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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Hördiagnostik früh geborener Kinder: Baseline und Follow-up

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  • corresponding author presenting/speaker Christiane Kiese-Himmel - Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland
  • Martin Koch - Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland
  • Saskia Schareyka - Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppP04

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2008/08dgpp25.shtml

Veröffentlicht: 27. August 2008

© 2008 Kiese-Himmel et al.
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Zusammenfassung

Weil Frühgeborene ein deutlich höheres Risiko für Hör- und Sprachstörungen haben, sollten in einem Follow-up peripheres Hören und Sprachentwicklung früh geborener Kinder zu den FAEP ihrer postnatalen BERA in Beziehung gesetzt werden.

Stichprobe und Methode: 39 Frühgeborene mit einem bestimmten Risikoprofil wurden postnatal (Min 33., Max 152. Lebenstag) einer Klick-BERA unterzogen; alle waren hörgesund (Schwelle bds 20 dB). Im 3. Lebensjahr wurden Ohranamnese, Ohrinspektion mit -mikroskopie durchgeführt, OAE abgeleitet und der aktuelle Sprachentwicklungsstand mit einem standardisierten Test (SETK-2) ermittelt. Der Zusammenhang zwischen dem Interpeakintervall der Wellen I-V (IPI in ms als Maß der neuronalen Reifung) und somatischen wie auch Sprachentwicklungsparametern wurde berechnet.

Ergebnisse: Es bestand kein statistisch signifikanter Zusammenhang von IPI und Geburtsgewicht bzw. Körperlänge bei Geburt, jedoch von IPI und den Gestationsaltern bei Geburt (-.43; p=0,02) resp. zum BERA-Zeitpunkt (-.61; p=0,0003). Je niedriger diese Alter waren, desto länger war das IPI. Zwischen IPI und Lebensalter bei Sprechbeginn (erste Worte; 2-Wort-Satz) bestand ebenso wenig ein Zusammenhang wie mit den gemessenen Sprachtestleistungen.

Fazit: Das IPI hing als Maß der neuronalen Reifung vom Gestationsalter ab, korrelierte jedoch nicht mit der Sprachentwicklung auf der Altersstufe 2 Jahre. Rezidivierende Otitiden und Paukenergüsse ließen sich als risikohaft für die Sprachentwicklung evaluieren.


Text

Hintergrund

Penner et al. [4] stellten an komplikationslos, gesunden Reifgeborenen eine signifikante Korrelation von Interpeakintervall (IPI) der Wellen I bis V der BERA-Ableitung im Alter von 6 Monaten und Satzverstehen mit 2;6 Jahren fest. Anliegen vorliegender Studie war zu untersuchen, ob eine Beziehung zwischen dem IPI I-V der postnatalen BERA Frühgeborener zu ihrem Hör- und Sprachstatus im 3. Lebensjahr besteht.

Methode

Die Eltern von 68 Frühgeborenen des Geburtsjahrgangs 1999 (UM Göttingen) – postnatal durch eine Klick-BERA untersucht (monaurale Reizung über Kopfhörer, 20/s bei einer Anfangsintensität von 70 dB absteigend; 2000 Klicks pro Ableitung) – mit einem der nach genannten Risikofaktoren (Geburtsgewicht <1500 g; ototoxische Medikation; Atemnotsyndrom mit der Notwendigkeit einer Langzeitbeatmung; Hirnblutungen; intrapartale Asphyxie) wurden mit Bitte um Nachuntersuchung im 3. Lebensjahr angeschrieben. Kinder mit Syndromen oder 2- oder mehrsprachigem Lebenskontext waren a priori ausgeschlossen worden. Im 3. Lebensjahr erfolgten eine pädaudiologische Untersuchung mit Ohranamnese, -inspektion inkl. Ohrmikroskopie, Ableitung von OAE sowie eine sprachentwicklungspsychologische Testdiagnostik (SETK-2). (1) Es wurde das Interpeaklatenzintervall der FAEP (IPI I-V in ms) als Indikator der Leitgeschwindigkeit der Hörbahn zu somatischen Geburtsparametern und dem Alter bei BERA-Ableitung in Beziehung gesetzt; (2) wurde untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen dem IPI und dem Hör- resp. Sprachentwicklungsstatus im Alter von 2 Jahren besteht.

Stichprobe

Die Response-Rate betrug 50%: 39 Frühgeborene (20 Jungen, 19 Mädchen). 19/39 Kinder waren Zwillinge, 6/39 Drillinge. Das mittl. Geburtsgewicht (GG) aller Kinder betrug 1342 (SD 408) Gramm (Min 390, Max 2590). Mädchen (1280 g) waren im Durchschnitt etwas leichter als Jungen (1400 g). Hinsichtl. ihres Geburtsgewichts (GG) verteilten sich die Kinder wie folgt:

  • <1000 n=5,
  • >1000-1500 n=23,
  • >1500-2000 n=9,
  • >2000 n=2.

Das mittl. Gestationsalter belief sich auf 30,5 (SD 2,4) Wochen, Min: 25 (extrem unreif), Max: 37, das der Mädchen war im Durchschnitt etwas kleiner (30,1; SD 2,0) als das der Jungen (30,9; SD 2,7).

Ergebnisse postnatal

Die Frühgeborenen – ab dem 2. bis <6. Lebensmonat mit der Klick-BERA untersucht (Min: 33., Max: 152. Lebenstag) – waren hörgesund (Hörschwelle bds 20 dB). Geburtsgewicht wie auch Körperlänge bei Geburt zeigten keinen signifikanten korrelativen Zusammenhang mit dem IPI I-V (r=-.27; r=-.35). Gestationsalter bei Geburt und IPI I-V korrelierten mäßig (r=-.43; p=0,02), Gestationsalter bei BERA und IPI I-V korrelierten stark (r=.-61; p=0,0003), d.h. es war umso länger, je jünger (unreifer) das Kind war.

Ergebnisse Follow-up

Alle Kinder nahmen an der Sprachentwicklungstestung im 3. Lebensjahr teil, 23 Kinder am pädaudiologischen Follow-up. Gem. Ohranamnese der ersten Lebensjahre u./o. pädaudiologischer Diagnostik wurden sie in 2 Gruppen eingeordnet: Unklare Hörsituation (n=5) vs. Normakusis (n=18). Das mittl. IPI I-V der postnatalen BERA von Kindern mit unklarer Hörsituation war mit 5,1 (SD 0,2) ms langsamer als das der Kinder mit Normakusis (M=4,78; SD 0,22; p=0,024). Zum Vergleich: Das IPI I-V 5 Tage alter Reifgeborener beträgt 4,83 (Küttner et al., 1991); für Kinder im Alter von >24 bis <36 Monaten beläuft es sich auf 4,14 bis 4,12 ms.

Der Sprechbeginn von 2-Wort-Sätzen – normalerweise bis zum 24. Monat (vgl. 97. Perzentile nach Brandt, 1983) war bei Kindern mit auffälliger Ohranamnese (Otitiden, Paukenergüsse) verzögert (M=26,7; SD 2,1; Mdn=26; Max=29 Monate). Sprechbeginn (erste Worte, 2-Wort-Satz) und IPI I-V aller wieder vorgestellter Kinder korrelierten nicht (.01; .03). SETK-2-Leistungen und IPI I-V waren ebenfalls nicht signifikant von Null verschieden.

Nicht jedes Kind vermochte alle Subtests des SETK-2 zu bearbeiten; Verstehensanforderungen (Wörter; Sätze) wurden eher geleistet als Produktionsaufgaben. Die „Satzproduktion“ gelang nur 27/39 Kindern. 22/39 Kinder befanden sich bzgl. ihres Lebensalters in der 1. Hälfte, 17 in der 2. Hälfte des 3. Lebensjahres. Ihr durchschnittliches GG unterschied sich nicht bedeutsam (1. Hälfte: 1363,41; SD 415,24 vs. 1314,71; SD 410,41). Kinder in der 2. Hälfte des 3. Lebensjahres zeigten bessere Sprachtestleistungen als jüngere.

Jungen und Mädchen unterschieden sich in ihren mittl. Leistungen statistisch nicht signifikant, wenngleich Mädchen in den Produktionsleistungen einen deutlich niedrigeren Mittelwert (bei durchschnittlich niedrigerem GG und Gestationsalter) hatten; ihre Satzproduktion war im Durchschnitt nicht mehr altersgemäß (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Weder Gestationsalter noch GG standen mit den Testergebnissen in einer statistisch signifikanten Beziehung, auch wenn Frühgeborene mit einem Gestationsalter ≤30 Wochen in allen Subtests (n=17 bis n=20 Ergebnisse) durchschnittlich niedrigere Leistungen aufwiesen als solche mit einem Gestationsalter >30 Wochen (n=13 bis n=18 Ergebnisse; n.s.).

Diskussion

Das IPI I-V der FAEP als Indikator für die neuronal reifungsabhängige Leitgeschwindigkeit der Hörbahn hängt vom Gestationsalter ab. Reifgeborene, gesunde, gem. ihres IPI I-V im Alter von 2 Monaten „BERA-langsame Kinder“ in der „German Language Development Study“ [4] hatten im Alter von 14 Monaten die Leitgeschwindigkeit von „BERA-schnellen Kindern“ erreicht. Vorliegende Befunde bei Frühgeborenen sprechen für eine weitgehende Reifung der Hörbahn im Hirnstamm, die bis zum 3. Geburtstag extrauterin nachreift. Auch in der Studie von Küttner et al. [3] hatten Gestationsalter, Geburtsgewicht sowie Apgar-Score Frühgeborener keinen Einfluss auf die FAEP.

Das IPI I-V stand in keiner statistisch korrelativen Beziehung zur Sprachentwicklung auf der Altersstufe 2 Jahre. Nur rezidivierende Otitiden und Paukenergüsse ließen sich als risikohaft für die Sprachentwicklung evaluieren – ein bekanntes Faktum. Auffällig waren bzw. werden möglicherweise eher die Frühgeborenen, die im 3. Lebensjahr noch nicht in der Lage waren, einen standardisierten Sprachtest für 2-Jährige zu bearbeiten.

Fazit

Das IPI I-V ist kein Biomarker für Sprachentwicklungsretardationen im 3. Lebensjahr, gemessen mit einem standardisierten Test. Vorliegende Ergebnisse vermögen aber nichts über den langfristigen Sprachentwicklungs-Outcome auszusagen.


Literatur

1.
Brandt I. Griffith Entwicklungsskalen (GES). Dtsche Bearbeitung. Weinheim, Basel: Beltz; 1983.
2.
Grimm H, Aktas M, Frevert S. Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder (SETK-2). Göttingen: Hogrefe: 2000.
3.
Küttner K, Kraußlach R, Baumann M. Zu Veränderungen des frühen-akustisch evozierten Potentials zwischen Frühgeborenenperiode, Säuglings- und Kleinkindesalter. HNO. 1991;39:32-6.
4.
Penner Z, Krügel C, Gross M, Hesse V. Sehr frühe Indikatoren von Spracherwerbsverzögerungen bei gesunden, normalhörenden Kindern. Frühförderung Interdisziplinär. 2006;25:37-48.
5.
Schareyka S. Hördiagnostik früh geborener Kinder: Baseline und Follow-up. Laufende Dissertation der Medizinischen Fakultät Georg-August-Universität Göttingen.