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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Akuter bilateraler Hörverlust bei Hyperleukozytose im Rahmen einer akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL)

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Julia Gekeler - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Uniklinik Köln, Deutschland
  • author Astrid Foerst - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Uniklinik Köln, Deutschland
  • author Martin Walger - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Uniklinik Köln, Deutschland
  • author Friederike Körber - Institut und Poliklinik für Radiologische Diagnostik, Uniklinik Köln, Deutschland
  • author Matthias Fischer - Klinik und Poliklinik für Allgemeine Kinderheilkunde, Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Uniklinik Köln, Deutschland
  • author Ruth Lang-Roth - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Uniklinik Köln, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV07

doi: 10.3205/10dgpp10, urn:nbn:de:0183-10dgpp105

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Gekeler et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Ein akuter beidseitiger Hörverlust ist ein seltenes klinisches Erscheinungsbild einer ALL. Fallberichte leukämischer Infiltrationen des Mittelohres und Otitis externa-bedingte Hörstörungen sind beschrieben. Ein 12-jähriger Junge mit Hyperleukozytose bei Erstdiagnose einer ALL wurde uns mit akuter hochgradiger Hörstörung vorgestellt.

Material und Methoden: Im Verlauf zeigten sich bei nachweisbaren TEOAE schwankende Hörschwellen zwischen 30 und 70 dB sowie ein eingeschränktes Sprachverständnis. Zum Ausschluss einer zentralen Genese veranlassten wir neben der Bildgebung die Registrierung der FAEP und SAEP bei differenzialdiagnostischem Verdacht einer psychogenen Hörstörung.

Ergebnisse: Im MRT war eine Perfusionsstörung mit nachfolgender beidseitiger Einblutung im Bereich der Vierhügelplatte zu sehen. Die Registrierung evozierter Potenziale wurde am 13. Tag bei bereits leicht verbessertem subjektiven Hörvermögen durchgeführt. Die FAEP waren rechts ab 20 und links ab 10 dB HL nachweisbar. Die zentrale Welle Jewett V der FAEP war jedoch ebenso wie die Potenzialmuster der SAEP pathologisch verändert.

Die Zirkulationsstörung mit Einblutung in die Vierhügelplatte durch die Hyperleukozytose (>900 000/µl) war für die Hörstörung verantwortlich, die sich unter Leukapherese und Chemotherapie rasch wieder normalisierte.

Diskussion: Insbesondere bei onkologischen Patienten sollten auffällige Befundkonstellationen der subjektiven Audiometrie immer durch die objektive zentrale Hördiagnostik und die Bildgebung weiter abgeklärt werden.


Text

Einleitung

Ein akuter beidseitiger Hörverlust ist ein seltenes klinisches Erscheinungsbild im Rahmen der Erstdiagnose einer Leukämie. Wir berichten über einen akuten bilateralen, zentralen Hörverlust im Rahmen der Erstdiagnose einer akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) mit ausgeprägter Hyperleukozytose. Ziel dieses Fallberichtes ist es auf die seltene Möglichkeit einer zentralen Hörstörung hinzuweisen.

Fallbericht

Bei einem 12-jährigen Jungen mit akuter lymphoblastischer Leukämie und Hyperleukozytose von >900.000/L wurde auf der onkologischen Station eine Taubheit bds. festgestellt. Es bestand zunächst keine Transportfähigkeit, sodass vorerst nur eine orientierende Untersuchung und Hörprüfung am Krankenbett durchgeführt werden konnte. Der otoskopische Befund war unauffällig und im Gespräch mit dem Patienten stellte sich der V.a. eine beidseitige Ertaubung ohne Hinweis auf Gleichgewichtsstörungen. Es wurde ein Innenohrinfarkt durch ein thrombotisches Geschehen im Rahmen der bestehenden Hyperleukozytose vermutet. Die betreuenden Kinderonkologen leiteten unverzüglich eine Behandlung (Hämapherese, hochdosierte Cortisontherapie, Chemotherapie) ein.

Am 5. Tag nach Therapiebeginn konnte erstmalig die Diagnostik in der HNO-Klinik erfolgen. Das Hören hatte sich subjektiv etwas verbessert. Die Angaben über die Hörschwelle im Tonaudiogramm waren schwankend und lagen zwischen 30 und 70 dB. Im Freiburger Sprachtest zeigte sich eine deutlich eingeschränkte Sprachverständlichkeit mit unsicheren Angaben. Die TEOAE waren rechts zwischen 0,4 und 4 kHz und links zwischen 1,0 und 4,0 kHz nachweisbar. In der orientierenden Vestibularisprüfung waren kein Spontan- und kein Provokationsnystagmus nachweisbar. Bei differenzialdiagnostischem Verdacht einer psychogenen Hörstörung wurde zum Ausschluss einer zentralen Genese eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes mit Kontrastmittel (KM) und die Registrierung der frühen und späten akustisch evozierten Potenziale (FAEP und SAEP) veranlasst. Im MRT fand sich ein pathologischer Befund vereinbar mit Perfusionsstörungen bei erhöhtem Hämatokrit und nachfolgenden Einblutungen bds. im periventrikulären Marklager, sowie im Bereich der Vierhügelplatte korrelierend mit dem Verlauf der Hörbahn.

In der BERA und CERA am 13. Tag nach Erstvorstellung waren die FAEP- Muster rechts ab 20 dBHL und links ab 10 dBHL im 2–4 kHz-Bereich nachweisbar. Die Welle Jewett V war wie die Potenzialmuster der SAEP schwach ausgeprägt, die Interpeaklatenzen der FAEP bds. verzögert und die Synchronisation ebenfalls beidseits schwach ausgeprägt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das subjektive Hörvermögen weiter verbessert und die Hörschwelle lag bei 25 dB pantonal beidseits. Die TEOAE waren weiterhin nachweisbar.

Vier Wochen nach Erstvorstellung war die Hörschwelle seitengetrennt um 20 dB pantonal mit subjektiv normalisiertem Hörvermögen. Die Kontroll-BERA ca. acht Wochen nach Erstvorstellung zeigte weiterhin eine schwach ausgeprägte Welle V, die späten kortikalen Potenziale waren im überschwelligen Bereich rechts weiterhin schwach ausgeprägt, links jedoch inzwischen normal. Im Tonaudiogramm lag die Hörschwelle bds. um 10 dB.

Leider verstarb der Patient vier Monate nach Erstdiagnose der ALL in der Aplasie. Bis dahin trat kein weiterer Hörverlust auf.

Diskussion

In der Literatur werden Beteiligungen des Ohres im Rahmen einer akuten oder chronischen Leukämie schon lange beschrieben. Druss [2] beschrieb Manifestationen im Bereich des Ohres bei akuten und chronischen Leukämien mit einer Häufigkeit von etwa 16,8%. Das Auftreten eines akuten bilateralen Hörverlustes als Erstmanifestation einer Leukämie ist sehr selten [6], [3], [5]. Oft sind die Beteiligungen des Ohres mit Blutungen, Tumorinfiltration oder Infektionen verbunden [7], [4]. Baer et al. [1] berichten über den bilateralen Hörverlust eines Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) und Hyperleukozytose, der sich nach Leukapherese besserte. Eine Topodiagnostik durch MRT oder BERA erfolgte nicht. Sie analysierten retrospektiv 210 Patienten mit CLL und fanden in 16 Fällen das Vorliegen einer Hyperleukozytose, darunter jedoch nur drei symptomatische Patienten mit Hyperviskositätssyndrom. Es gibt nur wenige neuere Fallberichte mit weitergehender Diagnostik wie die Messung der FAEP-Muster oder der Durchführung eines MRT-Kopf [8], [9].

In unserem Fall kam es am ehesten im Rahmen der ausgeprägten Hyperleukozytose (>900 x109 /µl) zu einer Zirkulationsstörung mit Einblutung im Bereich der Vierhügelplatte beidseits, welche im MRT erkennbar war. Diese kann als für die zentrale Hörstörung verantwortlich angesehen werden und erklärt auch die erhaltenen otoakustischen Emissionen. Die Hyperleukozytose normalisierte sich unter Leukapherese und Chemotherapie rasch wieder und es kam wieder zu einer langsamen Normalisierung des Hörens.

Fazit

Insbesondere bei onkologischen Patienten sollten diskrepante Befunde immer durch die objektive zentrale Hördiagnostik und die Bildgebung weiter abgeklärt werden um zentrale Ursachen auszuschließen bzw. erkennen zu können.


Literatur

1.
Baer RM, Stein RS Dessypris EN. Chronic lymphocytic leukemia with hyper-leukocytosis: The hyperviscosity syndrome. Cancer. 1985;56:2865-9. DOI: 10.1002/1097-0142(19851215)56:12<2865::AID-CNCR2820561225>3.0.CO;2-6 Externer Link
2.
Druss J. Aural manifestations of leukemia. Arch Otolaryngology. 1945;42:267.
3.
Genden EM, Bahadori RS. Bilateral sensorineural hearing loss as a first symptom of chronic myelogenous leukemia. Otolaryngol Head Neck Surg. 1995;113(4):499-501. DOI: 10.1016/S0194-5998(95)70095-1 Externer Link
4.
Gotay V. Unusual otological manifestations of chronic lymphocytic leukemia. Laryngoscope. 1976;86:1856-63.
5.
Harada T, Namiki S, Kawabata I. Acute profound sensorineural hearing loss as the initial manifestation of acute leukemia – report of a case. Auris Nasus Larynx. 2000;27:359-62. DOI: 10.1016/S0385-8146(99)00074-7 Externer Link
6.
Nageris B, Or R, Hardan I, Polliack A. Sudden onset deafness as a presenting manifestation of chronic lymphocytic leukemia. Leukemia and Lymphoma. 1993;9:269-71. DOI: 10.3109/10428199309147381 Externer Link
7.
Paparella MM, Beringer NT, Oda M, Fiky FE. Otological manifestations of leukemia. Laryngoscope. 1973;83:1510-26. DOI: 10.1288/00005537-197309000-00010 Externer Link
8.
Resende LSR, Coradazzi AL, Rocha-Júnior C, Zanini JM. Sudden bilateral deafness from Hyperleukocytosis in chronic myeloid leukemia. Acta Haematol. 2000;104:46-9. DOI: 10.1159/000041070 Externer Link
9.
Veling MC, Windmill I, Bumpous JM. Sudden hearing loss as a presenting manifestation of leukemia. Otolaryngol Head Neck Surg. 1999;120:954-6. DOI: 10.1016/S0194-5998(99)70349-9 Externer Link