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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Standardisierte Überprüfung der Mundmotorik von Kindern mit schweren Sprachentwicklungsstörungen mit dem NOT-S (Nordic Orofacial Test-Screening)

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Sabine Bader - Klinik für Kommunikationsstörungen, Mainz, Deutschland
  • presenting/speaker Annerose Keilmann - Klinik für Kommunikationsstörungen, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV38

doi: 10.3205/10dgpp55, urn:nbn:de:0183-10dgpp558

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Bader et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Im deutschen Sprachraum werden derzeit keine standardisierten Untersuchungen der Mundmotorik eingesetzt. Mit dem in Skandinavien entwickelten Nordic Orofacial Test-Screening [1] steht ein einfach durchzuführender Test mit je 6 Items zur Anamnese und Untersuchung zur Verfügung. Für verschiedene Sprachen liegt schon eine Normierung vor.

Methode: Mit Hilfe des NOT-S wurden 60 Kinder, die stationär wegen einer schweren Sprachentwicklungsstörung behandelt wurden, erfasst und mit einer gleichaltrigen Gruppe unauffälliger Kinder verglichen.

Ergebnisse: In der Vergleichsgruppe ergaben sich sowohl für die anamnestischen Fragen als auch für die Untersuchungsitems dieselben Werte, wie sie für skandinavische Sprachen als unauffällig beschrieben wurden. Die Kinder mit einer schweren Sprachentwicklungsstörung hatten sowohl in den einzelnen Untertests, wie auch im Gesamtergebnis ein etwas schlechteres Ergebnis als die normalen Kinder, schnitten aber weit besser ab, als dies für auffällige Kinder z.B. mit einer adenotonsillären Hyperplasie beschrieben wurde [2].

Schlussfolgerung: Obwohl die Mundmotorik in der Sprachentwicklung keine tragende Rolle spielt, zeigt sich in vielen Fällen bei Kindern mit einer schweren Sprachentwicklungsstörung auch eine nachweisbare Störung der Mundmotorik.


Text

Einleitung

Im deutschen Sprachraum werden derzeit keine standardisierten Untersuchungen der Mundmotorik eingesetzt. Mit dem in Skandinavien von der Nordic Association for Disability and Oral Health (NFH) entwickelten Nordic Orofacial Test-Screening [1] steht ein einfach durchzuführender Test mit je 6 Items zur Anamnese und Untersuchung zur Verfügung. Sowohl das Interview als auch die Untersuchung nehmen nur wenige Minuten in Anspruch. Für den Nordic Orofacial Test (NOT-S) liegt in mehreren Sprachen schon eine Normierung vor. Die entsprechenden Formulare können unter http://mun-h-center.se/ eingesehen werden.

Methode

In unserer Klinik werden Kinder mit schweren Sprachentwicklungsstörungen stationär behandelt. Mit Hilfe des NOT-S wurden 60 dieser Kinder untersucht und deren Eltern befragt. Als Kontrollgruppe (n=40) dienten gleichaltrige Kinder nahe gelegener Kindergärten und Schulen. Im Interview wurden die Items sensorische Funktion, Atmung, Gewohnheiten, Kauen und Schlucken, Speichelaustritt, Mundtrockenheit mittels weniger Fragen überprüft. Im Untersuchungsteil, der mit Hilfe der bebilderten Anleitung in Form eines Handbuches durchgeführt wurde, wurden die Kategorien Gesicht in Ruhe, Nasenatmung, Gesichtsausdruck, Kaumuskel und Kieferfunktion, orale Bewegungsfunktion und Sprache erfasst.

Ergebnisse

In der Tabelle 1 [Tab. 1] sind die Mittelwerte für die Gesamtwerte, das Interview und die Untersuchung aus unserer Untersuchung der Kinder mit schweren Sprachentwicklungsstörungen und der unauffälligen Kinder aufgeführt und den von den Entwicklern des NOT-S angegebenen Normwerten gegenübergestellt.

Die Kinder mit einer schweren Sprachentwicklungsstörung hatten sowohl in den Gesamtergebnissen als auch in den einzelnen Unterergebnissen ein etwas schlechteres Ergebnis als die unserer Vergleichsgruppe und der von Bakke et al. [1].

Abbildung 1 [Abb. 1] und Abbildung 2 [Abb. 2] zeigen die Ergebnisse der 6 Items des Interviews und der Untersuchung.

Die Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen hatten im Vergleich zu den unaufälligen Kindern lediglich bei der Atmung eine ähnliche Symptomausprägung (Stationäre Gruppe 8,3%, Kontrollgruppe 7,5%), jedoch tendentiell eine stärkere Beeinträchtigung der oralen Sensorik (6%) und des Kauens und Schluckens (28%), hatten häufiger vermehrt Speichelaustritt (3,3%) und Mundtrockenheit (13,3%) und mehr Gewohnheiten, wie kauen an Fingernägeln, an Lippen saugen oder mit den Zähnen knirschen (35%) (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Auch bei der Untersuchung (Abbildung 2 [Abb. 2]) konnte in allen 6 Rubriken eine Einschränkung der Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen ermittelt werden. Erwartungsgemäß war der Unterschied am deutlichsten bei der Beurteilung der Sprache (stationäre Gruppe 80%, Kontrollgruppe 15%) und bei der Beurteilung des Gesichtes in Ruhe (stationäre Gruppe 42%, Kontrollgruppe 12,5%).

Diskussion

Unsere Untersuchung zeigte, dass der NOT-S ein einfach zu handhabendes Instrument zur Überprüfung der Mundmotorik ist. Die Durchführung gestaltet sich mit Hilfe des Handbuches leicht verständlich und kann auch von nichtmedizinischem Personal schnell erlernt und ausgeführt werden.

Bakke et al. [1] fanden bei ihrer Kontrollgruppe annähernd dieselben Werte, wie wir sie bei unserer Kontrollgruppe fanden. Zu berücksichtigen ist, dass unsere Kontrollgruppe ausschließlich aus Kindern bestand, während die skandinavische Gruppe in der Altersverteilung sehr inhomogen war (vgl. Tabelle 1 [Tab. 1]). Erwähnenswert ist auch, dass bei der Kontrollgruppe die Geschlechterverteilung in etwa gleich war, in der Gruppe der Kinder mit Sprachentwicklungsstörung jedoch über 60% der Kinder männlich waren.

Die Kinder mit einer schweren Sprachentwicklungsstörung hatten im NOT-S ein etwas schlechteres Ergebnis als die Vergleichsgruppe, schnitten aber weit besser ab, als dies für Kinder mit adenotonsillärer Hyperplasie beschrieben wurde ([2]; vgl. Abbildung 1 [Abb. 1], Abbildung 2 [Abb. 2]). In Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt sich erwartungsgemäß eine starke Beeinträchtigung der Atmung (98%) und des Schluckens (55%) bei Kindern mit adenotonsillären Hyperplasien.

Unsere Ergebnisse belegen, dass die Mundmotorik bei Kindern mit schweren Sprachentwicklungsstörungen, obwohl sie keine tragende Rolle spielt, häufig ebenfalls beeinträchtigt ist, was im Therapieschema berücksichtigt werden kann.


Literatur

1.
Bakke M, Bergendal B, McAllister A, Sjögreen L, Asten P. Development and evaluation of a comprehensive screening for orofacial dysfunction. Swed Dent J. 2007;31(2):75-84.
2.
Lundeborg I, McAllister A, Graf J, Ericsson E, Hultcrantz E. Oral motor dysfunction in children with adenotonsillar hypertrophy-effects of surgery. Logoped Phoniatr Vocol. 2009:1-6. [Epub ahead of print]