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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Wissensmanagement – Möglichkeiten und Methoden

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppR02

doi: 10.3205/10dgpp79, urn:nbn:de:0183-10dgpp790

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Spreckelsen.
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Gliederung

Text

Motivation

Ansätze des rechnergestützten Wissensmanagements in der Medizin antworten auf ein drängendes Problem: Biomedizinisches Wissen entwickelt sich mit immer höheren Aktualisierungsraten. Gleichzeitig wächst der Umfang verfügbarer Informationen (klinische Dokumentation, Publikationen, Grundlagenforschung), aus denen Wissen gewonnen wird. Schließlich ist Wissen immer zunächst an Einzelne oder Gruppen als Wissensträger gebunden. Verlassen Personen oder Arbeitsgruppen die Organisation (z.B. eine Klinik), so kann das für diese zu Kompetenzverlust oder Leistungseinbußen führen.

Begriffe

Der Ausdruck Wissensmanagement wurde vereinzelt bereits in den 1960er Jahren verwendet. Zu hoher Aktualität und verbreiteter Verwendung, insbesondere im ökonomischen und sozioökonomischen Diskurs, kam er aber erst in den 90er Jahren (vgl. [1], 32). Der Begriff Wissensmanagement unterstellt, dass Wissen als handhabbare und planvoll zu bewirtschaftende Ressource behandelt werden kann. Charakteristische Unterschiede zu klassischen Wirtschaftsgütern setzen dieser Vorstellung jedoch Grenzen.

Eine pragmatische, instrumentell orientierte Begriffsklärung geben Schreiber et al.: “Thus, a simple, but very practical definition of knowledge management is: a framework and tool set for improving the organization’s knowledge infrastructure, aimed at getting the right knowledge to the right people in the right form at the right time ([2], 72)”.

Wissensmanagement basiert auf Maßnahmen der Organisationsentwicklung und Dokumentation, die durch den Einsatz rechnerbasierter Informationsverarbeitung zwar unterstützt oder erleichtert werden, diesen jedoch nicht zwingend voraussetzen. Zunehmend nutzt das Wissensmanagement jedoch Ansätze und Techniken, die ursprünglich aus den Forschungen zur künstlichen Intelligenz stammen. Hierbei geht es darum, Wissensinhalte so zu formalisieren, dass daraus durch Computerprogramme korrekte Schlussfolgerungen gezogen oder die logische Konsistenz des Wissens überprüft werden kann. Beides ist auf der Grundlage formaler Logiken möglich. Für die Überführung des Wissens menschlicher Experten in Wissensbasen dienen methodische Ansätze, die über Interviews und Eingabehilfen rechnergestützter Akquisitionsumgebungen die Äußerung, Formalisierung und Pflege der Wissensinhalte erleichtern. Diese Ansätze werden zusammenfassend als Wissensmodellierung (Knowledge Engineering) bezeichnet.

Techniken

Werkzeuge des rechnergestützten Wissensmanagements und der Wissensmodellierung waren über lange Zeit entweder mit hohen Investitionen verbunden oder – als Prototypen im akademischen Bereich entwickelt – für einen professionellen Dauereinsatz nicht geeignet. Dieses Bild hat sich in den letzten Jahren entscheidend gewandelt.

Insbesondere die Entwicklung frei verfügbarer Plattformen für die Online-Kollaboration spielt hierbei eine wichtige Rolle. Hierzu zählen insbesondere freie (z.T. sogar Open Source verfügbare) Weblog-Plattformen (z.B. Wordpress), ganze Web Content Management Systeme (z.B. Joomla) oder Groupware-Lösungen (z.B. phpGroupWare). Gemeinsam ist diesen Techniken, dass sich mit ihrer Hilfe schnell sowie technisch und finanziell niederschwellig die Grundlage einer Online-Zusammenarbeit legen lässt. Diese zielt auf den Erfahrungsaustausch, die Sammlung gemeinsam dokumentierter und diskutierter Ergebnisse oder den Aufbau multimedialer Informationsressourcen. Erfolgreiche medizinische Online-Communities, wie z.B. Coliquio, zeigen, dass bereits ein gut organisierter, durch Werkzeuge der Informationserschließung und -vermittlung angereicherter Erfahrungsaustausch einen wertvollen Beitrag zur Unterstützung der ärztlichen Arbeit leisten kann. Entsprechende Ansätze fallen klar unter den Begriff Wissensmanagement.

Unterstützend erntet die biomedizinische Fachwelt die Früchte jahrzehntelanger, weltweit koordinierter Arbeit an den medizinischen Klassifikations- und Terminologiesystemen. Unter Nutzung des Unified Medical Language Systems (UMLS) der US-amerikanischen National Library of Medicine lassen sich z.B. mit geringem Aufwand bestimmten Falldaten aus der klinischen Routinedokumentation relevante aktuelle Fachpublikationen zuordnen. Grundlage hierfür ist die Verbindung, die das UMLS zwischen der Diagnosen- oder Prozedurenkodierung und dem zur einheitlichen Verschlagwortung biomedizinischer Fachpublikationen in PubMed verwendeten kontrollierten Vokabular (Medical Subject Headings MeSH) herstellt.

Die genannten beiden Basis-Techniken – 1) die Online-Kollaboration und 2) der Einsatz biomedizinischer Standardklassifikationen – werden ergänzt durch sogenannte semantische Techniken. Inzwischen sind auch diese ausgereift und ohne den früher erheblichen technischen und finanziellen Aufwand verfügbar. Die positiven Folgen der Kombination aller drei Ansätze für die Etablierung von Wissensmanagementmethoden sind groß. Als Beispiel sei hier die semantische Erweiterung derjenigen Softwareplattform genannt, die der Wikipedia zugrunde liegt: Semantic MediaWiki erlaubt zunächst die kollaborative Pflege einer vernetzen Informationssammlung. Spezielle Zusatzeinträge sorgen darüber hinaus dafür, dass inhaltliche Aspekte für eine computerbasierte Auswertung zugänglich gemacht werden. Auf dieser Grundlage werten Such- und Schlussfolgerungsverfahren die bestehende Informationssammlung auf.

Anwendungsgebiete

Medizinische Kompetenznetzwerke und Kompetenzlandkarten sind eine erste, bereits angesprochene Anwendungsmöglichkeit. Hier bestehen bereits seit längerem auch in Deutschland erfolgreiche Ansätze (z.B. Coliquio oder medrapid).

Die Erstellung, Verabschiedung und Revision von Leitlinien lässt sich unter Nutzung der Wissensmanagement-Techniken wesentlich erleichtern und qualitativ verbessern. Der Lebenszyklus von Leitlinien umfasst bereits selbst schon alle Aspekte eines Wissensmanagementprozesses: Expertise wird explizit geäußert und dokumentiert; es erfolgt eine Kombination verschiedener Quellen (z.B. publizierter Studienergebnisse bei der Entwicklung evidenzbasierter Leitlinien); für die Abstimmung und Abwägung alternativer Szenarien sowie die Revision bestehender Leitlinien ist eine langfristige, intensive Zusammenarbeit nötig; schließlich müssen bestehende Leitlinien so erschlossen werden, dass sie gut verfügbar sind und sich leicht denjenigen klinischen Situationen zuordnen lassen, in denen sie anzuwenden sind. Alle diese Schritte lassen sich durch Nutzung einer Kollaborationsplattform, medizinischer Klassifikationen und semantischer Erschließungstechniken ideal unterstützen. Analoges gilt für die Einführung klinischer Behandlungspfade.

Ein Bereich, in dem rechnergestütztes Wissensmanagement ebenfalls sehr förderlich ist, ist die Entwicklung von eLearning-Angeboten in der medizinischen Aus- und Weiterbildung. Von der Curricularentwicklung bis zur Veranstaltungsplanung lassen sich zentrale organisatorische Prozesse durch Wissensmanagementansätze verbessern. Gleiches gilt für die Erstellung und Aktualisierung von Kursangeboten und einzelnen Lernmaterialien, deren Qualität entscheidend davon abhängt, dass sie einem kollaborativen Feedback- und Revisionsprozess unterworfen werden.


Literatur

1.
Lehner F. Wissensmanagement. München: Hanser; 2006.
2.
Schreiber AT. Knowledge Engineering and Management: The CommonKADS Methodology. Cambridge, Mass.: Massachusetts Institute of Technology; 2000.