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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Vokaltrakteinstellungen professioneller Tenöre in Registerfunktionen bei verschiedenen Vokalen

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Matthias Echternach - Uniklinik Freiburg, Institut für Musikermedizin, Freiburg, Deutschland
  • Louisa Traser - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité, Berlin, Deutschland
  • Michael Markl - Uniklinik Freiburg, Abteilung für Radiologie, MR Physik, Freiburg, Deutschland
  • Bernhard Richter - Uniklinik Freiburg, Institut für Musikermedizin, Freiburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV21

doi: 10.3205/10dgpp30, urn:nbn:de:0183-10dgpp303

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Echternach et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: In Vorstudien konnten Modifikationen in der Konfiguration des Vokaltraktes bei professionellen Tenören aufgezeigt werden, wenn diese das Modalregister über die Passaggioregion an Stelle eines Registerwechsels zum Falsett in die Tonhöhe auf dem Vokal /a/ nach oben führten [1], [2]. Die Frage, ob sich diese Veränderungen auch bei anderen Vokalkonditionen mit tieferen ersten Formanten nachweisen lassen, ist noch ungeklärt.

Material und Methoden: Zwei international bekannte, klassische Tenöre (ein lyrischer, ein dramatischer) wurden hinsichtlich Veränderungen des Vokaltraktes mit dem Real-Time-MRT untersucht. Sie wurden aufgefordert, eine aufsteigende Tonleiter über die Passaggioregion hinweg mit der Voix mixte bzw. mit Übergang in das Falsett auf den Vokalen /a, e, i, o, u, ae/ zu singen.

Ergebnisse: Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass es zu deutlichen Änderungen des Vokaltraktes bei gleicher Tonhöhe zwischen dem Falsett und der Voix mixte kommt. Die Vokaltraktkonfiguration ist hierbei unterschiedlich bei den verschiedenen Vokalkonditionen. Gleichwohl zeigen sich auch systematische Änderungen (z.B. erhöhte Lippen- und Kieferöffnung) unabhängig von der Vokalkondition.

Diskussion: Das Singen in hohen Tonhöhen zeigt deutliche Konfigurationssänderungen des Vokaltraktes nicht nur in Abhängigkeit des gewählten Registers, sondern auch in Abhängigkeit verschiedener Vokalkonditionen.


Text

Einleitung

Die Rolle des Vokaltraktes bei Änderung von Stimmregistern ist nach wie vor unklar. In vorherigen Studien unserer Arbeitsgruppe wurden ein professioneller Bariton, sieben männliche Altisten und zehn professionelle Tenöre hinsichtlich Änderungen des Vokaltraktes in verschiedenen Registerkonditionen des Modalregisters und des Falsettregisters bzw. der Voix mixte mit einer dynamischen Echtzeit-Magnetresonanztomographie (MRT) untersucht [1], [2], [3]. Im Gegensatz zur Falsettfunktion zeigten sich bei professionellen Tenören starke Modifikationen des Vokaltraktes in der Funktion der Voix mixte [2]. Unsere bisherigen Untersuchungen wurden jeweils auf dem Vokal /a/ durchgeführt, um Einflüsse auf die Vokaltraktkonfiguration zu vermeiden, welche bei der Annäherung der Grundfrequenz an den ersten Formanten zu erwarten sind.

Gleichwohl nutzen einige Tenöre gerne den Vokal /i/, andere gerne den Vokal /a/ für die Überbrückung jener Region, in welcher normalerweise Registrierungen vorgenommen werden (Passaggioregion).

In der vorliegenden Studie soll untersucht werden, ob die in der vorherigen Messung gefundenen Modifikationen vokalabhängig sind.

Material und Methoden

Für diese Studie wurden 2 professionelle Tenöre untersucht, welche nicht Gegenstand der vorherigen Untersuchung [1], [2] waren. Beide Probanden zählen zu den weltweit führenden Tenören in ihrem jeweiligen Repertoire. Ein Tenor ist ein sehr leichter Tenor, welcher vor allem in Oratorien und Liedgesang auftritt. Im Opernrepertoir singt er vor allem lyrische Partien (z.B. Don Ottavio). Der andere Tenor ist ein jugendlich dramatischer Tenor mit Schwerpunkt im Opernfach (z.B. Tannhäuser, Parsifal, Stolzing). Keiner der Probanden klagte über Stimmbeschwerden. Mittels Videostroboskopie wurden organische Störungen der Stimmlippen bei beiden Probanden ausgeschlossen.

Die radiologische Untersuchung der beiden Probanden erfolgte mit dem 3.0 T TIM TRIO (Siemens, Deutschland) MRT-Gerät. Echtzeit MRT Aufnahmen wurden mit einer zeitlichen Auflösung von 8 Bildern pro Sekunde, wie zuvor beschrieben [2], [3], durchgeführt. Die Aufzeichnung und Auswertung des Tonsignals entsprach ebenfalls den vorhergehenden Untersuchungen [1], [2], [3], [4].

Beide Probanden wurden aufgefordert, eine diatonische Tonleiter vom C4 (261 Hz) bis zum A4 (440 Hz) auf den Vokalen /a,e,i,o,u / sowie auf /ae/ nach oben zu singen. Hierbei sollten die Probanden in einer ersten Kondition einen Registerwechsel vom Modalregister zum Falsettregister zwischen E4 und F4 vollziehen. In einer zweiten Kondition sollte die Stimme so über die Passaggioregion nach oben geführt werden, wie die Sänger es auf der Bühne praktizieren würden. Die Funktion der Bühnenstimme oberhalb des Passaggio wird im Folgenden als „Voix mixte“ bezeichnet.

Die Registerübergänge wurden von zwei Ratern während der Messung verifiziert.

In jedem einzelnen Bild der MRT-Sequenz wurden verschiedene Messungen durchgeführt. Die einzelnen Messdistanzen entsprechen den in den Voruntersuchungen [1], [2], [3], [4] festgelegten Distanzen und sind in Abbildung 1 [Abb. 1] angezeigt.

Ergebnisse und Diskussion

Wie zu erwarten zeigte sich eine größere Lippen- und Kieferöffnung bei Vokalen, welche einen hohen ersten Vokalformanten besitzen. Für den leichten Tenor waren deutliche Zunahme der Lippenöffnung und der Kieferöffnung in der Voix mixte im Vergleich zum Falsett nachweisbar. Ebenfalls wurden solche Unterschiede auch bei dem dramatischen Tenor festgestellt. Im Gegensatz zu dem dramatischen Tenor und zu den 10 Tenören der Voruntersuchung auf dem Vokal /a/ [2] zeigte sich jedoch bei dem leichten Tenor, dass die Lippenöffnung bei gegebener Kieferöffnung bei der Voix mixte kleiner war als beim Modalregister und dem Falsett, d.h. er schloss aktiv die Lippen bei Erreichen der oberen Tonhöhen in der Voix mixte (Abbildung 2 [Abb. 2], Abbildung 3 [Abb. 3]).

Gerade bei der Pharynxweite zeigte sich ein interessanter Unterschied zwischen den beiden verschiedenen Sängern: Der lyrische Tenor erhöhte bei allen Vokalen die Pharynxweite mit ansteigender Tonhöhe bei Sequenzen zur Voix mixte. Bei dem dramatischen Tenor war die Weite von den Vokalen abhängig. Bei Vokalen mit hohem ersten Formanten zeigte sich auch hier eine Erweiterung des Pharynx in der Voix mixte mit Erhöhung der Tonhöhe. Jedoch zeigte sich bei Vokalen mit niedrigem ersten Vokalformanten eine konträre Modifikation. Da durch Verengung des Pharynx mit einer Erhöhung des ersten Formanten zu rechnen ist und die Grundfrequenz bei dem Experiment die Region des ersten Vokalformanten erreicht, könnte dieses Verhalten möglicher Weise ein Hinweis für ein Formantentuning sein. Leider sind zur Verifikation dieser Annahme keine Formantenanalysen mittels inverser Filterung im MRT durch den Einfluss des Störgeräusches möglich.

Im Vergleich zu der vorherigen Untersuchung an 10 Tenören auf dem Vokal /a/ [2] zeigte sich lediglich bei dem leichten Tenor in der Voix mixte ein Anheben der Uvula für fast alle Vokalkonditionen. Der dramatische Tenor ließ im Gegensatz hierzu die Uvula sogar bei einigen Vokalkonditionen (/a,e,u/) absinken. Hierdurch entstand eine Öffnung zum Nasopharynx, was einen Einfluss auf die Formanten haben sollte. Wie groß ein solcher Einfluss ist, sollte in zukünftigen Experimenten untersucht werden.

Nahezu unabhängig von der Vokalkondition wurde bei dem dramatischen Tenor der Kehlkopf tiefer gehalten als im Falsett. Gleichwohl stieg er in der Voix mixte mit der Tonhöhe kontinuierlich an. Im Vergleich hierzu führte die Erhöhung der Tonhöhe bei dem leichten Tenor zu einem wirklichen Absenken des Kehlkopfes für die Vokalkonditionen /a,u,o/ in der Voix mixte. Ein ähnlicher „Drop down“ wurde auch für die Bühnenstimme männlicher Altisten für das Falsett beobachtet [3]. Möglicher Weise lässt sich hierdurch eine gewisse Ähnlichkeit der Voix mixte mit den Klangeigenschaften des Falsetts bei diesem Tenor erklären.


Literatur

1.
Echternach M, Sundberg J, Arndt S, Breyer T, Markl M, Schumacher M, Richter B. Vocal tract and register changes analysed by real time MRI in male professional singers – a pilot study. Logoped Phoniatr Vocol. 2008;33:67-73. DOI: 10.1080/14015430701875653 Externer Link
2.
Echternach M, Sundberg J, Markl M, Richter B. Professional Opera Tenors' Vocal Tract Configurations in Registers. Folia Phoniatr Logop. 28;62(6):278-87. DOI: 10.1159/000312668 Externer Link
3.
Echternach M, Traser L, Markl M, Richter B. Die Konfiguration des Vokaltraktes in Registerfunktionen bei professionellen männlichen Altisten. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte. 2009:93-7. Available from: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2009/09dgpp29.shtml Externer Link
4.
Echternach M, Sundberg J, Arndt S, Markl M, Schumacher M, Richter B. Vocal tract in female registers – a dynamic real-time MRI study. J Voice. 2010;24:133-9. DOI: 10.1016/j.jvoice.2008.06.004 Externer Link