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26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

11.09. - 13.09.2009, Leipzig

Analyse der Deformationseigenschaften exzidierter humaner Stimmlippen mittels optischer Stereo-Triangulation

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Björn Hüttner - Phoniatrische und Pädaudiologische Abteilung in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Erlangen, Deutschland
  • author Alexander Sutor - Lehrstuhl für Sensorik, Erlangen, Deutschland
  • author Georg Luegmair - Phoniatrische und Pädaudiologische Abteilung in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Erlangen, Deutschland
  • author Ulrich Eysholdt - Phoniatrische und Pädaudiologische Abteilung in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Erlangen, Deutschland
  • author Michael Döllinger - Phoniatrische und Pädaudiologische Abteilung in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Erlangen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 11.-13.09.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09dgppV18

doi: 10.3205/09dgpp27, urn:nbn:de:0183-09dgpp276

Veröffentlicht: 7. September 2009

© 2009 Hüttner et al.
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Zusammenfassung

Die bei der Phonation auftretenden Stimmlippenschwingungen lassen sich im Luftkanal an künstlichen Stimmlippen simulieren. Für eine realitätsnahe Dynamik müssen die Materialeigenschaften der künstlichen und menschlichen Stimmlippen aneinander angepasst werden.

Die elastischen Eigenschaften der Stimmlippen werden in statischen Zugversuchen an exzidierten humanen Halb-Kehlköpfen (Sagittal-Schnitt) vermessen. Über Fäden und angehängte Gewichte werden Zugkräfte auf die Stimmlippenoberfläche ausgeübt. Um die Gewebedeformationen zu bestimmen, werden Positionsmarker, welche auf die Stimmlippe aufgenäht sind, mit zwei Digitalkameras aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen. Mittels Stereo-Triangulation werden die 3D-Koordinaten der Marker aus den beiden 2D-Bildern rekonstruiert [1]. Dies ermöglicht eine präzise metrische Bestimmung der Stimmlippendeformationen.

Im Experiment wurden Auslenkungen der Stimmlippenoberfläche von maximal 4mm bei angehängten Gewichten bis zu 50g beobachtet. Die Rekonstruktion wurde mit 100μm Rastern überprüft und ergab einen absoluten Messfehler von max. 20μm.

Die Ergebnisse fließen als Vorgaben für die Materialeigenschaften in den Bau von Silikonstimmlippen ein. Diese weisen dadurch eine annähernd identische Dynamik wie humane Stimmlippen auf. Die hergestellten künstlichen Stimmlippen werden in einem Luftkanal angeregt und die Dynamik sowie das Strömungsfeld analysiert [2].


Text

Einleitung

Das primäre Stimmsignal wird im Kehlkopf durch Oszillationen der Stimmlippen erzeugt. Die Schwingungen lassen sich im Luftkanal mit Hilfe künstlicher Silikonstimmlippen simulieren. Um den Simulationen eine realitätsnahe Dynamik zu verleihen, müssen die Materialeigenschaften der künstlichen Stimmlippen an die der humanen Vorbilder angepasst werden. Dazu wird hier ein neuer Versuchsaufbau vorgestellt. Er erlaubt die Bestimmung von Materialeigenschaften menschlicher Stimmlippen anhand von statischen Zugversuchen an exzidierten humanen Halb-Kehlköpfen. Die Stimmlippe wird hierbei durch eingeleitete Zugkräfte deformiert. Die Analyse der Auslenkungen erlaubt Rückschlüsse auf die Materialparameter des menschlichen Gewebes.

Material und Methoden

Die Versuche finden an humanen Stimmlippen statt, die aus Leichenkehlköpfen entnommen werden. Die Kehlköpfe werden nach der Entnahme in flüssigem Stickstoff schockgefroren und anschließend bis zur Verwendung in einer Kühltruhe (–20°C) gelagert. Das Auftauen der Kehlköpfe erfolgt einen Tag vor der Präparation in einem Kühlschrank in einer Kochsalzlösung. Vom Kehlkopf werden dann per Sagittalschnitt die Hälfte des Schildknorpels sowie die daran befindlichen Weichteile abpräpariert. Der so entstandene Hemi-Larynx ermöglicht eine freie Sicht auf die verbleibende freigelegte Stimmlippe. Die Luftröhre wird auf ca. 2 cm Länge gekürzt, bleibt aber – ebenso wie der Ringknorpel – bestehen. Auf die freigelegte Stimmlippe werden mit OP-Faden („Ethilon 9.0“) 5 x 6 Punkte in einem regelmäßigen Gitter aufgenäht, welche als Positionsmarker dienen. Die Marker der obersten Reihe werden zusätzlich als Angriffspunkte für die eingeleiteten Zugkräfte genutzt, welche über Fäden und angehängte Gewichte erzeugt werden. Die Auslenkungen erfolgen vertikal nach oben bei angehängten Massen von 10 g, 20 g, 50 g und 100 g. Am Anfang einer jeden Versuchsreihe wird die Stimmlippe als Referenz im unbelasteten Zustand vermessen. Die Bestimmung der Gewebedeformationen erfolgt über die Analyse der Lageveränderung der Positionsmarker. Dazu werden mit zwei Digitalkameras Bilder aus zwei verschiedenen Perspektiven aufgenommen. Mittels des kontaktfreien Verfahrens der optischen Stereo-Triangulation werden die 3D-Koordinaten der aufgenähten Punkte aus den beiden 2D-Bildern rekonstruiert [1]. Der Vergleich der Markerpositionen vor und nach der Belastung ermöglicht eine präzise metrische Bestimmung der Stimmlippendeformationen in Abhängigkeit der Masse des angehängten Gewichts.

Ergebnisse

In den Versuchen wurden die Auslenkungen von drei menschlichen Stimmlippen untersucht (männlich, Alter von 38–65 Jahren). Bei zwei Versuchen waren die Marker im Epithel eingenäht, bei einem Versuch im Muskel verankert. Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt beispielhaft ein Modell einer rekonstruierten Stimmlippenoberfläche. Im linken Bild (a) ist der unausgelenkte Zustand, im rechten Bild (b) der deformierte Zustand dargestellt. Die inneren schwarzen Punkte repräsentieren die 3D-Positionen der aufgenähten Marker. Die Randpunkte wurden mit Hilfe der Markerpunkte extrapoliert und bleiben zur Auswertung während der Auslenkung unverändert. Die Deformationen erhalten dadurch ein festes Bezugssystem. Der schwarze Kreis symbolisiert den Angriffspunkt des angehängten Gewichts (b). In Abbildung 2 [Abb. 2] ist die Auslenkung des mittleren Markers der obersten Reihe in Abhängigkeit der angehängten Masse graphisch dargestellt. Die Symbole repräsentieren die Messpunkte. Die durchgezogenen Linien stellen eine an die Messpunkte angenäherte Funktion dar. Als Näherung wurde

ƒ(x) = a · eb·x + c · edx

verwendet, womit sich alle vier Deformationen beschreiben lassen, unabhängig davon, in welcher Gewebeschicht die Marker eingenäht sind. Die Messungen zeigen ein nichtlineares Verhalten der Stimmlippendeformationen.

Diskussion

Die Deformationseigenschaften menschlicher Stimmlippen wurden mittels vertikaler Zugversuche untersucht. Es lässt sich ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen eingeleiteter Kraft und Auslenkung erkennen. Dies gilt sowohl für die Deformationen des Epithels als auch für die des Muskels. Für kleine Kräfte können die Auslenkungen von Epithel und Muskel linear genähert werden [2]. Erst bei angehängten Massen von mehr als 20 g treten nichtlineare Effekte in Erscheinung, was zum Abflachen der angenäherten Kurven führt. Abbildung 2 [Abb. 2] zeigt, dass das Muskelgewebe eine höhere Steifigkeit als das Epithel aufweist, da dort die Auslenkung bei gleicher Gewichtskraft geringer ausfällt. Die Ergebnisse bestätigen die Studie von Alipour und Titze [2], deren longitudinale Zugversuche an kaninen Stimmlippen ähnliche Tendenzen aufweisen. Die Auslenkungen der Hundestimmlippen zeigen ebenfalls ein nichtlineares Verhalten, sowohl für Deformationen des Epithels als auch des Muskels. Ebenso zeigen ihre Ergebnisse eine lineare Näherung für kleine Auslenkungen des Gewebes. Um genauere und aussagekräftigere Vergleiche zwischen den einerseits menschlichen und kaninen und andererseits vertikalen, lateralen und longitudinalen Ergebnissen zu erhalten, müssen weitere Zugversuche durchgeführt werden. Aus dem gewonnenen Verhältnis zwischen Auslenkung und angehängtem Gewicht lassen sich die Materialparameter des menschlichen Stimmlippengewebes berechnen. Diese Daten werden für den Bau von künstlichen Silikonstimmlippen verwendet um deren Dynamik an die von menschlichen Stimmlippen anzupassen. Danach werden diese im Strömungskanal zum Schwingen angeregt, um das erzeugte Strömungsfeld zu untersuchen [3].


Literatur

1.
Schreer O. Stereoanalyse und Bildsynthese. Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 2005.
2.
Alipoiur F, Titze I. Elastic models of vocal fold tissues. J Acoust Soc Am. 1991;90(3):1326-31.
3.
Becker S, Kniesburges S, Mueller S, Delgado A. Flow-structure-acoustic interaction in a human voice model. J Acoust Soc Am. 2009;125:1351-61.