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Die objektive Bewertung der Sibilantenproduktion: Der Simgmatismus
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Veröffentlicht: | 18. August 2011 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Die häufigste Lautfehlbildung ist die inkorrekte Produktion der sog. „S-Laute“, d.h. der Sibilanten. Eine Objektivierung der Untersuchungsbefunde, auch zur Evaluation der Therapiewirksamkeit, ist erforderlich. Hierfür kann das bei der Sibilantenproduktion entstehende Bandpassrauschen schallspektrographisch analysiert und Spektralmomente bestimmt werden.
Material und Methoden: Anhand von Beispielen wird aufgezeigt, wie eine schallspektrographische Analyse von Sibilanten durchgeführt werden kann und welche Bedingungen Einfluss auf das Messergebnis haben. Die normhaften und fehlerhaften Produktionen des alveolaren Sibilanten von vier Sprechern sollen Aufschluss darüber geben, ob die Werte der vier Spektralmomente (Schwerpunkt, Varianz, Schiefe, Wölbung) eine Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Artikulationsorten erlauben.
Ergebnisse: Die Beispiele zeigen, dass die Spektralmomente als allgemein gängige Charakteristika zur Beschreibung von Rauschsignalen mit geringem apparativem Aufwand ermittelt werden können und die einzelnen Werte der Spektralmomente deutliche Unterschiede für die verschiedenen Bildungsweisen aufzuzeigen scheinen. Die Schwerpunktwerte des Sigmatismus sind deutlich niedriger, als die des regelhaft gebildeten alveolaren Sibilanten. Varianz und Schiefe zeigen höhere und die Wölbung deutlich niedrigere Werte für die Fehlbildung.
Diskussion: Leider existiert kein allgemein akzeptierter „Goldstandard“ für die schallspektrographische Analyse der Sibilanten noch gibt es bislang Normwerte, die eine korrekte S-Laut-Bildung begrenzen. Ferner fehlen Normwerte in Bezug auf Alter, Geschlecht und die Klassifizierung des Sigmatismus (z.B. addental, interdental). Für die klinische Routine wird vorgeschlagen, dass die Spektralmomentsberechnung basierend auf einem 40 ms Fenster um den zeitlichen Mittelpunkt aus Wort- bzw. Satzebene extrahierter Laute vorgenommen werden sollte. Wichtig ist, dass z.B. prä- und posttherapeutisch die gleichen Aufnahmebedingungen respektive Analyseparameter gewählt werden.
Text
Einleitung und Hintergrund
Von allen Lautfehlbildungen ist sicherlich das „Lispeln“, sowohl bei Kindern wie bei Erwachsenen, die häufigste und bekannteste Störung. Dies hängt wahrscheinlich mit dem komplizierten Lautproduktionsmodus der Zischlaute, d.h. der Sibilanten, zusammen. Für die Artikulation der Sibilanten erfolgt unter anderem eine dorsomediane Rinnenbildung der Zunge. Hierunter ist, für den alveolaren Frikativ, eine kurze zentrale Rille zu verstehen, durch die die Luft quasi gezielt gegen die obere Zahnreihe gelenkt wird [1]. Form und Gestalt dieser Rinne beeinflussen den Lautklang. Die erfolgreiche Rinnenbildung lässt sich indirekt auditiv, respektive schallspektrographisch, nachweisen. Eine Objektivierung der Untersuchungsbefunde, auch zur Evaluation der Therapiewirksamkeit, ist erforderlich. Zur Bewertung des alveolaren Frikativs kann das bei der Sibilantenproduktion entstehende Bandpassrauschen schallspektrographisch analysiert und die Spektralmomente bestimmt werden. Diese Pilotstudie soll Aufschluss darüber geben, ob eine Abgrenzung der regelhaften und fehlerhaften Bildung des alveolaren Frikativs mittels der Spektralmomente generell möglich erscheint.
Material
Für die akustischen Analysen wurden die Signale mit einem Mikrophon (C03U - Multi-Pattern USB Studio Condenser Microphone; Frequenzgang 20~18000 HZ; AD Konverter mit 16 Bit, 48K Abtastrate; Samson, Hauppauge, USA) aufgenommen und digitalisiert und dann mit dem Programm PRAAT [2] analysiert.
Methode
Anhand von Beispielen wird aufgezeigt, wie eine schallspektrographische Analyse von Sibilanten durchgeführt werden kann und welche Bedingungen Einfluss auf das Messergebnis haben. Die normhaften und fehlerhaften auf Satzebene erhobenen Produktionen des alveolaren Sibilanten von vier Sprechern (n=60), werden für die Spektralmomentsanalyse zugrunde gelegt. Hierfür wurden aus der oszilloskopischen Darstellung zunächst die 40 ms um den zeitlichen Lautmittelpunkt extrahiert und nach einer Fast-Fourier-Transformation (s. Abbildung 1 [Abb. 1]) die vier Spektralmomente (Schwerpunkt, Varianz, Schiefe, Wölbung) ermittelt [3], [4]. Die Analyse soll zeigen, ob die Werte der vier Spektralmomente eine Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Artikulationsorten, also der alveolaren und interdentalen Artikulation, erlauben.
Ergebnisse
Die Beispiele indizieren, dass die Spektralmomente als allgemein gängige Charakteristika zur Beschreibung von Rauschsignalen mit geringem apparativem Aufwand ermittelt werden können und die einzelnen Werte der Spektralmomente klare Unterschiede für die verschiedenen Bildungsweisen aufzuzeigen scheinen. Die Schwerpunktwerte des Sigmatismus sind deutlich niedriger, als die des regelhaft gebildeten alveolaren Sibilanten. Die Varianz der interdental produzierten Frikative ist weitaus größer (s. Abbildung 2 [Abb. 2]). Die Schiefe zeigt höhere und die Wölbung deutlich niedrigere Werte für die Fehlbildung. Zudem zeigen sich, wie auch in der Literatur beschrieben, geschlechtsspezifische Unterschiede [1], [5] in den Schwerpunkt- [1], [3], [5], [6] und Wölbungswerten.
Diskussion
Leider existiert kein allgemein akzeptierter „Goldstandard“ für die schallspektrographische Analyse der Sibilanten noch gibt es bislang Normwerte, die die korrekte Bildung des alveolaren Sibilanten begrenzen. Ferner fehlen Normwerte in Bezug auf Alter, Geschlecht und die Klassifizierung der Fehlbildung (z.B. Sigmatismus addentalis, Sigmatismus interdentalis). Für die klinische Routine wird vorgeschlagen, dass die Spektralmomentsberechnung basierend auf einem 40 ms Fenster um den zeitlichen Mittelpunkt der Laute vorgenommen werden sollte. Generell sind wegen der größeren Nähe zur Spontansprache als Aufsprechmaterial Worte oder Sätze und die konsekutive Identifikation und Extraktion der Ziellaute günstiger. Ein 40 ms Zeitfenster um den Mittelpunkt ermöglicht die Berechnung der Spektralmomente eines Bereichs, der wenig von koartikulatorischen Einflüssen kontaminiert ist. Zur Gewährleistung einer Vergleichbarkeit müssen zur Diagnostik und Therapiekontrolle die gleichen Aufnahmebedingungen respektive Analyseparameter gewählt werden.
Literatur
- 1.
- Stevens KN. Acoustic phonetics. Cambridge: The MIT Press; 1998.
- 2.
- Boersma P, Weenink D. Praat: Doing phonetics by computer (Version 5.1.25). 2010. Available from: http://www.praat.org
- 3.
- Meyer S, Ptok M. Zur objektiven Beurteilung der Zischlautbildung. Laryngorhinootologie. 2011. DOI: 10.1055/s-0031-1275279
- 4.
- Flipsen P Jr, Shriberg L, Weismer G, et al. Acoustic characteristics of /s/ in adolescents. J Speech Lang Hear Res. 1999;42:663-77.
- 5.
- Jongman A, Wayland R, Wong S. Acoustic characteristics of English fricatives. J Acoust Soc Am. 2000;108:1252-63. DOI: doi:10.1121/1.1288413
- 6.
- Nissen SL, Fox RA. Acoustic and spectral characteristics of young children's fricative productions: a developmental perspective. J Acoust Soc Am. 2005;118:2570-8. DOI: doi:10.1121/1.2010407