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26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

11.09. - 13.09.2009, Leipzig

Selbst- und Fremdbeurteilung der Gesprächsführung von Medizinstudierenden mit hörgestörten Patienten

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Dirk Deuster - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Claus-Michael Schmidt - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Peter Matulat - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Arne Knief - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 11.-13.09.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09dgppV13

doi: 10.3205/09dgpp21, urn:nbn:de:0183-09dgpp211

Veröffentlicht: 7. September 2009

© 2009 Deuster et al.
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Zusammenfassung

Das Führen von Patientengesprächen ist eine basale ärztliche Fertigkeit, die Gesprächsführung mit schwerhörigen Patienten bedarf spezieller Fertigkeiten.

Seit 2008 führen Studierende im 8. Semester Gespräche mit erwachsenen CI-Patienten mit der Aufgabe, eine Anamnese zu erheben oder einen Sachverhalt zu erklären. Voraus gehen moderierte Gruppenarbeiten zur Erarbeitung der Gesprächsstrategie. In bisher 20 Gruppen fanden insgesamt 28 Gespräche statt. Die Gesprächsführung wurde mittels Fragebogen aus 6 allgemeinen und 4 hörspezifischen Fragen (Likertskala, min.1 bis max. 9) durch die Gesprächs-führenden Studierenden und Patienten, beobachtenden Studierenden und 3 Experten geratet.

Die mittleren Bewertungen jeder Ratinggruppe lagen in allen Fragen >6. Die Gesprächs-führenden Studierenden rateten die Gespräche in allen Fragen im Mittel schlechter als Patienten und beobachtende Studierende, in 9 Fragen signifikant (T-Test; Patienten: p≤0.013, Beobachter: p≤0.027). Das Expertenrating lag zwischen Selbsteinschätzung und Einschätzung durch Patienten und Beobachter. Die Erklärung eines Sachverhaltes rateten Patienten schlechter als das Anamnesegespräch, in „Verwendung verständlicher Begriffe“ signifikant (p=0.023).

Studierende konnten nach unterstützter Vorbereitung angemessen Gespräche mit Schwerhörigen führen, die Fremdbeurteilung der Gesprächsführung fiel positiver als die Selbstbeurteilung aus. Patienten rateten Gespräche, die ein genaueres Verstehen von ihnen erforderten, schlechter.


Text

Einleitung

Hörstörungen bei Kindern gehören zu den häufigsten angeborenen Erkrankungen und erworbene Hörverluste zeigen sich mit zunehmenden Alter fast bei allen Menschen mit Unterschieden in der Ausprägung. Die Wahrscheinlichkeit, mit hörgestörten Patienten kommunizieren zu müssen, ist daher für alle klinisch tätigen Ärzte unabhängig von der Spezialisierung hoch. Während dem Erlernen von Gesprächstechniken für das Arzt-Patientengespräch im Medizinstudium zunehmend Platz eingeräumt wird, fehlt die Vermittlung spezifischer Fertigkeiten der Gesprächsführung mit schwerhörigen Patienten. Ein besonderes Problem beim Gespräch mit hörgestörten Patienten für den wenig erfahrenen Arzt bzw. Studierenden ist die eigene Fehleinschätzung der Qualität der eigenen Gesprächsführung, wenn der Patient kaum Strategien zur Sprachverständnissicherung zeigt. Fehlendes Nachfragen wird als gutes Verstehen fehlinterpretiert und ein aktives Nachfragen des Arztes unterbleibt.

Methode

Aufbau des Praktikums: Seit 2008 führen Studierende im 8. Fachsemester im Rahmen des Phoniatrie-Pädaudiologie-Praktikums Gespräche mit erwachsenen CI-Patienten mit der Aufgabe, eine Anamnese zu erheben oder einen Sachverhalt zu erklären. Jede Praktikumsgruppe, die aus 10–14 Studierenden besteht, teilt sich in 2 Gruppen auf und hat 10 Minuten Zeit, entweder eine Strategie für ein Anamnesegespräch zu entwickeln („Anamnesegruppe“) oder einen kurzen Text über die Schwierigkeiten einer Hörgeräteversorgung bei hochgradiger Schwerhörigkeit zu lesen und patientengerecht aufzuarbeiten („Erklärungsgruppe“). Die Gespräche mit einer Gesamtdauer von maximal 25 Minuten finden in einem Nachbarraum durch je einen Studierenden einer Gruppe statt und werden in den Seminarraum übertragen und aufgezeichnet.

Evaluation des Gesprächs: Nach dem Gespräch füllen Patienten und Studierende (=Gesprächsführende) einen Fragebogen aus, der die Kommunikation zwischen Arzt und Patient bewertet (s. Abbildung 1 [Abb. 1]). Sechs Fragen wurden dem Patientenfragebogen „The Art of Medicine Survey“ entnommen [1], erweitert um vier Fragen, die speziell die Bedürfnisse schwerhöriger Patienten betreffen (akustische Verständlichkeit, Sprechlautstärke und -deutlichkeit und Blickkontakt).

Zusätzlich wurden die letzten 18 Gespräche anhand der Videoaufnahmen durch 3 Experten, die letzten 12 auch durch die Studierenden, die im Seminarraum der Videoübertragung des Gesprächs folgten (=Beobachter), beurteilt. Bei den Experten handelte es sich um je einen Arzt, Psychologen und Physiker, alle mit langjähriger Erfahrung in der Patientenversorgung schwerhöriger Patienten.

Ergebnisse

In bisher 20 Praktikumsgruppen fanden insgesamt 28 Gespräche statt. Da die aktive Teilnahme an den Patientengesprächen freiwillig war, wurden nicht in allen Gruppen Anamnese- und Erklärungsgespräche durchgeführt; in einigen Praktikumsgruppen teilten sich 2 Studierende ein Anamnesegespräch, in anderen Gruppen fand nur ein einzelnes Gespräch statt. Insgesamt wurden 17 Anamnesegespräche und 11 Erklärungsgespräche durchgeführt. Bis auf eine Ausnahme („Zufriedenheit mit dem Gespräch“ der Erklärungsgruppe, geratet durch die Experten) lagen die mittleren Bewertungen jeder Ratinggruppe in allen Fragen >6.

Mittelwertsvergleiche über alle Gespräche: Die Gesprächsführenden rateten die Gespräche in allen Fragen im Mittel schlechter als Patienten und Beobachter, in 9 Fragen (außer „inhaltlich verstanden“ bzw. „akustisch verständlich“) signifikant (T-Test; Patienten: p≤0.013, Beobachter: p≤0.027). Das Expertenrating lag in 6 Fragen zwischen Selbsteinschätzung und Einschätzung durch Patienten und Beobachter, in 3 Fragen („inhaltlich verstanden“, „Blickkontakt“ und „Zufriedenheit“) unterhalb der Beurteilung durch die übrigen Gruppen, allerdings waren die Unterschiede nicht signifikant. Signifikant schlechter im Vergleich zu den Experten rateten sich die Gesprächsführenden in den Fragen „verständliche Begriffe“ (p=0,009) und „angemessene Lautstärke“ (p=0,007).

Mittelwertsvergleiche der Anamnesegruppen: Die Gesprächsführenden rateten die Gespräche in allen Fragen im Mittel schlechter als die Patienten und Beobachter, in 8 bzw. 7 Fragen (außer „inhaltlich verstanden“ und „Blickkontakt“, bei den Beobachtern zusätzlich „akustisch verständlich“) signifikant (Patienten: p≤0.007, Beobachter: p≤0.002). Das Expertenrating lag in 7 Fragen zwischen Selbsteinschätzung und Einschätzung durch Patienten und Beobachter, in 2 Fragen („inhaltlich verstanden“ und „Blickkontakt““) unterhalb der Beurteilung durch die übrigen Gruppen, allerdings waren die Unterschiede nicht signifikant. Signifikant schlechter im Vergleich zu den Experten rateten sich die Gesprächsführenden in den Fragen „Höflichkeit“ (p=0,049), „verständliche Begriffe“ (p=0,007), „deutliches Sprechen“ (p=0,001) und „angemessene Lautstärke (p=0,001).

Mittelwertsvergleiche der Erklärungsgruppen: Die Gesprächsführenden rateten die Gespräche in allen Fragen im Mittel schlechter als die Beobachter, in den Fragen zu „Höflichkeit“, „inhaltlich verstanden“, „Eingehen auf Fragen“, „Vertrauen gewinnen“ und „Blickkontakt“ signifikant (p≤0,044). 2 Fragen („inhaltlich verständlich“ und „Vertrauen gewinnen“) rateten die Beobachter besser als die Patienten (ohne Signifikanz), ansonsten lag die Beurteilung der Beobachter zwischen der von Patienten und Gesprächsführenden. Die Experten rateten die Fragen „akustisch verständlich“, „deutliches Sprechen“ und „Zufriedenheit mit Gespräch“ schlechter als die Gesprächsführenden, allerdings waren die Unterschiede nicht signifikant.

Das Erklärungsgespräch rateten Patienten schlechter als das Anamnesegespräch, in „Verwendung verständlicher Begriffe“ (p=0.023) und „Vertrauen gewinnen“ (p=0,048) signifikant. Signifikant schlechter Bewerteten die Experten die Fragen „verständliche Begriffe“, „Vertrauen gewinnen“, „deutliches Sprechen“, „angemessene Lautstärke“ und „Zufriedenheit mit Gespräch“ der Erklärungsgruppe im Vergleich zur Anamnesegruppe.

Diskussion

Studierende konnten nach unterstützter Vorbereitung angemessen Gespräche mit Schwerhörigen führen, die Fremdbeurteilung der Gesprächsführung durch die Patienten und Beobachter fiel überraschenderweise in der überwiegenden Zahl der Fälle positiver als die Selbstbeurteilung aus. Ein Erklärungsmodell – neben der geringen Erfahrung der Studierenden in der Selbstbeurteilung – wäre, dass trotz der durch die Kamera verstärkten objektiven Selbstaufmerksamkeit eine hohe Konzentration auf den Patienten und weniger auf sich selbst notwendig war und dies die Selbstbeurteilung beeinträchtigt. Eine Überprüfung dieser Hypothese könnte mittels Selbstbeurteilung der Studierenden erst nach Präsentation der eigenen Videoaufnahme erfolgen.

Bei den Patienten handelte es sich um Personen, die lange Zeit, teilweise über Jahre durch unsere Klinik betreut werden; man kann nicht ausschließen, dass diese „Klinikverbundenheit“ ein Grund für die überaus positive Bewertung durch die Patienten sein kann bzw. zumindest zu einer von vorneherein positiven Grundeinstellung geführt hat. Das Erklärungsgespräch, das naturgemäß ein genaueres Verstehen von ihnen erforderte, wurde schlechter als das Anamnesegespräch beurteilt. Für zukünftige Untersuchungen wäre in diesem Zusammenhang eine objektive Überprüfung des Verständnisses durch ein Abfragen der Gesprächsinhalte interessant.

Die Experten bewerteten das Erklärungsgespräch in 5 Fragen signifikant schlechter als die Studierenden. Da die Studierenden im Erklärungsgespräch im Gegensatz zum Anamnesegespräch den deutlich höheren Redeanteil hatten, war die Beurteilung der Gesprächstechniken (verständliche Begriffe, deutliches Sprechen in angemessener Lautstärke) detaillierter und einfacher möglich. Den Experten fiel während ihrer Evaluation auf, dass das wichtige Kriterium „Gesprächslenkung“ fehlt. Besonders bei den Anamnesegesprächen fiel auf, dass die Patienten zeitweise die Gesprächsführung übernahmen und die Richtung des Gesprächs lenkten. Für zukünftige Untersuchungen ist daher eine Modifikation des Evaluationsbogens geplant.


Literatur

1.
Brown JB, Boles M, Mullooly JP, et al. Effect of clinician communication skills training on patient satisfaction. A randomized, controlled trial. Ann Intern Med. 1999;131:822–9.
2.
Stewart MA. Effective physician-patient communication and health outcomes: a review. CMAJ. 1995;152(9):1423-33.