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23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Validität subjektiver Testverfahren zur Erfassung auditiver Selektionsstörungen

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppV07

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2006/06dgpp10.shtml

Veröffentlicht: 5. September 2006

© 2006 Matulat et al.
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Zusammenfassung

Kinder mit einer gestörten auditiven Selektion stellen eine bedeutende Subgruppe bei der Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen dar. Die Validität der eingesetzten subjektiven Hörtests ist unklar.

Ziel der Studie war der Vergleich der Münsteraner Sprachaudiometrie im Störschall (SS-M) mit dem Oldenburger Kinderreimtest im Störschall in der Regensburger Variante (OLKI-R) und einem Binaural-Level-Difference-Test nach Esser (BILD) sowie ein Vergleich mit einem objektiven Test zur Erfassung von Funktionsstörungen des medialen olivocochleären Systems (kontralaterale TEOAE-Suppression) als Außenkriterium.

Bei 127 Kindern (64,6% m, 35,4% w, 8;8 J.) wurden alle drei Hörtests durchgeführt und die Korrelationen bezüglich der klinischen Bewertungen und der Rohwerte berechnet. Bei 23 der Kinder wurde zusätzlich die kontralaterale TEOAE-Suppression (CAS) gemessen.

Es fanden sich 37,4% auffällige Befunde im BILD, 47,4% im SS-M und 36,3% im OLKI-R bei sehr niedrigen Intertestkorrelationen (r <0.2). Die klinische Bewertung (Cut-Off= Amplitudendifferenz <0,6dB) der CAS links korreliert signifikant mit dem SS-M (r=0,46, p=0,02). Die Kombination von SS-M und BILD führt zu einer starken und hochsignifikanten positiven Korrelation (r=0,71, p=0,00) mit dem Außenkriterium.

Im Vergleich subjektiver Hörbefunde mit objektiven Außenkriterien (CAS oder binaurale Interaktionskomponenten der FAEP) sehen wir einen gangbaren Weg zur Validierung geeigneter subjektiver Testverfahren.


Text

Einführung

Kinder mit einer gestörten auditiven Selektion stellen eine bedeutende Subgruppe in der Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen dar. Die Validität der unterschiedlichen hierfür eingesetzten subjektiven Hörtests ist weitgehend unklar [10]].

Ziel der Studie war die Ermittlung der konvergenten Validität dreier Testverfahren zur Diagnostik auditiver Selektionsstörungen sowie die Bestimmung der Kriteriumsvalidität dieser Verfahren in Bezug auf einen objektiven Hörtest als Außenkriterium [6] im Rahmen der kontinuierlichen Evaluation der Münsteraner Testbatterie zur Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen.

Patienten und Methoden

Bei 127 Inanspruchnahmepatienten (64,6% m, 35,4% w, Durchschnittsalter: 8;8 Jahre) wurden die Münsteraner Sprachaudiometrie im Störschall (SS-M, SS 60/65/70 dB mit sprachverdeckendem Störschall bei 65 dB Nutzschall und nach dem SS/NS-Verhältnis gewichteter Bewertung) [7], der Oldenburger Kinderreimtest im sprachsimulierenden Störgeräusch in der Regensburger Variante (OLKI-R) [11] und ein Binaural-Level-Difference-Test nach Esser [BILD, Sprachverständnisvergleich von dargebotenen Einsilbern bei 63 db Nutzschall und 60 db Störschall (Oversampling des Freiburger Sprachverständlichkeitstests) bei monauraler und binauraler Störschallgabe] [1], [3] gemäß der jeweiligen Durchführungs- und Auswertungsvorschriften im Rahmen einer tagesklinischen Aufnahme angewendet. Anschließend wurden die Intertestkorrelationen bezüglich der klinischen Bewertungen und auf Rohwertebene berechnet.

Die Erfassung der Kriteriumsvalidität erfolgte über einen Vergleich der subjektiven Hörtestergebnisse mit einem objektiven Test zur Erfassung von Funktionsstörungen des medialen olivocochleären Systems als Außenkriterium. Hierzu wurde bei 23 der Kinder zusätzlich die kontralaterale TEOAE-Suppression (CAS) gemessen. Micheyl et al. [8] und Giraud et al. [4] konnten zeigen, dass eine starke Beziehung zwischen der auditiven Selektionsfähigkeit für Sprache und der Funktion des medialen olivocochleären Systems (MOCS) besteht. Als geeignete Methode zur Untersuchung der Funktionsfähigkeit des MOCS wird ein Vergleich der Amplituden der transitorisch evozierten otoakustischen Emmisionen mit und ohne kontralaterale Störschallgabe angesehen [8], [9]. Die Stimulation erfolgte mit einem Click von 80 (+/-1) und einem Störschall von 60 dB über einen EAR Tone in ear- Einsteckhörer 5A. Das Analysezeitfenster (2,5 bis 20,48 ms) und das Cut-Off-Kriterium für die klinische Bewertung (Amplitudendifferenz <0,6 dB) wurden in Übereinstimmung mit der Literatur [4], [8] festgelegt. Die Stimulusstabilität betrug in allen Fällen mehr als 90% und die Reproduzierbarkeit mehr als 75%.

Ergebnisse

Es fanden sich mit 37,4% im BILD, mit 47,4% im SS-M und mit 36,3% im OLKI-R unterschiedliche prozentuale Häufigkeiten auffälliger Befunde in den verschiedenen Tests. Zwischen den drei untersuchten Testverfahren zur Diagnostik der auditiven Selektion fanden sich sehr niedrige Intertestkorrelationen (r <0,2).

Alleine die SS-M-Ergebnisse korrelieren mäßig hoch (r=0,46) und signifikant (p=0,02) mit der klinischen Bewertung der CAS (links). Alle anderen Korrelationen mit dem Außenkriterium sind nicht signifikant oder mit einer Korrelation kleiner als 0,2 sehr gering.

Die Kombination der SS-M-Ergebnisse und der BILD-Ergebnisse führte zu einer deutlichen und signifikanten positiven Korrelation (r=0,71, p=0,00) mit dem Außenkriterium.

Diskussion

In der Sprachaudiometrie im Störschall wird die Verständlichkeit bei standardisiertem Sprachmaterial gemessen, um die individuellen Sprachperzeptionsleistungen bei gestörten Kommunikationsbedingungen erfassen zu können. Welches Testverfahren hierbei geeignet ist, hängt oft vom Einsatzzweck ab (Diagnostik von Hörstörungen, Begutachtung, Hörgeräteanpassung). Die Ergebnisse zur konvergenten Validität in dieser Studie deuten - trotz scheinbar hoher logischer Validität der hier untersuchten Verfahren - auf eine geringe oder unterschiedliche Eignung der Tests für die Diagnostik auditiver Selektionsstörungen hin. Tests auf der Grundlage offener Einsilbertests (geringe Redundanz, flache Diskriminationsfunktion, höhere analytische Aussagekraft) wurden mit einem Verfahren auf der Grundlage eines Reimtests (höhere Redundanz, steilere Diskriminationsfunktion, dadurch hohe Sensitivität gegenüber Parameteränderungen) verglichen.

Trotz des noch kleinen Stichprobenumfangs sehen wir in der Kombination verschiedener subjektiver Verfahren und im Vergleich subjektiver Hörbefunde mit objektiven Außenkriterien einen gangbaren Weg zur Validierung geeigneter subjektiver Testverfahren zur Diagnostik auditiver Selektionsstörungen. Neben der CAS scheint mit den binauralen Interaktionskomponenten der frühen akustisch evozierten Potentiale [5] hierfür ein weiterer geeigneter Kandidat vorhanden zu sein.


Literatur

1.
Blauert J. Räumliches Hören. Stuttgart: S. Hirzel Verlag; 1974. S. 206-16.
2.
Collet L, Kemp DT, Veuillet E, Duclaux R, Moulin A, Morgon A. Effect of contralateral auditory stimuli on active cochlear micro-mechanical properties in human subjects. Hear Res. 1990;43:251-61.
3.
Esser G. Differenzierung von Schallempfindungsstörungen. Habilitationsschrift. Düsseldorf 1976.
4.
Giraud AL, Garnier S, Micheyl C, Lina G, Chays A, Chery-Croze S. Auditory efferents involved in speech-in-noise intelligibility. Neuroreport. 1997;8:1779-83.
5.
Gopal KV, Pierel K. Binaural interaction component in children at risk for central auditory processing disorder. Scand Audiol. 1999;28:77-84.
6.
Lienert GA. Testaufbau und Testanalyse. Verlag Julius Beltz; 1989.
7.
Matulat P, Lamprecht-Dinnesen A. Münsteraner Untersuchungskonzept bei Verdacht auf zentral-auditive Verarbeitungsstörungen. Zeitschrift für Dialektologie und Lingusitik. 2000;107:109-14.
8.
Micheyl C, Morlet T, Giraud AL, Collet L, Morgon A. Contralateral suppression of evoked otoacoustic emissions and detection of a multi-tone complex in noise. Acta Otolaryngol. 1995; 15(2):178-82.
9.
Muchnik C, Roth DAE, Othman-Jebara R, Putter-Katz H, Shabtai EL, Hildesheimer M. Reduced Medial Olivocochlear Bundle System Function in Children with Auditory Processing Disorders. Audiol Neurootol. 2004;9:107-14.
10.
Ptok M, Berger R, von Deuster Chr, Gross M, Lamprecht-Dinnesen A, Nickisch A, Radü HJ, Uttenweiler V. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen - Konsensus-Statement. HNO. 2000;48:357-60.
11.
Steffens T. Oldenburger Kinderreimtest (OLKI) im sprachsimulierenden Störgeräusch (Regensburger Variante) - Testmodifikationen und Normalwerte für die Altersklasse 7-10 Jahre. HNO. 2003;51:1012-18.