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Audiologischer Phänotyp und molekulargenetische Befunde bei Kindern mit auditorischer Neuropathie
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Veröffentlicht: | 27. August 2008 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Auditorische Neuropathien (AN) bezeichnen Hörminderungen mit zumindest initial intakter Funktion der äußeren Haarzellen bei gestörter neuronaler Weiterleitung akustischer Reize. Die Prävalenz wird zwischen 5 und 24% der sensorineuralen Schwerhörigkeiten angegeben. Man unterscheidet sekundäre Formen von monogenetisch bedingten Subtypen der AN. Bekannte Kandidatengene kodieren für Otoferlin (OTOF) sowie die Gap-junction-Proteine GJB 2, GJB3 und GJB6. Bei 8 schallempfindungsschwerhörigen Kindern mit pathologischer BERA und TEOAE (6 m, 2 w, mittleres Alter 8,2 ± 3,9 Jahre) führten wir Sequenzanalysen der o. g. Kandidatengene durch. Ziel war die Korrelation des audiologischen Phänotyps mit den molekulargenetischen Befunden. Bei vier Kindern fanden wir z. T. mehrfache Abweichungen von der genomischen OTOF-Sequenz (zwei Kinder mit 3 und 2 Kinder mit jeweils einer Abweichung). Bei einem Kind zeigte sich ein Basenaustausch im GJB2-Gen. Sämtliche Basenabweichungen sind nicht beschrieben. Von den 8 Sequenzabweichungen im OTOF-Gen führen 5 zum Austausch einer Aminosäure im Genprodukt; im Fall des GJB2-Gens gilt dies ebenfalls. Die Allelfrequenz der identifizierten Sequenzabweichungen wird in einem Kontrollkollektiv bestimmt. Die hohe Frequenz der Sequenzabweichungen lässt vermuten, dass die molekulargenetische Diagnostik bei vermuteter AN der diagnostischen Sicherheit dient und zum Verständnis der molekularen Grundlagen der AN beitragen kann.
Text
Einleitung
Auditorische Neuropathien (AN) bezeichnen Hörminderungen mit zumindest initial intakter Funktion der äußeren Haarzellen bei gestörter neuronaler Weiterleitung akustischer Reize. Die Prävalenz wird zwischen 5 und 24% der sensorineuralen Schwerhörigkeiten angegeben. Man unterscheidet sekundäre Formen von monogenetisch bedingten Subtypen der AN. Bekannte Kandidatengene kodieren für Otoferlin (OTOF) sowie die Gap-junction-Proteine GJB 2, GJB3 und GJB6 (Tabelle 1 [Tab. 1]).
Patienten und Methoden
Mittels audiologischer Charakterisierung identifizierten wir 8 Kinder (6 m, 2 w, mittleres Alter 8,15 ± 3,91 Jahre) mit AN sowie ein Kind mit AN in der Familie (m, 11,5 J.) und führten Sequenzanalysen der o. g. Kandidatengene durch. Ziel war die Korrelation des audiologischen Phänotyps mit den molekulargenetischen Befunden.
Ergebnisse
Audiologische Phänotypisierung
Bei 7 der 8 Kinder lag eine einseitige AN vor, bei einem Kind waren beide Seiten betroffen (Tabelle 2 [Tab. 2]). Alle Kinder zeigten eine pathologische Ton- und Sprachaudiometrie- Schwelle (0% SV bei 80 dB) bei nachweisbaren otoakustischen Emissionen sowie einer pathologischen BERA-Schwelle. Auf allen betroffenen Seiten waren keine Stapediusreflexe nachweisbar. Bei 6 der 8 AN-Kinder war die kontralaterale Suppression otoakustischer Emissionen (CAS) auffällig (≤0,6dB), bei einem Kind war der TEOAE-Pegel nicht ausreichend für diese Messung. Die Klick-BERA-Diagnostik wies bei allen betroffenen Seiten deutlich erhöhte Schwellen auf. Teilweise fanden wir atypische Potentialmuster und Synchronisationseffekte bei niedrigeren Pegeln, obwohl höhere Reizpegel keine Synchronisation gezeigt hatten. 3 Kinder (1,3,5) zeigten eine bessere Synchronisation mit Sog gegenüber dem alternierenden Klick-Stimulus, ein Kind (2) bei Druckreizung. Besonders bei Kind 3 fiel die Progredienz des tonaudiometrischen Hörverlusts von 40 dB auf 90 dB mit paralleler Reduktion des TEOAE-Antwortpegels über einen Verlauf von 20 Monaten auf, ohne dass sich Sprachverständnis und BERA-Schwelle nennenswert verändert hatten. 7 Kinder hatten eine Kernspintomographie unter besonderer Berücksichtigung und Darstellung des Hörnervenverlaufes erhalten, diese wies bei keinem der Kinder Besonderheiten auf. Die bei 5 Kindern durchgeführte thermische Vestibularisprüfung zeigte in allen Fällen seitengleiche Erregbarkeit. Die Kinder mit einseitigem Hörverlust waren überwiegend CROS-versorgt und profitierten gut von der Versorgung. Bei Kind 5 (beidseitige AN) bestand ein Hörgewinn durch Versorgung, jedoch kein normales Sprachverständnis.
Molekulargenetische Diagnostik
Bei vier Kindern (1,3,4,5) fanden wir z. T. mehrfache Abweichungen von der genomischen OTOF-Sequenz (zwei Kinder mit 3 und 2 Kinder mit jeweils einer Abweichung). Bei einem betroffenen Kind (2) zeigte sich ein Basenaustausch im GJB2-Gen. Sämtliche Basenabweichungen sind nicht beschrieben. Von den 8 Sequenzabweichungen im OTOF-Gen führen 5 zum Austausch einer Aminosäure im Genprodukt; im Fall des GJB2-Gens gilt dies ebenso. Die Allelfrequenz der identifizierten Sequenzabweichungen wird in einem Kontrollkollektiv bestimmt.
In der Zusammenschau der molekulargenetischen Diagnostik und der audiologischen Phänotypisierung ist festzustellen, dass drei der vier Kinder mit Veränderungen im OTOF-Gen auffällige CAS-Messungen (Störung des medialen olivocochleären Reflexbogens (MOC)) aufwiesen, das Kind mit der Mutation des GJB2-Gens jedoch nicht. Bei dem vierten Kind lag keine CAS-Messung vor. Exakt diese drei Kinder zeigten auch bessere Schwellen bei der BERA-Messung mit dem Sog-Stimulus.
Diskussion
Für die audiologischen Typisierung der AN haben sich in unserer Untersuchung neben Tonaudiometrie, Sprachaudiometrie und TEOAE/DPOAE bei der Klick-BERA die Stapediusreflexschwellenmessung und CAS-Messung sowie bei einigen Betroffenen die Messung mit dem Sog-Stimulus im Vergleich zum alternierenden Stimulus als wegweisend gezeigt. MRT und Vestibularisprüfung liefern klinisch wichtige Zusatzinformationen, sind jedoch für die Diagnosestellung der AN nicht relevant. Die hohe Frequenz der Sequenzabweichungen in einem kleinen Patientenkollektiv lässt vermuten, dass die molekulargenetische Diagnostik bei vermuteter AN der diagnostischen Sicherheit dienen und zum Verständnis der molekularen Grundlagen der AN beitragen kann. Die gemeinsam mit den OTOF-Veränderungen gesehenen Auffälligkeiten des MOC-Reflexbogens lassen erwarten, dass OTOF auch bei anderen audiologischen Krankheitsbildern im Zusammenhang mit diesem Regelsystem eine Rolle spielen könnte. Die Befunde sind in einer größeren Gruppe zu überprüfen.
Unterstützt durch: Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster „Innovative Medizinische Forschung“ (BO 2 1 06 05).