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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Ermittlung von Normbereichen gesunder Phonation mittels waveletbasierter Analyse von Phonovibrogrammen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Tobias Meyer - Fachhochschule Trier, Fachbereich Medizin Informatik, Trier, Deutschland
  • author Jakob Unger - Fachhochschule Trier, Fachbereich Medizin Informatik, Trier, Deutschland
  • author Dietmar Hecker - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, Deutschland
  • author Carl-Abert Bader - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, Deutschland
  • author Michael Döllinger - Phoniatrische und Pädaudiologische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Friedrich Peter Schwerdtfeger - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Mutterhaus der Borromäerinnen Trier, Trier, Deutschland
  • author Bernhard Schick - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, Deutschland
  • author Jörg Lohscheller - Fachhochschule Trier, Fachbereich Medizin Informatik, Trier, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV6

doi: 10.3205/12dgpp07, urn:nbn:de:0183-12dgpp077

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Meyer et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: In Verbindung mit der Hochgeschwindigkeits-Laryngoskopie (HG) ermöglicht das Phonovibrogramm (PVG) eine kompakte Visualisierung der Stimmlippen (SL)-Schwingungsdynamik [1]. Eine neuartige Analyse des PVGs wird durch die Extraktion waveletbasierter Merkmale erreicht [2]. Diese ermöglichen eine exakte Beschreibung der Schwingungseigenschaften wie z.B. des Glottisschlusstyps (GST).

Material und Methoden: 107 stimmgesunde Probanden wurden mittels HG laryngoskopiert. Waveletbasierte PVG Merkmale wurden extrahiert und hinsichtlich alters-, geschlechts- und frequenzspezifischer Einflüsse untersucht.

Ergebnisse: Durch dieses neu entwickelte Verfahren lassen sich Charakteristika der SL-Dynamik präzise beschreiben. Alters- und geschlechtsspezifische Ausprägungen verschiedener GST konnten identifiziert und Normbereiche gesunder SL-Schwingungen ermittelt werden. Repetitive Untersuchungen ließen frequenzabhängige Veränderung der GST eindeutig identifizieren.

Diskussion: Die PVG-Analyse mittels waveletbasierter Merkmale stellt einen neuen Ansatz zur objektiven Charakterisierung der SL-Dynamik dar. Das Verfahren eignet sich zur Ermittlung der Normbereiche gesunder Stimmgebung und zur Identifizierung pathologischer Schwingungseigenschaften.


Text

Einleitung und Hintergrund

In Verbindung mit der endoskopischen Hochgeschwindigkeits-Laryngoskopie ermöglicht das Phonovibrogramm (PVG) eine kompakte Visualisierung und quantitative Beschreibung der zweidimensionalen Dynamik von Stimmlippenschwingungen [1]. Eine neuartige, objektive Analyse des PVGs wird durch die Extraktion waveletbasierter Merkmale von Stimmlippenschwingungen erreicht [2]. Mittels waveletbasierter Analyse lassen sich simultan zeitliche und räumliche Aspekte von Stimmlippenschwingungen untersuchen. Die so gewonnenen Merkmale ermöglichen unter anderem eine exakte Beschreibung des individuellen Glottisschlusstyps als auch eine Analyse von Schwingungs-Regularität und -Symmetrie. Anhand dieser Merkmale wurden Normbereiche gesunder Phonationen bestimmt und damit Einflussfaktoren wie Geschlecht, Alter und Frequenz auf die Schwingungsdynamik untersucht.

Material und Methode

Im Rahmen dieser Studie wurden insgesamt 107 stimmgesunde Probanden (75 Frauen, Alter: 53.13 ±13.99; 32 Männer, Alter: 44.56 ±14.72) mittels starrer Hochgeschwindigkeitsendoskopie (Endocam HS 5562; Wolf Corp., Knittlingen, Deutschland) während der Phonation eines gehaltenen Vokals (/i/) laryngoskopiert. Aus den dabei aufgenommenen glottalen Hochgeschwindigkeitsaufnahmen wurden waveletbasierte PVG Merkmale extrahiert und hinsichtlich alters- und geschlechtsspezifischer Charakteristika als auch frequenzspezifischer Einflüsse untersucht.

Ergebnisse

Mittels der waveletbasierten PVG-Analyse lassen sich präzise und reproduzierbar die Charakteristika der Stimmlippendynamik beschreiben. Abbildung 1 [Abb. 1] stellt dazu die Ausprägung der ersten beiden Eigenwerte der PVG-Waveletanalyse dar, welche die Ausprägungen der individuellen Glottisschlusstypen (longitudinal, dorsal, ventral, konvex und konkav), entsprechend der in der Klassifikation der European Laryngological Society (ELS) vorgeschlagenen Arten des unvollständigen Glottisschlusses, repräsentieren [3]. Entlang der Ordinate ist die dorso-ventrale Phasenverschiebung innerhalb eines Schwingungszyklus kodiert, während die Abszisse die Ausprägung des Öffnungsquotienten beim Glottisschluss repräsentiert. Mittels agglomerativer Clusteranalyse konnten sechs verschiedene, sich voneinander abgrenzende Schwingungstpyen identifiziert werden. Die gezeigte Normparameterkarte der Glottisschlusstypen eignet sich zur Untersuchung geschlechts- und altersspezifischer Untersuchung der Stimmlippenschwingungen. So weisen weibliche Probanden, wie in Abbildung 2 [Abb. 2] gezeigt, im Gegensatz zu männlichen sowohl eine ausgeprägtere longitudinale Phasenverschiebung von posterior nach anterior als auch einen geringeren Öffnungsquotienten auf. Altersabhängig auftretende Einflüsse auf die Ausprägung der Glottisschlusstypen sind ebenso in Abbildung 2 [Abb. 2] dargestellt. Mit zunehmendem Alter wandern bei beiden Geschlechtern die Schwingungsmuster in Richtung der ventral öffnenden Dreiecksform. Durch repetitive Untersuchungen von Probanden bei unterschiedlichen Grundfrequenzen konnte weiterhin gezeigt werden, dass sich auch frequenzabhängige Veränderung des Glottisschlusstypen im PVG eindeutig identifizieren lassen.

Diskussion und Fazit

Die waveletbasierte PVG-Analyse stellt einen neuen Ansatz zur objektiven und evidenzbasierten Charakterisierung der Stimmlippendynamik durch computerbasierte Merkmalsgewinnung aus endoskopischen Hochgeschwindigkeitsaufnahmen dar. Im Gegensatz zu bisherigen Verfahren ermöglicht der waveletbasierte Ansatz die Beschreibung der Schwingungsdynamik von Stimmlippen ohne das explizite Schneiden von Schwingungszyklen. Dieser allgemeine Ansatz ermöglicht somit erstmalig auch die Untersuchung stark irregulärer und sich mit der Zeit ändernden Schwingungsmustern [4]. Zudem ist eine automatische und objektive ELS-Klassifizierung der glottalen Schwingungstypen als auch eine Quantifizierung des Glottisschlusses möglich. Das Verfahren eignet sich sowohl zur Ermittlung der Normbereiche gesunder Stimmgebung als auch zur Identifizierung pathologischer Schwingungseigenschaften.


Literatur

1.
Lohscheller J, Eysholdt U, Toy H, Dollinger M. Phonovibrography: mapping high-speed movies of vocal fold vibrations into 2-D diagrams for visualizing and analyzing the underlying laryngeal dynamics. IEEE Trans Med Imaging. 2008 Mar;27(3):300-9. DOI: 10.1109/TMI.2007.903690 Externer Link
2.
Unger J, Meyer T, Döllinger M, Hecker JD, Schick B, Lohscheller J. A wavelet-based approach for a continuous analysis of phonovibrograms, Engineering in Medicine and Biology Society, 2012, San Diego, USA.
3.
Dejonckere PH, Bradley P, Clemente P, Cornut G, Crevier-Buchman L, Friedrich G, Van De Heyning P, Remacle M, Woisard V. A basic protocol for functional assessment of voice pathology, especially for investigating the efficacy of (phonosurgical) treatments and evaluating new assessment techniques. Guideline elaborated by the Committee on Phoniatrics of the European Laryngological Society (ELS). Eur Arch Otorhinolaryngol. 2001 Feb;258(2):77-82. DOI: 10.1007/s004050000299 Externer Link
4.
Voigt D, Döllinger M, Braunschweig T, Yang A, Eysholdt U, Lohscheller J. Classification of functional voice disorders based on phonovibrograms. Artif Intell Med. 2010 May;49(1):51-9. DOI: 10.1016/j.artmed.2010.01.001 Externer Link