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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Satzgedächtnis bei Kindern mit AVWS

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  • corresponding author presenting/speaker Andreas Nickisch - Abtg. Hören-Sprache-Cochleaimplantate, kbo-Kinderzentrum München, München, Deutschland
  • author Christiane Kiese-Himmel - Phoniatrisch/Pädaudiologische Psychologie, UM Göttingen, Göttingen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppP9

doi: 10.3205/12dgpp20, urn:nbn:de:0183-12dgpp204

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Nickisch et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Nach Nickisch et al. [1] gelingt die diagnostische Klassifikation von Regelgrundschülern im 2. Schuljahr mit bzw. ohne "Auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung" (AVWS) durch die 4 Prüfdimensionen Wortverstehen im Störgeräusch, dichotisches Hören, Kurzzeitgedächtnis für Zahlenfolgen bzw. für sinnleere Silbensequenzen. Von dieser Studie ausgehend sollten die diskriminanten Variablen unter Berücksichtigung der Variable „Satzgedächtnis“ untersucht werden.

Material und Methoden: Es erfolgte die retrospektive Analyse von Zweitklässlern einer Regelgrundschule: 24 mit AVWS [ohne SSES (spezifische Sprachentwicklungsstörung)]; 21 mit AVWS+SSES; 48 entwicklungsunauffällige Kinder [Kontrollgruppe]. Zusätzlich zu den o.g. Prüfdimensionen wurde das Satzgedächtnis mit dem HSET-Subtest „Imitation grammatischer Strukturformen“ [2] geprüft.

Ergebnisse: Die mittlere Satzgedächtnisleistung jeder klinischen Gruppe (AVWS: 14,08 ± 5,35; AVWS+SSES: 11,19 ± 5,44) unterschied sich statistisch signifikant (p jeweils <0,001) von der Kontrollgruppe (23,37 ± 0,84). Der Vergleich der Mittelwerte in den 4 diskriminanten Variablen belegte ebenfalls ausgeprägte signifikante Differenzen (p<0,001) zu Gunsten der Kontrollgruppe, insbesondere im dichotischen Hören und Wortverstehen im Störgeräusch. Kinder mit AVWS unterschieden sich nicht statistisch bedeutsam in ihren mittleren Leistungen von denen mit AVWS+SSES. Zwischen den Mittelwerten jeder klinischen Gruppe und der Kontrollgruppe wurden Effektgrößen (d) berechnet. Diese waren stark und statistisch signifikant.

Diskussion: Hohe Mittelwertsdifferenzen im Satzgedächtnis sowie im Kurzzeitgedächtnis für sinnleere Silbensequenzen bei Kindern mit monosymptomatischer AVWS wie auch bei solchen mit AVWS+SSES im Vergleich zu unauffälligen Kontrollkindern werfen erneut die Frage eines fließenden Übergangs zwischen AVWS und SSES auf bzw. eines komorbiden Erscheinungsbildes.


Text

Hintergrund

Nach Nickisch et al. [1] gelingt die diagnostische Klassifikation von Regelgrundschülern im 2. Schuljahr mit bzw. ohne auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) durch folgende vier Prüfdimensionen:

  • Wortverstehen im Störgeräusch,
  • dichotisches Wortpaarverstehen,
  • phonologisches Gedächtnis für Zahlen,
  • phonologisches Gedächtnis für sinnleere Silbensequenzen.

Ausgehend von dieser Studie sollten an Zweitklässlern nun die vier am besten zwischen Kindern mit AVWS und unauffälligen Kindern diskriminierenden Variablen unter Berücksichtigung der Variable „Phonologisches Satzgedächtnis“ gefunden werden.

Methode

Hierzu wurde ein Datensatz der Abteilung Hören-Sprache-CI des kbo-Kinderzentrums München retrospektiv analysiert. Das Satzgedächtnis wurde mit dem Subtest „Imitation grammatischer Strukturformen“ (IS) aus dem Heidelberger Sprachentwicklungstest für 3- bis 9;11-Jährige [2] geprüft. Wortverstehen im Störgeräusch wurde mit der Göttinger Sprachaudiometrie II, das dichotische Wortpaarverstehen mit dem Test von Uttenweiler, das Zahlenfolgen-Gedächtnis mit dem gleichnamigen Subtest des Psycholinguistischen Entwicklungstests und das Kurzzeitgedächtnis für sinnleere Silbensequenzen mit dem Mottiertest untersucht. Die jeweiligen Testdurchführungs- und Auswertungskriterien sind (ebenso wie die Kriterien zur Diagnose AVWS) der Studie von Nickisch et al. [1] zu entnehmen. Eine SSES (spezifische Sprachentwicklungsstörung) wurde zusätzlich diagnostiziert, wenn das Ergebnis in mindestens einem der HSET-Subtests „Verstehen von Sätzen“ und „Satzbildung“ 1,5 Standardabweichungen und mehr unter dem Normmittel lag, d.h. T-Wert <35.

Studienkollektiv: Die Untersuchungen erfolgten an Zweitklässlern aus Regelgrundschulen. Bei 24 Kindern war diagnostisch eine AVWS ohne SSES gesichert worden, bei 21 Kindern eine AVWS mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung (AVWS+SSES). 48 entwicklungsunauffällige Zweitklässler bildeten die Kontrollgruppe.

Ergebnisse

Die Ergebnisse sind aus Tabelle 1 [Tab. 1] ersichtlich. Die mittlere Satzgedächtnisleistung jeder klinischen Gruppe (AVWS: 14,08 ± 5,35; AVWS+SSES: 11,19 ± 5,44) unterschied sich statistisch signifikant (jeweils p<0,001) von der Kontrollgruppe (23,37 ± 0,84).

Der Vergleich der Mittelwerte in den vier, für die Unterscheidung von Kindern mit AVWS vs. Non-AVWS im 2. Regelgrundschuljahr o.g. relevanten Variablen (Wortverstehen im Störgeräusch, dichotisches Wortpaarverstehen, phonologisches Zahlenfolgen-Gedächtnis, phonologisches Gedächtnis für sinnleere Silbensequenzen) belegte ebenfalls ausgeprägte signifikante Differenzen (p<0,001) zu Gunsten der entwicklungsunauffälligen Kontrollgruppe, insbesondere im dichotischen Wortpaarverstehen und Wortverstehen im Störgeräusch. Hingegen unterschieden sich Kinder mit monosymptomatischer AVWS nicht statistisch bedeutsam in ihren mittleren Leistungen von denen mit AVWS+SSES.

Zwischen den Mittelwerten jeder klinischen Gruppe und der Kontrollgruppe wurde die Effektgröße (d) einschl. Konfidenzintervall berechnet. Die Effekte waren statistisch signifikant, die Konfidenzintervalle eher klein.

Schlussfolgerung

Hohe Mittelwertsdifferenzen im Satzgedächtnis sowie im phonologischen Gedächtnis für sinnleere Silbensequenzen bei Kinder mit monosymptomatischer AVWS wie auch bei solchen mit AVWS+SSES im Vergleich mit unauffälligen Kontrollkindern werfen erneut die Frage eines fließenden Übergangs zwischen AVWS und SSES auf oder eines komorbiden Erscheinungsbildes.


Literatur

1.
Nickisch A, Gohde K, Kiese-Himmel C. AVWS bei Regeschülern im 2. Schuljahr: Welche Tests trennen auffällige von unauffälligen Kindern? Laryngorhinootologie. 2012 Feb 6. DOI: 10.1055/s-0031-1299758 Externer Link
2.
Grimm H, Schöler H. Heidelberger Sprachentwicklungstests (H-S-E-T). 2. verbess. Aufl. Göttingen: Hogrefe; 1991.