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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Möglichkeiten der Elektrostimulation bei beidseitiger Stimmlippenlähmung

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV10

doi: 10.3205/12dgpp17, urn:nbn:de:0183-12dgpp171

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Ibrahim Nasr et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Behandlung von bilateralen Stimmlippenlähmungen ist schwierig. Die Standardbehandlung verbessert die Atmung auf Kosten der Phonation, mit der Gefahr der Aspiration. Dieses Problem kann durch die laryngeale Impuls-Stimulation des M. cricoarytenoideus posterior (PCA) gelöst werden. Nachteile sind bisher die feste Rate der Öffnungsimpulse und brüchiges Material. Für ein neues System sollen die Stimuli mit der Atmung synchronisiert und dauerhafte Materialien eingesetzt werden.

Material und Methoden: In der Literatur wird über 7 Patienten berichtet, denen zwischen 1995 und 1997 ein Itrel II Stimulator implantiert wurde. 2011 wurden 4 Patienten dieser Gruppe nachuntersucht. Das Ergebnis wurde mit dem nach Chordektomie verglichen. Der inspiratorische Peak-Flow und die GRBAS-Skala waren die wichtigsten Parameter der Auswertung.

Im Tierversuch wurde die selektive Stimulation des PCA getestet und in einer histologischen Untersuchung die Wirkung der chronischen elektrischen Stimulation auf den PCA erforscht.

Ergebnisse: Der Itrel II Stimulator war bei 5 Patienten erfolgreich. Alle von ihnen erfüllten die Kriterien für die Dekanülierung; 3 wurden dekanüliert ohne signifikante Veränderung der Stimmqualität. Sie hatten eine bessere Stimme und Atmung im Vergleich zu Patienten nach Chordektomie. Die selektive Stimulation zeigte gute Ergebnisse. Das histologische Bild des PCA zeigte keine Veränderungen.

Diskussion: Tierversuche und Studien bei Menschen zeigen, dass Kehlkopf-Schrittmacher möglich sind. Zur Verbesserung der Funktion muss die Stimulation mit der Atmung synchronisiert und eine hohe Stabilität der Elektroden garantiert werden. Mit dem Ziel einer verlässlichen Therapie wird in einer prospektiven Multicenter-Studie in Deutschland und Österreich die chirurgische Glottiserweiterung mit der Implantation eines Kehlkopf-Schrittmachers verglichen.


Text

Hintergrund

Die Behandlung der beidseitigen Stimmlippenlähmung stellt eine Herausforderung dar. Die bisher üblichen Operationstechniken beruhen auf der Entfernung von Gewebe und stellen die Standardtherapie dar. Sie führen jedoch zu einer unphysiologischen Situation in der die Stimmfunktion mehr oder weniger der Atemfunktion geopfert wird, wobei auch die Schluckfunktion beeinträchtigt werden kann und eine Aspiration möglich ist. Eine neue Technik, mit der dieser Umstand aufgehoben werden kann, beruht auf der laryngealen Stimulation durch direkte elektrische Reizung des M. cricoarytenoideus posterior (PCA) zur Abduktion der Stimmlippen. Der Patient ist dann in der Lage, die Stimmlippen aus dieser Position wieder zu adduzieren aufgrund erhaltener, erholter oder synkinetischer Aktivität der Adduktoren.

Dieser Fakt ändert das Konzept des Umgangs mit einer Schädigung des N. recurrens. Die Synkinese stellt eine vorteilhafte Bedingung dar. In Tierexperimenten führt die Reanastomosierung des N. recurrens in 60–88% zu einer synkinetischen Reinnervation [1]. Beim Menschen zeigte sich eine Prävalenz der synkinetischen laryngealen Reinnervation von 85% [2]. Diese hohe Inzidenz ist günstig für die elektrische laryngeale Stimulation.

Ein Hauptnachteil der laryngealen Stimulation, wie sie bisher durchgeführt wird, ist die feste Impulsrate, mit dem das Gerät auf durchschnittlich 10 Stimulationssequenzen pro Minute eingestellt wird. Damit soll die Atemfrequenz bei einer normalen, mittleren physischen Aktivität nachgeahmt werden. Es wurde festgestellt, dass die Patienten in der Lage waren, die stimulierte Abduktion während des Sprechens oder Schluckens zu überwinden [3], [4]. Dieser Befund erscheint wichtig für die Toleranz gegenüber einem Larynxstimulator und die Koordination der muskulären Aktivitäten während der nicht-atembezogenen laryngealen Funktionen. Ein anderer großer Nachteil ist die Lebensdauer bzw. Qualität des verwendeten Materials. Neben der Anfälligkeit gegenüber elektrochemischer Korrosion [3] wurden frühe Elektrodenbrüche aufgrund von Scherkräften während der Larynxbewegungen beobachtet [5].

Wir stellen die Hypothese auf, dass mit einer neu entwickelten Elektrode (MedEl) eine Synchronisation mit der Atemaktion möglich ist, wodurch den unterschiedlichen Bedürfnissen des Patienten während des Tages Rechnung getragen werden kann.

Material und Methoden

Die Auswertung der Literatur ergab, dass in den 1980er Jahren eine Berliner Gruppe um Bergmann et al. Zugang zu einem implantierbaren laryngealen Stimulator hatte [6]. Zwischen 1995 und 1997 wurde in einer mulitzentrischen FDA-Studie bei 7 Patienten der Itrel II Stimulator (Medtronic, Inc) implantiert [3]. Diese Technik wurde bei einem dieser Patienten modifiziert, indem im Verlauf eine Botox-Injektion mit dem Larynx-Schrittmacher kombiniert wurde, um die Exspiration zu verbessern [7]. Kürzlich wurden 4 Patienten dieser Gruppe erneut untersucht, und das Ergebnis wurde mit Patienten verglichen, die durch Chordektomie behandelt worden waren [8]. Der peak inspiratory flow und die auditive GRBAS Bewertung der Heiserkeit waren die Hauptkriterien für die Beurteilung.

Außer dieser Untersuchung am Menschen lieferten Tierversuche einen Beweis für die Machbarkeit der laryngealen Stimulation. Die selektive Stimulation des M. cricoary-tenoideus posterior über tiefe Hirnstimulationselektroden wurde bei Hunden mit dem Genesis XP Dual 4 (ANS, Inc) Stimulator durchgeführt [9]. Bei Schweinen erfolgte die selektive Öffnung der Glottis durch die Identifizierung und die Stimulation eines Hot Spots im M. cricoarytenoideus posterior [5]. Histologische Untersuchungen des Muskels wurden durchgeführt, um den Effekt der chronischen elektrischen Stimulation zu sehen [10].

Ergebnisse

Der Itrel II Stimulator war erfolgreich bei 5 Patienten, alle erfüllten die Kriterien für ein Dekanülement. Drei von ihnen wurden dekanüliert ohne signifikante Veränderungen der akustischen Stimmparameter einschließlich der Dynamik und des Stimmumfangs. Die maximale Phonationszeit blieb prä- und postoperativ gleich [3].

Bei der Kombination von Botox mit der Larynxstimulation vergrößerte sich die dynamische Abduktion von 4 auf 7 mm, was das Dekanülement ermöglichte und die Stimmfunktion normalisierte [7].

Die spätere Nachuntersuchung wies eine bessere Stimme und Atmung auf als nach Chordektomie. Patienten im Arm der Stimulation hatten einen mittleren PIF von 1,53 l/s, im Arm der Chordektomie einen PIF von 1,02 l/s. Die mittlere auditiv bewertete Heiserkeit lag in der Chordektomie-Gruppe bei 2,66 gegenüber 1,25 in der Larynx-Stimulator-Gruppe [8].

Im Tierversuch konnte die Funktion des M. cricoarytenoideus posterior mittels tiefer Hirnstimulationselektrode bei synkinetischer Reinnervation normalisiert werden und bei kompletter Denervation bis zu 60% verbessert werden [9]. Sowohl mit der Hirnstimulationselektrode als auch durch die selektive Stimulation eines Hot Spots innerhalb des PCA wurden vielversprechende Ergebnisse erzielt. Das histologische Bild des M. cricoarytenoideus posterior zeigte keine Nebenwirkungen, stattdessen scheint die lokale elektrische Stimulation die Muskelfasern vor Atrophie und Fibrose zu schützen [4], [10].

Diskussion

Sowohl die Untersuchungen am Menschen als auch Tierversuche haben die Anwendungsmöglichkeit eines Larynx-Schrittmachers bewiesen. Eine prospektive multizentrische Studie in Deutschland und Österreich wurde initiiert um die chirurgischen Verfahren mit der Larynxstimulation zu vergleichen. Eine erfolgreiche Synchronisation des Apparates mit der Atmung und stabiles Material könnte zu einer erfolgreichen Standardtherapie in den nächsten Jahren führen.


Literatur

1.
Koufman JA, Walker FO, Joharji GM. The cricothyroid muscle does not influence vocal fold position in laryngeal paralysis. Laryngoscope. 1995 Apr;105(4 Pt 1):368-72. DOI: 10.1288/00005537-199504000-00005 Externer Link
2.
Zealear DL, Billante CR. Neurophysiology of vocal fold paralysis. Otolaryngol Clin North Am. 2004 Feb;37(1):1-23, v. DOI: 10.1016/S0030-6665(03)00165-8 Externer Link
3.
Zealear DL, Billante CR, Courey MS, Netterville JL, Paniello RC, Sanders I, Herzon GD, Goding GS, Mann W, Ejnell H, Habets AM, Testerman R, Van de Heyning P. Reanimation of the paralyzed human larynx with an implantable electrical stimulation device. Laryngoscope. 2003 Jul;113(7):1149-56. DOI: 10.1097/00005537-200307000-00010 Externer Link
4.
Nomura K, Kunibe I, Katada A, Wright CT, Huang S, Choksi Y, Mainthia R, Billante C, Harabuchi Y, Zealear DL. Bilateral motion restored to the paralyzed canine larynx with implantable stimulator. Laryngoscope. 2010 Dec;120(12):2399-409. DOI: 10.1002/lary.21065 Externer Link
5.
Mueller AH. Laryngeal pacing for bilateral vocal fold immobility. Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2011;19:439-43. DOI: 10.1097/MOO.0b013e32834cb7ba Externer Link
6.
Bergmann K, Warzel H, Eckhardt HU, Hopstock U, Hermann V, Gerhardt HJ. Long-term implantation of a system of electrical stimulation of paralyzed laryngeal muscles in dogs. Laryngoscope. 1988 Apr;98(4):455-9. DOI: 10.1288/00005537-198804000-00020 Externer Link
7.
Zealear DL, Billante CR, Courey MS, Sant'Anna GD, Netterville JL. Electrically stimulated glottal opening combined with adductor muscle botox blockade restores both ventilation and voice in a patient with bilateral laryngeal paralysis. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2002 Jun;111(6):500-6.
8.
Athavale SM, Li Y, Dang J, et al. Voice and Ventilation: Unilateral Laryngeal Pacing Versus Unilateral Cordotomy for the Treatment of Iatrogenic Bilateral Vocal Fold Paralysis. Poster Presentations from the Triological Society's 2011 Annual Meeting. Laryngoscope. 2011;121 (Suppl 5):S303. DOI: 10.1002/lary.22259 Externer Link
9.
Katada A, Van Himbergen D, Kunibe I, Nonaka S, Harabuchi Y, Huang S, Billante CR, Zealear DL. Evaluation of a deep brain stimulation electrode for laryngeal pacing. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2008 Aug;117(8):621-9.
10.
Zealear DL, Billante CL, Chongkolwatana C, Herzon GD. The effects of chronic electrical stimulation on laryngeal muscle reinnervation. ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 2000 Mar-Apr;62(2):87-95. DOI: 10.1159/000027723 Externer Link