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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Makrocheilie als Erstmanifestation eines laryngo-pharyngealen Refluxes

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Nicole Christina Stuhrmann - Universitätsklinikum, Heidelberg, Deutschland
  • author Sebastian Prochnow - Universitätsklinikum, Heidelberg, Deutschland
  • Dirk Schäfer - Universitätsklinikum, Erlangen, Deutschland
  • Peter Karl Plinkert - Universitätsklinikum, Heidelberg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppP28

doi: 10.3205/12dgpp64, urn:nbn:de:0183-12dgpp648

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Stuhrmann et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Seit einem Jahr zeigte sich bei einem 25-jährigen Patienten eine Verdickung der Unterlippe mit schuppigen Auflagerungen. Bereits in der Kindheit bestanden intermittierend ähnliche Symptome für 1–2 Tage jedoch ohne therapeutischen Interventionsbedarf. Dieser Patient wurde uns nach einer Reduktionsoperation der Unterlippe ohne histopathologisches Korrelat und ohne Verbesserung der klinischen Symptomatik zur weiteren phoniatrischen Diagnostik vorgestellt.

Material und Methoden: Neben externer Labordiagnostik zum Ausschluss einer granulomatösen Erkrankung und Autoimmunerkrankung erfolgte eine dermatologische und zahnärztliche Abklärung sowie Schilddrüsendiagnostik. Weiterhin wurden Untersuchungen zum Fokusausschluss im Kopf-Hals-Bereich vorgenommen. Der Erkrankungsverlauf wurde videoendoskopisch und videostroboskopisch dokumentiert. Als weitere Diagnostikparameter verwendeten wir die Funktionelle Eicosanoid-Typisierung (FET) sowie den RYAN-Score.

Ergebnisse: Die laryngoskopische Untersuchung zeigte eine Verdickung der Unterlippe mit schuppigen Auflagerungen und einen grenzwertigen Zungenvorstoß ohne logopädischen Therapiebedarf sowie einen laryngo-pharyngealen Reflux. Unter Medikation mit Protonen-Pumpeninhibitor bildeten sich die klinischen Symptome der Unterlippenschwellung deutlich zurück. Ekzematöse Auflagerungen waren nicht mehr nachweisbar. Die in-vivo- und in-vitro- Diagnostik mittels RYAN-Score und FET untermauerten die klinische Symptomverbesserung.

Diskussion: Im seltenen Fall einer rezidivierenden therapieresistenten Makrocheilie muss differentialdiagnostisch an eine Erstmanifestation eines laryngo-pharyngealen Refluxes gedacht werden. Neben phoniatrischer Diagnostik ist die Bestimmung weiterer Parameter wie FET und RYAN-Score sinnvoll. Eine vorangehende interdisziplinäre Abklärung bei therapieresistenter Makrocheilie ist obligat.


Text

Hintergrund

Seit einem Jahr zeigte sich bei einem 25-jährigen Patienten eine Verdickung der Unterlippe mit schuppigen Auflagerungen. Bereits in der Kindheit bestanden intermittierend ähnliche Symptome für 1–2 Tage jedoch ohne therapeutischen Interventionsbedarf. Dieser Patient wurde uns nach einer Reduktionsoperation der Unterlippe vorgestellt. Es wurde keine Verbesserung der klinischen Symptomatik sowie kein pathohistologisches Korrelat beobachtet. Daher wurde eine weitergehende phoniatrische Diagnostik vorgenommen.

Material und Methode

Zum Ausschluss einer granulomatösen Erkrankung und Autoimmunerkrankung wurden zunächst eine logopädische, eine externe Labordiagnostik, eine Schilddrüsendiagnostik sowie eine dermatologische und zahnärztliche Abklärung durchgeführt. Weiterhin wurden im Kopf-Hals-Bereich Untersuchungen zum Fokusausschluss vorgenommen. Der Erkrankungsverlauf wurde videoendoskopisch und videostroboskopisch dokumentiert. Darüber hinaus wurden als weitere Diagnostikparameter die Funktionelle Eicosanoid-Typisierung (FET) sowie der RYAN-Score verwendet.

Ergebnisse

Im Jahr 2010 zeigte sich in der Dermatologie das histologische Bild einer lymphozytären Infiltration der Speicheldrüsenkomplexe. Dieses Bild kann sowohl im Rahmen der Cheilitis glandularis als auch im Rahmen des Sjögren-Syndroms, aber auch im Rahmen von Kollagenosen auftreten. Diese Erkrankungsformen konnten jedoch durch eine internistische Abklärung ausgeschlossen werden. Hier fand sich kein Hinweis auf eine Systemerkrankung. Es konnte insbesondere kein Anhalt für eine Amyloidose gefunden werden. Die pathohistologischen Untersuchungen mittels APAS-Färbung konnten eine geringe Muzinablagerung im Bindegewebe nachweisen. Sowohl die Giemsa- als auch die Eisenfärbung ergaben keine weiterführenden Hinweise.

Die pathohistologischen Untersuchungen des Präparates der im Jahr 2011 durchgeführten Reduktionsoperation zeigten lediglich ein Lippenexzisat mit Hyperplasie, eine Parakeratose der Epidermis mit umschriebenen, narbigen Veränderungen. Es wurde kein Nachweis eines floriden entzündlichen Infiltrates und kein Hinweis auf eine Hyperplasie der Speicheldrüsen festgestellt. Das ein Jahr zuvor diagnostizierte typische Vollbild einer Cheilitis glandularis apostematosa konnte nicht erneut nachgewiesen werden. Weiterhin konnten keine Hinweise für eine krankheitsspezifische Entzündung gefunden werden.

Mit dem logopädischen Befund vom Juli 2011 konnte eine myofunktionelle Störung gesichert werden. Es zeigte sich ein pathologischer Zungenvorstoß an die oberen Zahnreihen. Ein Habit bestand nicht. Die orofaciale Dysfunktion erscheint daher nicht ursächlich für die Symptome des Patienten.

Die Schilddrüsendiagnostik ergab sonographisch eine vergrößerte inhomogene Schilddrüse mit multiplen kleinen echoarmen Knötchen. Die Duplexsonographie wies einen Normalbefund auf. Es ergab sich kein Anhalt für paravasale Lymphknoten sowie kein Anhalt für Zeichen einer Vaskulitis der extrakraniellen Halsgefäße. Bei euthyreoter Struma mit multiplen Noduli wurde prophylaktisch Thyronajod rezeptiert.

Die laryngoskopische Untersuchung zeigte eine Verdickung der Unterlippe mit schuppigen Auflagerungen, einen grenzwertigen Zungenvorstoß ohne logopädischen Therapiebedarf sowie einen laryngo-pharyngealen Reflux. Unter Medikation mit Protonen-Pumpen-Inhibitor bildeten sich die klinischen Symptome der Unterlippenschwellung deutlich zurück. Ekzematöse Auflagerungen waren nicht mehr nachweisbar. Die weitergehende in-vivo- und in-vitro-Diagnostik mittels RYAN-Score und FET untermauerten die klinische Symptomverbesserung. Hierbei zeigte sich eine signifikante Abnahme des Ryan Score sowie der FET-Klassifizierung nach 9 Monaten.

Schlussfolgerung

Bei Verdacht auf Cheilitis granulomatosa fallen pathohistologische Diagnosen häufig falsch negativ aus. Muzinniederschläge können reaktiv bei oberflächlicher Entzündung entstehen; sie können in Verbindung mit stärkerer klinischer Ausprägung auch Hinweis auf eine Schilddrüsenerkrankung oder auch auf andere Erkrankungen sein.

Im seltenen Fall einer rezidivierenden therapieresistenten Makrocheilie sollte differentialdiagnostisch auch an eine Erstmanifestation eines laryngo-pharyngealen Refluxes gedacht werden. Neben der phoniatrischen Abklärung erwiesen sich die Ergänzungen um eine erweiterte in-vivo- und in-vitro- Diagnostik mittels RYAN-Score und FET als wertvolle Werkzeuge im Rahmen der Diagnose und des Therapiemonitorings der Makrocheilie. Eine vorangehende interdisziplinäre Abklärung bei therapieresistenter Makrocheilie ist daher obligat.


Literatur

1.
Schäfer D. Testing and typing of eicosanoid-patterns. J Physiol Pharmacol. 2006 Dec;57 (Suppl 12):47-64.