
Suchodoletz Wv. Therapie von Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen. In: Suchodoletz Wv, Hrsg. Therapie von Entwicklungsstörungen. Was wirkt wirklich? Göttingen: Hogrefe; 2010. S. 57-87.
3.
Suchodoletz Wv. Sprech- und Sprachstörungen. Göttingen: Hogrefe. 2013. (Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie, Band 18).