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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Sprache als Fitnessindikator – experimentelle Befunde zur Evolutionspsychologie der Sprache

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Benjamin P. Lange - Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt, Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Frankfurt am Main, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV45

doi: 10.3205/10dgpp65, urn:nbn:de:0183-10dgpp655

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Lange.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Aus evolutionärer Perspektive lässt sich vorhersagen, dass Männer aufgrund geschlechtsdifferenter Reproduktionsbedingungen von sprachlicher Gewandtheit u.a. im Partnerwahlkontext stärker profitieren als Frauen, was im Einklang mit der Erkenntnis ist, dass sprachliche Fähigkeiten bei Männern stärker streuen als bei Frauen.

Material und Methoden: Diese Hypothese wurde mit einem experimentellen Design anhand einer Stichprobe von N=276 untersucht. Ein Mann und eine Frau trugen Texte vor, mit denen sie sich selbst vorstellten. Es existierten je drei verschiedene Stufen, die inhaltlich identisch waren, sich aber in ihrer sprachlichen Gewandtheit unterschieden (Type-Token-Ratio, MLU etc.). Die Darbietungen wurden auf Video aufgezeichnet. Randomisiert wurden gegengeschlechtlichen Versuchspersonen eine der Stufen vorgespielt. Mit einem Fragebogen sollten neben einer Vielzahl anderer Variablen angegeben werden, wie attraktiv die Person als Partner eingeschätzt wird. Mit einer ANOVA wurde bestimmt, wie stark die Attraktivitätsvarianz beider Geschlechter durch unterschiedliche sprachliche Gewandtheit erklärt wird.

Ergebnisse: Es ergab sich ein hochsignifikanter Geschlechtereffekt mit einer Varianzaufklärung von über 30% (weitere Daten werden zurzeit noch bis Anfang Juni erhoben). Es zeigt sich zudem, dass sich sprachliche Gewandtheit auf den Partnerwert einer Person als Langzeitpartner stärker auswirkt als bezüglich einer Kurzzeitpartnerschaft.

Diskussion: Die vorliegende Studie ist die erste, die die kausale Beziehung zwischen sprachlicher Gewandtheit und Partnerwert untersucht hat. Die evolutionäre Vorhersage wird bestätigt.


Text

Einleitung und Hintergrund

Die Perspektive der Evolutionsbiologie und Evolutionären Psychologie stellt einen viel versprechenden Ansatz zur Beantwortung der Frage nach dem Ursprung der Sprache dar. Während die meisten wissenschaftlichen Ansätze nur nach dem Wie, d.h. den aktuellen Wirkmechanismen eines Phänomens fragen, berücksichtigt die evolutionäre Perspektive auch das Warum, d.h. die Zweckursachen, indem sie untersucht, inwiefern Individuen, die hinsichtlich eines genetisch bedingten Merkmals besser ausgestattet waren als andere, aufgrund dessen Überlebens- und Reproduktionsvorteile hatten und ihre genetische Ausstattung somit wirkungsvoller an ihre Nachkommen weitergaben [3].

Für die Annahme, dass Sprache genetisch bedingt und kein reines kulturelles Artefakt ist, liegen zahlreiche Belege vor [9] wie der offensichtlich durch einen biologischen Reifeplan gesteuerte Spracherwerb [4], die Kreolisierung von Pidgin-Sprachen [2], die Spezialisierung verschiedener Hirnbereiche für bestimmte Aspekte der Sprache [1], genetisch bedingte Sprachpathologien sowie molekulargenetische Befunde zur Rolle einzelner Gene [6] und Befunde der quantitativen Genetik, deren Kernbegriff der der Erblichkeit (h2) ist, der den Anteil phänotypischer Varianz bezeichnet, der durch die Varianz additiver genetischer Effekte erklärt wird [10]. Zahlreiche sprachliche Fähigkeiten sowie Sprachpathologien zeigen substantielle Erblichkeiten [12]. Insbesondere die robusten Befunde zur Erblichkeit der Sprache sind evolutionär bedeutsam, da die beiden wesentlichen Elemente des Erblichkeitsbegriffs, nämlich Varianz und genetische Transmission, gleichzeitig zu den Grundbedingungen von Evolution gehören.

Während die meisten Ansätze zur Evolution der Sprache den Fokus auf den Prozess der natürlichen Selektion richten, d.h. untersuchen, inwiefern Sprache in der Phylogenese des Menschen das Überleben befördert hat [5], [9], akzentuieren neuere Ansätze eher die Bedeutung der sexuellen Selektion, d.h. den Nutzen der Sprache im Partnerwahlkontext [8]. Hier ist u.a. bedeutsam, dass aufgrund geschlechtsdifferenter Reproduktionsbedingungen Frauen wählerischer sind als Männer und dass Männer somit von sprachlicher Gewandtheit u.a. im Partnerwahlkontext stärker profitieren sollten als Frauen, was im Einklang mit der Erkenntnis ist, dass sprachliche Fähigkeiten bei Männern stärker streuen als bei Frauen, d.h. dass Männer sowohl unter sprachlich minderbegabten, als auch hochbegabten überrepräsentiert sind [7], [11]. Denn dadurch, dass die Reproduktionsvarianz von Männern größer ist als die von Frauen – denn für Männer gilt, dass sie in ihrem Leben kein Kind zeugen können oder aber theoretisch hunderte Kinder – sollten auch reproduktionsdienliche Eigenschaften bei Männern stärker streuen.

Material und Methode

Die evolutionären Annahmen wurden mit einem experimentellen Design anhand einer Stichprobe von N=276 untersucht. Ein Mann und eine Frau trugen Texte vor, mit denen sie sich selbst vorstellten. Es existierten je drei verschiedene Stufen, die inhaltlich identisch waren, sich aber in ihrer sprachlichen Gewandtheit unterschieden, z.B. hinsichtlich Type-Token-Ratio (TTR), Mean Length of Utterance (MLU) und Sprechflüssigkeit. Die Darbietungen wurden auf Video aufgezeichnet. Randomisiert wurden gegengeschlechtlichen Versuchspersonen eine der Stufen vorgespielt. Mit einem Fragebogen sollten neben einer Vielzahl anderer Variablen angegeben werden, wie attraktiv die Person als Partner eingeschätzt wird. Mit einer ANOVA wurde bestimmt, wie stark die Attraktivitätsvarianz beider Geschlechter durch unterschiedliche sprachliche Gewandtheit erklärt wird.

Ergebnisse

Es ergab sich ein hochsignifikanter Geschlechtereffekt mit einer Varianzaufklärung von über 30% für Gesamt-Attraktivität mit höheren Effekten für den männlichen Partnerwert. Sprachliche Gewandtheit hat zudem auf den Partnerwert einer Person als Langzeitpartner stärkere Auswirkungen als bezüglich einer Kurzzeitpartnerschaft: Für kurzfristige Beziehungen hat sprachliche Gewandtheit z.B. annährend keinen Effekt auf weiblichen Partnerwert. Auch für männlichen Partnerwert zeigt sprachliche Gewandtheit einen stärkeren positiven Effekt bei lang- als bei kurzfristigen Beziehungen. Es finden sich außerdem substantielle und hochsignifikante Korrelationen zwischen Attraktivität einerseits und TTR, MLU und Markern für Sprechflüssigkeit andererseits.

Diskussion

Die vorliegende Studie ist die erste, die die kausale Beziehung zwischen sprachlicher Gewandtheit und Partnerwert untersucht hat. Die evolutionären Vorhersagen werden bestätigt. Damit wird ein Ansatz präsentiert, der Phänomene wie sprachliche Minder- wie Hochbegabung mit Blick auf funktionale Gesichtspunkte aus der Phylogenese des Menschen heraus erklären kann und für die Bereiche Psychologie, Medizin und Linguistik relevant ist.


Literatur

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Ahlsén E. Introduction to neurolinguistics. Amsterdam: Benjamins; 2006.
2.
Bickerton D. The language bioprogram hypothesis. Behav Brain Sci. 1984;7:173-221. DOI: 10.1017/S0140525X00044149 Externer Link
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Buss DM. Evolutionary Psychology: the new science of the mind. 3rd ed. Boston, Mass: Pearson, Allyn and Bacon; 2008.
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Chomsky N. Verbal behavior. By B. F. Skinner. Language. 1959;35(1):26-58. DOI: 10.2307/411334 Externer Link
5.
Dunbar RIM. Grooming, gossip, and the evolution of language. London: Faber and Faber; 1996.
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Lai CS, Fisher SE, Hurst JA, Levy ER, Hodgson S, Fox M, Jeremiah S, Povey S, Jamison DC, Green ED, Vargha-Khadem F, Monaco AP. The SPCH1 region on human 7q31: genomic characterization of the critical interval and localization of translocations associated with speech and language disorder. Am J Hum Genet. 2000;67(2):357-68. DOI: 10.1086/303011 Externer Link
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Miller GF. The mating mind. How sexual choice shaped the evolution of human nature. New York, NY: Doubleday; 2000.
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Pinker S. The language instinct. New York: Morrow; 1994.
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Plomin R, DeFries JC, McClearn GE, McGuffin P. Behavioral genetics. 4th ed. New York, NY: Worth Publishers; 2001.
11.
Strand S, Deary IJ, Smith P. Sex differences in cognitive ability test scores: A UK national picture. Brit J Educ Psychol. 2006;76:463-80. DOI: 10.1348/000709905X50906 Externer Link
12.
Stromswold K. The heritability of language: A review and metaanalysis of twin, adoption, and linkage studies. Language. 2001;77(4):647-723. DOI: 10.1353/lan.2001.0247 Externer Link