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23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Läuft die Stimmlippenschwingung nach einer Schilddrüsen oder Nebenschilddrüsen-Operation unregelmäßiger ab?

Does resection of the thyroid or parathyroid gland affect vocal fold vibration?

Vortrag

  • author presenting/speaker Annette Cryer - Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • author Martin Scharfenberger - Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten und Plastische Gesichtschirurgie, Städtische Kliniken Frankfurt am Main-Höchst, Frankfurt am Main, Deutschland
  • author Jens Garm - Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • Thomas Musholt - Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • corresponding author Annerose Keilmann - Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppV42

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2006/06dgpp62.shtml

Veröffentlicht: 5. September 2006

© 2006 Cryer et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Eine Stimmlippenlähmung nach Schilddrüsen- oder Nebenschilddrüsenoperationen stellt eine bekannte Komplikation dar, welche sich postoperativ im Verlauf eines Jahres zurückbilden kann. Mit dieser Studie soll untersucht werden, inwieweit postoperativ bei regelrechter respiratorischer Stimmlippenfunktion die Stimmlippenfeinbeweglichkeit beeinträchtigt wird.

Methodik: In einer prospektiven Studie wurden 49 Patienten vor und nach einer Schilddrüsen- oder Nebenschilddrüsenoperationen zusätzlich zur Stroboskopie mittels der Hochgeschwindigkeitskamera untersucht. Diese Daten wurden hinsichtlich fünf Parameter ausgewertet:

1.
Symmetrie der Amplitude
2.
Phasenverschiebung
3.
Schlussquotient
4.
Symmetrie der Frequenz
5.
Synchronisationsindex

Ergebnisse:Im Vergleich prä- zu direkt postoperativ nahmen im Mittel die Amplitudensymmetrie (von Mittelwert 0,79 auf 0,74), die Regelmäßigkeit der Frequenz (von 0,94 auf 0,88) und der Synchronisationsindex ab (von 0,75 auf 0,62). Dahingegen fand sich bei der Phasenverschiebung eine minimale (von 47,58 auf 48,5) und beim Schlussquotienten eine deutliche Zunahme (von 0,34 auf 0,37). Sämtliche Parameter normalisierten sich im Verlauf der drei postoperativen Untersuchungen (bis ca. 3 Monate postoperativ).

Diskussion: Trotz regelrechter respiratorischer Stimmlippenfunktion nach einer Schilddrüsen- oder Nebenschildddrüsenoperation können (in unserem Kollektiv passagere) Störungen der Stimmlippenfeinbeweglichkeit auftreten, die für einen professionellen Sprecher oder Sänger zu einer Leistungseinbuße führen können. Deswegen ist bei diesen Patienten eine stroboskopische Beurteilung oder eine Hochgeschwindigkeitsaufnahme des Kehlkopfes sinnvoll.


Text

Hintergrund

Eine Stimmlippenlähmung nach Schilddrüsen- oder Nebenschilddrüsenoperationen stellt eine bekannte Komplikation dar, welche sich im Verlauf eines Jahres zurückbilden kann. Diese Patienten berichten häufig über eine deutliche postoperative Stimmverschlechterung. Jedoch besteht bei einer Schilddrüsen- oder Nebenschilddrüsenoperationen auch die Gefahr einer Verletzung des Ramus externuns des N. laryngeus superior, der den Musculus cricothyroideus motorisch innerviert. Eine ähnliche Symptomatik tritt durch eine Schädigung der geraden Halsmuskulatur auf. Dies führt typischerweise zur verminderten Stimmbelastbarkeit sowie zur Dysodie in der Kopfstimme. Tatsächlich beklagen einige Patienten auch bei regelrechter respiratorischer Stimmlippenbeweglichkeit postoperativ eine Stimmverschlechterung [1].

Mit dieser Studie soll untersucht werden, inwieweit postoperativ bei regelrechter respiratorischer Stimmlippenfunktion und damit unbeeinträchtigtem Nervus recurrens die Stimmlippenfeinbeweglichkeit als mögliches Zeichen eines Spannungsverlusts der Stimmlippen beeinträchtigt wird.

Methodik

In einer prospektiven Studie wurden 49 Patienten vor und nach einer Schilddrüsen- oder Nebenschilddrüsenoperationen zusätzlich zur Stroboskopie mittels der Hochgeschwindigkeitskamera untersucht. Diese Kamera nimmt als Schwarzweißaufnahme 4000 Bilder des Kehlkopfes pro Sekunde auf, womit auch die Stimmlippenschwingungen erfasst werden können. Der Vorteil gegenüber der Stroboskopie besteht darin, dass auch irreguläre Schwingungen beurteilt werden können [2], [3], [4]. Die Aufnahmen der Hochgeschwindigkeitskamera wurden anschließend ausgewertet, indem die Glottisfläche, die Glottislänge und die seitengetrennte Bewegung der freien Stimmlippenkanten bei ¼, ½ und ¾ der Stimmlippenlänge rechnerisch erfasst wurden (Abbildung 1 [Abb. 1]). Diese Daten wurden hinsichtlich folgender fünf Parameter ausgewertet:

1.
Symmetrie der Amplitude: Aus der maximalen Auslenkung von der Glottismitte bei halber Stimmlippenlänge der rechten und linken Stimmlippe wurde ein Quotient gebildet, wobei der größere Wert immer im Nenner stand. Dadurch konnte verhindert werden, dass sich bei verschiedenen Patienten die Unregelmäßigkeiten herausmittelten, die ja sowohl die rechte als auch die linke Stimmlippe betreffen können. Für diese Auswertung ist lediglich die Symmetrie der Amplituden entscheidend. Mit zunehmender Asymmetrie wird der Wert kleiner, bei vollständiger Symmetrie beträgt der Wert 1.
2.
Phasenverschiebung: Voraussetzung für die Berechnung der Phasenverschiebung ist eine gleiche Frequenz der beiden Stimmlippen. Die maximale Phasenverschiebung beträgt 180°, die minimale 0°.
3.
Schlussquotient: Beim Schlussquotienten wird der Zeitanteil an der gesamten Schwingungszeit ermittelt, während der die Stimmlippen komplett geschlossen sind. Für unsere Berechnungen wurde der Schlussquotient für die Mitte der Stimmlippen berechnet. Der minimale Wert für den Schlussquotienten beträgt 0, der maximale 1.
4.
Symmetrie der Frequenz: Hierfür wird ein Quotient aus der Frequenz der rechten und linken Stimmlippe genommen. Analog zur Berechnung des Parameters „Symmetrie der Amplituden“ wurde der größere Wert unabhängig von der jeweiligen Seite, in den Nenner genommen. Dadurch entstehen Werte von maximal 1 (dies würde einer vollständigen Symmetrie entsprechen).
5.
Synchronisationsindex: Es wird der Anteil an der gesamten Schwingungszeit berechnet, während der die Stimmlippen phasensynchron schwingen. Dieser Wert kann maximal 1 betragen, dies würde eine über die ganze Zeit synchrone Schwingung bedeuten.

Ergebnisse

In der Gruppe, die prä- (n=49) und direkt postoperativ (n=43) untersucht wurde, nahmen im Mittel die Amplitudensymmetrie (von Mittelwert 0,79 auf 0,74), die Regelmäßigkeit der Frequenz (von 0,94 auf 0,88) und der Synchronisationsindex ab (von 0,75 auf 0,62). Dahingegen fand sich bei der Phasenverschiebung eine minimale (von 47,58 auf 48,5) und beim Schlussquotienten eine deutliche Zunahme (von 0,34 auf 0,37).

Bei den 14 Patienten, bei denen sich postoperativ eine Stimmverschlechterung (vor allem Einschränkungen im Sing- und Sprechstimmfeld) fand, erfolgten weitere Kontrollen nach 4-6 Wochen sowie 10-12 Wochen. Bei diesem ausgewählten Patientenkollektiv kam es im Vergleich zu präoperativ bei der ersten postoperativen Untersuchung zu einer deutlichen Zunahme der Amplitudensymmetrie (von Mittelwert 0,74 auf 0,81) und der Phasenverschiebung (von 37° auf 56°) und zu einer Abnahme des Schlussquotienten (von 0,37 auf 0,24) (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Dahingegen blieben postoperativ die Symmetrie der Frequenz und der Synchronisationsindex im wesentlichen unverändert. Sämtliche Parameter normalisierten sich im Verlauf der drei postoperativen Untersuchungen (bis ca. 3 Monate postoperativ).

Diskussion

Bei der Untersuchung des Gesamtkollektivs waren die Veränderungen der meisten Parameter nicht so deutlich, da die Mehrzahl der Patienten postoperativ nicht stimmlich eingeschränkt war. Bei der Auswertung lediglich der auffälligen Patienten mit Verlaufskontrolle bis drei Monate postoperativ waren die Veränderungen wenige Tage postoperativ am ausgeprägtesten und hatten sich bis ein Monat postoperativ bereits weitgehend normalisiert.

Trotz regelrechter respiratorischer Stimmlippenfunktion nach einer Schilddrüsen- oder Nebenschildddrüsenoperation können Störungen der Stimmlippenfeinbeweglichkeit auftreten, die in unserem Kollektiv passager waren und sich nach spätestens drei Monaten zurückbildeten. Für einen Patienten ohne hohe Sprech- oder Singbelastung muss die Störung der Stimmlippenfeinbeweglichkeit nicht unbedingt im Alltag auffallen, aber bei einem professionellen Sprecher oder Sänger kann dies zu einer Leistungseinbuße führen. Deswegen ist bei diesen Patienten eine stroboskopische Beurteilung oder eine Hochgeschwindigkeitsaufnahme des Kehlkopfes sinnvoll.


Literatur

1.
Sinagra DL, et al. Voice change after thyroidektomy without recurrent larnygeal nerve injury. J Am Coll Surg. 2004;199(4):556-60.
2.
Hertegard S. What have we learned about laryngeal physiology from high-speed digital videoendoscopy? Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2005;13(3):152-6.
3.
Schade G, Muller F. High speed glottographic diagnostics in larnygology. HNO. 2005;53(12):1085-6, 1088-91.
4.
Dollinger M, et al. Normal voice production: computation of driving parameters from endoscopic digital high speed images. Methods Inf Med. 2003;42(3):271-6.