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23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Verbale Diadochokinese zur Beurteilung einer Dysarthophonie bei Patienten mit apoplektischem Insult im Vergleich zu Normprobanden

Oral diadochokinesis to evaluate dysarthophonia in patients with apoplexy compared with normal individuals

Vortrag

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  • author presenting/speaker Kathrin Degenhardt - Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Mainz, Germany
  • Peter Urban - Klinik für Neurologie der Asklepios Klinik Barmbeck, Hamburg, Germany
  • corresponding author Annerose Keilmann - Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Mainz, Germany

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppV28

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2006/06dgpp39.shtml

Veröffentlicht: 5. September 2006

© 2006 Degenhardt et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Dysarthophonie als Funktionsstörung der Sprechexekutive umfasst Störungen der Artikulationsmotorik, der Stimmgebung und der Sprechatmung. Zur Beurteilung einer Dysarthophonie existieren subjektive und objektive Testverfahren.

Methode: Mit dem motor speech profile – einem objektiven Testverfahren – zur Beurteilung der verbalen Diadochokinese (DDK) wurden bei 60 Patienten mit unterschiedlich lokalisierten apoplektischen Insulten die Parameter Durchschnittliche DDK-Periode, Durchschnittliche DDK-Rate, Standardabweichung der DDK Periode und der Variationskoeffizient der DDK Periode bestimmt und im Vergleich zu Personen ähnlichen Alters, die anamnestisch keinen Hinweis auf einen apoplektischen Insult hatten, analysiert.

Ergebnisse: Die DDK-Periode der Patienten mit dem apoplektischen Insult war länger, sie brauchten also länger die Silben /pa/ zu produzieren (269,4 ms gegen 167,7 ms der gesunden Personen). Die Standardabweichung der DDK Periode war höher, damit war die Variabilität der Phonation der einzelnen Silben größer. Auch der Variationskoeffizient der DDK Periode war höher, was eine eingeschränkte Fähigkeit zur rhythmischen Wiederholung der einzelnen Silben beschreibt.

Diskussion: Subjektive Untersuchungsverfahren – wie die Frenchay Dysarthieuntersuchung setzen Erfahrung und hohen Zeitaufwand voraus, zudem werden mit den meisten Untertests nichtsprachliche Störungsaspekte überprüft. Beim motor speech profile handelt es sich hingegen um eine Untersuchung der Sprechmotorik. Es werden große Oppositionslaute /p/ mit maximaler Lipppenspannung und /o/ mit weiter Kieferöffnung gefordert. Für die Datenerhebung und Auswertung werden wenige Minuten benötigt, damit kann der Einsatz des motor speech profile als Screening Verfahren – auch zur Beurteilung eines Krankheits- und Therapieverlaufs - bei Dysarthophoniepatienten erwogen werden.


Text

Einleitung

Dysarthophonie als Funktionsstörung der Sprechexekutive umfasst Störungen der Artikulationsmotorik, der Stimmgebung und der Sprechatmung. Nach Urban et al. [1] ist die Zuordnung von für die Dysarthophonie typischen Symptomen nicht so eindeutig, dass aus der Symptomatik ein Rückschluss auf die Lokalisation des Infarkts möglich wäre. Lediglich die cerebellären Dysarthophonien führen zu einer relativ typischen Symptomatik. Eine der häufigsten Ursachen einer Dysarthophonie sind cerebrovaskuläre Erkrankungen, so hatten z.B. 81,1% von dysarthophonen Patienten extracerebelläre Infarkte und 6,6% Kleinhirninfarkte [2]. Die extracerebellären Infarkte waren im Verlauf der Pyramidenbahn lokalisiert. Weitere Ursachen einer Dysarthophonie sind neben Schädel-Hirntraumata, degenerative Erkrankungen der Stammganglien und des Kleinhirns, entzündliche Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Erkrankungen des motorischen Neurons und der muskulären Endplatte (Mysthenia gravis) [3].

Zur Beurteilung einer Dysarthophonie und Einteilung des Schweregrades existieren subjektive und objektive Testverfahren. Neben einer ausführlicheren Diagnostik zur Therapieplanung sind auch rasch durchzuführende Untersuchungen zur Feststellung einer Dysarthophonie und zur Bestimmung des Schweregrads, auch im Verlauf, wünschenswert.

Probanden und Methoden

Bei 61 Patienten (42 Männer, 19 Frauen, Durchschnittsalter 65,5 Jahre) mit unterschiedlich lokalisierten, auf eine Region isolierten apoplektischen Insulten wurden verschiedene Parameter der verbalen Diadochokinese (DDK) zur Beurteilung einer Dysarthophonie analysiert. Im Vergleich dazu wurden diese Parameter der verbalen Diadochokinese bei 61 gesunden Personen (41 Männer, 20 Frauen; Durchschnittsalter 64,4 Jahre) erhoben, die anamnestisch keinen Hinweis auf einen apoplektischen Insult hatten. Die Patienten/Probanden wurden aufgefordert, 10 Sekunden lang so schnell wie möglich die Silbe /pa/ zu wiederholen. Dies wurde im DAT-Format (bei den apoplektischen Patienten) bzw. als wave Datei (bei den gesunden Personen) aufgenommen und mit dem Programm motor speech profile analysiert.

Das motor speech profile zählt zu den objektiven Verfahren der Sprechanalyse und misst das motorisch gestörte Sprechen. Es ist eines von 14 Programmen des Computerized Speech Lab (CSL). Mit unterschiedlichen Analyseprotokollen können verschiedene für eine Dysarthophonie relevante Parameter analysiert werden. Verwendet wurde das Diadochokinetic Rate Protocol, das u.a. die Bestimmung der durchschnittlichen DDK-Periode (DDK avp) in ms, die durchschnittliche DDK Rate pro Sekunde, (DDKavr), die Standardabweichung der DDK Periode (DDK sdp) in ms sowie den Variationskoeffzient der DDK Periode (DDK cvp) in % beinhaltet.

Ergebnisse

Die DDK-Periode der Patienten mit dem apoplektischen Insult war länger, sie brauchten also länger die Silben /pa/ zu produzieren, (269,4 ms gegen 173,7 ms der gesunden Personen), dieser Unterschied war mit p<0.005 hochsignifikant. Die Patienten hatten niedrigere Werte der DDK-Rate, schafften also weniger Silben pro Zeiteinheit. (4,3/sec gegen 6,02/sec, hochsignifikant mit p<0,005). Die Standardabweichung der DDK Periode war höher (121,6 ms gegen 53,8 ms), damit war die Variabilität der Phonation der einzelnen Silben größer. Auch der Variationskoeffizient der DDK Periode war mit 40,2% höher, was eine eingeschränkte Fähigkeit zur rhythmischen Wiederholung der einzelnen Silben beschreibt. Auch dieser Unterschied erreichte Signifikanz. Nochmals einzeln analysiert wurden die 3 Gruppen der Patienten, bei welchen der apoplektische Insult in der Corona radiata links (n=13), in der Pons links (n=11) und in der Capsula interna links (n=6) lokalisiert war.

Dabei war die DDK Periode der Patienten mit Infarktlokalisation in der Capsula interna im Mittel am längsten (350,58 ms versus 252,14 ms bei Infarktlokalisation in Corona radiata links bzw. 279,87 ms bei pontiner Läsion), damit schafften auch die Patienten mit Läsion im Bereich der Capsula interna links weniger Silben pro Zeiteinheit (DDK Rate hier 3,53/s versus 4,39/s bzw. 4.01/s bei Läsionen im Bereich der Corona radiata links bzw. pontin links). Auch die Variabilität der einzelnen Silben war bei den Patienten mit Insult im Bereich der Capsula interna links höher (Standardabweichung der DDK Periode 146,02 ms gegenüber 120,03 ms bzw. 139,34 ms (Läsion im Bereich der Corona radiata links bzw. pontin links)). Allerdings war der Variationskoeffizient der Patienten mit Insult im Bereich der Corona radiata links bzw. pontin links höher im Vergleich zu den Patienten mit Capsula interna Insult, was bei ersteren eine eingeschränktere Fähigkeit zur rhythmischen Wiederholung der einzelnen Silben bedeuten könnte.

Diskussion

Zur Beurteilung des Schweregrades einer Dysarthophonie existieren subjektive und objektive Testverfahren. Neben der Frenchay Dysarthie Untersuchung - wird das computer gestützte Münchner Verständlichkeitsprofil (MVP) als subjektives Verfahren verwendet. Diese subjektiven Verfahren setzen jedoch Untersuchererfahrung und z.T. einen hohen Zeitaufwand voraus, eignen sich also nicht besonders als Screeningverfahren.

Objektive und instrumentelle Messverfahren wie z.B. elektroakustische Analysen, die Elektroglotto- und Elektropalatographie analysieren Bewegungsparameter.

Das Programm Motor Speech Profile (MSP) überprüft mit der verbalen Diadochokinese die Sprechgeschwindigkeit und weitere Parameter und untersucht damit die Sprechmotorik direkt. Es werden große Oppositionslaute /p/ mit maximaler Lipppenspannung und /a/ mit weiter Kieferöffnung gefordert. Patienten mit Dysarthophonie haben gerade Schwierigkeiten mit der Lippenspannung, der Kieferöffnung, der Druckdosierung und dem schnellen Wechsel. Für die Datenerhebung und Auswertung werden wenige Minuten benötigt, damit kann der Einsatz des motor speech profile als Screening Verfahren – auch zur Beurteilung eines Krankheits- und Therapieverlaufs - bei Dysarthophoniepatienten erwogen werden.


Literatur

1.
Urban PP, Rolke R, Wicht S, Keilmann A et al. Left-hemispheric dominance for articulation: a prospective study on acute ischaemic dysarthria at different localizations. Brain. 2006;129:767-77.
2.
Urban PP, Wicht S, Fitzek C et al. Topodiagnostik ischämisch bedingter Dysarthophonien. Klinische Neuroradiologie. 2000;10:35-45.
3.
Poeck K, Hacke W. Neurologie. Berlin: Springer-Verlag; 2001.
4.
Ziegler W, Vogel M et al . Dysarthie. Stuttgart, New York: Thieme Verlag; 1998.