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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Späte neuronale Aktivierungen als Zeichen einer trainingsinduzierten Arbeitsgedächtnisleistung bei professionellen Sängern

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV53

doi: 10.3205/12dgpp89, urn:nbn:de:0183-12dgpp899

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Rosslau et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Grundlagen für eine erfolgreiche Ausbildung zum professionellen Musiker sind nach wie vor unklar. Studien im Vergleich zwischen Musikern und Laien zeigen anatomische und hirnphysiologische Unterschiede [1]. Insbesondere scheint eine trainingsinduzierte neuronale Anpassung eine wichtige Grundvoraussetzung für professionelles Musizieren zu sein [2]. Als besondere musikpsychologische Leistung wird das Phänomen der „Audiation“ beschrieben [3]. Es entspricht dem inneren Nachempfinden einer zuvor gehörten musikalischen Sequenz und kann mit einer spezifischen Arbeitsgedächtnisleistung beschrieben werden. Im Rahmen dieser Studie sollten erstmals entsprechende neurophysiologische Korrelate aufgezeigt werden.

Material und Methoden: Mit Hilfe der Magnetenzephalographie wurde die neuronale Aktivität während der Verarbeitung von 120 kurzen gesungenen Reimsequenzen aus Kunstliedern zwischen 16 Sängern und 16 musikalischen Laien verglichen. Die Stimuli unterschieden sich in vier Bedingungen bezüglich einer semantischen bzw. melodischen Sinnverletzung des letzten Wortes. In der Auswertung der MEG-Daten wurden zur Quellenlokalisation das Minimum-Norm-Verfahren angewendet und für entsprechende Regionen die Aktivitätsmaxima mit einer Varianzanalyse und den Faktoren BEDINGUNG und GRUPPE verglichen.

Ergebnisse: Während sich die akustisch evozierten Aktivitäten bezüglich der semantischen bzw. melodischen Verletzung um 200–600 ms nach Stimulusende zwischen den Gruppen nicht wesentlich unterschieden, zeigten Sänger im Vergleich zu den Laien signifikant (<.001) höhere Aktivierungen in einem Zeitfenster von 800–1200 ms links-parietal und von 1100–1700 ms rechts-temporal unabhängig von der präsentierten Bedingung.

Diskussion: In dieser Studie konnten erstmals späte Aktivierungen nach musikalischer Stimulierung bei professionellen Sängern nachgewiesen werden, die am ehesten spezifischen Arbeitsgedächtnisleistungen im Sinne einer „inneren“, musikerspezifischen Verarbeitung (Audiation) entsprechen.


Text

Hintergrund

Die Grundlagen für eine erfolgreiche Ausbildung zum professionellen Musiker sind nach wie vor unklar. Die Frage ob für eine professionelle Musikausübung hirnphysiologische Bedingungen zu Beginn der Ausbildung erfüllt sein müssen oder ob diese über intensive Trainingseinheiten erschaffen werden können bleibt weiterhin offen. Bisherige Studien im Vergleich zwischen Musikern und Laien zeigen anatomische und hirnphysiologische Unterschiede sowohl in somatosensorischen als auch in motorischen Zentren [1]. Insbesondere scheint eine auch kurzfristige trainingsinduzierte neuronale Anpassung eine wichtige Grundvoraussetzung für professionelles Musizieren zu sein [2]. Als besondere musikpsychologische Leistung wird das Phänomen der „Audiation“ beschrieben [3]. Es entspricht dem inneren Nachempfinden einer zuvor gehörten musikalischen Sequenz und kann mit einer spezifischen Arbeitsgedächtnisleistung beschrieben werden, die dem Musiker die Auseinandersetzung bzw. Identifikation mit dem musikalischen Ereignis ermöglicht. Im Rahmen dieser Studie sollten erstmals entsprechende neurophysiologische Korrelate dieser Funktion aufgezeigt werden.

Material und Methoden

Mit Hilfe der Magnetenzephalographie wurde die neuronale Aktivität während der Verarbeitung von 120 kurzen gesungenen Reimsequenzen aus Kunstliedern zwischen 18 Sängern und 18 musikalischen Laien verglichen. Die Auswertung der Aktivierung erfolgte mit dem Beginn des am Ende stehenden Reimwortes. Die Stimulussequenzen unterschieden sich in vier Bedingungen bezüglich einer semantischen bzw. melodischen Sinnverletzung des letzten Wortes. Die Probanden sollten nach Präsentation zum einen über die semantische Sinnhaftigkeit des letzten Wortes, als auch über die Tonhöhenkorrektheit bezüglich des Melodieverlaufs entscheiden. In der Auswertung der MEG-Daten wurde zur Quellenlokalisation das Minimum-Norm-Verfahren angewendet und für entsprechende Regionen die Aktivitätsmaxima mit einer Varianzanalyse und den Faktoren BEDINGUNG und GRUPPE verglichen.

Ergebnisse

In den Verhaltensdaten zeigten die Sänger im Vergleich zu den Laien signifikant bessere Leistungen bezüglich der Erkennung eines Tonhöhenfehlers. In der Auswertung der akustisch evozierten Aktivitäten am Ende der Reimsequenz zeigte sich bezüglich der semantischen bzw. melodischen Verletzung um 200–600 ms nach Stimulusende zwischen den Gruppen kein signifikanter Unterschied. Im Vergleich der Bedingungen wies die doppelte Verletzung sowohl des semantischen Inhalts als auch der melodischen Tonhöhenkorrektheit die höchste Aktivierung auf. In einer späten Aktivierungsphase zwischen 800–1700 ms nach dem Sequenzende zeigten Sänger im Vergleich zu den Laien signifikant (<.001) höhere Aktivierungen links-parietal und rechts-temporal unabhängig von der präsentierten Bedingung. Diese Assoziationsareale sind bekannt für die funktionelle Integration höherer Arbeitsgedächtnisfunktionen.

Diskussion

Über den Nachweis der frühen akustisch evozierten Potentiale konnte gezeigt werden, dass die basalen semantischen und syntaktischen Verarbeitungsprozesse unabhängig von einer trainingsspezifischen intensiven Auseinandersetzung zu sein scheinen.

Erstmals konnten in dieser Studie späte Aktivierungen nach komplexer musikalischer Stimulierung bei professionellen Sängern nachgewiesen werden, die am ehesten spezifischen Arbeitsgedächtnisleistungen im Sinne einer „inneren“, musikerspezifischen Verarbeitung (Audiation) entsprechen. Dieses Nachempfinden der gehörten Musiksequenz wird von Musikern häufig beschrieben und scheint eine wichtige Instanz bezüglich der praktischen musikalischen Ausübung zu sein. Ziel weiterer Untersuchungen ist eine Spezifizierung dieser Leistung über die Etablierung einer neuropsychologischen Testbatterie und die Überprüfung der magnetenzephalographischen Korrelate an einem größeren Probandenkollektiv.


Literatur

1.
Bermudez P, Zatorre RJ. Differences in gray matter between musicians and nonmusicians. Ann N Y Acad Sci. 2005 Dec;1060:395-9. DOI: 10.1196/annals.1360.057 Externer Link
2.
Pantev C, Lappe C, Herholz SC, Trainor L. Auditory-somatosensory integration and cortical plasticity in musical training. Ann N Y Acad Sci. 2009 Jul;1169:143-50. DOI: 10.1111/j.1749-6632.2009.04588.x Externer Link
3.
Brodsky W, Kessler Y, Rubinstein BS, Ginsborg J, Henik A. The mental representation of music notation: notational audiation. J Exp Psychol Hum Percept Perform. 2008 Apr;34(2):427-45. DOI: 10.1037/0096-1523.34.2.427 Externer Link