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26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

11.09. - 13.09.2009, Leipzig

Elterliche Einschätzung der kindlichen Dysphonie 1 Jahr nach Erstkonsultation

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Eberhard Seifert - Abt. Phoniatrie, Universitäts-HNO-Klinik, Bern, Schweiz
  • Christine Schneider - Abt. Phoniatrie, Universitäts-HNO-Klinik, Bern, Schweiz
  • Luzia Bayard - Abt. Phoniatrie, Universitäts-HNO-Klinik, Bern, Schweiz
  • Marion Huber - Abt. Phoniatrie, Universitäts-HNO-Klinik, Bern, Schweiz
  • Alexander Zimmermann - Abt. Phoniatrie, Universitäts-HNO-Klinik, Bern, Schweiz
  • author Jürg Kollbrunner - Abt. Phoniatrie, Universitäts-HNO-Klinik, Bern, Schweiz

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 11.-13.09.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09dgppV27

doi: 10.3205/09dgpp40, urn:nbn:de:0183-09dgpp402

Veröffentlicht: 7. September 2009

© 2009 Seifert et al.
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Zusammenfassung

Von Oktober 2002 bis Juli 2007 wurde bei 106 Kindern im Alter von 3,5-14,4 Jahren (MW=8,3 J.) die Diagnose einer funktionellen kindlichen Dysphonie gestellt. Ca. 2 Wochen später fand ein Gespräch mit beiden Eltern (ohne Kind) statt. Zur Vorbereitung auf dieses Gespräch, in dem neben dem gemeinsamen Festlegen des weiterführenden Settings auch familiendynamische Elemente einen grossen Stellenwert besitzen, füllten die Eltern einen Fragebogen mit 60 Fragen zu 7 Bereichen familiärer Kommunikation aus.

Zur Verlaufsevaluation wurde der Fragebogen 1 Jahr nach der Erstkonsultation erneut an die Eltern verschickt. 48 Fragebögen wurden retourniert. Von diesen 48 Kindern hatten 13 eine logopädische Kurzintervention im Sinne einer Spieltherapie mit begleitenden Elterngesprächen von insgesamt bis zu 8 mal erhalten. 17 Kinder befanden sich bereits wegen einer Spracherwerbsstörung extern in logopädischer Therapie, 13 Familien hatten keine weitere Massnahme gewünscht.

Nach Angaben der Eltern ist die Heiserkeit in allen Gruppen regredient und Eltern wie Kinder fühlen sich durch die Dysphonie weniger gestört. In der Gruppe nach Kurzintervention wird in den Familien signifikant weniger über Distanz zugerufen, die Familie unternimmt mehr gemeinsam und das Kind ist körperlich entspannter als in den übrigen beiden Gruppen.

Bereits durch eine kurze und kostengünstige Therapieform lassen sich positive Auswirkungen nicht nur auf die Dysphonie, sondern auch auf das Zusammenleben der Familie verzeichnen.


Text

Einleitung

Stimmstörungen im Kindesalter können organisch bedingt sein, wie z. B. durch laryngeale Missbildungen, Stimmlippenlähmungen, Traumen etc. Weitaus häufiger sind jedoch die nicht-organischen oder funktionellen Dysphonien. Übereinstimmend wird eine Überbelastung der Stimme, der sogenannte „Stimmmissbrauch“ als verursachend angesehen [1]. Jedoch unterliegt nur eine kleine Gruppe dieser Kinder einer erhöhten stimmliche Aktivität z.B. als Solo- oder Chorsänger, so dass bei einem Großteil die Frage gestellt werden kann, warum das Kind meint, sich immer wieder lautstark und mit (Nach-)Druck äußern zu müssen. Die Stimmstörung lässt sich dann als Symptom eines zugrunde liegenden – wie auch immer gearteten – Konfliktes ansehen [2]. Diesem Gedanken versuchen wir, in unserer Abklärung und Therapie gerecht zu werden, so dass dem sozialen Umfeld des Kindes, der Familie, ein hoher Stellenwert zugesprochen wird.

Ziel dieser Untersuchung ist die Evaluation der elterlichen Einschätzung von Veränderungen der Stimme aber auch von Veränderungen im Verhalten des Kindes und im familiären Zusammenleben im Verlaufe eines Jahres nach der Erstkonsultation.

Material und Methode

Von Oktober 2002 bis Juli 2007 wurden 122 Kinder im Alter von 1,9–15,5 Jahren (MW = 8,4±3,0 J.), 39 Mädchen und 83 Jungen mit einer Dysphonie vorgestellt. Dabei fanden sich bei 6 Kindern (5%) eine organische Ursache (1 Hämangiom, 1 Larynxtrauma, 1 Stimmlippenlähmung, 3 Stimmlippenzysten). Vier Kinder wiesen eine psychogene Genese auf (3 psychogene Aphonien, 1 Mutationsstimmstörung). Bei 6 Kindern ließ sich der Larynx nicht konklusiv einsehen. Eine weitergehende Diagnostik (Laryngoskopie in Sedierung) wurde von den Eltern aber abgelehnt.

Somit konnte bei 106 Patienten (34 Mädchen, 72 Jungen) die Diagnose einer funktionellen kindlichen Dysphonie gestellt werden. Dabei zeigten sich bei 81 Kindern (76%) Stimmlippenverdickungen.

Die Abklärung einer kindlichen Dysphonie beinhaltet in Bern zwei Konsultationen. Der erste Termin beginnt mit dem Gespräch und der Befunderhebung bei der Logopädin, gefolgt von der auditiven Einschätzung der Stimme nach der RBH-Einteilung, der Stimmfeldmessung und der Bestimmung von Irregularität und Rauschen eines ausgehaltenen Vokals (lingWAVES, WevoSys, Erlangen). Nach dem Audiogramm findet die ärztliche Anamnese sowie die Videolaryngostroboskopie statt.

Die 2. Konsultation, etwa 2 Wochen später, besteht aus einem Gespräch mit möglichst beiden Eltern. Zur Vorbereitung auf dieses Gespräch, in dem neben dem gemeinsamen Festlegen einer eventuellen weiterführenden Therapie insbesondere auch familiendynamische Elemente thematisiert werden, füllen die Eltern einen Fragebogen mit 60 Fragen zu 7 Bereichen familiärer Kommunikation aus (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Zur Verlaufsevaluation wurde der Fragebogen 1 Jahr nach der Erstkonsultation erneut an die Eltern verschickt. 48 Fragebögen (45%) wurden retourniert. Von diesen 48 Kindern hatten 13 eine logopädische Kurzintervention im Sinne einer familiendynamisch orientierten Spieltherapie mit begleitenden Elterngesprächen von insgesamt bis zu 8 mal erhalten. Wegen einer Spracherwerbsstörung waren 17 Kinder schon vor der Erstkonsultation extern in logopädischer Therapie, diese war fortgesetzt worden. Fünf Kinder erhielten andere Therapieformen (Psychotherapie, Heilpädagogik, alleinige Elternberatung, PPI-Therapie), 13 Familien wünschten keine weiteren Maßnahmen.

Ergebnisse

Nach Angaben der Eltern ist die Heiserkeit in allen Therapiegruppen regredient (p=0.001) und Eltern wie Kinder fühlen sich durch die Dysphonie weniger gestört (p=0.043; p=0.004). Auch wird zu Hause weniger über Distanz zugerufen (p=0.01). Die Mutter spricht weniger (p=0.006) und das Kind kann sich genauer ausdrücken (p=0.004).

Vergleicht man die Veränderungen ein Jahr nach der Diagnosestellung in Abhängigkeit von der Therapieform, so vermerken die Eltern der Kurzinterventions-Gruppe, dass das Kind entspannter geworden ist (p=0.025), die Familie mehr gemeinsam unternimmt (p=0.039) und familiäre Harmonie weniger wichtig geworden ist.

Besonders auffällig ist der Unterschied zwischen den Gruppen der konventionellen logopädischen Sprach-Stimmtherapie und der Kurzintervention bei den Items „Wenn das Kind weint, erträgt die Mutter das (sehr gut ... gar nicht)“ und „Wenn das Kind schreit, erträgt die Mutter das (sehr gut ... gar nicht)“. In der Gruppe der konventionellen Therapie erträgt es die Mutter besser, in der Gruppe nach Kurzintervention erträgt sie es schlechter (p=0.001; p=0.018).

Diskussion

Unabhängig von der Therapieform geben die Eltern 1 Jahr nach der Diagnosestellung an, die Heiserkeit des Kindes sei regredient. Diese Aussage ist als Absolutum zwar nur mit Einschränkungen verwertbar, da kein Expertenurteil vorliegt; die Bedeutung liegt vielmehr darin, dass rein symptombezogen keines der Therapieverfahren den anderen als überlegen angegeben wird. Durch die auf familiendynamischem Hintergrund beruhende Kurzintervention haben wir aber die Möglichkeit, den Kindern mehr als nur ein „Umlernen“ der Stimme anzubieten. Das Kommunikationsverhalten in der Familie ändert sich, verbale Auseinandersetzungen, die nun eher inhaltlich und weniger über die Lautstärke vorgenommen werden, gewinnen eine andere Bedeutung. Der Druck auf das Kind lässt nach, es wird entspannter. Während die Mutter nach der konventionellen Therapie auf laute Äußerungen des Kindes eher weniger zu reagieren scheint (sie erträgt sie besser), ist die Mutter der Kurzinterventionsgruppe darauf sensibilisiert und nimmt diese Äußerungen verstärkt wahr. Nicht nur die Kommunikation in der Familie scheint eine andere Qualität zu gewinnen, häufigere gemeinsame Aktivitäten bieten die Chance, sich im positiven Sinne auseinanderzusetzen.

In dieser Studie zeigt sich die Kurzintervention mit familiendynamischem Hintergrund einer konventionellen Therapie überlegen, denn durch diese kurze und kostengünstige Therapieform lassen sich positive Auswirkungen nicht nur auf die Dysphonie, sondern auch auf das Zusammenleben der Familie verzeichnen.


Literatur

1.
De Bodt MS, Keteslagers K, Peeters T, et al. Evolution of Vocal Fold Nodules from Childhood to Adolescence. J Voice. 20;21:151-56.
2.
Kollbrunner J. Funktionelle Dysphonien bei Kindern. Idstein: Schulz-Kirchner; 2006.