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Dreiländertagung D-A-CH
24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28. - 30.09.2007, Innsbruck, Österreich

Entwicklung einer standardisierten Untersuchung der Veränderungen im Kopf-Hals-Bereich bei Mucopolysaccaridosen

Head and neck disorders in mucopolysaccaridoses – development of a standardized examination

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Kathrin Degenhardt - Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen, Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • author Michael Beck - Villa Metabolica, Universitäts-Kinderklinik Mainz, Mainz, Deutschland
  • author Annerose Keilmann - Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen, Universität Mainz, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirugie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. Dreiländertagung D-A-CH, 24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.. Innsbruck, Österreich, 28.-30.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgppV42

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2007/07dgpp66.shtml

Veröffentlicht: 28. August 2007

© 2007 Degenhardt et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Einleitung: Patienten mit Mucopolysaccharidosen (MPS) sind häufig durch chronische Rhinitiden, Einengungen der oberen Luftwege, einer Vergrößerung der Zunge und eine gepresste Stimmgebung betroffen. Abhängig von der Art der MPS kommen Schallleitungs-, Schallempfindungs- und kombinierte Schwerhörigkeiten in unterschiedlicher Häufigkeit vor [1], [2].

Methodik: Im interdisziplinären Team wurden verschiedene Methoden zur untersucherunabhängigen Messung ausgewählt und verglichen. Zusätzlich zu den phoniatrisch-pädaudiologischen Standardverfahren wurden anästhesiologische Klassifikationen einbezogen.

Ergebnis: 65 Patienten zeigten unterschiedlichste Hörbefunde.

Die Messung der Frontzahnkantendistanz und die Mallampati-Klassifikation der Verhältnisse im Bereich des Rachenrings gelang praktisch immer. Eine Endoskopie des Hypopharynx und Larynx war selten starr, häufiger jedoch flexibel möglich, die Befunde wurden nach den Cormack Lehane Stadien eingeteilt. Bei etwa der Hälfte der Patienten reichte die Kooperationsfähigkeit auch zur Messung der Diadochokineserate aus.

Diskussion: Die dargestellten Prävalenzen von Hörstörungen unterstreichen die Notwendigkeit einer routinemäßigen pädaudiologischen Untersuchung. Mit dem dargestellten Untersuchungsprogramm ist auch eine Verlaufkontrolle möglich, die sowohl im natürlichen Krankheitsverlauf als auch zur Beurteilung des Erfolgs der Enzymersatztherapie notwendig ist.


Text

Einleitung

Bei Patienten mit Mucopolysacharidosen (MPS) ist neben dem Skelettsystem und der pulmonalen und cardialen Funktion am häufigsten der Kopf- Halsbereich betroffen. Bei diesen Patienten treten chronische Rhinitiden, Einengungen der oberen Luftwege, eine Vergrößerung der Zunge und eine gepresste Stimmgebung auf. Abhängig von der Art der MPS kommen Schallleitungs- Schallempfindungs- und kombinierte Schwerhörigkeiten in unterschiedlicher Häufigkeit vor. Für MPS I, II, IV und VI gibt es kausale Therapiemöglichkeiten (Enzymersatztherapien).

Methode

Die Auswertung umfasste 21 MPS I, 27 MPS II und 14 MPS VI sowie 2 MPS IV Patienten. Erfasst wurden zunächst allgemein medizinische Daten (Alter zum Untersuchungszeitpunkt, durchgeführte Enzymersatztherapie bzw. sonstige kausale Therapien wie Knochenmarkstransplantation).

Der Schweregrad der Hörstörung (bewertet nach Röser, 1973) und deren Versorgungsrelevanz wurde ermittelt. Zur Audiometrie und Sprachaudiometrie wurden dem Entwicklungsalter entsprechende Verfahren eingesetzt.

Zu Verlaufskontrollen unter Enzymersatztherapie wurde ein weitgehend untersucherunabhängiges, standardisiertes Vorgehen erstellt. Dieses Untersuchungsprogramm wurde ab 07/2006 an der Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen etabliert. Die Mundöffnung wurde mit Hilfe der anästhesiologischen Mallampati Klassifikation sowie der Frontzahnkantendistanz objektiviert. Endolaryngeale Befunde wurden nach den ebenfalls anästhesiologischen Cormack Lehane Stadien eingeteilt. Zur Verlaufsbeurteilung einer Dysarthophonie wurde die verbale Diadochokinese mit Hilfe des Motor speech profile Programms objektiviert, zur Beurteilung einer Dysphonie wurde das Göttinger Heiserkeitsdiagramm erstellt.

Ergebnisse

Tabelle 1 [Tab. 1] enthält die Anzahl der insgesamt untersuchten Patienten, ihr Geschlecht und ihr Alter zum Untersuchungszeitpunkt, die durchgeführten kausalen Therapien sowie die Art der Hörstörung. In Tabelle 2 [Tab. 2] sind die Ergebnisse der seit 07/2006 etablierten Untersuchung des oberen Aerodigestivtraktes dargestellt.

Bei allen Entitäten der MPS traten sehr unterschiedliche Hörstörungsgrade auf. Von den 8 Patienten mit MPS I waren 3 mit Hörgeräten versorgt, einer lehnte eine Versorgung ab. Schallempfindungsschwerhörigkeiten wurden am häufigsten bei MPS II beobachtet. 13 Patienten mit MPS II waren mit Hörgeräten versorgt (48%), bei 4 weiteren bestand die Indikation. Viele der MPS-Patienten weisen Entwicklungsverzögerungen oder -rückschritte auf und sind aufgrund der vielen notwendigen Interventionen nicht immer kooperativ. So gelang zwar meist die Messung der Frontzahnkantendistanz und die Beurteilung der Mundöffnung nach der Mallampati-Klassifikation, die Aufnahme der verbalen Diadochokinese war hingegen nur bei etwa der Hälfte der Patienten möglich. Bei einem Drittel der Patienten konnte eine starre oder flexible Endoskopie durchgeführt werden. Die Einschränkungen der Patienten variierten sehr.

Diskussion

Bei den Mucopolysaccharidosen ist der Kopf-Halsbereich oft betroffen [3]. Zu histologischen Veränderungen im Mittelohr gibt es sehr unterschiedliche Beschreibungen, charakteristisch scheinen persistierendes mesenchymales Gewebe, verdickte Schleimhäute, organisierte Massen, die das Lumen des Mittelohres stark verringern und das runde und ovale Fenster blockieren [4]. Angaben zur Häufigkeit von Hörstörungen bei MPS Patienten liegen nur für kleine Patientenzahlen vor [1]. Da eine Progredienz der Hörstörungen bzw. der Grunderkrankung an sich mit zunehmendem Alter besteht, sind Angaben zur Prävalenz auch sehr vom Untersuchungsansatz abhängig. Die dargestellten Prävalenzen der Hörstörungen in der von uns untersuchten Kohorte unterstreichen die Notwendigkeit einer routinemäßigen pädaudiologischen Untersuchung bei Erstdiagnose und auch Verlaufskontrolluntersuchungen.

Enzymersatztherapien sind für MPS I seit 2004 zugelassen, seit Herbst 2006 für MPS II, die Enzymersatztherapien für MPS IV und VI befinden sich noch in der Phase der klinischen Studien.

Nach subjektiven Aussagen der MPS Patienten bzw. deren Eltern hatten sich unter Enzymersatztherapie die Artikulationspräzision und die Neigung zu Infekten der oberen Luftwege gebessert. Bis jetzt wurden diese Veränderungen nicht standardisiert erfasst, es erfolgte allenfalls eine photografische Dokumentation des Gesichtes. In Ergänzung zum üblichen Untersuchungsprogramm setzen wir nun unser neu etabliertes Untersuchungsprogramm der oberen Luftwege ein. Damit ist auch eine Verlaufskontrolle möglich, die sowohl im natürlichen Krankheitsverlauf als auch zur Beurteilung des Erfolgs der Enzymersatztherapie notwendig ist.


Literatur

1.
Napiontek U, Keilmann A. Hearing impairment in patients with mucopolysaccharidoses. Acta Paediatrica. 2006;Suppl.451:113-7.
2.
Ohlemiller KK, Hennig AK, Lett JM, Heidbreder AF, Sand MS. Inner ear pathology in the mucopolysaccaridosis VII mouse. Hear Res. 2002;169(1-2):69-84.
3.
Vijay S, Wraith JE. Clinical presentation an follow up of patients with the attenuated phonotype of mucopolysaccharidosis type I. Acta Paediatrica. 2005;94(7):872-7.
4.
Kelemen G. Hurler's syndrome and the hearing organ. J Laryngol Otol. 1966;80(8):791-803.